Collage: Eine Frau mit Kind und eine Frau im Büro

Jonathan Borba, LinkedIn Sales Solutions/Unsplash

Geschlecht und Gerechtigkeit

Interview: Als Frau erlebst du Pubertät, Menopause – und die „Panikjahre“

Frau, Anfang 30, frisch getrennt und immer noch kein Kind. Die britische Autorin Nell Frizzell glaubt, dass es Vielen so geht – und hat einen Tipp, um mit der aufkommenden Panik klarzukommen.

Profilbild von Raweel Nasir
KR-Reporterin

Frau Frizzell, Sie sind 38 Jahre alt und haben ein Buch über die Phase zwischen Mitte/Ende 20 und Ende 30 geschrieben. Sie nennen diese Jahre die Panikjahre, ihr Buch basiert auch auf eigenen Erfahrungen. Wann haben Sie das erste Mal gemerkt, dass Sie sich in einer besonderen Phase befinden?

Kurz bevor ich 28 wurde, fing ich an, mich seltsam zu fühlen. Ich schlief schlecht, wachte nachts auf und fühlte mich krank, immer wieder auch panisch. Meine Periode kam zu komischen Zeiten. Ich dachte zwischendrin: „Oh mein Gott, ich bin schwanger!“ Ich wollte immer Kinder, habe Babys und Kinder geliebt. Aber plötzlich wollte ich nicht schwanger sein. In den nächsten sechs Monaten ging alles sehr schnell. Ich trennte mich von meinem langjährigen Partner und musste aus meiner Wohnung ausziehen. Ich wurde gekündigt und machte mich aus der Not heraus selbstständig. In dieser Phase musste ich wieder bei meiner Mutter einziehen. Ich verlor also sehr viel Sicherheit.

Das ist aber noch nicht alles, oder?

Nein. Gleichzeitig wurde ich zu Hochzeiten und Babypartys eingeladen. Leute um mich herum wurden befördert und zogen mit ihrem Partner in eine neue Wohnung. Ich fühlte mich unglaublich unpassend. Damals dachte ich: Ich scheitere an dem Leben, das ich eigentlich führen sollte.

Wann sind Sie auf den Gedanken gekommen, dass Sie sich in einer Phase befunden haben, die einen neuen Namen braucht?

Vier Jahre später war ich schwanger, lebte mit meinem Partner zusammen und war Schriftstellerin. Dann sah ich den Bogen dieser Erfahrung auf eine Art und Weise, wie ich ihn nicht sehen konnte, als ich mittendrin war. Ich erkannte, dass sich zu diesem Zeitpunkt alles in meinem Leben radikal verändert hatte.

Was genau sind die „Panic Years“ denn?

In der Phase zwischen Ende 20 und 40 stellt sich die Frage: Was willst du mit deinem Leben anfangen? Ich glaube, in dieser Zeit machen gerade Frauen im Leben eine bedeutende emotionale und physische Transformation durch, die ich mit körperlichen Veränderungen wie der Pubertät oder den Wechseljahren vergleichen würde. Der Motor dahinter ist die Entscheidung, ob sie Kinder bekommen werden oder nicht. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich denke nicht, dass alle Frauen insgeheim Kinder wollen. Aber ich glaube, dass sich viele Frauen mit diesem Thema beschäftigen – sei es, weil sie eben keine Kinder bekommen können oder wollen.

All das führt dazu, dass man in seinen besten Jahren das Gefühl hat, dass einem die Zeit davonläuft, dass man möglicherweise hinter allen anderen zurückbleibt, dass man den Erwartungen seiner Eltern, Partner:innen oder Freund:innen nicht gerecht wird. Aber wenn wir ein bisschen weiter blicken, können wir auf die gleichen alten Dinge verweisen: Kapitalismus, Patriarchat, schlechte Bildung, die Art von Menschen, die einen in Panik versetzen können und andere dadurch wirklich entmachten. All diese Sorgen spürt man in der Zeit der Panikjahre besonders.

