Das Abtreibungsrecht in Deutschland vermittelt vielen Frauen das Gefühl, etwas Unrechtes zu tun, und fördert die Stigmatisierung. Das betonen Frauenrechtlerinnen immer wieder und fordern, die Selbstbestimmungsrechte der Frauen voll zu respektieren. Doch in Deutschland wägen die Gesetze zum Schwangerschaftsabbruch die Rechte der schwangeren Frau gegen die des ungeborenen Lebens ab. Der Gesetzgeber hat sich entschieden, auch die Perspektive des Ungeborenen einzunehmen und seine Schutzbedürfnisse zu berücksichtigen.
Was muss eine Frau wissen, die ihre Schwangerschaft beenden will?
Wenn eine Frau ihr Kind also nicht austragen kann oder möchte, kann sie es bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei abtreiben lassen. Allerdings ist sie verpflichtet, sich vorher beraten zu lassen. Nachdem der Beratungsschein ausgestellt ist, muss sie drei Tage verstreichen lassen, bevor sie abtreiben lassen kann. Nach der 12. Schwangerschaftswoche ist es illegal und kann in besonders schweren Fällen mit bis zu sechs Jahren Freiheitsentzug bestraft werden.
Die Diskussion über diese Regelung wird oft sehr emotional geführt. Die Sichtweise, dass die Gesetze zu restriktiv sind, prallt auf die Meinung derjenigen, die sagen, dass ungeborenes Leben zu wenig geschützt wird. Egal, zu welcher Gruppe man gehört – die Frage, warum Schwangerschaftsabbrüche eigentlich im Rahmen des Strafgesetzes geregelt sind, ist interessant.
Gibt es dafür keinen besseren Platz in unseren Gesetzbüchern?
Auch KR-Leserin Ruth fragt sich das. Sie sagt: „Ich kann nicht verstehen, warum Schwangerschaftsabbrüche nicht unter medizinischen und moralischen Fragestellungen diskutiert werden, sondern unter kriminellen.“ Um das besser zu verstehen, ist es zum einen wichtig, sich die Geschichte des Gesetzes anzuschauen. Und zum anderen die einzelnen Gesetzesteile.
In Deutschland regeln die Paragrafen 218 bis 219b des Strafgesetzbuchs (StGB) die Schwangerschaftsabbrüche. Sie stehen im Strafgesetzbuch hinter denen zu Mord und Totschlag. Paragraf 218 stellt den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe, und Paragraf 218a erklärt, unter welchen Voraussetzungen eine Abtreibung straffrei bleibt. Dass für Schwangerschaftsabbrüche nicht geworben werden darf, ist in Paragraf 219a geregelt.
Die Voraussetzungen, unter denen ein Schwangerschaftsabbruch straffrei bleibt, sind:
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Die schwangere Frau nimmt Beratung in Anspruch und kann das durch einen Beratungsschein belegen, und
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sie lässt frühestens drei Tage nach Ausstellung des Beratungsscheins von einer Ärztin oder einem Arzt die Schwangerschaft abbrechen, der nicht an dieser Beratung teilgenommen hat.
Darüber hinaus kann eine Abtreibung sogar bis zur 22. Schwangerschaftswoche straffrei bleiben, vorausgesetzt
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es liegen medizinische Gründe vor, die einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen, oder
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die Frau wurde vergewaltigt.
Das alles wird in Paragraf 218a geregelt.
Warum gelten Abtreibungen überhaupt als Unrecht?
Sobald sich eine befruchtete Eizelle in der Gebärmutter einnistet, steht dieses Leben unter gesetzlichem Schutz. Das ungeborene Kind hat also ein Recht, am Leben zu bleiben. Die schwangere Frau hat gleichzeitig ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung. Das heißt, sie kann nicht zu einer Schwangerschaft gezwungen werden. Der Gesetzgeber hat nun die Aufgabe, das Recht des Ungeborenen mit dem der Mutter in Einklang zu bringen.
In Deutschland hat sich der Gesetzgeber entschieden, Abtreibungen grundsätzlich zu verbieten, aber in Ausnahmefällen straffrei zu stellen. Das Bundesverfassungsgericht hat das 1993 so begründet: „Das Lebensrecht des Ungeborenen darf nicht, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit, der freien, rechtlich nicht gebundenen Entscheidung eines Dritten, und sei es selbst der Mutter, überantwortet werden.“
Trotzdem können die Rechte der Schwangeren nicht absolut den Rechten des ungeborenen Lebens untergeordnet sein. Auch in diesen Fällen gilt weiterhin, dass der Schwangerschaftsabbruch aus gesetzgeberischer Sicht ein Unrecht ist, das aber geduldet wird.
Aber bleibt da nicht ein Dilemma?
