Wir versuchen es wirklich: Ganze Eltern machen halbe-halbe

© Martin Gommel / krautreporter

Geschlecht und Gerechtigkeit

Wir versuchen es wirklich: Ganze Eltern machen halbe-halbe

Immer war klar, dass wir uns beide um Hans kümmern wollen. Doch als die Geburt näher rückte, übernahm automatisch wieder die Mutter mehr Verantwortung. Schafft man es denn nie aus den alten Rollen raus? Immerhin: Wir haben einen Plan. Ob wir ihn umsetzen können, erfährst du in dieser neuen Krautreporter-Kolumne.

Profilbild von Dominik & Matthäa Ritter-Wurnig

Dominik: Auf einmal ging alles viel schneller als gedacht. Auf einmal war er da, unser Sohn, und die Theoriediskussionen waren Wirklichkeit. Er hatte es eilig, kam fast zwei Monate zu früh auf die Welt. Und damit begann unser Plan früher als erwartet. Ich war vom ersten Moment an überfordert.

Unser Plan: Wir wollen uns beide gleichermaßen um ihn kümmern, für ihn da sein und die Verantwortung übernehmen. Wir wollen aber auch gleichermaßen Zeit haben für uns, für unsere Hobbys, für unsere Jobs, für unsere Karrieren, für uns selbst und natürlich unsere Beziehung. Und nicht zuletzt: Wir wollen gleichermaßen die Last des Versorgers übernehmen. Wir wollen uns die Rechte und Pflichten teilen.

Wir sind: Matthäa – die Mutter – und Dominik – ich, der Vater. Und unser Sohn, den wir in unserer Geschichte Hans nennen, auch wenn er eigentlich anders heißt (sein Spitzname, der hier auch vorkommen wird, ist aber echt: Keksi). Wir werden in dieser Kolumne von jetzt an regelmäßig darüber schreiben, wie wir versuchen, uns das Leben mit Kind gerecht zu teilen – wo es klappt, wo wir scheitern und wir wahnsinnig werden. Und welche Lösungen wir finden. Dabei wollen wir wissen, wie es anderen geht – bitte schreibt uns! Mehr dazu am Ende.

Als Vater will ich die Momente mit meinem Sohn nicht verpassen, ich will den kleinen Hans wachsen sehen, ich will ihm etwas beibringen. Dass die Zeit mit Kind nicht immer nur prickelnd und manchmal auch richtig Scheiße sein kann, weiß ich. Meinen Job als Datenjournalist beim rbb pausiere ich für sieben Monate und im Anschluss arbeite ich Teilzeit (zunächst 25 Stunden pro Woche, später mehr). Natürlich ist das auch eine ökonomische Freiheit. Eine Freiheit, die leichter fällt, weil meine Frau und ich ähnlich verdienen. Und weil sie genug Geld nach Hause bringen wird, wenn ich in Elternzeit bin. Aber selbst, wenn mein Einkommen zigfach höher wäre als Matthäas: Statt voller Taschen will ich trotzdem lieber volle Windeln.

Ganze Männer machen halbe-halbe

Eigentlich gibt es unseren Plan schon lange, noch bevor Matthäa und ich uns kennengelernt haben. Es ist 1996. Ich bin dreizehn Jahre alt und bemüht, mich um die Hausarbeit zu drücken. Meine Heimat Österreich ist aufgebracht und diskutiert über einen Slogan: „Ganze Männer machen halbe-halbe.“ Ziel der Fernsehspots der österreichischen Frauenministerin war die „Umverteilung der Versorgungsarbeit“.

Als berufstätige Alleinerzieherin gab es für meine Mutter nichts partnerschaftlich aufzuteilen: Sie machte alles. Nichtsdestotrotz, die genialen Fernsehspots von Doris Dörrie waren für mich einfach logisch: Halbe-halbe ist die einzig faire und sinnvolle Lösung. Niemand will nur im Büro sitzen, niemand will sich nur um Kinder kümmern – wenn man das aufteilt, haben es alle besser.

