Zwei Menschen in lila Sturmhauben blicken skeptisch auf uns.

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Geschlecht und Gerechtigkeit

Warum ich als Mann über Feminismus schreibe

Zehn Jahre habe ich über Rechtsextremismus in Ostdeutschland geschrieben. Eine Sache habe ich immer übersehen: Wie zentral dabei Frauenhass ist. Und der steckt tiefer in Männern drin, als ich dachte.

Profilbild von Christian Gesellmann
Reporter für Feminismus und Neue Männlichkeit

Bevor Stephan Balliet, der Attentäter von Halle, im November 2019 versucht, eine Synagoge zu stürmen, veröffentlicht er ein Manifest. Darin schreibt er unter anderem: „Feminismus ist schuld an der sinkenden Geburtenrate im Westen, die Ursache für die Massenimmigration ist.“ Später, bei der Vernehmung durch den Haftrichter, sagt er: „Männer wie ich bekommen auch deshalb keine Frau, weil Ausländer sie uns wegnehmen.“

Balliet, der seine Taten mit einer Helmkamera filmte, hörte in seinem Fluchtwagen einen Rap-Song, der Alek Minassian feiert. Der war ein Jahr zuvor in Toronto mit seinem Van absichtlich in eine Gruppe Fußgänger gefahren. Er tötete zehn Menschen, acht davon waren Frauen. In seinem Manifest schrieb Minassian: „Ich bin einfach wütend, dass ich von grundlegenden menschlichen Freuden ausgeschlossen bin. (…) Ich will einfach nur Zugang zu Sex haben.“

Balliet und Minassian waren Incels (Involuntary Celibates), Männer, die keinen Sex haben, weil sie keine Partnerin finden. Vorbild für beide war der Rassist Anders Behring Breivik, der 2011 in Norwegen 77 Menschen ermordete und dabei bewusst Jagd auf junge Frauen machte, wie Zeugen schilderten. Breivik schrieb in seinem Manifest: „Das Erstarken des Feminismus bedeutet das Ende der Nation und das Ende des Westens (…) Man muss sich daran gewöhnen, Frauen umzubringen.“ Auch Breivik war ein Incel.

Rechtsextreme Attentäter radikalisieren sich heute zumeist im Internet. Sie töten allein. Aber sie handeln nicht allein. Sie sind auf den gleichen Plattformen unterwegs. Egal, wo in der Welt sie sich befinden, ob in Halle, Hanau, Oslo, Christchurch oder Toronto, die Planung und Durchführung ihrer Taten ähnelt sich bis ins Detail, ihre Manifeste nehmen Bezug aufeinander und enthalten oft wortgleiche Passagen. Was sie alle eint: Sie sind weiße cis-Männer. Ihre Opfer sind Menschen mit (sichtbarem) Migrationshintergrund. Und Frauen.

Immer wieder daneben: Die These vom psychisch gestörten Einzeltäter

Dennoch wird der Zusammenhang zwischen dem Frauenhass der Neonazis und ihren Taten selten hergestellt. Die deutschen Strafverfolgungs- und Sicherheitsbehörden haben grundsätzlich Probleme damit, selbst offensichtlich rechtsextreme Motive wie Antisemitismus und Rassismus als solche zu erkennen. Sie setzen fast immer auf die These vom psychisch gestörten Einzeltäter, entgegen besseren Wissens, seit Jahrzehnten.

Aber auch Medien und Politik erkennen Frauenhass, wenn überhaupt, dann höchstens als eines von mehreren Motiven der Täter, meist als ein untergeordnetes.

Das ist ein Problem, weil wir deshalb nur sehr langsam und viel zu spät begreifen, welche zentrale Rolle Frauenhass bei der Radikalisierung junger Männer hat. Weil wir deshalb extrem unterschätzen, wie Antifeminismus als Rekrutierungs- und Vermarktungsstrategie der Neuen Rechten funktioniert. Weil wir nicht sehen, wie sehr das alltägliche Lachen und Stöhnen und Schimpfen unter Freunden und in sozialen Medien, in unseren Parlamenten und Lokalzeitungen über selbst die billigsten Forderungen nach Gleichberechtigung den Nährboden für den Rechtsextremismus bilden.

