Eine Frau sitzt in einer Kiste, die auf einer Wiese steht

Aləx Buchan/Unsplash

Geschlecht und Gerechtigkeit

Nein, ich bin nicht vergewaltigt worden

Das sage ich. Meine Freundin sagt: „Du hast keine Lust, ein Opfer zu sein.“

Profilbild von Theresa Bäuerlein
Reporterin für Sinn und Konsum

Ich wollte diesen Text nicht schreiben. Ich habe es nicht für wichtig gehalten. Jahrelang habe ich die Sätze in meinem Kopf hin- und hergeschoben. Bis ich begriff: Es hat eine eigene Kraft, Dinge zu benennen. Auch wenn es mühsam ist. Und man sie vielleicht lieber einfach vergessen würde.

Ich bin nicht vergewaltigt worden. Aber es gibt Menschen, die das anders sehen.

Einer davon wäre vielleicht Lena Dunham, wenn sie meine Geschichte hören würde. Dunham wurde vor zehn Jahren mit ihrer Fernsehserie „Girls“ berühmt. Ich habe sie nie getroffen, aber ihr Buch hat mir letztlich geholfen, diesen Text zu schreiben. 2014, ein Jahr, nachdem das Time-Magazin sie zu einem der einflussreichsten Menschen der Welt erklärt hat, veröffentlichte Dunham dieses Buch: „Not That Kind of Girl“. Ein Kapitel darin heißt „Barry“.

Barry ist ein Typ, mit dem Dunham nach einer Party nach Hause geht. Barry ist – da sind sich Dunham und ihre Mitbewohnerin Audrey schon vor der Party einig – unheimlich. Er hat einen Schnurrbart, der sie an einen großkotzigen Jäger erinnert, trägt weiße Reeboks, wie Typen in Fitnessvideos aus den 1980ern, und soll angeblich einmal einem Mädchen auf einer Party einen Schlag auf die Brüste verpasst haben. Für die beiden alles Gründe, ihn zu meiden. Und doch: Die Party nimmt ihren Lauf, Dunham zu viele chemische Substanzen auf einmal, am Ende des Abends schlafen sie und Barry miteinander.

Als das passiert, ist Dunham ziemlich berauscht. Sie hat sich mit Audrey eine Beruhigungstablette geteilt, außerdem auf der Party getrunken und gekokst. Sie ist in einem Zustand, in dem kein Mensch wichtige Entscheidungen treffen kann, erst recht nicht über den eigenen Körper.

Die Freundin sagt: „Du wurdest vergewaltigt“

Und dann liegen sie und Barry auf dem Fußboden ihres Zuhauses und haben Sex. Sie weiß nicht genau, wie sie dahin gekommen sind, aber sie glaubt, es irgendwie mitentschieden zu haben. Bis dieser Moment kommt: „Ich schaue auf den Boden, neben sein blasses, gebeugtes Knie und sehe, dass er das Kondom abgenommen hat.“

Dunham schreckt auf und sagt ihm, er müsse das Kondom wieder überziehen. Dann machen sie weiter. Sie lehnt ihren Kopf zurück, soweit es geht. „Und oben, in der Zimmerpflanze meiner Mitbewohnerin, sehe ich ein anderes Kondom. Oder das gleiche Kondom. Ein Kondom, das er nicht trägt und vielleicht nie getragen hat.“ Sie schmeißt ihn raus.

Mir tut es weh, diese Geschichte zu lesen. Weil es mir einmal ähnlich erging wie Dunham.

Auch ich hatte nicht gewusst, wie viel Alkohol ich vertrage, auch ich hatte Sex mit einem Typen, der für uns beide die Entscheidung traf, dass das Kondom nicht gebraucht werden würde. Nennen wir ihn Mark. Er hieß in Wirklichkeit anders.

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Ich will nicht wie Dunham in die Details gehen. Weil ich anders als sie nicht die Nerven habe, öffentlich darüber zu reden. Aber ich bin dankbar dafür, dass sie es getan hat. Meine Dankbarkeit ihr gegenüber ist aber erst ein paar Monate alt. Jahrelang konnte ich die Bedeutung nicht leiden, die Dunhams Geschichte mit Barry in dem Buch bekommt. Ihr Umfeld reagiert entsetzt – übertrieben, so empfand ich es. Die Erste ist Audrey. Als Dunham ihr die Ereignisse jener Nacht schildert, umklammert die Freundin ihre Hand und flüstert: „Du wurdest vergewaltigt.“

Ich wollte mich schütteln wie ein Tier

Dunham erste Reaktion: Sie lacht. Ich lachte auch beim Lesen. Audreys Reaktion fand ich viel zu krass. Wenn das eine Vergewaltigung war, was sollten dann Opfer einer „echten Vergewaltigung“ sagen?

