Meine Frau hat gesagt, dass ich kein richtiger Mann sei. Sie hat es im Grunde nicht genau so ausgesprochen. Aber das ist, was ich gehört habe.
Eher hat sie es so gesagt: Ich sei schon ein Mann, klar, und grundsätzlich hätte sie mich geheiratet, weil ich sei, wie ich sei, nämlich gut und liebenswert. Aber manchmal würde sie sich wünschen, dass ich sie mal an mich risse; dass sie, als ansonsten starke Frau, auch mal schwach sein dürfe.
Nun ist es so: Ich gebe mir wirklich viel Mühe, ein guter Mann zu sein. Einer, der sich Zeit für die Kinder nimmt. Der im Haushalt wirklich was macht. Die Art Mann eben, von der ich eigentlich dachte, sie sei heutzutage gefragt. Aber nun sagt mir meine Frau genau das Gegenteil.
Ich habe geantwortet, dass ich das nachvollziehen kann und gleichzeitig auch nicht. Ich bin verunsichert. „Wie habe ich mir das vorzustellen?“, habe ich sie gefragt. Ob das so eine Art Zeitfenster sei, in dem die Emanzipation wenige Minuten pausiere?
Und seitdem streiten wir.
Ich bin verdammt schlecht im Streiten. Schon während ich streite, meldet sich leise mein Gehirn und sagt, dass ich möglicherweise die Schuld an allem trage. Zumindest könne es die Möglichkeit nicht ausschließen. Ich allerdings kann diese Möglichkeit, die Schuld, nicht ertragen. Also schlägt mein Gehirn vor, so schnell wie möglich Burgfrieden auszuhandeln. Wenn ich zurückflüstere, dass ich auf keinen Fall Frieden möchte, zwinkert das Hirn nur und sagt: Wir wollen doch beide unsere Ruhe haben.
Vielleicht bin ich in der Wirklichkeit meines Gehirns ein alter, dicker Mann, der möchte, dass seine Frau sich einfach was Leckeres aussucht, während er die Fischkarte hochklappt, um schweigend über Köstlichkeiten im Teigmantel nachzudenken. Einer der schweigt, um nicht reden zu müssen.
Derweil donnert Barbara, ich sei unsensibel.
Sie fühle sich nicht gesehen.
Außerdem hätte ich Angst vor meinen eigenen Gefühlen.
Und darüber hatte ich wirklich noch gar nicht nachgedacht. Habe ich Angst vor meinen Gefühlen? Was sind überhaupt meine Gefühle?
Der Vorwurf sei tendenziell richtig, meldet mein Gehirn. Wir sollten jetzt keine Steine schmeißen. Ob es kapitulieren solle?
Und weil ich „Nein“ sage, kommen wir an den Punkt, an dem ich nicht mehr weiterweiß und explodiere. So war ich schon als Kind. Ich bin in diesen Momenten irgendwie überfordert und werde so wütend, dass ich etwas Unmögliches sage.
Ich sage: „Es kann nicht jeder ergriffen bunte, antike Hausfassaden streicheln, nur weil einen permanent die eigenen Gefühle überrennen!“
In die Enge getrieben, und ZACK! – den anderen verletzt und rein mit dem Filetiermesser, hochziehen und drehen, bis der andere mittig aufklappt. Mein Gehirn und ich nennen diesen Move: den Rippenspreizer. Das Filetiermesser ist die letzte Waffe, die ich habe, und sie ist auf völlige Vernichtung ausgelegt.
Danach geht nichts mehr.
Alles zwischen uns, schimpft Barbara, bevor sie sich verabschiedet, sei wie ein luftleerer Raum. Eine Art Blackbox, in die jeder reinkommuniziere und beim Gegenüber landeten ganz andere Worte. Oder auch gar keine. Auf so eine Ehe habe sie wirklich keinen Bock. Und das sei, vom Aspekt der Leidenschaft gesehen, für die nächsten 40 Jahre vielleicht etwas zu wenig.
Und ich rufe ihr noch nach, dass ich das auch etwas zu wenig fände, aber da ist die Fahrstuhltür auch schon zu.
Wäre das ein guter Moment, um zu weinen?