Seit damals aber hat sich wenig geändert. Bei den meisten Eltern zerbröseln
die guten Vorsätze nach der Geburt des ersten Kindes in eine klare Rollenaufteilung. So steigt nach der Geburt beispielsweise der Anteil der Haushalte in Deutschland, in denen ausschließlich die Frau kocht, bügelt, Wäsche wäscht oder putzt auf über 70 Prozent. Paare erreichen danach nie wieder die egalitäre Aufteilung wie davor. Die Wissenschaft nennt das irreversible Retraditionalisierung nach der Familiengründung.

Das ist es, wogegen wir uns mit unserem Plan auflehnen. Sind wir naiv? Gute Ideen haben wir jede Menge, aber ganz ehrlich: Hans’ Geburt ist jetzt sechs Monate her und so wirklich bekommen wir es noch nicht hin.

Gemeinsam die Schwangerschaft nachholen

Matthäa: Dass wir es anders machen, ist uns schon im Krankenhaus aufgefallen: Hans kommt zwei Monate zu früh auf die Welt, weshalb wir die ersten Wochen in der Neugeborenen-Intensivstation verbringen. Dominik ist der einzige Mann, der sich dort auch einquartiert. In dem kleinen Familienzimmer im Krankenhaus nimmt der Brutkasten viel Platz ein, und daneben steht das wuchtige Krankenhausbett für mich. In die Nische zwischen Bett und Wand stellt man uns noch ein Klappbett. Dort schläft Dominik die zwei Wochen bis zur Entlassung jede Nacht.

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Hans’ Wahrnehmung ist noch sehr empfindlich, auch tagsüber müssen die Vorhänge trotz Hitzewelle zubleiben. Wir versuchen, ihn mit der Musik von Soap & Skin langsam auf die Außenwelt vorzubereiten.

Als ich das erste Mal nach zehn Tagen das Krankenhaus verlasse, da mir die Decke auf den Kopf fliegt, blendet mich die Sonne. Mit plötzlichem Blasensprung bin ich um 2.30 Uhr in der Nacht ins Krankenhaus gekommen, und jetzt sehe ich zum ersten Mal wie die Umgebung aussieht.

Über Nacht im Vollzeitjob

Für uns beide ist es von Beginn an eine Vollzeitaufgabe, Hans beim Ankommen in dieser Welt zu begleiten. Genauso wie ich, wickelt Dominik Hans, wäscht ihn, legt die Schläuche zurecht, desinfiziert die Milchpumpe. Hans ist noch zu schwach, um an der Brust zu trinken. Dominik träufelt Hans abgepumpte Muttermilch über eine Magensonde ein, während er an Dominiks kleinem Finger nuckelt. Dominik legt ihm sein kleines Nestchen aus Tüchern zurecht, da die Begrenzung das Baby beruhigt. Dominik überwacht den Monitor und zählt nervös die Sekunden, wenn Hans’ Herzfrequenz abfällt.

Wir lernen, welche Berührungen ein Frühchen irritieren (streicheln!), und wie wir ihm nahe sein können, trotz trennender Plexiglasscheibe. Jeden Tag liegt Hans jeweils für drei Stunden am Stück auf meinem und auf Dominiks nacktem Oberkörper. Man nennt das känguruhen, und die körperliche Nähe hilft Frühchen bei ihrer Entwicklung. Aber auch wir genießen den Körperkontakt.

Die unsichtbare Arbeit der Frauen

Ich wollte schon immer Mutter werden. Aber ich wollte mich noch nie in einer Rolle wiederfinden, die mir von außen auferlegt wird. Egal, ob es die Rolle einer sich aufopfernden Mutter ist oder die einer Karrierefrau. Ich will die sogenannte Care-Arbeit, also die Fürsorgearbeiten zu Hause oder in der Familie, nicht komplett abgeben – oft landet diese Arbeit bei Frauen, die weniger privilegiert sind, wie Esther Göbel in diesem Text erklärt. Ich will aber auch nicht die Care-Arbeit in einem kapitalistischen System aufwerten, indem ich alles schaffe.

