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Geschlecht und Gerechtigkeit

Sexistin wider Willen

Ich muss etwas gestehen. Und das ist mir verdammt unangenehm: Ich bin Feministin – und trotzdem sexistisch. Was ist da los?

Profilbild von Lea Schönborn
Reporterin

Vor ein paar Tagen spielte ich mit drei Freundinnen ein Spiel: Der wahre Walter. Es geht bei diesem Spiel darum, einen Satz zu vervollständigen, das Wort Walter ist dabei nur ein Platzhalter. Wir mussten also diesen Satz über mich vervollständigen: „Wenn ich mich mit einer unbekannten Person in einem Restaurant verabrede, beschreibe ich mich selbst als Walter.“ Eine Freundin ersetzte durch „Feministin“, eine andere beschrieb mich mit dem Wort „kommunikativ“, am Ende stimmten meine Freundinnen über alle angegebenen Möglichkeiten ab, welche ich wohl zur Selbstbeschreibung gewählt hatte. Alle drei tippten auf Feministin.

Stimmt. Ich bin Feministin. Ich wurde durch die Summe meiner Erlebnisse zur Feministin gemacht, durch den unerwünschten Kuss vor fünf Jahren und den Kommentar auf dem Fußballfeld: „Boah, du kannst aber gut kicken für ne Frau!“ Damals schlief der Typ, der mich küsste, danach in meinem Bett – was ich nicht wollte. Damals fehlten mir die Worte, ihm das zu sagen. Damals freute ich mich noch über das „Lob“ des Typen auf dem Fußballplatz.

Wie man so schön sagt: Frausein hat mich radikalisiert. Heute würde der Küsser auf der Straße schlafen. Und das Kompliment über meine Ballkünste würde ich – je nach Laune – freundlich oder sehr laut ignorieren. Ich habe mir einen moralischen Kompass erarbeitet, ich stehe immer öfter für mich ein und überwinde diese Scham, diese Ungläubigkeit, die jede Frau kennt: „Ist das gerade wirklich passiert?“

Wenn mir jemand hinterher pfeift, einen Spruch rauslässt oder mir zu nahekommt, werde ich manchmal wütend und laut – was gut ist. Manchmal muss ich weinen – was nicht gut ist. (Nein, das ist überhaupt nicht gut, aber mein Problem mit den Tränen erkläre ich später.)

Ich wollte nie ein typisches Mädchen sein

Vielleicht wurde ich zur Feministin, weil ich mit neun Jahren auf dem Fußballplatz stand. Ich mag es, die einzige Frau auf dem Feld zu sein. Wenn ich dort stehe, will ich nicht anders behandelt werden als die Jungs. Und wenn ich die einzige Frau in einer Gruppe Männer bin, klopfe ich genauso Sprüche wie die anderen. Ich habe mir erarbeitet, als nicht typisch weiblich wahrgenommen zu werden. Ich war zwölf Jahre alt, als ein Junge zu mir sagte: „Du bist nicht wie die anderen Mädchen!“ Das war das beste Kompliment, das ich kriegen konnte.

Ich wollte nie ein typisches Mädchen sein, weil mich die Rolle einengte. Ich wollte frei von diesem Stereotyp sein. Meine Idee einer feministischen Welt ist, dass alle frei entscheiden können, wer sie sein wollen: geschminkt oder ungeschminkt, Mann mit Hose oder Kleid, Karrierefrau oder vierfache Mutter (oder beides). Frau mit High Heels oder Fußballschuhen. Ich dachte, so geht Emanzipation.

Ich dachte, ich bin die, die nicht beurteilt oder belächelt. Keine meiner Freundinnen hätte bei „der wahre Walter“ „Sexistin“ aufgeschrieben. Ich auch nicht. Dabei wäre genau das passend gewesen. Ich bin Sexistin. Vor Kurzem fiel mir das auf, als ich mal wieder meine Augen verdrehte.

Meine Augen verdrehte wegen dem, was eine andere Frau trug. Genauer gesagt wegen meiner Kollegin, die an einem Montagmorgen mit weißen Absatzstiefeln aus Lederimitat in die Redaktion lief. Klack-klack. Es war nur ein kurzer Moment und es war nicht das erste Mal, dass ich das Auftreten einer anderen Frau bewertete. Klack, klack. Aber es erinnerte mich daran, dass ich jedes Mal wieder überrascht bin, wenn ich eine gute Freundin wiedersehe: wie schlau und cool sie ist, obwohl sie so viel Make-up trägt und so, ähh, mädchenhafte Kleidung.

Warum bewerte ich andere Frauen so streng?