Weil es schlicht beschämend ist, wie wenig es uns als Gesellschaft immer noch anficht, dass Frauen Opfer von Gewalt werden, jeden Tag. So wenig, dass auch ich, der seit mehr als zehn Jahren über Rechtsextremismus schreibt, diese Zusammenhänge erst seit Kurzem sehe. Es ist kein schönes Zeugnis, was ich mir selbst ausstelle. Trotzdem stimmt es. Leider.

Auch ich, als Journalist und Privatperson, habe mir bislang nie klar gemacht, wie sehr meine Wahrnehmung der Welt davon geprägt ist, ein weißer cis-Mann zu sein. Wie sehr das Privileg, dass die Welt für mich und meinesgleichen gemacht ist, auf dem rechten Auge blind macht.

Gendern fand ich auch übertrieben

Das Wort Patriarchat ist auch an mir immer nur vorbeigerauscht; wenn ich es hörte, dachte ich an frustrierte Frauen mit kurzen Haaren, die sich beim Häkeln von ihrem Frust erzählten. Und Gendern fand ich auch übertrieben.

Wenn ich jetzt bei Krautreporter als Mann über Feminismus schreibe, heißt das nicht, dass ich mein Themengebiet Neue Rechte und Ostdeutschland gewechselt habe. Sondern, dass ich die Arbeit an meinen bisherigen Themen erstmals mit einer Kritik an meiner eigenen Perspektive verbinde. Mit dem Versuch, mehr Empathie in meine Weltsicht zu bringen, statt einfach weiter vor mich hinzudenken, dass ich ja schon einer von den Guten bin.

Jetzt mal kurz durchatmen.

Das war ein ganz schöner Ritt von rechtsextremen Attentätern hin zu einer privilegierten Reporterperspektive. Lass uns die Zusammenhänge nochmal genauer durchgehen:

Legen wir los mit diesem ungelenken Begriff: Manosphere (deutsch „Mannosphäre“). Er meint laut Wikipedia „eine durch den Buchstaben ‚o‘ verbundene Wortzusammensetzung aus den beiden englischen Begriffen man (deutsch ‚Mann‘) und sphere (deutsch etwa ‚Sphäre‘, ‚Bereich‘ oder ‚Kreis‘). Er bezeichnet ein loses, vorwiegend antifeministisches Netzwerk und umfasst Foren und Blogs im Internet, in denen eine Weltanschauung propagiert wird, die auf einer grundsätzlich frauenfeindlichen Einstellung fußt.”

Der Begriff wurde 2009 von amerikanischen Soziologen erfunden, ungefähr ein Jahr, nachdem die ersten beiden Internetforen dieser Art mehr als 1.000 Nutzer verzeichneten. Seitdem ist diese Szene nicht nur rasant gewachsen, sie hat sich auch immer mehr radikalisiert.

Die Männerrechtsbewegung fand die Frauenrechtsbewegung unfair. Kein Witz

Die Ursprünge der Mannosphäre reichen zurück bis in die 1970er Jahre. Damals bildete sich zunächst in den USA, später auch in (West-)Deutschland eine Männerrechtsbewegung. Die Männerrechtsbewegung war eine Reaktion auf die sogenannte Zweite Feministische Welle. Frauen hatten sich damals diverse Rechte erkämpft, zum Beispiel ohne Zustimmung ihrer Männer ein Konto eröffnen oder einen Job annehmen zu dürfen oder das (heute auch in Deutschland immer noch eingeschränkte Recht) auf Abtreibung. Durch die Pille bekamen Frauen außerdem erstmals eine wirksame Möglichkeit zur Verhütung.

