Erbsenzählen ist beim 50-50-Erziehungsmodell wichtig

© Martin Gommel / krautreporter

Geschlecht und Gerechtigkeit

Erbsenzählen ist beim 50-50-Erziehungsmodell wichtig

Mein Mann und ich wollen uns die Erziehung unseres Kindes gleichmäßig aufteilen. Wie das klappt, beschreiben wir in dieser Serie. Acht Monate nach der Geburt fühle ich mich als würde ich schwimmen, mit körperlich schwindender Kraft. Also mache ich einen Versuch: Ich erzähle meinem Mann, wie die Müdigkeit mein Leben bestimmt.

Profilbild von von Matthäa Ritter-Wurnig

Hier findet ihr Teil I der Serie und hier Teil II


Dominik und ich sind nun beide gleichermaßen und hochoffiziell vom Familienrat, das sind derzeit noch wir zwei, zu Erbsenzählern ernannt worden. Das ist kein schmeichelhafter Titel. Aber mittlerweile trage ich ihn mit Stolz. Denn ich kann endlich wieder schlafen.

Hans hat nachts alle vier Stunden großen Hunger und zwischendurch ein großes Nähebedürfnis. Ich mag es eigentlich sehr gerne, wenn mein kleines Kind sich an mich schmiegt und ich das Kuscheln erwidern kann.

In unserem Schlafritual sieht Kuscheln aber so aus: Hans nuckelt an der Brust, meist ohne zu trinken. Er hält sich an meinem T-Shirt fest oder krallt sich an meinen Körper. Ich schwanke zwischen Halbschlaf und Halbwach hin und her. Oft liege ich in einer verkrampften und unbequemen Haltung, einen Arm über meinem Kopf, mein Oberkörper liegt frei, um genug Platz für den kleinen Körper zu bieten. Mir ist kalt.

Immer dann, wenn ich ein wenig mehr Richtung Schlaf abdrifte, werde ich aufgeweckt. In der Früh bin ich zerstört. So geht es seit acht Monaten fast jeden Tag. Mein Leben fühlt sich an als würde ich schwimmen – oft ohne Richtung und Sicht, mit körperlich schwindender Kraft.

Dominik will spontan sein, ich will jeden Schritt planen

Vor zwei Monaten, als ich wieder mit der Arbeit begann, wollte ich mit Dominik über eine faire Aufteilung der Nachtschichten reden. Leider haben wir total unterschiedliche Zugänge. Dominiks Devise: Wir folgen alle unseren Bedürfnissen. Er fände es am besten, wir würden uns immer spontan absprechen, wer sich um Hans kümmert. Außerdem hätte er am liebsten ein Kind, das einfach immer, wenn es will, aber vor allem überall schlafen kann.

Meine Devise: Lass uns planen und zielorientiert vorgehen. Als große Endvision sehe ich Hans in der Nacht durchschlafen. Ich habe mir Etappen dorthin überlegt, einen langfristigen Plan, in dem wir Hans erst abwechselnd ins Bett bringen und später auch abwechselnd für ihn aufwachen. Ich erkläre Dominik, dass es einen Zusammenhang zwischen Stillen, Kuscheln und Schlafen gibt. Außerdem auch noch eine Tool Box: Schnuller, Gymnastikball und die Playlist mit Liedern für Hans.

Nachdem ich das alles gesagt habe und Dominik wieder zu Wort kommt, wird klar: Er will sich auf keine Verhandlung einlassen. „Wir wollten doch keine Erbsenzähler werden“, sagt er. Autsch, das tut weh. Wer will das schon? Soll ich jetzt anfangen zu argumentieren? Und wenn ja, wie? Sein Widerstand macht meine Müdigkeit wieder größer. Das Wasser, in dem ich schwimme, steigt wieder langsam. Ich ergebe mich für ein paar Tage.

Gelassene Männer gelten als attraktiv, organisierte Frauen als unnötig angespannt

Eine ähnliche Situation beschreiben Cornelia Koppetsch und Sarah Speck in ihrem Buch „Wenn der Mann kein Ernährer mehr ist“. Sie zeigen in ihrer Studie Verschleierungsmechanismen auf, die alternative urbane Paare anwenden, um die ungleich verteilte Hausarbeit zu stabilisieren. Obwohl gerade Eltern aus diesem Milieu behaupten, halbe/halbe zu machen, ist es tatsächlich die Frau, die mehr leistet. Ein Grund ist, dass die Gelassenheit von Männern als attraktiv eingeschätzt wird. Wohingegen Frauen oft als unnötig angespannt beschrieben werden – und sich selbst so sehen. Damit werten sie ihre eigene Arbeit ab.

Rechnet ihr eure Aufgaben genau auf, damit sie gleichmäßig verteilt sind? Diese Frage haben wir unseren Leser:innen gestellt. Dreiundzwanzig haben sich dazu gemeldet, nur eine Person antwortete: „So gut wie möglich, ja.“ Erbsenzählen ist nicht beliebt. Gleichzeitig antworten die meisten Leserinnen, dass sie die Organisationsarbeit alleine übernehmen. Es sind auch in unserer Umfrage hauptsächlich die Frauen, die die Mental Load tragen, also die Arbeit, die erledigt werden muss, im Kopf behalten. Wiederholt wird das in der Befragung mit Eigenschaften begründet, die nur die Frauen haben, wie zum Beispiel Stressresistenz. Reden hilft, schreiben fast alle unserer Leser:innen.