Darunter verstand ich Menschen, die zum Sex gezwungen wurden. Nicht einen Typen, der besoffen mit einem Kondom schummelt, auch wenn das eine miese Sache ist, zweifellos. Meine Erfahrung mit Mark hatte ich als „betrunkenes Missverständnis“ abgespeichert. Und konnte damit leben. Okay, ich habe nie zugestimmt, dass er das Kondom weglässt – aber manchmal trifft man unter Alkohol schlechte Entscheidungen, oder? Und es war ja wohl nicht böse gemeint.

Wenn ich diese Gedanken jetzt niederschreibe, komme ich mir ziemlich dumm vor. Ich hätte schwanger werden können. Ich hätte AIDS kriegen können. Hätte ich dann immer noch gedacht: „Naja, war bestimmt nicht böse gemeint?“

Mein Körper hat das schon immer anders empfunden. Wenn ich an Mark dachte, wurde mir auf eine diffuse Weise übel, ich hatte das Bedürfnis, mich zu schütteln wie ein Tier, das durch den Schlamm gezogen wurde. Aber dann schaltete sich mein Kopf doch wieder ein und versuchte, das Gefühl wegzuschieben. Es war doch nichts Schlimmes passiert!

Ein paar Jahre nach der Nacht mit Barry – Dunham arbeitet mittlerweile als Regisseurin und Autorin für die Komödie „Girls“ – schlägt sie die Geschichte den anderen Autor:innen als Szene für die Serie vor. Doch ihr Team ist nicht begeistert. „Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Vergewaltigung in irgendeiner Situation lustig ist“, sagt einer. „Aber das ist es ja“, antwortet Dunham. „Keiner weiß, ob es eine Vergewaltigung war. Es ist eine verwirrende Situation …“ Dann fällt ihr nichts mehr ein.

Als ich diesen Teil der Geschichte las, ärgerte ich mich noch mehr. Als hätten die Kolleg:innen da weitergemacht, wo Audrey aufgehört hatte, als hätten auch sie Dunham eine Version der Geschichte eingeredet, in der sie ein Vergewaltigungsopfer war – obwohl sie das selbst gar nicht so empfand.

Wem, um Himmels willen, sollte das nützen? War es nicht besser, mit der Erinnerung an eine „verwirrende Situation“ oder, in meiner Version, an ein „betrunkenes Missverständnis“ zu leben – wenn man doch die Wahl hatte?

Die harte, dreckige Arbeit, ein Opfer zu sein

Letzten Sommer begann ich, daran zu zweifeln. Ich saß mit einer Freundin auf einem sonnigen Holzsteg an einem Fluss. Wir aßen Wassermelone. Auf dem Wasser glitten Pärchen in rosafarbenen Retro-Tretbooten vorbei, die Mienen starr, die Beine strampelnd. Ich sagte meiner Freundin, dass ich vielleicht einen Artikel schreiben wollte. Darin würde ich von Mark erzählen und die These aufstellen, dass manche Erfahrungen nicht eindeutig sind und deshalb die Bedeutung haben, die wir ihnen geben. Zumal unser Gedächtnis ja weder objektiv noch zuverlässig mit Tatsachen umgeht. Menschen können sich sogar an Verbrechen erinnern, die sie nie begangen haben. Ich schloss daraus: Wenn ich nicht den Eindruck hatte, missbraucht worden zu sein, gab es keinen Grund, die Geschichte nachträglich zu ändern.

Meine Freundin sagte sofort und sehr bestimmt: „Das kannst du nicht schreiben.“ Ich würde, meinte sie, das Geschehene verharmlosen. Und außerdem die Glaubwürdigkeit anderer Menschen erschüttern, die die gleiche Situation als Übergriff erlebt hatten. Sie sagte: „Der Punkt ist doch ein anderer: Du hast keine Lust, ein Opfer zu sein.“

Das machte mich wütend. Und dieses Gefühl wiederum brachte mich zum Nachdenken. Es fiel mir sehr leicht, mich über Dunhams Buch aufzuregen und über meine Freundin. Aber ich hatte Schwierigkeiten, auf Mark wütend zu sein.