Was viele Frauen als Befreiung empfanden, empfanden viele Männer als Bedrohung; sie fühlten sich benachteiligt. Männer, die zuvor den Kampf der Feministinnen unterstützt hatten, begannen nun, für die Rechte von Männern zu kämpfen, die ihrer Meinung nach ebenfalls unter den Geschlechterrollen litten. Sie thematisierten Dinge wie Unterhaltsrecht, Ehegesetze, Suizidraten oder Wehrpflicht. Antifeministen gibt es, seit es Feministinnen gibt. Aber ab den 1970er Jahren begannen sie, sich immer besser zu organisieren und vor allem gab es eine entscheidende Wende in ihrer Argumentation:

Der bekannteste Aktivist der Männerrechtsbewegung ist Warren Farrell. Er leitete zunächst eine Männergruppe innerhalb der National Organization for Women. 1993 schrieb er das Buch „The Myth Of Male Power“, in dem er behauptet, dass es eigentlich die Männer seien, die in der modernen Gesellschaft benachteiligt werden würden, und nicht die Frauen. Statt „nur“ gegen mehr Gleichberechtigung zu sein, begannen die Männer, in den Feministinnen die Schuldigen für ihre eigenen Probleme zu sehen.

Wie bei so vielen anderen Phänomenen auch, eskalierte die Bewegung dann ab Anfang der 2000er Jahre im Internet in Foren wie 4chan, 8chan, Roosh V oder Reddit. Die Kernideen der Manosphere sind: Männlichkeit wird bedroht von Feminismus, Feminismus ist scheinheilig und unterdrückt Männer. Wir werden später sehen, wie sich diese Gedanken auch durch die Reden bei Pegida-Demonstrationen, von CDU/CSU-Abgeordneten und durch Anträge der AfD ziehen.

Holt mal wieder das Schlechteste aus den Menschen heraus: das Internet

Vergangenes Jahr haben amerikanische und europäische Soziolog:innen eine Studie veröffentlicht, für die sie rund 30 Millionen Posts von sechs Millionen Nutzern in den sechs wichtigsten Foren und 51 wichtigsten Subreddits der Manosphere ausgewertet haben. Anhand dieser Studie lässt sich nicht nur die graduelle Radikalisierung der Nutzer nachweisen, sondern auch, wie die Manosphere von Rechtsextremisten gekapert wurde.

Innerhalb weniger Jahre machten die Nutzer einen schockierenden Sprung von: „Lasst uns gegenseitig Tipps geben, wie wir Frauen rumkriegen“, zu: „Lasst uns Ausländer töten, denn die nehmen uns die Frauen weg.“

Wie das funktioniert, erklärt die Incel-Expertin Susanne Kaiser: „Die verschiedensten Gruppierungen haben als gemeinsames Feindbild den Feminismus. Bei den Incels geht es darum, dass der Feminismus ermöglicht hat, dass Frauen selbst entscheiden, mit wem sie zusammen sein wollen. Incels würden Frauen gern wieder zuteilen und unterwerfen. Bei Rechtsextremen geht es um die Möglichkeit, die der Feminismus geschaffen hat, dass Frauen Karrieren machen dürfen und deshalb entweder gar keine Kinder mehr oder keine mit weißen Männern bekommen. So werden die verschiedenen Ideologien anschlussfähig gemacht. Das hat eine Sogwirkung.“

Obwohl es schon in den frühen 1980er Jahren Studien über jene Sogwirkung gab, zum Beispiel in Klaus Theweleits „Männerphantasien“, nimmt die Aufmerksamkeit für diesen Zusammenhang erst jetzt zu. Die drei Attentäter, die ich zu Beginn dieses Textes nenne, haben sich alle in der Manosphere radikalisiert, dort ihre Taten angekündigt und wurden dort dafür auch gefeiert.

Ostdeutschland: Weniger Frauen als am Polarkreis

Was ist nun der Zusammenhang zwischen der Mannosphäre und dem Rechtsextremismus in Ostdeutschland?

In den vergangenen drei Jahrzehnten sind etwa 3,86 Millionen Menschen von Ostdeutschland nach Westdeutschland gezogen. Die größte Gruppe bildeten dabei mit 1,78 Millionen die 18- bis unter 30-Jährigen. Vor allem gut qualifizierte junge Frauen verließen ihre Heimat und zogen in den Westen, stellte das Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung 2007 in einer Studie fest.

Darunter leiden strukturschwache Regionen besonders, denn dort herrscht teilweise ein Männerüberschuss von 25 Prozent und mehr. Dieser Frauenmangel sei europaweit einzigartig, sagt Reiner Klingholz, Institutsleiter und Mitautor der Studie. Selbst Polarkreisregionen im Norden Schwedens und Finnlands reichten an die ostdeutschen Zahlen nicht heran.