Und irgendwie hat es bei diesem Klack-klack der Stöckelschuhe meiner Kollegin Klick gemacht: Ich wurde zur Sexistin sozialisiert, beiläufig, ganz nebenbei. Ich beurteile andere Frauen, wenn sie sich typisch weiblich verhalten oder typisch weibliche Kleidung tragen. Mein Sexismus geht so weit, dass ich sogar die Augen vor meiner eigenen Weiblichkeit verdrehe. Dass ich meine Tränen nicht mag, weil ich sie als Schwäche sehe, ist Teil des Problems.

Warum möchte ich mit anderen Frauen bestimmte Räume nicht teilen? Warum bewerte ich andere Frauen so streng nach ihrer Weiblichkeit? Warum möchte ich mich von mir selbst abgrenzen, wenn ich typisch weibliche Verhaltensweisen an den Tag lege? Wann hat das angefangen?

Lea Schönborn als Kind mit blonden Langen Haaren, einem Werderbrememn Hut und einem Werder Bremen Schal auf einer Wiese.

Kicken mit den Jungs in der großen Pause, Fußball am Wochenende: Schon in der Grundschule wollte ich nie so sein, wie man sich ein “klassisches Mädchen” vorstellt. © Privat

Wir können unterschiedliche Startpunkte setzen: Geburt, Kindergarten, Grundschule, Gesamtschule. Gut erinnern kann ich mich an die vielen Pausen, die ich fußballspielend auf dem Schulhof verbrachte. Daran, wie ich nach den Pausen die Treppenstufen hochsprintete, um verschwitzt und rotgesichtig gerade noch rechtzeitig hinter dem Lehrer durch die Klassentür zu schlüpfen. Das fing in der Grundschule an und ging auch in der Gesamtschule so weiter, auch dann noch, als die anderen Mädchen schon längst aufgehört hatten, Aufschwünge an den Reckstangen im Hof zu üben und in den Pausen ihren Kajal und Lippenstift vor der spiegelnden Glastür im Klassenzimmer nachzogen. Schwer atmend saß ich auf meinem Stuhl und die Lippen der Mädchen leuchteten rot.

„Mädchen-Mädchen“, so nannten meine Freundinnen und ich die anderen Mädchen. Damals habe ich mir gar nicht viel dabei gedacht. Uns war nur klar: Wir sind anders als die. Die stellten sich dumm an, um Aufmerksamkeit der Jungs zu bekommen. Die waren anstrengend, geschminkt, hilfebedürftig – richtige Mädchen halt.

Wurde ich auf dem Fußballplatz gefoult, stand ich schnell wieder auf und unterdrückte den Schmerz – und vor allem die Tränen. Auch, wenn ich gefoult wurde, auch, wenn ich Stunden später bei der Ärztin mit Verbänden an den Knien sitzen würde, sagte ich: „Ach nein, tut nicht weh.“ Ich wollte kein Mädchen auf dem Platz sein. Denn das hieß, als schwach wahrgenommen zu werden.

Manche Mädchen werden „one of the boys“

Ich weiß noch, wie gut sich das angefühlt hat: damals auf dem Fußballplatz eines der wenigen Mädchen zu sein, das kickt. So wie Vanessa bei den „Wilden Kerlen“. Sie war anders als Bibi und Tina mit ihren Pferden oder Conny mit der roten Schleife im Haar. So gern hätte ich ein Wilde-Kerle-Shirt gehabt oder das schwarz-weiße Bandana von Vanessa getragen, aber meine Eltern fanden das nicht cool.

Eine Szene aus dem Wilde-Kerle-Film hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt: wie Vanessa bei ihrem Geburtstag das Elfmeterschießen gegen alle Jungs gewinnt und damit Mitglied der Bande wird und das, obwohl sie bei ihrem zweiten Schuss High Heels trägt. Pinke High Heels. Die hatte ihr Leon, der Anführer der Wilden Kerle, mit den Worten überreicht: „In deinem Alter sollte man wissen, wohin man gehört, findest du nicht?“

Die Wilden Kerle sind nicht die einzige Gang aus meiner Kindheit, in der genau ein Mädchen Platz findet unter lauter Jungs. Wie Vanessa erging es auch Pony Hütchen bei „Emil und den Detektiven“ und Maria bei den „Vorstadtkrokodilen“. Was die drei Mädchen eint: Sie sind schlagfertig, vorlaut, stark und schnell wie die Jungs. Sie werden „one of the boys“.

Aber schon in „Wilde Kerle 2“ wurde es plötzlich wieder wichtig, wer Mädchen ist und wer Junge. Der Feind verliebt sich in Vanessa und umgarnt sie. Auch in meinem Leben wurde das wichtig. Die Pubertät, dieses Alter, in dem alles wächst und sprießt und man nicht weiß, wohin mit dem Rotwerden, wenn der Schwarm mit einem spricht, brach herein in diese Abenteuerkinderwelt, in der Geschlecht scheinbar keine Rolle gespielt hatte.