Ich habe noch eine Stunde, um auf- und abzugehen, bevor ich die Kinder aus dem Kindergarten holen muss. Mehr als genug Zeit, um mich anständig zu zermartern.
Barbara hat ein Buch von mir gelesen, das ich über das Sterben geschrieben habe. Als sie es fertig gelesen hatte, sagte sie, ich hätte ja doch Gefühle. Nur würde ich das niemandem mitteilen. Es wäre schade, davon aus der Tageszeitung zu erfahren.
Aber für mich geht es gar nicht um Gefühle. Meine Frage ist viel größer. Ich weiß einfach nicht, was für ein Mann ich sein soll. Der weiche, verständnisvolle Familienvater? Das ging bisher ganz gut; aber ich kann nicht gleichzeitig ein Mann sein, der Holz hackt, während er mit der anderen Hand das Kind in den Schlaf schaukelt. Keine Ahnung. Frauen haben sicher auch gebraucht, bis sie CEO und Mutter sein konnten; Model und Ornithologin. Ich bin scheinbar alles gleichzeitig und nie etwas genau richtig. Und von allen Seiten: diese Erwartungen. Vielleicht habe ich deshalb entschieden, mir gleichgültig zu sein. Aus mir wird sicher kein Don Juan mehr.
In der Serie, die meine Söhne gerne gucken, kommen in einer Folge die Helden an eine Höhle. Davor sitzen zwei Eidechsen und bewachen den Eingang. Als die Helden fragen, warum man dort nicht hinein dürfe, antworten sie: „Nicht jeder, der in die Cenotes hineingeht, kommt auch wieder aus den Cenotes heraus!“
Ich fühle die Eidechsen: Sich was zu trauen, lohnt sich nicht.
Ich frage mich, wann ich das letzte Mal geweint habe und ob jetzt ein guter Moment wäre, entscheide mich aber dagegen.
Mein Gehirn sagt, ich solle die Fakten sehen. In der Abstellkammer läge doch dieser Karton mit den sexy Schnürschuhen. Meine Frau hatte sich kürzlich bei einem Tanzkurs eines Lateintanz-Bundesligisten angemeldet, ergo: Ich säße praktisch schon in meinem eigenen Hera-Lind-Roman. Ziemlich sicher würde ich bald verlassen werden und Barbara mit einem Tänzer durchbrennen, und dann würden sie ein Haus auf Mallorca kaufen, weil es da ja auch schöne Ecken gibt.
Ich sehe immer die Fakten. Überhaupt würde ich alles immer nur sachlich betrachten, meint Barbara. Das Problem am Keine-Gefühle-haben oder Keine-Gefühle-zeigen ist ja, dass einem viele Wunder der Welt entgehen. Ich glaube, auf den allermeisten Bildern, die in den vergangenen 20 Jahren von mir gemacht wurden, lache ich nicht. Ich weine auch nicht. Ich bin nur manchmal wütend, und darauf könnte ich gut verzichten.
Und dann, meldet mein Gehirn, müsse es da noch die Trigger-Warnung anbringen: „Es ist mir viel zu wenig für die nächsten 40 Jahren Ehe, wenn du nicht mit mir sprichst“, ist fast exakt der Satz, mit dem sich meine Eltern getrennt hatten.
„Wenn ich mir das recht überlege“, sage ich zu meinem Gehirn, „ich würde mich nun doch gerne entschuldigen.“
„Jetzt?! Schwierig!“, sagt mein Gehirn. „Sie fährt gerade vom Parkplatz.“
„Ich könne eine Whatsapp schreiben?”
„Vorsicht”, sagt mein Gehirn. „Ich habe diverse negative Erfahrungen abgelegt im Cluster: Streitgespräche in Bezug auf Textnachrichten.“
„Wo ist Mama“, fragt mein kleiner Sohn, als ich ihn von der Kita abhole. Mein erster Impuls ist zu sagen: „Durchgeknallt!“, aber das lasse ich lieber. In acht Jahren Ehe gab es vielleicht zwei Momente, in denen ich dachte, meine Frau sei durchgeknallt – wie oft hat sie das wohl über mich gedacht?
Wir schlendern so nebenher, Hand in Händchen, wie in einem Adam-Sandler-Film, und ich würde gerne sagen: „Du musst dir keine Sorgen machen.“ Aber dazu müsste ich erst mal erklären, was überhaupt Anlass zur Sorge ist. Das wäre kontraproduktiv.