Die Frage ist, wie man mit dem Dilemma umgeht. Wenn man festlegt, dass ein Schwangerschaftsabbruch bis zu einem bestimmten Zeitpunkt kein Unrecht mehr sein soll, muss man dann nicht dem ungeborenen Leben die zuerkannten Rechte absprechen? Denn die ganze Diskussion fußt ja darauf, dass man das Recht eines Individuums (der Schwangeren) zugunsten der Rechte eines anderen Individuums (des Babys) zurückstellt.
Das ist in der Tat mehr eine rechtsphilosophische und medizinethische Frage, die gesellschaftlich ausgehandelt werden muss. An verschiedenen Stellen habe ich gelesen, dass es doch auch kein Gesetz gebe, das in die Geschlechtsorgane des Mannes eingreift. Dieses Argument hinkt. Niemand bestimmt darüber, ob ich meine Eizellen schädige, mich sterilisieren lasse oder sonst was mit meinen Geschlechtsorganen anstelle.
Problematisch wird es aber – und das trifft in der Natur der Sache eben nur die Frau – wenn zwei Lebewesen betroffen sind. Hier müssen wir eine Entscheidung als Gesellschaft treffen. Welche Rechte gestehen wir dem entstehenden Leben zu? Zwangsläufig betrifft diese Entscheidung dann auch die Frau, in der das Leben entsteht. Das hat weitreichende Konsequenzen, aber für mich nichts mit einer Diskriminierung von Frauen zu tun.
Wie könnte man die Rechte der betroffenen Frauen stärker berücksichtigen?
Es kann auch eine gesellschaftliche Entscheidung sein, dem entstehenden Leben keine Rechte oder abgestufte Rechte zuzuerkennen, dann wäre dieses Dilemma vielleicht gelöst. Argument hierfür könnte sein, dass das Leben nun mal unabhängig von der Mutter nicht entstehen würde, und sich die Interessen des werdenden Lebens deshalb unterordnen müssten, zumindest im Frühstadium der Schwangerschaft.
So in etwa war auch die Argumentation zweier an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts mitwirkenden Richter im Jahre 1993. Diese Richter votierten dafür, dass aufgrund der besonderen Rechtsposition der Frau, die am Ende ja auch die Konsequenzen zu tragen habe, die Frau im Frühstadium der Schwangerschaft das Letztentscheidungsrecht haben müsse. Das Bundesverfassungsgericht ist in seinem Urteil dieser Einschätzung allerdings nicht gefolgt.
Warum steht das Abtreibungsverbot überhaupt im Strafgesetzbuch?
Die Verankerung des Abtreibungsverbots im Strafrecht wird nachvollziehbarer, wenn man sich vorstellt, dass die Schwangerschaft auch durch Einwirkungen von außen gegen den Willen der Mutter beendet werden kann – zum Beispiel, wenn ihr jemand in den Bauch tritt, sie schlägt oder sie mutwillig einer Situation aussetzt, die dazu führt, dass das Kind stirbt. Ansonsten wäre in diesen Fällen keine juristische Strafverfolgung möglich.
Und worum geht es im Aufregerparagrafen 219a?
Wurde in den 1980er Jahren vor allem um die Abschaffung des Paragrafen 218 gerungen, geht es im Moment vor allem um das sogenannte Werbeverbot für Abtreibungen. Ausgelöst wurde die Debatte von einem Gerichtsverfahren gegen einige Ärzte, die auf ihren Webseiten Informationen über Schwangerschaftsabbrüche zur Verfügung gestellt hatten und dafür verklagt wurden.
Grundlage dafür ist Paragraf 219a, der sagt, dass mit Sanktionen rechnen muss, wer
- öffentlich,
- seines Vermögensvorteils wegen oder
- in grob anstößiger Weise
eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines
Schwangerschaftsabbruchs oder entsprechende Mittel oder Verfahren
- anbietet,
- ankündigt,
- anpreist oder
- Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt.
Die Frage, die sich zu Recht derzeit die Öffentlichkeit stellt, ist: Welchem Zweck dient die Vorschrift eigentlich? Einige Kabarettisten wiesen bereits darauf hin, dass sich wohl keine Frau aufgrund der Information über die Möglichkeit, die Vorgehensweise und die Kosten eines Schwangerschaftsabbruchs spontan dazu entscheidet, sowas dann einfach mal auszuprobieren.
Warum wollen die Befürworter den Paragrafen 219a beibehalten?
Der heutige Sinn dieser Vorschrift wird wohl überwiegend – sofern ihr überhaupt in der geltenden Fassung ein Sinn zugesprochen wird – darin gesehen, dass sie einem kollektiven Wahrnehmungsverlust gegenüber dem ethischen Problem entgegenwirken soll, der mit jedem, auch einem gerechtfertigten Schwangerschaftsabbruch verbunden ist. Andere gehen davon aus, dass die Vorschrift mittelbar dem Schutz des ungeborenen Lebens dient, was aber wenig überzeugt, weil das ungeborene Leben bei rechtmäßigem Schwangerschaftsabbruch ja nicht geschützt wird.