Ich habe ein kompliziertes Verhältnis zu meiner Wut. Alle Therapeut:innen, zu denen ich je gegangen bin, wollten, dass ich wütend auf Menschen wurde, die mich ihrer Meinung nach schlecht behandelt hatten. Wut scheint in Therapien eine wichtige Funktion zu haben. Ich bin aber nicht gerne wütend. Erst recht nicht wegen etwas, das ich nicht ändern kann. Wieso soll ich mich gegen etwas wehren, das vorbei ist? Diese Wut gibt mir keine Kraft. Sie macht mich hilflos.

Wenn mich jemand schlecht behandelt, will ich deshalb immer zu schnell nach vorne springen, sofort verzeihen. Vielleicht hatte meine Freundin recht. Vielleicht wollte ich einfach nicht die emotional harte, dreckige Arbeit machen, ein Opfer zu sein.

Manche Frauen wussten nicht, dass sie vergewaltigt worden waren

Mir fiel die Geschichte von Mary Koss ein. Als Koss Mitte der 1970er Jahre ihre neue Stelle als Psychologieprofessorin an der Kent State Universität in Ohio antrat, gab es fast keine Studien über sexuelle Gewalt. Forscher:innen glaubten, dass Vergewaltigung ein eher seltenes Verbrechen war, weil nur wenige Frauen in Umfragen die Frage bejahten: „Wurden Sie vergewaltigt?“ Koss verstand, dass die Frage falsch gestellt war.

In einer Folge des Podcasts „This American Life“ erklärt sie, warum es so wichtig ist, dass Wissenschaftler:innen Fragen richtig formulieren. Sie nennt als Beispiel Umfragen über Alkoholismus:

„Man kann nicht einfach fragen: ‚Sind Sie Alkoholiker?‘ Erstens, wer will schon Alkoholiker sein? Sie würden das verneinen. Zweitens ist Alkoholismus eine medizinische Diagnose. Sie wissen also nicht, was die Kriterien für einen Alkoholiker sind. Aus diesen Gründen muss man die Diagnose in Verhaltensweisen übersetzen, zum Beispiel: ‚Wie viele Gläser Alkohol trinkst du am Tag?“

Dieses Prinzip wendete Koss nun auf ihre Umfragen über sexuelle Gewalt an. Sie stellte Fragen wie: „Hat Sie jemand mit Gewalt oder unter Androhung von Gewalt zum Geschlechtsverkehr gezwungen, obwohl Sie es nicht wollten?“ Oder: „Wurden Sie schon einmal gegen Ihren Willen von einem Mann penetriert?“

Wenn man sie so fragte, antworteten viele Frauen mit „Ja“.

Koss’ Studie, die 1987 erschien, zeigte, dass Frauen viel öfter vergewaltigt wurden, als offizielle Erhebungen und Kriminalitätsstatistiken in den USA erfassten. Und dass die Täter oft keine Fremden waren. Den Begriff „Date Rape“ hat Koss geprägt.

Für die Studie wurden mehr als 6.000 Student:innen an 32 Hochschulen befragt. Beinahe ein Drittel der Frauen gab an, eine versuchte oder vollendete Vergewaltigung erlebt zu haben. Fast jeder elfte der befragten Männer sagte, dass er eine Vergewaltigung begangen hatte.

Darüber hinaus zeigte die Studie, dass ein Viertel der College-Studentinnen vor ihrem 14. Lebensjahr einen Vergewaltigungsversuch oder eine Vergewaltigung erlebt hatten.

Es gab, begriff Koss, Opfer, die dem Gesetz nach vergewaltigt worden waren, diesen Begriff aber nicht verwendeten. Selbst wenn die Erfahrung die schlimmste ihres Lebens gewesen war. Weil sie unter Vergewaltigung als Tat etwas anderes verstanden: den Fremden etwa, der aus dem Busch springt und eine Joggerin überfällt, den Einbrecher, der eine Schlafende überwältigt.

