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Wir erleben gerade merkwürdige Tage. Einerseits macht die katholische Kirche einen Satz nach vorne – obwohl es schien, dass es keine Hoffnung mehr für sie gibt, weil nun auch Ex-Papst Benedikt XVI. in einem Missbrauchsgutachten schwer belastet wird. Gestern aber sind 120 Beschäftigte der katholischen Kirche mit einem Manifest an die Öffentlichkeit gegangen. Darin haben sie gefordert, dass die Kirche nicht-heterosexuelle Mitarbeiter:innen nicht mehr diskriminiert, also ihnen zum Beispiel nicht mehr wegen ihrer sexuellen Orientierung kündigt. Diejenigen, die unterzeichnet haben, wissen, dass sie dadurch ihren Job verlieren können. Es ist ein sehr mutiges Zeichen.
Andererseits bewegt die feministische Zeitschrift „Emma“ sich – nun ja, ich weiß nicht genau, wohin, jedenfalls kaum in die Zukunft oder in die Herzen viele Feminist:innen, vor allem der jüngeren. Du hast es vielleicht mitbekommen: „Emma“ hat einen Artikel veröffentlicht, in dem die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer angegriffen wird. Sie wird darin unter anderem als Mann in Frauenkleidung bezeichnet. „Emma“ suggeriert außerdem, dass Ganserer zu Unrecht einen Platz besetzt, der einer weiblichen Politikerin zusteht.
Wie eine Verschwörungserzählung
Den ganzen Text durchzieht eine große Angst davor, dass die Kategorie Geschlecht im deutschen Rechtssystem neu definiert werden könnte. Männer und Frauen würden dann nicht mehr nach „objektiv feststellbaren, körperlich-biologischen Merkmalen“ definiert, sondern nach quasi willkürlichen Gefühlen, die sich aus „Klischees und Stereotypen“ speisen. Dazu der unheilschwangere Satz: „Die Bevölkerung soll daran gewöhnt werden.“
Was das mit Feminismus zu tun hat? Ich weiß es auch nicht. Wie Sibel Schick in der taz schreibt: „Wenn eine Bewegung gegen die Selbstbestimmung marginalisierter Gruppen in einer Gesellschaft vorgeht, ist diese Bewegung noch feministisch?“
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Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass „Emma“ sich mit diesem Angriff auf die Grünen-Politikerin endgültig im TERF-Territorium eingenistet hat. Die Abkürzung TERF ist nicht jedem vertraut, sie wird oft wie eine Beschimpfung verstanden. Eigentlich ist TERF aber eine Abkürzung für ein Phänomen, das die Haltung von „Emma“ ziemlich gut erklärt: Trans Exclusionary Radical Feminists (grob übersetzt: „radikale Ausgrenzungsfeministinnen“). TERF wünschen sich, dass Menschen von Geschlechterstereotypen befreit werden, glauben aber nicht, dass es möglich ist, sich vom biologischen Geschlecht zu befreien. Mehr noch: Sie glauben, dass der Versuch, das zu tun, die Bekämpfung sexueller Gewalt und Diskriminierung untergräbt. Weil zum Beispiel in Täter-Opfer-Statistiken nicht mehr klar wäre, wer „wirklich “ein Mann oder eine Frau ist.
Diese Ängste könnte man diskutieren und Lösungen finden – aber der Weg, den „Emma“ geht, wird nicht dazu führen. Sondern zu Empörung, Hass und noch mehr Angst.
Was manche vom Feminismus in die Transphobie führt
In Europa spielen TERF vor allem in Großbritannien eine wichtige Rolle in der Debatte, wie die Journalistin Katie J.M. Baker in diesem wirklich sehr lesenswerten Artikel beschreibt. Wer verstehen möchte, was manche vom Feminismus zu TERF führt, sollte ihn unbedingt lesen. Baker geht darin der Frage nach, warum ausgerechnet eines der wichtigsten Foren für britische Eltern, „Mumsnet“, zu einem Sammelbecken für TERFS geworden ist. Die meisten „Mumsnet“-Nutzer:innen sehen sich als politisch liberal, schreibt Baker, trotzdem sind die Diskussionen um trans und Gender voller Wut und Feinseligkeit. „Ein Kind auszutragen und zu gebären war kein verdammtes soziales Konstrukt“, schreibt eine Userin. Eine andere: „Ich habe einen weiblichen Körper und tue etwas, was nur eine Person mit einem weiblichen Körper tun kann.“
Es ist ein bisschen tragisch-komisch, dass „Mumsnet“ Baker an ihre frühere Berichterstattung über die Radikalisierung von Männern durch Männerforen erinnert, „in der Pick-up-Artists (PUAs) und Männerrechtsaktivisten (MRAs) Anhänger rekrutieren, indem sie reale Ängste (z. B. wirtschaftliche Ängste) ausnutzen und Randgruppen (Frauen, Schwarze, Juden) für gesellschaftliches Versagen verantwortlich machen.“
Dazu passt aber, dass laut Baker in den USA eher Republikaner:innen, nicht Feminist:innen, transphobe Standpunkte vertreten. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich finde die Tatsache, dass ein feministisches Magazin in Deutschland Positionen über Geschlecht und Selbstbestimmung mit amerikanischen Republikaner:innen teilt, mindestens verblüffend. Aber, wie gesagt: Wir erleben gerade merkwürdige Tage.
Schlussredaktion: Lisa McMinn, Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Iris Hochberger