Stattdessen schauen wir schweigend Bäume an. Da sei ein Vogel, sagt mein Sohn, es habe ein rotes Kehlchen, es werde sicher ein Rotkehlchen sein. Ich sage: „Bestimmt“, und drücke seine kleine Hand fester. Er sagt: „Aua “– und ich: „Entschuldigung.“
Ein heimlicher Generalverdacht
Meine Mutter hat in einem Text, den ich mal über sie geschrieben habe, gesagt: „Wir bringen unsere Männer dazu, sich domestizieren zu lassen. Und wenn wir es dann geschafft haben, stellen wir fest: So einen Mann wollen wir nicht.“
Meine Mutter hat versucht, aus mir einen modernen, verständnisvollen Mann zu machen. Und im Prinzip bin ich das auch, ein Mann wie mein Vater. Nachdem sich beide getrennt hatten, hat sie einen Mann geheiratet, der viel bestimmter, viel dominanter durch sein Leben geht. Und wenn Barbara das auch will, muss ich dann einfach rigoroser für mich selbst eintreten? Heißt das: Ich selbst sein?
Während meine Söhne darum streiten, wer im Aufzug gleich den Knopf drücken darf, suche ich in der Wohnung die Badesachen zusammen. Kleine Hosen. Kleine Schwimmflügel. Wechselzeugs.
Barbara kommt rein, wir begrüßen uns knapp und fahren zu Freunden, die uns zum Grillen eingeladen haben. Im Radio kündigen sie 35 Grad an und für die nächsten Tage unwetterartige Niederschläge. Da könnten sie auch gleich „The End“ von den Doors spielen, denke ich, während die Wiesen rechts und links an unserem Auto vorbeifliegen.
Auf der Grillparty sitzen alle im Schatten. Vier Beziehungen, verschiedene Altersklassen, verschiedene Sichtweisen. Auf dem Grill zischen vegetarische Alternativen und tropfen in die Kohle.
Wenn ich mir unsere Jungs, viele meiner Freunde haben Söhne, so ansehe, scheint mir, wir erzögen sie alle unter einem heimlichen Generalverdacht. Nicht als Kind, nicht als Junge. Sondern als der Mann, der sie werden sollen. Wir sagen oft, welches Verhalten wir uns wünschen – und welches nicht angemessen ist. Dass sie nicht schlagen sollen. Dass sie bitte die Mädchen in Ruhe lassen: „Nein heißt Nein!“
Die Freunde, die Mädchen haben, sagen zu ihren Kindern eigentlich nur: Stell dich nicht so an. Das Leben, das auf Frauen wartet, ist hart genug. Spüren unsere Kinder das? Vielleicht ist es aber auch so ein Ding, dass viele Männer bereitwillig die Erziehung ihren Frauen überlassen. Dass sie schweigen. Und mit den Kindern spielen. Ab und zu.
In unserer Schwimmgruppe ist es immer noch so, dass die Männer eher gar nichts sagen und die Frauen ständig sehr viel sagen – vermutlich weil sie denken, dass sich ihre Mutterrolle in den Augen anderer daran bemisst. Die Männer im Schwimmkurs sagen nichts und schreiben in der Kniebeuge des Beins, das sie über das andere geschlagen haben, auf ihrem Handy Nachrichten an ihre Freunde. Ich meine: Ich lebe nicht in Berlin, ich kann praktisch auch nur für unsere Heidelandschaft sprechen. Erziehungstrends brauchen länger zu uns raus, wegen der vielen Forstwege und der schlechten Netzabdeckung.
Das Wasser auf dem kleinen Plastikpool glitzert. Im Prinzip ist es eine Szene wie vor hundert Jahren, nur umgekehrt. Die Männer halten die Kinder von den Hochbeeten fern und reden über Rezepte. Die Frauen rauchen Kette und spielen Karten.
Was für ein Mann will ich sein?
Ich kann nicht sagen, auch im Hinblick auf diese Serie nicht, was genau sich geändert hat. Dass sich was geändert hat, ist wohl zweifellos klar. Es ist etwas in mir. Ich weiß zwar immer noch nicht, ob ich ein Mann bin oder ein Netzstecker. Aber ich weiß eines: Vielleicht ist das letztlich gar nicht so wichtig.