Foto von Nell Frizell

Nell Frizzell ist eine britische Autorin, Journalistin und Podcasterin. Sie schreibt unter anderem für The Guardian, Vogue, Time Out, Elle und The Telegraph. Panic Years ist ihre erste Buchveröffentlichung und war ein großer Erfolg in Großbritannien. © Philippa James

„Panikjahre“ klingt erstmal ziemlich negativ.

Ich möchte nicht, dass Leute in Panik geraten, wenn sie mein Buch lesen. Im Gegenteil: Ich möchte, dass du dir weniger Sorgen machst, wenn du eine Frau Ende 20 oder Anfang 30 bist, und denkst, dass du es in deiner Karriere noch nicht weit geschafft hast, oder noch in einer WG lebst, oder du immer noch jeden Abend Nudeln mit Pesto isst, weil du dir kein besseres Essen leisten kannst. In all diesen Situationen sollte dir bewusst sein: Das passiert in unserer Zeit unglaublich häufig. Das liegt das daran, dass wir in einer Zeit leben, die für die großen Meilensteine des Erwachsenwerdens sehr ungünstig ist.

Was meinen Sie genau mit „ungünstig“?

Es ist wegen der Wohnungskrise wirklich schwer, ein Haus oder eine Wohnung zu kaufen. Ähnlich verhält es sich mit der Arbeit: Wir befinden uns in einer Art Krise, in der es nur sehr wenige sichere Arbeitsplätze gibt. Dazu kommen die Erwartungen an Menschen mit Gebärmütter: Sie sollen auf magische und unsichtbare Weise nicht schwanger werden, aber in ihren 20ern jede Menge Gelegenheitssex haben. Und in dem Moment, an dem sie den Zeitpunkt erreichen, an dem es als gesellschaftlich akzeptabel angesehen wird, schwanger zu werden, erwarten wir, dass sie auf magische Weise leicht fruchtbar sind.

In Ihrem Buch nennen sie die Panikjahre auch “den Fluss“. Was wollen sie damit ausdrücken?

Im Englischen ist „flux“ ein Begriff, der die Bewegung von Wasser beschreibt. Wenn also ein See überläuft, seine Grenzen überschreitet und abfließt, nennt man das Flux. Es ist auch ein Zustand der Veränderung in deinem Körper. Die Bewegung von Blut in einem Körper wird Fluss genannt.

Und wieso haben sie dann zusätzlich den Begriff „Panikjahre“ eingeführt?

Ich wollte den Begriff „Panikjahre“ als Kurzformel verwenden, um einen Begriff für diese Phase zu haben. Wenn du zum Beispiel gerade mit jemandem Schluss gemacht hast und zu einer Hochzeit eingeladen bist und einfach nicht hingehen willst, weil es zu schmerzhaft ist, wollte ich, dass die Leute sagen können, es tut mir wirklich leid, ich glaube nicht, dass ich zu eurer Hochzeit kommen kann. Das liegt nicht an euch, ich bin in den Panikjahren. Und die Leute würden das verstehen. Mir gefällt der Gedanke, dass damit vieles abgedeckt werden kann, was im Moment unausgesprochen oder unerkannt bleibt.

Was für Belege gibt es denn, dass wirklich viele Menschen in dieser Lebensphase panisch sind?

Das Durchschnittsalter einer Frau im Vereinigten Königreich bei der Geburt eines Kindes liegt bei 30 Jahren. Ich glaube, in den 60er Jahren lag es noch bei 24. Es ist also eindeutig so, dass Eltern ihre Kinder später bekommen. Wenn man das dann ausweitet und sich zum Beispiel das Durchschnittseinkommen, den Hausbesitz, die Rate der gemeldeten Depressionen, die Nebenwirkungen von Verhütungsmitteln und das Alter, in dem man verhüten sollte, ansieht, kann man sich schnell ein Bild machen, und zwar nicht nur anekdotisch, sondern anhand der statistischen Daten.