Warum gehen gerade die jungen Frauen? Eine Ursache sieht das Forscher-Team des Berlin-Instituts in deren „Bildungsvorsprung“. So erreichte zwischen 1999 und 2004 rund jede dritte ostdeutsche Schulabgängerin das Abitur, während das nur jedem fünften Jungen aus dem Osten gelang. Zudem verlassen deutlich mehr Jungen als Mädchen die Schule ohne einen Abschluss.

Ein besonders drastisches Beispiel ist der brandenburgische Landkreis Elbe-Elster: Hier waren von allen Schulabgängern seit 1995, die keinen oder höchstens einen Hauptschulabschluss erreichten, 70 Prozent männlich. Die besseren Schulnoten erleichtern es den Frauen einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz in einer Region zu finden, die höher qualifizierte Jobs bietet. Die Jungs sitzen dann in der Kneipe, gehen zur Bundeswehr oder werden Schichtarbeiter an einem Fließband.

Irgendjemand muss immer Schuld haben, Teil 1: die Ausländer

Die Soziologin Katja Salomo erklärt einen weiteren Grund, warum vor allem Frauen abwandern: „Westdeutschland ist immer noch in stärkerem Maße eine Dienstleistungsgesellschaft. Frauen wählen diese Jobs deutlich häufiger, Männer arbeiten eher in industriellen Berufen. Das heißt: Für Frauen ist der westdeutsche Arbeitsmarkt attraktiver.“ Belegt ist auch, dass sie seltener zurückkehrten und häufiger Familien in Westdeutschland gründeten als ostdeutsche Männer.

Der Männerüberschuss hängt direkt mit dem Fremdenhass zusammen, erklärt Salomo: „Wenn Menschen sich benachteiligt fühlen, schadet das ihrem Selbstwertgefühl. Eine Möglichkeit, damit umzugehen, ist, soziale Hierarchien zu konstruieren.“ Sie werten dann andere soziale Gruppen – insbesondere Geflüchtete und Zugewanderte – ab, um sich selbst wieder aufzuwerten.

Die CDU in Sachsen hat bereits Anfang der Neunzigerjahre begonnen, dieses Problem politisch zu thematisieren. Jedoch nicht, indem sie über die Treuhand oder Industriepolitik sprach. Oder über die schlechtere Bildung von Jungen. Oder den Rechtsextremismus. Sondern immer wieder über Themen wie Zuwanderung und Familienpolitik.

Darauf wies der Politikwissenschaftler Michael Lühmann bereits 2015 hin, als er über Pegida schrieb und dabei an den ehemaligen sächsischen CDU-Justizminister und Bundespräsidentschaftskandidaten Steffen Heitmann erinnerte, der 1993 sagte, Deutschland müsste vor Überfremdung bewahrt werden, indem „die Mutterschaft wieder mehr ins Zentrum der Gesellschaft gestellt“ werde. Unter anderem der ehemalige bayerische Agrarminister Ignaz Kiechle von der CSU fand: „Was Sie aussprechen, darauf warten Millionen auch im Westen unseres Landes.“

Den Bibelgürtel enger schnallen: Die AfD ersetzt die CDU

Heitmanns Aussagen kosteten ihn die Kandidatur zum Amt des Bundespräsidenten, aber natürlich nicht seinen Posten als sächsischer Justizminister – und sie tauchten im Zusammenhang mit Pegida und der AfD später immer wieder auf. Aus der CDU trat Heitmann erst 2015 aus – aus Protest gegen Angela Merkel, die er für einen „unverantwortlichen Flüchtlingsstrom“ verantwortlich machte.

Politikwissenschaftler Lühmann sieht das als ein Zeichen, „dass die sächsische Union es nicht mehr schafft, ein Milieu zu binden, welches sich nicht als rechts bezeichnen würde, gleichwohl in seinen Argumentationsmustern Pegida ebenso nahesteht, wie die Anhänger der NPD: das ultrakonservative, radikal-evangelikal überformte Milieu des sächsischen Bibelgürtels.“

Mit dem sächsischen Bibelgürtel ist die Region im Südwesten Sachsens gemeint, zu der auch das Erzgebirge gehört. Dort, wo auch schon ein Jahr vor der ersten Pegida-Demo Tausende Menschen gegen Geflüchtete mit Fackelläufen demonstrierten und das Verbot von Abtreibung, die Ablehnung gleichgeschlechtlicher Ehen sowie die der Gleichstellung von Mann und Frau besonders hohe Zustimmungswerte erhalten.

