Zwei Frauen mit Kinderwagen gehen am 17. Juli 2012 in Berlin an einer Kindertagesstätte (Kita) vorbei.

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Geschlecht und Gerechtigkeit

Zu wenige Mütter gehen in die Politik – so können wir das ändern

Die Stimmen von Alleinerziehenden und jungen Eltern sind wichtig, aber sie fehlen in der Politik. Christine Finke ist eine Ausnahme, will aber keine bleiben – mit dieser Idee.

Profilbild von Christine Finke

Der Rücktritt der ehemaligen Familienministerin Anne Spiegel hat die Vereinbarkeitsdebatte neu entfacht. Doch egal, ob man diese Debatte im Falle Spiegel richtig oder falsch findet, eines steht fest: Frauen sind im politischen Betrieb unterrepräsentiert.

Das gilt nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf der kommunalen. Auch hier ist Politik vor allem eines: weiß und männlich. Eine alleinerziehende Mutter von drei Kindern, die sich politisch engagiert, bildet die große Ausnahme. Leider. Christine Finke ist diese Ausnahme. Die Autorin, freie Journalistin und Speakerin wurde vor einigen Jahren mit ihrem Blog Mama arbeitet bekannt und berichtet über ihr Leben als Alleinerziehende, auch in diesem Krautreporter-Interview von 2017.

In diesem Essay setzt sie sich mit der Frage auseinander, was nötig ist, um mehr Müttern und jungen Eltern den Weg in ein politisches Amt zu erleichtern. Der Text ist Teil des Sammelbandes „Demokratieverstärker. 12 Monate 21 Ideen – Eine Politikagenda für hier und jetzt“, herausgegeben von Elisabeth Niejahr und Grzegorz Nocko, das Buch ist 2021 erschienen. Neben Finke haben in dem Buch unter anderem auch die Ökonomin Maja Göpel, die Beteiligungspädagogin Marina Weisband, der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach und der Psychologe Ahmad Mansour ihre Ideen aufgeschrieben.


Es gibt diese Momente, in denen es unglaublich schwierig ist, nicht mit den Augen zu rollen. Stattdessen einatmen, ausatmen, zum Frustabbau noch einmal geräuschvoll ausatmen. Ein deutlich hörbares Seufzen.

Das erste Mal, als ich im Gemeinderat der Verabschiedung eines verdienten langjährigen Gemeinderats beiwohnte, war so ein Moment. Nach den üblichen kurzen Dankesreden des Oberbürgermeisters und der Fraktion des scheidenden Stadtrats richtete dieser selbst das Wort ans Publikum und die Öffentlichkeit: Er bedankte sich bei seiner Frau, die ihm all die Jahre „den Rücken freigehalten habe“ für die Gremienarbeit, die ohne sie nicht möglich gewesen wäre, denn schließlich habe er auch (mittlerweile erwachsene) Kinder.

Für diese Wertschätzung seiner Ehefrau erntete der Redner warmen Applaus, während ich irritiert im altehrwürdigen Ratssaal saß und überlegte, warum mir diese Situation so sauer aufstieß. Die naheliegendste Antwort darauf ist: Ich war neidisch.

Ich habe niemanden, der mir den Rücken freihält

Als alleinerziehende Mutter mit drei Kindern, die seit den Gemeinderatswahlen 2014 für eine unabhängige Wählervereinigung im Stadtrat von Konstanz sitzt, habe ich nämlich weder einen Ehemann, der mir den Rücken freihält, noch sonstige Familie vor Ort, die mich bei der Kinderbetreuung unterstützen könnte.

Bei jeder einzelnen Sitzung im Rahmen meines politischen Ehrenamts fehle ich zu Hause. Meine Kinder, die fünf, acht und 13 Jahre alt waren, als ich ins Amt gewählt wurde, waren überhaupt nicht begeistert davon, dass Mama oft bis abends weg war, um Politik zu machen. Jedes Mal, wenn ich mit meinem Stapel an Vorlagen das Haus verließ, bekam ich deutlich ihre Missbilligung zu spüren. Vor allem meine jüngste Tochter, die Asperger-Autistin ist, protestierte oft lautstark.