Aber das allein erklärt nicht die Panik, oder?

Ich habe für das Buch mit sehr vielen Menschen gesprochen, von denen ich wusste, dass ihre Situation ganz anders war als meine und mich gefragt: Ist das ein Thema? Es gab also anekdotische Beweise, und das war es, was mich anfangs begeistert hat. Aber je mehr ich mich damit beschäftigte, desto mehr erkannte ich Muster in den Bereichen Beschäftigung, Gesundheit und Wohnen, die mit meinen Erfahrungen übereinstimmen.

Brauchen wir wirklich ein neues Wort, es gibt ja schon die „Quarter-Life-Crisis“ ?

Ich denke, dass die Bezeichnung „Quarter-Life-Crisis“ nur die Symptome erklärt. Es geht nicht wirklich um die Ursache. Wir sagen: „Oh, 25-Jährige sind heutzutage wirklich gestresst.“ Oder Leute mit Mitte bis Ende 20 reden davon, dass sie sich verloren fühlen oder Versagensängste haben. Aber niemand hat, wie ich finde, die Ursachen für diese Panik zusammengetragen. Es gibt eine Frau in meinem Buch, die das Gefühl der Panic Years mit 39 hatte. Mit 39 war sie plötzlich in einer neuen Beziehung und dachte immer, sie wolle keine Kinder haben. Und dann hat sie sich doch für Kinder entschieden. Und sie hatte eine Art Abrechnung mit der Frage, ob das noch für sie galt oder nicht. Ich bin jetzt in meinen späten 30ern. Es passiert immer noch. Ich glaube nicht, dass man diese Phase eine Quarter-Life-Crisis nennen kann, denn wir sind ja fast 40.

Glauben Sie, die Generation der Millenials und der Gen Z steht heute zu der Kinderfrage anders als unsere Eltern-Generation?

Es heißt oft, die Millennials und die Generation Z seien ängstliche Generationen und würden aus allem eine Krise machen. Aber man kann auch sagen, dass wir in einer Weise die Kontrolle über die Empfängnisverhütung haben wie keine Generation vor unserer. Und so müssen wir uns inmitten der Klimakrise und einer Krise der Lebenshaltungskosten mit der großen Frage auseinandersetzen, ob wir ein Baby haben wollen oder nicht.

Sie schreiben in Ihrem Buch hauptsächlich über hetero cis Frauen. Welche Rolle spielen denn die „Panikjahre“ für Männer?

Als cis Frau weiß ich, dass jedes Mal, wenn ich blute, ein Ei, vielleicht zwei, aus einem endlichen Vorrat meinen Körper verlässt. Wenn Sie also unschlüssig sind, ob Sie ein Kind haben wollen oder nicht, werden Sie sehen, dass die Möglichkeiten, schwanger zu werden, buchstäblich jeden Monat aus Ihrem Körper herausfallen. Männer haben dieses Problem nicht. Vielleicht sind sie deshalb psychologisch etwas geschützt. Hinzu kommt: Wir fragen Männer nicht so über Fruchtbarkeit aus, wie wir es bei heterosexuellen Frauen tun. Mein Partner hatte vor meiner Schwangerschaft ein einziges Baby in seinem ganzen Leben gehalten und das nur, weil ich ihm auf einer Party ein Baby reichte. Männer werden von unserer Gesellschaft also oft davor geschützt, sich über auch ihre endliche Fruchtbarkeit Gedanken zu machen.

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Ich war neulich auf einer Veranstaltung zu Mutterschaft und Lyrik. Auf dem Panel waren mehrere nicht-weiße Frauen, die davon berichtet haben, dass es in ihrem Leben keine wirkliche Entscheidung gab, ob sie Kinder haben möchten oder nicht. Das hat mich ins Nachdenken gebracht: Ist die Position, in der man sich entscheiden kann, ob man Kinder möchte oder nicht, nicht eine sehr privilegierte?