Der damalige CDU-Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag, Steffen Flath, trat in Annaberg-Buchholz im Erzgebirge sogar mehrfach als Redner beim „Marsch für das Leben“ auf – einer Veranstaltung der christlich-fundamentalistischen „Christdemokraten für das Leben“. Flath kritisierte 2012 unter anderem, „dass sich auch im Westen immer mehr die Haltung durchsetzt, dass der Abbruch einer Schwangerschaft ein geeignetes Mittel der Familienplanung sei.“

Die „Christdemokraten für das Leben“ sind übrigens nicht einfach eine schrullige erzgebirgische evangelikale Sippe. Sie haben rund 5.000 Mitglieder, unter anderem gehört der ehemalige CDU-Generalsekretär Peter Tauber dazu, ihre Bundesgeschäftsstelle ist in Nordrhein-Westfalen.

Björn Höcke entdeckt die Männlichkeit

Die 2013 gegründete AfD feierte ihre ersten und ihre größten Wahlerfolge aber nun mal in Sachsen, bei der vergangenen Landtagswahl erhielt sie 27 Prozent der Stimmen. Sie wird fast ausschließlich von Männern gewählt. Und entgegen dem Bundestrend sinken ihre Umfragewerte in Sachsen auch nicht. Die AfD versteht es, die Ängste der Männer, den Anti-Feminismus und die demografische Entwicklung noch intensiver mit dem Thema Ausländerhass zu verbinden als die CDU das tut. Zum Beispiel als Björn Höcke 2015 auf einer Pegida-Demo in Erfurt über Männlichkeit sagte:

„Ich sage, wir müssen unsere Männlichkeit wiederentdecken. Denn nur wenn wir unsere Männlichkeit wiederentdecken, werden wir mannhaft. Und nur, wenn wir mannhaft werden, werden wir wehrhaft. Und wir müssen wehrhaft werden, liebe Freunde!“

Oliver Krüger, Professor für Religionswissenschaft, analysiert das so: „Das Besondere an Höckes Antifeminismus ist die Verbindung mit dem altertümlich anmutenden Konzept der Wehrhaftigkeit und der Mannhaftigkeit.“

Gleichzeitig machten die Abgeordneten der AfD im sächsischen Landtag Gleichberechtigung immer wieder zum Thema. Zum Beispiel in einem Antrag aus dem Jahr 2015, der ziemlich nahtlos anknüpft an die Argumentation von Männerrechtsaktivisten wie Warren Farrell, die als Ziehväter der Mannosphäre gelten:

„Die Gleichstellung von Mann und Frau im Berufsalltag ist seit Langem vollzogen. In vielen Lebensbereichen sind Mädchen und Frauen inzwischen im Vorteil gegenüber dem männlichen Geschlecht. (…) Benachteiligt sind heute eher die Männer. (…) Angesichts dieser Verwerfungen müsste über eine Förderung von Jungen und Männern nachgedacht werden. Gefördert wird aber nur das weibliche Geschlecht mit Veranstaltungen wie Mädchenferienlager, Frauenwerkstatt, Infobörse für Mädchen und Frauen und Frauenschwimmen. Die Gleichstellungsbeauftragten fördern die Ungleichheit und tragen zur zunehmenden Spannung in der Gesellschaft bei.“

Irgendjemand muss immer Schuld haben, Teil 2: die Juden

Der ehemalige Neonazi Philip Schlaffer erklärt, warum das bei vielen Rechtsextremen so populär ist: „Der Mann steht in vorderster Front und im Kampf für eine neue Weltordnung, denn es geht schlicht und ergreifend um das Überleben der weißen Rasse. Was der Rechtsextremismus braucht, sind also Frauen, die möglichst viele Soldaten gebären, und das machen emanzipierte Frauen eben nicht. So werden sie zu Feinden, die man bekämpfen muss.“