Also mache ich einen neuen Versuch: Ich erzähle Dominik, wie es mir geht, wie die Müdigkeit mein Leben bestimmt. Dass mein Leben sich immer mehr wie ein großer See anfühlt. Meine zusätzlichen Aufgaben sind eine Belastung.

Dominik reagiert darauf zu nüchtern, finde ich. Er meint, gerade Frauen sollten doch ihre Bedürfnisse in den Vordergrund stellen. Es stimmt ja: Frauen haben jahrhundertelang gelernt, ihre Bedürfnisse zu ignorieren und die Verantwortung für andere zu tragen. Und es gibt täglich Situationen, in denen ich meine eigenen Bedürfnisse hintanstelle. Mein Wäschekorb etwa ist fast immer voll, Hans Wäsche hingegen verstaue ich immer sofort am richtigen Platz.

Dominik macht mir klar, dass es auch für ihn anstrengend ist, bei Aufgaben schneller sein zu müssen als ich. Er bringt das Argument, das in den Sicherheitsvorkehrungen im Flugzeug erklärt wird: Eine Mutter soll zuerst sich und dann erst ihrem Kind die Atemmaske anlegen. Nur so ist sichergestellt, dass beide überleben.

Ich kann es mir nicht leisten, zuerst an mich zu denken

Für mich ist es aber keine Lösung, wenn wir alle immer an unsere Bedürfnisse zuerst denken. Wenn es darum geht, sich um Hans zu kümmern, lassen sich Dinge nicht immer verschieben, sonst hat das schlimme Folgen. Hans will unbedingt um acht schlafen gehen, wenn wir ihn dann nicht ins Bett bringen, kann er sehr lange Zeit nicht mehr einschlafen. Gerade mit Kind können wir nicht ignorieren, dass wir in vieler Hinsicht voneinander abhängig sind.

Ich atme tief durch und sage: „Ich glaube wir kommen nicht ganz ohne Erbsenzählen aus.“

(Wenn du mehr wissen möchtest, welche feministischen Ansätze ich zu diesem Thema recherchiert habe, klicke auf das i.)

Wir machen einen Gleichheitstest – und fallen durch

Über den Instagram-Account von Johanna Lücke, die sich dort femm_hood nennt, finde ich den Equal-Care-Selbsttest. Dominik und ich füllen ihn aus, jeder für sich. Anschließend tauschen wir die Zettel – und müssen beide über das Ergebnis lachen. Dominik und ich haben hier genau den gleichen Wert stehen.

https://www.instagram.com/p/B7_Oyj8oBKf/

(Folge @handinhandinhaendchen, um einen Einblick in den Alltag von Dominik und Matthäa zu bekommen.)

Wir sind uns einig, dass das unmöglich sein kann. Also gehen wir jeden einzelnen Punkt durch. Und sehen, wie dieses Ergebnis zustande kam. Unter dem Punkt „Kochen“ zum Beispiel hat sich Dominik gleich hoch eingeschätzt wie ich. Generell ist das jedoch ganz klar eher meine Aufgabe als seine. Dominik kocht zwar täglich, aber meist macht er morgens nur sein eigenes Käsebrot, weil ich unter der Woche nicht frühstücke. Während der Woche koche ich jedoch in der Regel jeden Abend, und zwar für uns beide.

Natürlich denke ich auch darüber nach, was wir essen können. In Folge liegen auch die Einkaufsliste und der Einkauf selbst in meiner Verantwortung. Nun also sprechen wir darüber, wie wir uns das Kochen besser aufteilen können. Und machen einen Wochenplan.

Es gibt auch ein langfristiges Ziel, dass wir anpeilen: Hans soll selbstständig und auch mit uns gemeinsam essen können. Dafür muss er abgestillt werden und wir führen die Beikost ein. Langsam soll der Brei auch das nächtliche Stillen ablösen.

(Welche Tools uns noch beim Organisieren helfen, siehst du, wenn du auf das i klickst.)

Unsere Gespräche zeigen Wirkung: Dominik erstellt selbst einen Etappenplan für Hans’ Ernährung. Und überrascht mich damit, dass er die einzelnen Schritte in unserem Kalender einträgt. Wenn ich abends nach Hause komme, erzählt er mir nun von seinen Erfahrungen mit Pastinakenbrei. Außerdem schickt er mir in die Arbeit Videos von Hans, der fröhlich am Löffel kaut. Und wieder gibt es eine Toolbox: Neben der Muttermilch befindet sich im Kühlfach nun auch eingefrorener Brei, von Dominik selbst gekocht. Reden hilft tatsächlich.


Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Fotoredaktion: Martin Gommel.


Über diese Kolumne:

Matthäa und Dominik schreiben hier abwechselnd über die Hürden, Probleme und Freuden der geteilten Elternschaft. Hier findest du den ersten Artikel, hier den zweiten Text. Unser halbe-halbe-Plan: Wir wollen auf nichts komplett verzichten und uns möglichst viel ermöglichen als gleichberechtigte Eltern für unseren Sohn. Das sagt sich leichter, als es sich in der Praxis lebt. Bei Instagram findest du unter @handinhandinhaendchen kleine Einblicke in unseren Alltag.