Dominik und ich orientieren uns an dem, was getan werden muss, nicht an Rollen: Zuerst klären wir, was zu erledigen ist und teilen uns diese Aufgaben mit allen Rechten und Pflichten auf. Es gelingt uns nicht immer. Aber es gibt Begriffe, die uns helfen, besser zu verstehen, welche Arbeit wir uns aufteilen müssen: Mental Load und Emotional Work.

Mental Load bedeutet die Arbeit, die erledigt werden muss, im Kopf zu behalten. Emotional Work ist die emotionale Arbeit, die wir unbezahlt in unseren Beziehungen leisten. Beides ist meist die Leistung von Frauen und bleibt oft unsichtbar. Wir haben für uns ein paar Tricks gefunden diese Leistungen sichtbar zu machen und werden davon noch berichten. Vor allem aber nehmen wir alle Tätigkeiten gleich wichtig – egal, ob sie Geld einbringen oder nicht. Gleichzeitig müssen wir natürlich nachhaltig mit unseren Jobs umgehen und Geld verdienen.

„Schade für uns, aber geil für dich“

Dominik: Für mich war es einfach. Meine Elternzeit ist für meinen Chef überhaupt kein Ding – oder zumindest ließ er sich nichts anmerken. Von Kolleg:innen bekam ich Schulterklopfer und anerkennende Sprüche: „Schade für uns, aber geil für dich.“ Selbst die Senderchefin hat mich beglückwünscht.

Das ist nach wie vor die Ausnahme. Meinem guten Kumpel – nennen wir ihn Andreas – erging es schlechter. Seine Web-Agentur setzte ihn massiv unter Druck; Andreas solle nicht mehr als zwei Monate Elternzeit nehmen. Als er trotzdem den Antrag auf die siebenmonatige Elternzeit abgab, überreichte man ihm einen Auflösungsvertrag. Unterschrieben hat Andreas zwar nicht, aber trotzdem wird er wohl keinen Tag mehr dort arbeiten. Das alles passierte nicht in einer Männerbranche am flachen Land, sondern in einer e-Commerce-Agentur in Berlin.

Wenn Väter in Elternzeit gehen, müssen Mütter verzichten

Die Väterbeteiligung bei den Elterngeldmonaten steigt seit Jahren. Trotzdem nehmen laut der neuesten Zahlen (3. Quartal 2016) von Destatis nur 37,5 Prozent der Väter in Deutschland überhaupt die vom Staat bezahlte Auszeit. Davon wiederum nehmen aber fast drei Viertel nur maximal zwei Monate Vaterzeit, die andernfalls verfallen würden. Denn wenn nur ein Elternteil in Elternzeit geht, bekommt man nur zwölf Monate – gehen beide, hat man insgesamt 14 Monate zur Verfügung. Ich glaube, dass es aber nicht nur am Unwillen der Väter liegt.

Fast jeder fünfte Vater wäre gern in Elternzeit gegangen, hat dann aber darauf verzichtet, heißt es im Väterreport 2018. Neben den Finanzen gibt es noch einen wiederkehrenden Grund: „Viele Väter begründen eine kurze Elterngeldphase (auch) damit, dass die Aufteilung der Elterngeldmonate dem Wunsch der Partnerin nach zwölf Elterngeldmonaten für sie selbst entsprach“, heißt es in der Studie „Nachhaltige Effekte der Elterngeldnutzung durch Väter”. Laut der Studie akzeptieren also die Väter den Wunsch der Mutter, weil sie die größeren Anrechte auf eine Auszeit zu haben scheint.

Ich kann es nicht allen recht machen

Matthäa: Anfangs habe ich Dominik motiviert; die Initiative für unseren Plan kam von mir. Während Dominik jetzt von Freunden, Familie und in seiner Arbeit Schulterklopfer bekommt, bleibt die Zahl jener, die mich dabei unterstützen, erschreckend gering.