Ja, absolut. Aber ich habe zum Beispiel eine geflüchtete Frau betreut, die in Großbritannien angekommen war und die genau die gleichen Probleme hatte wie ich. Es ist eine Frage, die man überhaupt erst stellen kann, wenn man das Privileg hat, Zugang zu Verhütungsmitteln zu haben.

Sie schreiben in ihrem Buch, dass unsere Gesellschaft Frauen oft falsch einteilt in zwei Gruppen, nämlich Mütter auf der einen und kinderlose Frauen auf der anderen Seite. Was meinen Sie damit genau?

Es ist unfair und unnötig. Es ignoriert die große Anzahl von Menschen, die irgendwo dazwischen liegen, die zum Beispiel Kinder wollen und keine bekommen können. Und es gibt so viel Bewegung zwischen diesen beiden Positionen, Menschen, die ihre Meinung ändern. Es sorgt außerdem dafür, dass wir Probleme wie Fehlgeburten mehr ignorieren. Aber ich würde auch sagen, dass wir nicht genug darüber wissen, welche Vorteile auch ein kinderloses Leben haben kann. Dazu gehört zum Beispiel die Zeit, seinen Träumen nachzugehen oder frei reisen zu können. Ich glaube, wir scheuen uns, über die Tatsache zu sprechen, dass es in jeder funktionierenden Gemeinschaft schon immer kinderlose Menschen gegeben hat und dass sie oft eine Rolle spielen, die genauso wichtig ist wie die der Eltern.

Wie könnten wir es ihrer Meinung nach schaffen, dass Menschen die keine Kinder bekommen, weniger stigmatisiert werden?

Zum einen würde ich sagen, dass der Zugang zu Verhütungsmitteln besser sein sollte, genauso wie zu Schwangerschaftsabbrüchen. Ich denke, wenn wir wollen, dass die Entscheidung, keine Kinder zu haben, respektiert wird, müssen wir den Menschen, die sich gegen Kinder entschieden haben, ermöglichen, ihr Leben so glücklich und gesund wie möglich zu leben. Wenn wir über Frauen sprechen, die sich dafür entscheiden, keine Kinder zu bekommen, denken wir immer, dass diese Menschen in anderen Bereichen erfolgreich sein müssen. Dass sie diese tollen Karrieren haben oder den Everest besteigen oder jede Nacht tollen Sex mit verschiedenen Leuten erleben. Warum können wir nicht einfach akzeptieren, dass das Leben eines kinderlosen Erwachsenen zu 80 Prozent der Zeit wie das Leben eines Elternteils aussieht? Menschen ohne Kinder müssen ihren Wert nicht dadurch beweisen, dass sie in einem anderen Bereich perfekt sind.

Was hat Ihnen letztlich aus den Panikjahren herausgeholfen?

Ich habe mit einem Therapeuten gesprochen, mit älteren Frauen und Männern, mit meinen alten Lehrer:innen. Und ich habe gemerkt, dass ich ein stärkeres Netzwerk brauche. Ich glaube, das könnte vielen anderen Menschen auch helfen: Dieses Netzwerk können Ihre Nachbarn sein, ihre Beziehung, Kolleg:innen oder die Familie. Wichtig ist, dass ich den Menschen in meinem Netzwerk meine Verletzlichkeit gezeigt habe und sie mir ihre. Denn sobald ich zu den Leuten sagte: „Ich brauche deine Hilfe, was auch immer es ist“, fühlte ich mich stärker, weniger panisch und hoffnungsvoller.


Redaktion: Rebecca Kelber Schlussredaktion: Esther Göbel Fotoredatkion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger und Christian Melchert

Als Frau erlebst du Pubertät, Menopause – und die „Panikjahre“

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