Jeder Satz hat seine Zeit. Braucht also ein gewisses Timing, damit er seine volle Schlagkraft entfalten kann, so ähnlich wie die Liebe. Oder wie dieser Satz von Sibylle Berg (der leider mit Liebe nicht sooo viel zu tun hat): „Fassen wir zusammen. Ein paar Männer treiben gerade das Aussterben der Menschheit hektisch voran.” Sie postete ihn auf Facebook, es ist schon eine Weile her, um damit folgende Meldung anzuteasern: Donald Trump hatte gerade verkündet, er wolle die Wälder Alaskas zur Abholzung freigeben. Zeitgleich wüteten die massiven Brände im Amazonas. Man kann Bergs Satz jetzt wieder aus der Schublade ziehen, denn er würde auch zu dieser Meldung passen: Donald Trump hat offiziell den Rückzug der USA aus dem Pariser Klimaabkommen eingeleitet.
Erst fand ich den Satz von Sibylle Berg urkomisch; ich bin ein großer Fan von ihr. Außerdem ist sie Feministin, ich bin es auch. Im zweiten Moment dachte ich: „Recht hat sie!“ Dann, nach einer Weile, ärgerte ich mich. Es dauerte etwas, bis ich verstand, warum.
Bergs Satz hängt indirekt mit einem anderen Gedanken zusammen, der dieser Tage durch den öffentlichen Raum wabert. Nämlich der, dass Frauen die besseren Menschen seien.
Was haben Greta, Cortez und Rackete gemeinsam?
Die Frage, welches der beiden Geschlechter denn nun „besser“ sei, ist ja überhaupt nicht neu. Leider. Sie wird im Zusammenhang mit der Frage nach der Deutungshoheit der Geschlechter immer wieder gestellt. Bloß ist die Lage neuerdings eine andere. Wer einen vermeintlichen Beweis für die These der moralisch überlegenen Frauenwelt erbringen wollte, müsste gar nicht lange suchen. Er oder sie müsste sich nur anschauen, was dieser Tage los ist in unserer Welt.
Da ist Greta Thunberg, die vehement für eine bessere Klimaschutzpolitik kämpft, oder die deutsche Version in Person von Luisa Neubauer. Da ist Carola Rackete, oder Pia Klemp, die ebenfalls als Kapitänin ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet hat und der jetzt in Italien in einem Verfahren 20 Jahre Haft und saftige Geldstrafen drohen. Da ist Alexandria Ocasio-Cortez, mit 30 Jahren die jüngste Abgeordnete, die je in den US-Kongress gewählt wurde, die keine Angst hat vor Donald Trump, auch nicht vor Mark Zuckerberg .
Da ist die junge senegalesische Unternehmerin Fatoumata Ba, die Geld in junge afrikanische Start-ups mit guten Ideen investiert und die schon vor mehreren Jahren eine Art afrikanisches Amazon gegründet hat und dabei auch gezielt auf Kleinunternehmen setzte. Da ist Queen B, also Beyoncé, die mit ihrer Musik Tausende von schwarzen Mädchen empowert und ihnen Selbstbewusstsein schenkt. Da ist die junge Pakistani Malala Yousafzai, die 2014 den Nobelpreis bekommen hat, weil sie sich auch nicht von einem Kopfschuss der Taliban in ihrem Engagement für Kinderrechte und faire Bildungschancen bremsen ließ. Da ist die junge Nadia Murad, Sonderbotschafterin der Vereinten Nationen für Menschenhandel, die selbst einmal als Jesidin Gefangene des IS war und nun für ihr Volk kämpft.
Der Protest gegen die Klimakrise ist vorwiegend weiblich
Und da sind die Zahlen, die Forscher vom Berliner Institut für Protest- und Bewegungsforschung ermittelt haben. Sie verglichen die Gender-Verteilung der Fridays-for-Future-Proteste in 13 europäischen Städten und stellten erstaunt fest: Der Protest für mehr Klimaschutz ist vorwiegend weiblich. In Amsterdam, Warschau und der englischen Stadt Truro waren 70 Prozent der Demonstrierenden unter 20 Jahren Frauen, nur in zwei der 13 Städte (Brüssel und Lausanne) gingen mehr junge Männer als Frauen auf die Straße.