Der Paragraf ist auch deshalb problematisch, weil er nicht zwischen dem Bewerben eines strafbaren und dem eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs unterscheidet. Damit wird ein Verhalten kriminalisiert, das zu einer erlaubten Handlung gehört.
Andererseits hat das Bundesverfassungsgericht 1993 klargestellt, dass ein Schwangerschaftsabbruch, auch wenn unsere Rechtsordnung ihn unter bestimmten Voraussetzungen toleriert, nicht als „etwas Normales“ angesehen werden soll. Deshalb wird der Paragraf zum Teil so bewertet, dass er als Schutzkonzept dient.
Die Frage ist, ob man Ärztinnen dafür kriminalisieren muss, wenn sie sachlich über Schwangerschaftsabbrüche informieren. Denn das greift in die Berufsfreiheit der betroffenen Ärztinnen und Ärzte ein, was ebenfalls verfassungsrechtlich bedenklich ist. Außerdem ist Ärzten bereits nach dem Berufs- und Standesrecht sowie dem Heilmittelwerbegesetz verboten, reißerische Werbung für von ihnen angebotene Methoden zu machen.
Seit wann stehen Abtreibungen und die Werbung dafür unter Strafe?
Die Wurzeln des Abtreibungsverbots reichen bis in die Antike zurück. Zur Zeit der römischen Herrschaft und im Mittelalter waren Abtreibungen unter Strafe verboten. Im Deutschen Kaiserreich waren sie ebenfalls strafbar und zur Nazi-Zeit sowieso. Die Begründungen für das Verbot variierten allerdings. Lange standen dabei bevölkerungspolitische Interessen im Vordergrund, so auch wieder unter der nationalsozialistischen Gesetzgebung. Heute ist der Schutz des ungeborenen Lebens Hauptziel der Gesetzgebung.
Das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche, also der Paragraf 219a, entstand allerdings erst mit der ersten nationalsozialistischen Strafrechtsreform am 26. Mai 1933. Zwar hatte es auch schon in der Weimarer Republik Gesetzesentwürfe für ein Werbeverbot gegeben, aber das NS-Regime beschloss eine Variante, die zum Teil drakonische Strafen dafür vorsah bis hin zur Todesstrafe.
Die Todesstrafe wurde 1945 aus dem Gesetz gestrichen, aber das Werbeverbot blieb erst einmal bis zur Reform 1974 bestehen. Zwar gab es seitdem noch einige Reformen des Abtreibungsrechts, aber der Inhalt des Paragrafen 219a ist seit 1974 gleichgeblieben. Am 6. Februar 2019 hat das Kabinett den Reformvorschlag zum Werbeverbot auf den Weg gebracht und damit den Weg für die Änderung des Paragrafen 219a geebnet.
Wie sieht der Reformvorschlag zu Paragraf 219a aus?
Im Zuge der Gerichtsverfahren gegen Ärzte, die Abtreibungen durchführen, kam es auch zu einigen Verurteilungen. Nun diskutieren auch Politiker über eine Reform des Paragrafen 219a. Er soll geändert werden. Dazu haben sich die Koalitionspartner von SPD und CDU/CSU auf einen Kompromiss geeinigt.
Er sieht vor, dass der Paragraf 219a nicht gestrichen wird. Das hatte sich die SPD gewünscht. Stattdessen wird er um einen vierten Absatz ergänzt, in dem steht, was weiterhin strafbar bleibt und was erlaubt ist. Demnach dürfen Arztpraxen und Kliniken, die Abtreibungen vornehmen, darüber informieren, dass sie das tun. Und sie dürfen auf Stellen verlinken, die weitere Informationen zu Methoden und Voraussetzungen erklären, wie zum Beispiel Ärztekammern und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. An diesen Stellen sollen künftig auch Listen abrufbar sein, die angeben, wo ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland gemacht wird. Diese Information soll es auch bei einem Hilfetelefon geben. Weiterhin verboten bleibt, dass Ärzte auf ihren Webseiten direkt informieren, wie eine Abtreibung vorgenommen wird.
Ärztinnen dürfen also weiterhin nicht medizinisch-sachliche Informationen bereitstellen. Selbst wenn die Ausführung des Abbruchs straffrei ist, die Information darüber ist es nicht. Dies gilt als Werbung und bleibt auch nach der Reform verboten.
Vielen Dank an KR-Mitglied Ruth für die Frage.
Die Autorin Juliane Boscheinen ist Rechtsanwältin und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsches, Europäisches und Internationales Medizinrecht, Gesundheitsrecht und Bioethik der Universitäten Heidelberg und Mannheim (IMGB) und Geschäftsführerin des Vereins zur Förderung des deutschen, europäischen und internationalen Medizinrechts, Gesundheitsrechts und der Bioethik in Heidelberg und Mannheim e.V.
Redaktion: Silke Jäger und Christian Gesellmann; Schlussredaktion: Vera Fröhlich und Bent Freiwald; Fotoredaktion: Martin Gommel.