Trotzdem ging und gehe ich meinem Wunsch nach politischer Teilhabe nach, denn er speist sich aus der tiefen Überzeugung, dass so jemand wie ich, die eigentlich in Gremien mangels Zeit für Politik gar nicht vorgesehen ist, einen wertvollen Beitrag zur Demokratie leisten kann.

Politische Gremien sind, egal ob auf kommunaler, auf Landes- oder auf Bundesebene, voller Männer – meist den berühmten alten weißen, und wenn es doch mal eine Frau hineinschafft, dann hat sie erwachsene oder (noch) keine Kinder. Mütter, gar alleinerziehende Mütter von kleinen Kindern, sind rar gesät in der Politik. Ebenfalls politisch wenig vertreten in Gremien sind Menschen, die in Armut leben – was wiederum besonders häufig auf Alleinerziehende zutrifft.

Auch auf meinem Konto sah es überhaupt nicht rosig aus, als ich frisch im Amt war. Wir Stadträte erhielten zwar eine Aufwandsentschädigung von 370 Euro im Monat für unser Ehrenamt, aber die hätten nicht einmal ausgereicht, um einen Kindersitter mit Mindestlohn für die Zeiten meiner Abwesenheit zu beschäftigen.

Die Termine sind kaum familienkompatibel

Gemeinderatssitzungen beginnen häufig um 16 Uhr und dauern meist bis 22 Uhr – teilweise wird bis nach Mitternacht diskutiert. Ausschusssitzungen, die zum Ehrenamt gehören und die dem Gemeinderat durch Beschlüsse oder Empfehlungen zuarbeiten, nehmen regelmäßig drei bis fünf Stunden in Anspruch. In den Sitzungswochen ist außerdem ein Abend pro Woche für eine ausgiebige Fraktionssitzung verplant, die auch mehrere Stunden dauern kann.

Da kommt, gerade bei einer kleinen Fraktion wie meiner, die mit vier von 40 Sitzen im Konstanzer Stadtrat vertreten ist, für die einzelnen gewählten Vertreter und Vertreterinnen eine stattliche Menge an Stunden zusammen, die wir in politische Arbeit investieren.

Für Menschen mit genügend Zeit und Geld ist das kein Problem; in einem solchen Fall kann Politik ein schönes, erfüllendes Hobby sein – für andere wie mich jedoch ist sie eine ziemliche Herausforderung. Zu Beginn meiner politischen Tätigkeit hatte ich mich gerade selbstständig gemacht. Texte schreiben, Akquise und Networking hätten eigentlich Priorität haben müssen. Meinen Haushalt hielt ich gerade so in Schach, und mein Kontostand bereitete mir jeweils ab dem 20. des Monats ernsthafte Sorgen.

Selbst wenn ich die Aufwandsentschädigung, die später auf 700 Euro im Monat erhöht wurde, für Kinderbetreuung ausgegeben hätte, wären mir durch meine politische Tätigkeit finanzielle Nachteile entstanden. Denn während man in Gremien sitzt oder stundenlang Sitzungen vorbereitet, kann man kein Geld im „Brotberuf“ verdienen. Das gilt für alle ehrenamtlich politisch Tätigen, aber manche schmerzt es mehr als andere.

So kam es mir sehr zupass, dass nur einen Monat, nachdem ich in den Stadtrat gewählt worden war, nämlich im Juli 2014, der Punkt „Satzung zur Änderung der Satzung über die Entschädigung ehrenamtlich tätiger Einwohner:innen“ auf der Tagesordnung stand. Stadträtinnen und Stadträte sollten demnach künftig die im Rahmen von Sitzungen entstehenden Kosten für Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen erstattet bekommen.

Die Idee war nicht neu, wie mir eine Stadträtin erzählte, die schon vor über 30 Jahren als Alleinerziehende im Stadtrat saß. Damals war die Idee einer finanziellen Beteiligung der Stadt an der Kinderbetreuung mit Gelächter und Kommentaren wie „Wo kämen wir denn da hin!?“ abgelehnt worden. 2013 ergriff die Freie Grüne Liste erneut die Initiative, und die Verwaltung erhielt vom Rat den Auftrag, einen Vorschlag zu erarbeiten. Er besagte, dass die Kinderbetreuungskosten künftig auf Antrag „bis max. 10 Euro/Stunde für die Betreuung von Kindern unter 14 Jahren während der Sitzungen des Gemeinderates und seiner Ausschüsse und Beiräte“ erstattet werden sollten.