Ich wollte auch begehrt werden, aber irgendwie klappte das nicht so richtig. Also fragte ich meinen Vater, warum sich kein Junge in mich verliebt. Er antwortete lapidar: „Du wirkst halt nicht so, als bräuchtest du eine starke Schulter.“ Es war verwirrend. Gerade noch galt: „Alles, was weiblich ist, ist uncool.“ Jetzt konnte ich nicht mehr mit meinem harten Schuss punkten.

Sexistische Normen sind tief in mir verankert

In meinem Verhalten spiegelt sich seitdem ein größerer gesellschaftlicher Widerspruch: Einerseits werden typische weibliche Verhaltensweisen belächelt und als weniger wert angesehen (auch von Frauen selbst, auch von mir). Andererseits scheint genau dieses Verhalten Frauen begehrlich zu machen. Ich wollte weiter stark sein, analytisch statt emotional, cool statt süß – gleichzeitig aber begehrt werden als Frau. Meine vorläufige Lösung: lustig sein wie die Männer, aber nicht so laut; meinungsstark wie die smarten Jungs im Unikurs, aber nicht zu raumeinnehmend; draufgängerisch wie die anderen Kicker, aber nicht so rücksichtslos.

Bei meinem Balanceakt, männlich und weiblich konnotierte Eigenschaften in ihrer besten Form zu kombinieren, erwische ich mich immer wieder dabei, dass ich die weiblichen Anteile am liebsten abschütteln möchte. Sie sollen kein Teil von mir sein, sie kommen mir schwächer, langweiliger, dümmer vor als ihre männlichen Gegenstücke. So etwas geht mir durch den Kopf, wenn ich weinen muss. Ich weine und verdrehe innerlich die Augen dabei. Ich bemühe mich, die Tränen zurückzudrängen, klar zu bleiben, rational, überlegt. All die Attribute, die mit Männern verbunden werden.

Ich bewerte andere Frauen auf die Weise, auf die Männer Frauen bewerten, sogar mich selbst. „Male gaze“, den männlichen Blick, nannte das die feministische Filmtheoretikerin Laura Mulvey.

Die Lyrikerin und Aktivistin Audre Lorde schreibt: „Das Haus des Herren lässt sich niemals mit dem Handwerkszeug des Herren niederreißen.“ Das klingt idealistisch und vielleicht etwas pathetisch. Aber ich glaube, sie hat recht: Die typisch männlichen Verhaltensweisen zu übernehmen, hilft mir vielleicht kurzfristig auf dem Weg nach oben. Wenn ich dadurch aber anfange, Frauen mit Make-up oder weißen Stöckelschuhen kritisch zu beäugen, dann ist das einfach nur internalisierter Sexismus.

Wir können sexistische Annahmen brechen

Sexistische Normen sind so tief in uns drinnen, dass wir Frauen sogar dann nach ihnen handeln, wenn Männer abwesend sind. Das haben amerikanische Wissenschafter:innen herausgefunden, als sie Gespräche bei 45 Gruppen von Freundinnen beobachteten. Sie identifizierten vier verschiedene Formen von internalisiertem Sexismus: Die Frauen stellten sich selbst oder andere Frauen als inkompetent dar, sie gingen in Konkurrenz zu anderen Frauen, sie setzten sie herab und sie objektifizierten sie (beschrieben sie also vor allem in Bezug auf ihr Äußeres: die Blonde, das Chick, solche Dinge).

Diese vier Formen erkenne ich auch bei mir wieder: den Willen, das einzige Mädchen unter Jungs sein zu wollen; den Konkurrenzgedanken, cooler als die Mädchen-Mädchen sein zu wollen; mein abschätziger Blick auf Äußerlichkeiten.

Aber internalisierter Sexismus ist ein Prozess. Ich habe lange daran teilgehabt. Das bedeutet gleichzeitig aber auch, dass wir in Beziehungen und Begegnungen sexistische Bilder und Annahmen brechen können.

Ich habe mir vorgenommen, damit anzufangen. Ich möchte die Intelligenz einer anderen Frau nicht mehr daran messen, wie viel Make-up sie trägt. Ab jetzt sind mir tiefe Ausschnitte egal. Ab jetzt will ich mich freuen, wenn neben mir eine weitere Frau auf dem Fußballplatz steht, statt mich in meiner Rolle bedroht zu fühlen. Auch meine eigene Weiblichkeit will ich nicht mehr zensieren. Und wenn ich weine, möchte ich das nicht mehr als (weibliche) Schwäche sehen.

Entschuldige, liebes Mädchen-Mädchen.


Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Iris Hochberger.

Sexistin wider Willen

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