„Du kannst doch nicht jetzt schon wieder zu arbeiten beginnen.“
„Du stillst doch noch!“
„Wie wollt ihr das schaffen?“
„Denk doch daran, wie gerne du Mutter sein wolltest.“
„Diese Zeit ist doch einmalig und geht so schnell vorbei.“

All diese und ähnliche Sätze habe ich in den letzten Wochen gehört – nicht nur von Frauen, auch von Männern. Seit ich erzähle, dass ich vier Monate nach dem errechneten Geburtstermin wieder Teilzeit arbeiten möchte, versucht man, es mir auszureden. Einige gehen nach wie vor selbstverständlich davon aus, dass wir unseren Plan ändern würden und ich länger in Elternzeit bleibe. So, als müsste ich jetzt, wo Hans da ist, doch meine Meinung geändert haben. Habe ich aber nicht.

Ich weiß, dass ich weniger verdienen werde

Noch bevor Hans auf die Welt kommt, reden Dominik und ich über Geld. Mir ist es heute wichtiger, gut zu verdienen, als noch vor ein paar Jahren. Um den Überblick während der Elternzeit zu behalten, mache ich eine detaillierte Tabelle für die Aufteilung unserer Ressourcen. Dominik ist genervt und will sich schnell entscheiden: „Das Geld ist doch nicht wichtig.“ Aber mir ist wichtig zu wissen, dass meine Familie gut abgesichert ist. Denn auch ich trage die Ernährerrolle. (Wenn dich interessiert, wie die Tabelle im Detail aussieht, klicke auf das Info-i.)

Ich weiß, dass die Geburt eines Kindes sich negativ auf das Einkommen von Frauen auswirkt. Das wird auch mir passieren – da mache ich mir keine Illusionen (das ist die sogenannte Motherhood Wage Penalty. Trotzdem ist es ein Privileg, dass wir freiwillig finanzielle Kompromisse machen können. Echte Gleichberechtigung muss man sich leisten können.

Bin ich der Konflikt?

Dominik und ich führen aber nicht nur Diskussionen zum Thema Geld. Ein Streitpunkt ist die Frage, wie ich – auch während meiner Elternzeit – Freizeit haben kann. Oft erledige ich noch etwas, wenn Dominik mal Hans übernimmt – dagegen sehe ich ihn in seiner babyfreien Zeit öfters Playstation spielen oder Fußball schauen. Macht es alles ein wenig schwieriger, weil ich Hans stille? Muss ich immer dabei sein, wenn die beiden etwas unternehmen wollen? Und wer ist eigentlich während der Elternzeit für den Haushalt verantwortlich?

Oft habe ich das Gefühl, als wäre ich der Konflikt, weil ich den Finger in die Wunde lege. Für meine Mutter hat Harmonie einen sehr hohen Stellenwert. „Du bist wie ein Elefant im Porzellanladen!“, hat sie zu mir als Teenager gesagt. Aber was kann der Elefant dafür, dass er im Porzellanladen landet?


Über diese Kolumne:
Bei Instagram findest du unter @handinhandinhaendchen kleine Einblicke in unseren Alltag. Unser halbe-halbe-Plan: Wir wollen auf nichts komplett verzichten und uns möglichst viel ermöglichen als gleichberechtigte Eltern für unseren Sohn. Das sagt sich leichter, als es sich in der Praxis lebt. Wie schafft man es, die Aufgaben aufzuteilen, ohne zum kleinlichen Erbsenzähler zu werden? Und wie schaffen wir es, gegenseitig Freiräume auszuhandeln?

Wir wollen auch wissen, wie es anderen geht! Wir suchen diverse Erfahrungen im Umgang mit Kinderwünschen, Schwangerschaft und Elternsein. Wo findet ihr Hürden? Welche Erkenntnisse habt ihr gewonnen? Erzählt uns von euren Erfahrungen in unserer Umfrage:

 
Über den Autor und die Autorin:
Dominik & Matthäa sind Wiener, leben aber derzeit in Berlin. Wenn Dominik nicht gerade in Elternzeit ist, arbeitet er hauptsächlich für die Onlineredaktion des rbb als Datenjournalist. Nach der Babypause arbeitet die Architektin Matthäa nun wieder als Wissenschaftliche Mitarbeiterin und nebenberufliche Gleichstellungs- und Frauenbeauftragte an der TU Berlin.


Redaktion: Theresa Bäuerlein; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.