Das Gefühl, auf einer Insel zu leben, die immer kleiner wird

Studien wie die von Koss sind sehr wichtig. Ein Grund: Erst, wenn man weiß, dass man einen Übergriff erlebt hat, kann man sich dagegen wehren.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass die Gesetze gut genug sein müssen, um sich wehren zu können. Erst 2016 gab es in Deutschland eine Verschärfung des Sexualstrafrechts. Seitdem gilt hierzulande die „Nein heißt Nein“-Regelung. Das heißt: Entscheidend ist nicht mehr, ob ein Täter Gewalt anwendet und auch nicht, ob das Opfer sich körperlich wehrt. Sondern ob die Person eine sexuelle Handlung erkennbar nicht will. Zum Beispiel, weil sie „Nein“ sagt. Oder weint.

Es ist kaum zu glauben, aber erst seit dieser Reform ist in Deutschland auch sexuelle Belästigung strafbar. Seit Zweitausendfuckingsechzehn (hier fällt es mir leicht, wütend zu werden). Bis dahin galt: Wer einer Person in der U-Bahn ihr Portemonnaie klaute, machte sich strafbar. Wer ihr stattdessen von hinten zwischen die Beine griff, nicht.

Ich bin sehr froh, dass es heute in Deutschland bessere rechtliche Mittel gibt, sich gegen sexuellen Missbrauch und Belästigung zu wehren. Besonders, wenn ich daran denke, dass in den USA vier Jahre lang ein Typ Präsident war, der damit prahlen konnte, dass er Frauen zwischen die Beine grabscht. Oder daran, dass Vergewaltigungen eine Kriegswaffe sind, auch jetzt wieder im Ukraine-Krieg. Oder wenn ich bedenke, dass es überall, auch in Deutschland, Abtreibungs-Gegner:innen gibt und frauenhassende Incels, die glauben, der Feminismus sei schuld daran, dass niemand mit ihnen schlafen will.

Manchmal habe ich das Gefühl, auf einer kleinen Insel der Welt zu leben, in der eine Mehrheit der Männer seit noch nicht besonders langer Zeit akzeptiert, dass die Körper von Frauen den Frauen gehören. An schlechten Tagen habe ich das Gefühl, dass diese Insel kleiner wird.

An besseren Tagen denke ich, dass es langsam besser wird. Anders als damals, als die Sache mit Mark passierte, könnte ich ihn heute anzeigen und hätte eine Chance darauf, dass wirklich etwas passiert.

Heimlich ein Kondom entfernen kann eine Straftat sein

Wenn jemand beim Sex heimlich ein Kondom abzieht, heißt das „Stealthing“. Es kommt von dem englischen Wort „stealth“, das „List“ bedeutet oder „Heimlichtuerei“. Ein deutsches Wort gibt es für diese Tat nicht. 2017 erregte Alexandra Brodsky, damals eine junge Jura-Studentin, in den USA Aufsehen, weil sie einen wissenschaftlichen Artikel über Stealthing veröffentlichte. Sie plädiert darin dafür, das heimliche Abziehen eines Kondoms rechtlich wie andere sexuelle Übergriffe zu behandeln. Für ihren Artikel hatte sie Menschen interviewt, die Opfer von Stealthing geworden waren, und die Tat juristisch analysiert. Wenn man ein Kondom bewusst und ohne Absprache entfernt, so ihr Argument, fehle dem Sex die Zustimmung, selbst wenn er vorher einvernehmlich war.

Vier Jahre später verbot Kalifornien als erster US-Bundestaat Stealthing und machte es damit zu einem Verbrechen. Die kalifornische Autorin des Gesetzestextes, Cristina Garcia, sagte, der Artikel von Brodsky habe sie inspiriert.

In Deutschland gibt es kein Anti-Stealthing-Gesetz. Aber man kann trotzdem Stealthing anzeigen und verfolgen lassen. 2018 gab es dazu das erste Urteil. Eine Frau hatte einen Bundespolizisten angezeigt, weil er beim Sex mit ihr heimlich das Kondom abgezogen hatte. Das Berliner Kammergericht entschied, dies sei ein sexueller Übergriff.

„Nein heißt Nein‘ bedeutet, dass ein strafbarer Übergriff passiert, wenn eine Person ‚gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt.‘ So steht es im Strafgesetzbuch. „Das sexuelle Selbstbestimmungsrecht beinhaltet nicht nur, ob sexuelle Handlungen, sondern auch welche ausgeübt werden. Wenn also vor dem Sex abgemacht war, dass ein Kondom benutzt wird und es heimlich abgezogen wurde, ist dies eine strafbewehrte sexuelle Handlung“, erklärte mir die Berliner Anwältin Christina Clemm, die auch Mitglied der Expertenkommission zur Reform des deutschen Sexualstrafrechts war.