Die Stadt übernimmt die Kosten für die Kinderbetreuung

Zu meiner großen Erleichterung fand der Vorschlag in unserem Stadtrat eine Mehrheit. Im Vorfeld dieser Sitzung hatte es durchaus noch kritische Stimmen gegeben, so dass nicht klar war, ob die Beschlussfassung klappen würde. Es hieß zum Beispiel, die vorgesehene Satzungsänderung sei ein Luxus, mit dem Stadträt:innen gegenüber anderen Ehrenamtlichen bevorzugt werden sollten. Es war auch die Rede davon, dass man so ein Amt nur antreten solle, wenn man es auch „einrichten“ könne, und vereinzelt war zu hören, dass Kinderbetreuung Privatsache sei, und wer das nicht geregelt bekomme, könne eben kein Amt ausüben.

Dass hier die politische Teilhabe von Frauen, die Vereinbarkeit von Familie und Mandat gefördert wurde, hielten längst nicht alle für nötig oder wünschenswert.

Ohne den Beschluss, die Kinderbetreuungskosten zu erstatten, wäre ich aber in echte Geldnot geraten. Auch daher rührte mein Magengrummeln bei der Verabschiedung des langjährigen Stadtrats: Ich beneidete ihn um seine komfortable finanzielle Situation, die es ihm mit Leichtigkeit ermöglicht hätte, eine bezahlte Kinderbetreuung zu organisieren.

Dank der neu beschlossenen Erstattungsmöglichkeit konnte ich schließlich zwei Minijobberinnen einstellen, die gerade eine Ausbildung zur frühkindlichen Pädagogin machten und die sich die Termine aufteilten, was ganz wunderbar funktionierte.

Zwar lagen die Kinder fast nie im Bett, wenn ich spätabends nach Hause kam, einfach weil es so aufregend war, dass eine fremde Person zum Aufpassen da war und Mama für den Gute-Nacht-Kuss fehlte, aber ich wusste sie bestens versorgt, was mir die nötige Ruhe gab, mich auf die Sitzungen zu konzentrieren.

Rein praktisch sah es so aus, dass ich für jeden Kindersitter-Einsatz ein Formular ausfüllte, auf dem die genauen Uhrzeiten, das Gremium, der Stundenlohn und Unterschriften einzutragen waren. Dieses Formular reichte ich nach einem von mir selbst zu bestimmenden Zeitraum mit der Bitte um Erstattung ein. All dies kostet am Ende natürlich Geld. Denn es entstehen nicht nur Kosten für die Kinderbetreuung, sondern auch in der Verwaltung. Deren Mitarbeiter müssen in den Protokollen die Anwesenheit nachprüfen und einen Vorgang anlegen.

Bei uns in der Stadt hielt sich der Aufwand allerdings in Grenzen: Seit der Einführung der Erstattung von Kinderbetreuungskosten haben genau drei Stadträtinnen und zwei Stadträte diese Möglichkeit in Anspruch genommen. Die beiden Männer, junge Väter, kenne ich gut – beide sagten mir auf Rückfrage, sie hätten die Erstattung der Kinderbetreuung „einige Male“ und „immer mal wieder“ genutzt, teils, weil die Partnerin noch studierte, sie selbst berufstätig sei oder anderweitig ein Engpass bei der Betreuung des Kleinkinds entstanden sei.

Die finanziellen Verhältnisse der beiden kenne ich nicht im Detail, aber junge Familien müssen generell eher aufs Geld achten. Daher zeigt sich hier sehr gut, dass die Wiedererstattung von Kinderbetreuungskosten nicht nur den Frauen dient, auch wenn das sicher ein hervorragendes Instrument zur Förderung der Gleichstellung von Frauen in politischen Ämtern ist, sondern dass sie auch die Diversität generell fördert.