Was ich sagen kann: Frauen haben sich die Öffentlichkeit für sich erkämpft und den Herd verlassen – zumindest, wenn sie es wollten. Die Frauen wollten stark sein. Und sie sind, und das ist vielleicht der entscheidende Punkt, heute, wer sie sein wollten. Was also wollen Männer?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich Männer gerne acht Stunden im Büro unter Kunstlicht aufhalten. Ich glaube auch nicht, dass Männer gerne im Krieg fallen. Den Haushalt haben sich die Männer trotzdem nicht erkämpft. Vielleicht, weil die meisten ihn nie haben wollten. Aber es gibt viele Liebesgeschichten, die mit einer guten Portion Spaghetti anfangen oder wenn man den Müll rausbringt. Und die beste Liebesgeschichte der Welt ist doch die in der Montageanleitung vom Ikea-Kleiderschrank, die damit beginnt, das einer die Deckenhöhe nicht beachtet.
Möglicherweise sollte man sich nicht immer so verunsichern lassen, durch Selbstzweifel, Erwartungen und Frust. Als Mann. Aber vor allem nicht als Mensch. Und auch nicht durch gefühlige Serien, wie ich sie hier gerade schreibe. Wir haben starke Frauen, jetzt bräuchten wir also noch starke Männer. Männer, die selbstbewusst sind, Frauen und alle anderen Geschlechter lieben und respektieren (und bitte auch umgekehrt) und trotzdem eine Weile ins Feuer starren können.
Vielleicht wollen uns Frauen gar nicht domestizieren, wie meine Mutter immer meint. Vielleicht wollen sie – unser Bestes? Angenommen, ich wäre eine Frau und jetzt emanzipiert und würde trotzdem durch mein Leben struggeln, weil: all die Probleme, die die Gesellschaft für Frauen übrighat. Bräuchte ich nicht einen Partner, der hilft, der unterstützt? Will meine Frau gar nicht beschützt werden, sondern einfach, dass ich ihr helfe, ihre Emanzipation zu verteidigen? Da bräuchte es einen starken, verlässlichen, rigorosen Mann. Der könnte Motorrad fahren oder Dreirad, ein Holzfällerhemd tragen oder ein Seidenhemd; er könnte alles. Weil er eine Hilfe ist. Wir sollen gar nicht anders sein, wir sollen uns einsetzen. Für uns – und unsere Partner:innen.
Tja.
War eigentlich gar nicht so schwer. Vielleicht einfach existieren, im Kosmos so vieler guter Menschen. Und am Ende: ein guter Mensch sein.
An dieser Stelle muss ich kurz innehalten.
Barbara, ich liebe dich. Tut mir leid, das musst du jetzt aus der Tageszeitung erfahren, irgendwann kriege ich das auch anders hin.
Vom Grill tropft es in die Kohle. Die Kinder haben sich die Klamotten vom Leib gerissen und attackieren sich gegenseitig. Zuckende Wasserpistolen in der Nachmittagssonne.
Ich denke an den kleinen Jungen mit den runden Brillengläsern, der abseits der Tartanbahn wartet, bei den Bundesjugendspielen. Der Junge, der ich gewesen bin. Ich denke an dieses Bild, wir am Mittelmeer, wie ich zwischen den Beinen meines übergroßen Vaters stehe, mit diesem Blick in den Augen; sehr neugierig, aber auch nicht genau wissend, ob das, was noch kommt, gefährlich für mich ist.
„Denkst du, das ist okay?“, fragt mich mein Freund und zeigt auf die Wasserpistolen. „Dass sie aufeinander schießen, meine ich?“
„Klar“, sage ich nur und lächle.
Und dann haue ich ihm auf die Schulter, aber nicht, weil Männer das eben so machen, sondern weil ich einfach mal Nähe spüren will – und sage: „Hast du vielleicht noch eine?“
Kurz bevor ich ihre kleinen erschrockenen Gesichter erreiche, rufe ich noch: „Nicht jeder, der in die Cenotes hineingeht, kommt auch wieder aus den Cenotes heraus!“
Zum ersten Mal, finde ich, klingt es so richtig wie Spanisch.
Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert