Monetotschka hat eine Stimme, die von Natur aus so hell und zuckersüß ist, dass sie der Host von Russlands beliebtester Late-Night-Show einmal zur Unterhaltung schweres Gas inhalieren und dann ihre Lieder ansingen ließ. Zu der Sendung kam sie in einem Kleid, das an sowjetische Schuluniformen erinnerte, und hielt sich nach jedem aufgeregten Kichern die Hand vor den Mund. Monetotschka spielt die Lolita ironisch. Aber das erkennt nur die junge Generation.
„Mein Style, meine Stimme, mein Alter – das ist alles Teil des Konzepts und Teil meiner Lieder. Wenn irgendein erwachsener Typ seine schlauen, erwachsenen und ach so politischen Songs dahersingen würde, würde das nie solche Resonanz erzeugen. Aber wenn die Stimme einer jungen Frau erklingt, erzeugt das Widerhall“, meint Monetotschka, die mit bürgerlichem Namen Elisaweta Gyrdymowa heißt.
Unter das erste Video, das sie 2016 auf Youtube hochlud, schrieb sie noch „Hallo! Ich bin Lisa! Und das ist mein Liedchen.“ Der Song „Ya Lisa“, der von einem Mauerblümchen handelt, das im Internet ein Star ist, wurde im Runet prompt zum Meme. Monetotschkas erstes professionell produziertes Album „Malbuch für Erwachsene“ sprang nach dem Release 2018 auf Platz 1 aller Streamingdienste in Russland, die wichtigste oppositionelle Nachrichtenseite Meduza lobte es als „bestes russisches Pop-Album des Jahres – ernsthaft!“ Am Jahresende folgte der tiefstimmige Auftritt in der Late-Night-Show – ein Podium, das Künstler:innen mit progressiven Botschaften meist versagt bleibt.
Die 21-jährige Rapperin, deren Künstlername „kleine Münze“ bedeutet, ist so etwas wie das Postergirl der russischen Alternative-Popkultur: Wie Billie Eilish, aber nicht so rotzig, wie Grimes, aber nicht so weird, wie Charli XCX, aber nicht so versext. Monetotschkas Lieder handeln von den Gruselerzählungen der Eltern über die Neunzigerjahre, als die Sowjetunion zerfallen und Wladimir Putin noch nicht an der Macht war, von Familien, die über die Annexion der Krim streiten. Und sie erzählt davon, wie es heute ist, in Russland ein junges Mädchen zu sein: Eskapismus und Bestätigung im Internet zu finden, vom Umzug ins große Moskau oder Sankt Petersburg träumen, wo man was aus sich machen kann.
Mit dieser typisch russischen Mischung aus Selbstironie, Schwärmerei und Desillusioniertheit trifft sie einen Nerv: Inzwischen hat Monetotchka auf allen sozialen Kanälen Hunderttausende Follower – eine kleine, aber verschworene Gemeinde, die auf ihr nächstes Album im Lauf des Jahres wartet.
Aber auch: Auf dem Abschlussball in der Provinz vom Freund verprügelt zu werden („Deine Schärpe und dein Kleid voller Blut – prima, dass du zur Feier des Tages Rot trägst!“).
„Wer schlägt, der liebt“, lautet ein russisches Sprichwort
Wer in Russland als Frau ernst genommen werden will, muss und darf seine Weiblichkeit nicht mit Blazern und ruhiger, besonnener Stimme kaschieren. Frausein an sich hat einen hohen Stellenwert – aber was Frausein bedeutet, ist klar festgelegt. Das Idealbild der russischen Frau ist, wie der Dichter Nikolai Nekrassow sie beschrieben hat: „In jeglicher Kleidung schön, zu jeder Arbeit geschickt. Sie erträgt Hunger wie Kälte, ist immer geduldig, gleichmütig … hält das Pferd in wildem Lauf an und tritt in ein brennendes Haus.“ Eine Russin ist tapfer, geduldig und duldsam bis zur Selbstaufopferung – dabei bleibt sie immer sanft und freundlich, behält ihren natürlichen Liebreiz und ist zugleich völlig uneitel.
Und genau deshalb, weil Mädchen und Frauen nach dieser verklärten Idee von Weiblichkeit einfach vollkommen sind, darf sich daran auch nichts ändern: „Eine Frau muss eine Frau bleiben!“, das ist in Russland so selbsterklärend wie das deutsche „Ordnung muss sein“. Insgesamt 79 Berufe wie Luftfahrtmechanikerin oder Feuerwehrfrau sind ihnen bei Strafe verboten, weil sie angeblich ihre Gebärfähigkeit gefährden. Firmen, die entsprechende Stellen mit einer Frau besetzen, riskieren ein Bußgeld von 70.000 Rubel – das sind bis zu zwei Monatsgehälter.
Das Gesetz stammt noch aus Zeiten der Sowjetunion, die eigentlich absolute gesellschaftliche Gleichheit versprach und Frauen in technischen und handwerklichen Berufen als Selbstverständlichkeit propagierte, weil sie nach dem Zweiten Weltkrieg deren Arbeitskraft brauchte. Viele ältere Russinnen halten sich bis heute für gleichberechtigt und übersehen, dass der Staat ihnen stets eine Doppelbelastung aus Lohnarbeit und Haushaltsführung zuwies, für die sie bis heute auch noch schlechter entlohnt werden als Männer und seltener in Führungspositionen aufsteigen.
Die Geschlechternormen sitzen so tief, dass selbst Fremde auf der Straße freimütig Frauen zurechtweisen, die in ihren Augen das Idealbild gefährden: Indem sie rauchen, zu viel Alkohol trinken, sich nicht feminin genug kleiden, nicht damenhaft gehen oder sich dem Willen eines Mannes nicht fügen. Jedes Jahr werden in Russland UN-Angaben zufolge 14.000 Frauen von ihrem Partner oder einem Mann aus ihrer Familie ermordet, jede dritte Frau in Russland erlebt mindestens einmal in ihrem Leben häusliche Gewalt. Kürzlich wurde misogyne Gewalt in Russland zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft – statt bis zu zwei Jahren Gefängnisstrafe drohen Tätern nur noch ein Bußgeld oder maximal 15 Tage in Haft. Gegen eine Wiederverschärfung des Gesetzes gehen vor allem orthodoxe Gläubige zu Tausenden auf die Straße, unter ihnen viele Frauen. „Бьёт - значит любит“, „Wer schlägt, der liebt“, lautet ein russisches Sprichwort.
„Mein Leben kreist nicht um irgendeinen Jungen“
Überhaupt sind Liebe und Romantik, in der russischen Realität seit jeher Sehnsuchtsorte, das große Thema eines Frauenlebens: „Wir sind mit Musik aufgewachsen, in der eine Frau in den allerbanalsten Phrasen über ihre Probleme oder ihre unglückliche Liebe singt“, sagt Monetotschka dazu. „Selbst die begabtesten Dichterinnen und Sängerinnen richten ihr Schaffen rund um dieses Liebesding aus: Trennungen, glückliche Liebe, für die Liebe tue ich alles und werfe mich ins Feuer … und so weiter.“
Ihre Genervtheit über diese Art von Musik ist einer der Gründe, warum sie überhaupt angefangen hat, Songs zu schreiben. Ihr Selbstbild, das westliche Hörer:innen als empowered loben würden, ist in Russland unerhört: „Mein Leben kreist nicht um irgendeinen Jungen oder irgendeine Liebe“, sagt sie. „Im Zentrum meines Lebens stehe ich. Ich bin unabhängig und frei, ich gehe wählen, versorge mich selbst, ich kaufe mir selbst Blumen. Damit kommen viele Männer nicht klar – es erschreckt sie.“
Und das, obwohl ihre Fans nicht nur erdbeerblonde Teenagermädchen sind, sondern vor allem bärtige Männer um die 30. Ihre Kunst bezeichnet Monetotschka als „oppositionelle Lieder für Mädchen“, ihr Instagram ist Girlpower pur: Selfies beim Haarekämmen, mit ihrer Katze oder beim Pressetermin mit einer Frauenfußballmannschaft. In ihren Stories verwendet sie stets den Hundeohrenfilter und begrüßt die Followers mit „Mädels“. Alles daran ist russisch-mädchenhaft, aber nichts daran dient sich dem male gaze an, den pobackige Influencerinnen so gern mit Selbstbestimmung und sexueller Freiheit verwechseln.
Monetotschka beschreibt den Druck, der auf Frauenkörpern lastet, in ihrem Song „Kapital“, über den sie heute sagt, dass er schlecht geschrieben sei: „Lippen und Haare, die Form der Nase, Taille, Brust, Lidstrich-Pfeile und Visier – sie helfen mir, Probleme zu lösen, die ein hässliches Entlein nicht lösen kann. Werte setzen einen Wandel voraus, wenn Helden doch aussehen wie Venus, dem Schaum entstiegen.“
Holzhammermetaphern sind eigentlich nicht Monetotschkas Stil. Denn Kunst solle nicht konkret politisch werden, findet sie: „Nehmen wir eine Demonstration, nehmen wir ein Plakat – darauf steht ‚Alle auf die Barrikaden!’ Und dann wird es gerahmt und ins Museum gebracht. Es verliert seine ganze politische Wertigkeit und wird zur Kunst.“
So erging es in Russland Pussy Riot. Die Punkrock-Feministinnen, die 2012 unter den Augen der Weltöffentlichkeit in der Moskauer Christerlöserkathedrale festgenommen und zu Lagerhaft verurteilt wurden, richteten sich von Anfang an gezielt an ein westliches Publikum. Der russischen Öffentlichkeit waren sie schlicht peinlich: zu grell, zu unintellektuell, zu respektlos gegenüber der russisch-orthodoxen Religiosität. Und überhaupt – was soll denn das Wort „Pussy“?
Rapperinnen entziehen sich dem Patriarchat – und dem Kreml
Klassischer politischer Protest mit Demo, Plakat und Lautsprecher bringt in Russland wenig. Politische Kunst hingegen wirkt oft noch Jahrzehnte später nach und hat intellektuelle Sprengkraft. Nur so ist zu erklären, dass das irgendwo zwischen Rap und Gothic angesiedelte Duo IC3PEAK seit letztem Sommer buchstäblich vom russischem Geheimdienst FSB verfolgt wird: Mit Auftrittsverboten überzogen, mussten sie ihre Tour durchs eigene Land in Underground-Clubs zu Ende bringen.
Denn nicht nur die neue russische Weiblichkeit einer Monetotschka entzieht sich dem Zugriff des Patriarchats. Auch die geistige Freiheit der jungen Generation hat der Kreml nicht mehr im Griff – denn dass sich aus Hurra-Patriotismus und Durchhalteparolen keine Zukunft bauen lässt, verstehen Russ:innen um die 30 ganz genau. „Es ist, als wäre die ältere Generation aus dem Tiefschlaf erwacht“, hat Frontfrau Anastasija Kreslina, genannt Nastya, einmal die Lage ihrer Band und ihrer Generation umschrieben. „Sie haben Angst vor unserer Jugendkultur und versuchen sie mit alten sowjetischen Methoden zu kontrollieren.“
Ihre Kunst bezeichnen IC3PEAK, gesprochen „Eispiek“, als „russisches Schauermärchen“. Sound und Texte triefen von Nihilismus und Trostlosigkeit – und wecken gerade dadurch Unsicherheiten. Ob hinter dem blutleeren Auftreten nicht Schläfer stecken, die einmal entfesselt zu allem bereit sind?
„Ich war noch nie dumm, ich werde nie glücklich sein – eine traurige Schlampe, eine traurige Schlampe. Ja, das ist meine bewusste Entscheidung“, rappt Nastya in einem von IC3PEAKs Videos, während sie mit einer Gruppe junger Frauen auf weiter Flur steht, die einander gegenseitig die Haare flechten. Mit überlangem russischem Zopf und schwarz gekleidet schreitet sie den Mittelgang eines Moskauer Metrowaggons entlang und fordert die Passagiere auf: „Bekreuzige dich, wenn du mich siehst. Ich untergrabe deine Überzeugungen. Ich verderbe dir den Tag mit meinem weißen Gesicht, deine Empörung kümmert mich nicht.“
Der Mann ist bei IC3PEAK nur noch eine Randfigur: Nikolaj Kostyljow, genannt Nick, lehnt kreidebleich am Zugfenster, ewig schweigend und ausdruckslos. Selbst ein Bündel Luftballons an der Schnur entgleitet ihm. In einer Welt, in der Frauen auch 2020 noch häufig Dekoration sind, kehrt das Geschlechterrollen um: Ausgerechnet Nicks zur Schau gestellte Passivität rührt an der alten Ordnung. Nick sagt: „Ich finde, IC3PEAK ist eines der wenigen wirklich feministischen Projekte, weil wir absolut gleichermaßen daran beteiligt sind. Selbst bei unseren Auftritten sind wir beide vorne auf der Bühne, wir teilen alles Hälfte-Hälfte.“
Feminismus – vom Schimpfwort zum Modebegriff
Nastya und Nick sind 24 Jahre alt – für die Generation Z sind Feminismus auch in Russland kein Schimpfwort und Queerness kein Tabu mehr. Die russischen Millenials, denen von den Eltern sowjetische Werte vorgelebt und vom Kapitalismus ein glückliches Leben als erfolgreicher Businessman oder reiche Oligarchengattin versprochen wurden, tun sich damit schwerer. Die meisten von ihnen sind längst verheiratet, haben Kinder – und sind aus wirtschaftlicher Notwendigkeit häufig in traditionellen Rollen verhaftet geblieben.
Aber selbst der Mainstream hat längst erkannt, dass das „F-Wort“ provokatives Potenzial hat und macht zumindest oberflächlich mit.
Auf dieser Welle survt auch die Videobloggerin Irina Smelaja, die mit dem Frontman der Spaßband „Little Big“ verheiratet ist und unter dem Namen „Tatarka“ als Rapperin auftritt. In ihrem Lied „Pussy Power“ deklamiert sie auf Englisch: „Got that magic power / Sweet, sweet poison, I’m a tragic flower / Can’t hear haters, come at me louder / Supergirl, I got superpowers“.
Im Musikvideo stolzieren sie und ihre Freundinnen in übergroßen Business-Anzügen und Sonnenbrillen durch Sankt Petersburg.
https://www.youtube.com/watch?v=DRt7f5COJkM
Der Making-of-Clip dazu lässt hingegen tief blicken: „Hihii, Muschikraft!“, kichert die gestandene 28 Jahre alte Mutter eines Kindes da, amüsiert sich darüber, dass sie in den Anzügen ja alle „wie Kampflesben“ aussähen – und blickt besorgt um sich, ob sie auf dem Fußmarsch zum Set auch nicht zu sehr auffallen.
Was plakativ daherkommt, ist in Russland häufig nicht echt. Das gilt für Propaganda wie für Frauenrechte. Am Ende zählt, was wirklich gelebt wird: von Monetotschka, Nastya, Tatarka – und den Russinnen, deren Vorbilder sie sind.
Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Verena Meyer.