Sieht also ganz so aus, als seien Frauen wirklich die besseren Menschen, oder? Und als würde ihnen, zumindest medial, nun endlich die Aufmerksamkeit zuteil, die ihr Engagement und ihr Auftreten verdienten – die Zeit schrieb im Sommer im Zusammenhang mit Fridays for Future gar von der „Weltherrschaft der Mädchen“.
Man könnte also wirklich denken, die Öffentlichkeit würde das Tun der „neuen Heldinnen“ nun anerkennen, als stecke ein Fortschritt in dieser Betrachtung. Als wäre es, quasi im Umkehrschluss, auch zutreffend anzunehmen, die Welt würde allein durch Männerhand zugrunde gehen, und als wäre damit in der Konsequenz doch klar, wer hier moralisch auf dem absteigenden Ast sitzt: die Männer eben. Nicht nur wegen Donald Trump, sondern auch wegen Jair Bolsonaro, Boris Johnson, Viktor Orban und wie sie alle heißen.
Ich bin kein Fan von Donald Trump. Auch nicht von den anderen genannten Herren. So viel sei vorab gesagt. Vielleicht war Bergs Satz auch nur als Provokation gedacht, reine Satire. Aber mich ärgert die dichotome Sichtweise, mit der die Vorgänge in der Welt gerade mal wieder betrachtet werden, trotzdem – genauso wie es mich ärgert, wenn dieser Tage jemand ernsthaft denkt, Frauen seien die besseren Menschen, nur weil es neuerdings Figuren wie Greta Thunberg, Carola Rackete oder Fatoumata Ba in der medialen Öffentlichkeit gibt.
Der Satz bedient ein abgegriffenes Klischee
Denn was all diese Stimmen nicht sehen, ist die positive Diskriminierung, die in diesem Satz steckt. Die – und daran ist leider gar nichts neu – ein abgegriffenes Klischee bedient und deswegen nicht viel mehr ist als ein uraltes Narrativ: Frauen stehen für das Soziale, das Gute, sie sorgen sich um ihre Umwelt und ihre Mitmenschen. Männer hingegen stehen für das Böse, für den Machtmissbrauch, ein übersteigertes Ego. Der Satz „Frauen sind die besseren Menschen“ hat deswegen überhaupt nichts Fortschrittliches. Schon gar nicht ist er ein Zeichen von weiblicher Emanzipation.
Im Gegenteil, er ist sogar sexistisch (übrigens auch Männern gegenüber): Weil dieser Satz nicht anderes tut, als die Welt in die beiden Sphären weiblich und männlich einzuteilen, weil er beide Sphären mit vermeintlichen „Geschlechtscharakteren“ besetzt – und Frauen noch nicht einmal zugesteht, böse sein zu können. All das hat eine Jahrhundertelange Tradition.
Deswegen hat Luisa Neubauer recht, wenn sie sagt: „Dass Frauen mitfühlender sind und sich deshalb mehr für Umweltschutz interessieren, hört sich für mich wie eine patriarchale Erzählung an.“ Man feiert die „neuen Heldinnen“ (nebenbei hasst man sie auch ein bisschen, noch so eine patriarchale Erzählung: Misogynie) – und blickt doch wieder nur durch die alte, patriarchale Brille auf sie: Die Frau als eindimensionales Wesen, die das Gute schlechthin verkörpert. Mehr scheint man ihr offenbar noch immer nicht zuzutrauen.
Die Macht haben immer noch die Männer
Denn die oben genannten Damen stehen ja tatsächlich im Kampf für eine bessere Welt – aber nicht in einem Amt. Die Macht haben meist immer noch: Männer. Frauen sind noch nicht einmal in der Position, die Welt zugrunde richten zu können – sie besetzen die dafür nötigen Ämter noch nicht einmal.
Vielleicht stünde die Welt an genau demselben Punkt, wenn statt Donald Trump, Jair Bolsonaro, Viktor Orban und Boris Johnson ausschließlich Frauen in den entsprechenden Ämtern säßen? Wer weiß das schon? Richtig: niemand.
Jeder Satz hat seine Zeit. Und jede Zeit braucht die richtigen Worte. Wie wäre es mit diesem hier: Ist doch wurscht, ob Frau oder Mann für eine bessere Welt kämpft – Hauptsache, genügend Menschen tun es!
Redaktion: Bent Freiwald; Schlussredaktion: Vera Fröhlich.