Wer wegen eines sexuellen Übergriffs verurteilt wird, bekommt eine Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten, bei Ersttätern ist es meistens eine Bewährungsstrafe. Der Polizist in Berlin bekam sechs Monate auf Bewährung. Außerdem musste er der Frau, die ihn angezeigt hatte, 3.095,59 Euro Schmerzensgeld zahlen. Andere Gerichte zogen in den folgenden Jahren nach: Auch in Schleswig-Holstein, Bayern, Nordrhein-Westfalen urteilten die Richter:innen, dass Stealthing ein sexueller Übergriff ist.

„Man muss sich nicht in eine Opferrolle reden lassen“

Wenn ich Mark damals wegen Stealthing angezeigt hätte, wäre ihm nichts passiert. „Nein heißt Nein“ galt damals nicht. Aber selbst wenn es anders gewesen wäre, weiß ich nicht, ob ich es getan hätte. Sicher weiß ich: Ich hätte ihm gerne viel deutlicher und wütender klargemacht, dass ein Kondom heimlich zu entfernen ein absolutes No-Go war. Nicht nur wegen einer möglichen Schwangerschaft und Krankheiten, sondern auch, weil er kein Recht hatte, mich bei dieser Entscheidung zu übergehen. Und weil er wahrscheinlich mit anderen Frauen nicht besser umging.

Doch um all das sagen zu können, hätte ich es selbst begreifen müssen. Ich war mir einfach nicht sicher, ob ich mich nicht vielleicht doch viel zu sehr anstellte. Ob mein Unbehagen, meine Demütigung legitim waren.

Alexandra Brodsky sagt in einem Interview mit dem New Yorker: „Interessant war für mich auch, dass viele der Menschen, mit denen ich gesprochen habe, durch die Erfahrung zutiefst verletzt waren, aber nicht wussten, ob sie sich zu Recht so fühlten. Sie wussten nicht, ob das, was sie als schlimm empfanden, wirklich schlimm war.“ Ein Grund, warum es wichtig ist, die Dinge beim Namen zu nennen, sei es, den Betroffenen zu zeigen, dass sie das Recht haben, nicht auf diese Weise behandelt zu werden.

Es hilft mir zu verstehen, dass die Sache mit Mark ein Übergriff war. Das weiß ich jetzt. Meine Gefühle haben einen Platz. Aber: Ich fühle mich nicht traumatisiert.

Ich glaube, und das ist ein schwieriger Punkt, es liegt ein schmaler Grat zwischen dem, Dinge richtig zu benennen, und dem, sich selbst oder andere Menschen in Interpretationen und Gefühle zu drängen. Eva Wilkes, Sexualtherapeutin und KR-Leserin, sagte mir, dass in Bezug auf das Kondom die Sache mit Mark klar sei: Das hätte er nicht tun dürfen, deswegen gibt es in dieser Situation nur schwarz-weiß. Aber wie man eine Erfahrung emotional verarbeitet, ist immer individuell. „Es ist wichtig, sich eine Erfahrung nicht schön zu denken. Aber man muss sich auch nicht in eine Opferrolle reden lassen, wenn man es nicht so empfindet.“ Audreys Ausruf gegenüber Lena Dunham: „Du bist vergewaltigt worden!“, sei verständlich, aus Audreys eigener Weltsicht heraus, meint sie. „Als gute Freundin wäre es aber liebevoller gewesen, wertfrei nur zu fragen: ‚Wie geht es dir damit?‘, und danach erst anzusprechen, dass man es ja unter Umständen auch als Vergewaltigung sehen könnte – ohne sie in diese Rolle zu drängen.“

Ich habe meine Geschichte mit Mark als Lernerfahrung abgehakt, als Motivation, gut auf mich aufzupassen. Sie ist ein Grund dafür, dass ich seit Jahren fast nie Alkohol trinke.

Wenn ich heute an Mark denke, denke ich nicht mehr an ein betrunkenes Missverständnis. Ich denke: „Was für ein Arschloch.“


Redaktion: Esther Göbel, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Iris Hochberger

Nein, ich bin nicht vergewaltigt worden

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