Die Verbindung von Antifeminismus zu Antisemitismus hat übrigens auch Adolf Hitler in „Mein Kampf“ gezogen: „Das Wort von der Frauen-Emanzipation ist nur ein vom jüdischen Intellekt erfundenes Wort, und der Inhalt ist von demselben Geist geprägt. Die deutsche Frau braucht sich in den wirklich guten Zeiten des deutschen Lebens nie zu emanzipieren.“

Dass der Incel Stephan Balliet eine Synagoge angriff, ist also keineswegs Zufall. Dass der Attentäter von Christchurch, der im vergangenen Jahr 55 Menschen tötete, sein Manifest mit den Worten: „It’s the birthrates, it’s the birthrates, it’s the birthrates“, beginnt, ist kein Zufall.

Die Kontrolle über den Körper der Frau ist durch den Rechtsruck der Gesellschaft wieder zu einem umkämpften Thema geworden. Und dafür können wir nicht den Rechtsextremisten die Schuld geben. Sie sind es lediglich, die die latente Frauenfeindlichkeit für ihre Zwecke ausnutzen.

Die Incel-Expertin Susanne Kaiser sagt: „Es wird so getan, als wäre das ein wesentlicher Unterschied zur Breite der Gesellschaft, es ist aber kein wesentlicher Unterschied, sondern ein gradueller. Es ist die extreme Spitze eines gesamtgesellschaftlichen Problems. Misogynie, Frauenhass und Sexismus sind immer noch weitverbreitet, wir sehen das jeden Tag.“

Ein kleines bisschen queer und ich verstand die Welt nicht mehr

Vor zwei Jahren war ich mit Freunden im Sommer auf einem Musikfestival. Kommt mir komisch vor, das zu schreiben. Als wäre es aus einem anderen Leben. Ein bisschen ist das auch so, nicht nur wegen Corona.

In der letzten Festivalnacht zog ein krasses Gewitter auf, Konzerte wurden abgesagt, Zeltplätze evakuiert. Statt vor irgendeiner Bühne rumzuspringen, waren wir in einem Ferienhaus gefangen. Irgendjemand kam auf die gute alte Idee: Lass uns Klamotten tauschen. Männer tragen Frauenklamotten. Frauen Männersachen.

Es war eine der lustigsten Nächte meines Lebens. Und als der Sturm vorbei war, das Festivalgelände wieder öffnete, ging ich los in einem gehäkelten, bauchfreien Top und einer Menge Glitzer im Gesicht. Ich fühlte mich sehr sexy, sehr gut. Und nach dieser Nacht dachte ich keine Sekunde mehr daran. Bis ich ein Wochenende später im Stehblock im Fußballstadion stand und hüpfend und brüllend mit Hunderten anderen Männern meinen Heimatverein anfeuerte.

Plötzlich fühlte ich mich nackt und wehrlos. Ich dachte: Wäre ich aus irgendeinem Grund in diesem gehäkelten bauchfreien Top hier in diesem Block gelandet, es würde nicht gut ausgehen.

Ich bekam einen kleinen Schock. Ich begann, mich umzusehen und zu fragen, ob es möglich wäre, dass mich jemand, der hier ist, auf dem Festival in Frauenklamotten gesehen haben könnte. Viele, die hier sind, würden mir dafür gern Gewalt antun, verbal, vielleicht auch physisch, dachte ich. Und das soll meine Gemeinschaft sein?

Dieser Perspektivwechsel, diese kleine Verwandlung von einem heterosexuellen cis-Mann zu jemandem, der nicht so einfach in eine stereotype Geschlechterrolle einzuordnen ist, hatte als ein Spiel, ein Witz für mich begonnen. Doch einmal nur ansatzweise aus der hypermaskulinen Geschlechterrolle auszubrechen, in der ich aufgewachsen bin, machte mir klar, wie viel Gefahr es bedeuten kann, einer Gesellschaft von Männern ausgeliefert zu sein.

Für unseren Journalismus, der genauso patriarchal geprägt ist wie alles andere in unserer Gesellschaft, ist es wichtig, diesen Perspektivwechsel häufiger zu vollziehen. Und genau das ist der Grund, warum ich ab heute auch über Feminismus schreibe.


Redaktion: Esther Göbel; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Christian Melchert

Warum ich als Mann über Feminismus schreibe

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