Junge Väter sind Verbündete im Wunsch nach politischer Teilhabe

Junge, moderne Väter sind ebenfalls ein echter Gewinn für politische Gremien. Auch sie leiden tendenziell unter Zeitnot und bereichern nicht nur inhaltlich, sondern auch von der Haltung und Arbeitsweise die Gremien sehr. Pointiert gesagt, machen sie die Teilnahme an Sitzungen für engagierte Mütter etwas erträglicher, auch weil diese Väter nicht zu endlosen, selbstverliebten Monologen neigen und ihnen feministische Ansätze nicht gänzlich fremd sind. Sie sind Verbündete im Wunsch nach politischer Teilhabe. Von denen Frauen wie ich nie zu hören bekomme: „Willst du dich nicht lieber um deine Kinder kümmern, anstatt hier herumzusitzen?“

Im Gegenteil: Sie drücken eher ihren Respekt dafür aus, dass ich mich trotz meiner Rahmenbedingungen einbringe. Das macht einen großen Unterschied und hilft dabei, die teilweise zähen Sitzungen durchzuhalten. Es kostet also nicht die Welt, die Kinderbetreuungskosten zu erstatten, hilft aber, die politische Teilhabe von Frauen ordentlich voranzubringen. Vor allem ermöglicht es all jenen, die sich einbringen wollen, überhaupt erst die Teilhabe.

Dass es bundesweit noch nicht überall Standard ist, die Vereinbarkeit von Familie und Mandat auf diese Art zu fördern, liegt selbstverständlich am Föderalismus – aber die Recherche in den 16 Bundesländern bringt Interessantes zutage: Rein theoretisch ist nämlich schon in den Gemeindeordnungen von mindestens acht der 16 Länder ausdrücklich die Möglichkeit verankert, diese Kosten erstattet zu bekommen. Ausdrücklich möglich machen die Erstattung der Kinderbetreuungskosten jetzt schon Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. In Bayern und Thüringen gibt es keine Regelung zum Ersatz von Kosten für die Kinderbetreuung.

Für das Saarland ist „eine entsprechende Regelung geplant und auch bereits im Entwurf eines Gesetzes zur Änderung kommunal- und dienstrechtlicher Vorschriften enthalten“, wie es auf Anfrage hieß. In Sachsen gibt es zumindest einen Spielraum für den Ersatz von Aufwendungen aufgrund ehrenamtlicher Tätigkeiten: Zwar ist er nicht ausdrücklich vorgesehen, aber zulässig.

Die Länder haben es in der Hand, politische Teilhabe von Müttern voranzubringen

Wie die einzelnen Kommunen die Umsetzung für eine Kostenerstattung handhaben, ist also deren Sache und eine Frage der konkreten Beschlüsse beziehungsweise der politischen Mehrheiten. Aber man sieht: Die Länder haben es durch ihre jeweiligen Ordnungen durchaus in der Hand, den Prozess der politischen Teilhabe von Müttern und jungen Eltern voranzubringen, indem sie entsprechende Satzungen aufstellen, die dann wiederum in den Kommunen zum Anlass genommen werden können, um konkrete Anträge zu stellen und die Dinge vor Ort für Eltern etwas leichter zu machen.

Ist die Bezahlung der Kinderbetreuung geregelt, gibt es auch sehr viel weniger Gründe, neidisch auf Männer zu sein, die sich bei der Ehefrau fürs „Rückenfreihalten“ bedanken, und es ist auch nicht mehr vordringlich eine Frage des Geldes, ob man sich die politische Teilhabe leisten kann.

Mittlerweile habe ich mich auch bei Verabschiedungen von langjährigen Ratsmitgliedern besser im Griff, ich kriege das hin, ohne laut zu seufzen. Vielleicht habe ich mich auch einfach nur daran gewöhnt, dass Floskeln dieser Art zum politischen Betrieb dazugehören. Was nicht heißt, dass mich das auf der strukturellen Ebene nicht stören würde.

Im Gegenteil: Wenn Frauen aus dem Gemeinderat verabschiedet werden, hört man nie, sie hätten das ohne ihren Ehemann unmöglich machen können, da er ihnen dankenswerterweise den Rücken freigehalten habe. Aber immerhin können ausscheidende Rätinnen und Räte sowie Verwaltungsmitglieder neuerdings wählen, ob sie lieber Wein oder Blumen als Abschiedspräsent überreicht bekommen wollen.

Bis vor kurzem bekamen Frauen automatisch Blumen und Männer ein Weinpaket. Eines weiß ich jetzt schon: Ich nehme dann den Wein.


Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Till Rimmele; Audio: Iris Hochberger

Zu wenige Mütter gehen in die Politik – so können wir das ändern

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