Zum ersten Mal sehe ich Astrid Wagner in einer Dokumentation über Anwälte. Sie zeigt ihre Gaspistole her, lässt sich nur mit einem Handtuch umschlungen im Badezimmer dabei filmen, wie sie ihre Wimpern tuscht, rosa Lippenstift und Rouge aufträgt. Ihr Haar hängt in einem unordentlichen Dutt, die Katze sitzt in der Ecke. „Man soll trotz allem versuchen, den weiblichen Charme beizubehalten“, sagt sie, „das ist die Waffe der Frau.“
Astrid Wagner ist damals wie heute eine bildschöne Frau. Braune Haare, große Augen, breites Lachen. Ihre Statur ist zierlich, sie selbst laut, fordernd, schlagfertig. Männer liegen ihr zu Füßen. Manche denken, die Anwältin wäre eine Knastbraut, die sich an „wilden Männern“ aufgeilt, immerhin war sie mit einem mutmaßlichen Serienmörder liiert und spricht zärtlich von den Schicksalen ihrer grausamsten Mandanten. Oder eine, die draußen, in der echten Welt, keinen abkriegt und sich deswegen einen sucht, der nicht weglaufen kann.
Aber wenn man ihr persönlich begegnet, merkt man schnell, dass etwas an diesem Klischee nicht stimmt. Sie ist kein unsicherer Mensch, den man leicht manipulieren kann. Astrid Wagner ist eine Frau, die den Raum einnimmt, die immer Augenkontakt sucht und laut lacht. Vor Gericht improvisiert sie auch mal, anstatt sich stur an ihr Plädoyer zu halten.
Die Staranwältin verteidigt am liebsten Schwerverbrecher
Trotzdem ist sie Jack Unterweger auf den Leim gegangen. Der verurteilte Mörder ist in den 1990ern der Bad Boy der Literaturszene, reist durchs Land, seine Interviews sind heiß begehrt, die Frauen liegen ihm zu Füßen. Auch Astrid Wagner. Sie ist wird die wichtigste Frau in seinem Leben, besucht ihn im Knast, glaubt fest an seine Unschuld. Dann wird er wieder verhaftet. Unterweger soll elf Sexarbeiterinnen umgebracht haben. Manche nennen ihn das österreichische Pendant zu Jack The Ripper. Er stirbt im selben Jahr, in dem ich geboren wurde: 1994. Ich habe den Medienrummel um seine Festnahme und seinen Prozess nicht mitbekommen, kenne nur seinen Namen, aber nicht seine Geschichte.
Vielleicht ist Unterweger bis heute der Grund, warum Wagner am liebsten Schwerverbrecher verteidigt. Fakt ist: In Österreich gibt es um die 50 bis 70 Morde im Jahr. Strafverteidigerinnen müssen nicht zwangsläufig Mörder vertreten. Andere Delikte sind viel häufiger. Trotzdem wirbt die Anwältin um diese Klienten, nimmt viele Fälle pro bono an.
Ich frage mich, wie die selbstbewusste, erfolgreiche Anwältin mit den harten Augen und dem breiten Lächeln aus der TV-Dokumentation sich in einen Frauenmörder verlieben und für seine vermeintliche Unschuld kämpfen konnte – jahrelang. Findet sie gefährliche Männer einfach sexy, Gewalt anziehend? Oder glaubt sie wirklich, dass in diesen Tätern auch Unschuld steckt und man sie verteidigen muss?
Um das herauszufinden, habe ich Astrid Wagners Bücher gelesen, sie bei Gerichtsprozessen begleitet und stundenlang mit ihr in der kleinen Küche ihrer Kanzlei in der noblen Innenstadt Wiens gesprochen.
Eins ist mir dabei klargeworden: Man kann Astrid Wagner nicht verstehen, ohne ihre Geschichte mit Jack Unterweger zu kennen.
Die Tochter aus gutem Hause steht auf RAF-Terroristen
Ihre Faszination für gefährliche Männer fängt als Teenager an, also lange bevor sie mit Ende 20 Jack Unterweger kennenlernt. Als Teenager steht sie auf Andreas Baader. Sie wird 1963 in eine konservative Familie hineingeboren, in der die Rollen klar verteilt sind. Papa arbeitet, Mama schmeißt den Haushalt und kümmert sich um die Kinder. Sie hat einen großen Bruder und eine kleine Schwester, ist die frechste von den dreien und bietet dem herrischen Vater die Stirn.
Die Familie lebt in Österreich, dann für ein paar Jahre in Frankreich. Wagner besucht immer gutbürgerliche Schulen. Weil sie so oft umzieht, ist sie in der Klassengemeinschaft immer „die Neue“. Dem Mädchen macht das nichts aus, sie fühlt sich wohl in der Rolle der Außenseiterin.
Es gibt eine Geschichte, die Astrid Wagner immer wieder erzählt. Sie will damit zeigen, dass sie schon als Kind „Verteidigerin“ gespielt hat. Jürgen, ihr erster Freund und das jüngste von fünf Kindern, trägt eine schmutzige Schultasche, als er zur Schule kommt. Dafür wird er von den anderen Kindern gehänselt. Das Mädchen schreitet ein und stärkt ihm den Rücken. Sie ertrug die Ungerechtigkeit nicht, sagt sie heute. Hatte sie keine Angst, selbst zur Zielscheibe zu werden, frage ich sie in der Küche der Kanzlei, während alle paar Minuten ihr Telefon klingelt. „Überhaupt nicht”, sagt sie.
Wagner ist gleichzeitig schüchtern und freizügig
Dann erzählt sie etwas, das mich verwundert, das nicht zum Bild der knallharten Kämpferin passt: In ihrer Schulzeit in Paris gilt Astrid Wagner als schüchtern – das steht sogar im Klassenheft. Ein bisschen schüchtern sei sie immer noch. „Ich bin keine Gesellschaftskanone“, sagt sie. Sie geht nicht gern auf große Partys, lieber in den Wald.
Gleichzeitig postet sie viel auf Facebook, auch gerne private Schnappschüsse mit ihrer Gaspistole oder mit freiem Rücken vor dem Meer, und wenn sie einmal anfängt zu reden, hört sie nicht mehr so schnell auf, erzählt eine Anekdote nach der anderen. Die Grenze zwischen Privat- und Berufsleben ist verschwommen – gerade bei ihrer Beziehung mit Jack Unterweger. Wen man warum liebt, das ist extrem persönlich. Trotzdem teilt sie ihn, ihren „Jack“, mit allen, die zuhören möchten.
Astrid Wagner ist erst 11 Jahre alt, als Jack Unterweger ein 18 Jahre altes Mädchen in ein Waldstück bringt und dort mit einer Stahlrute ermordet. Zu dem Zeitpunkt ist er 24 Jahre alt. Er wird gefasst, das Urteil: lebenslänglich.
Mit 13 Jahren zieht Wagner mit ihrer Familie nach Fürstenfeld in der Steiermark. In der kleinen Stadt leben heute rund 8.500 Menschen.
Das Mädchen fühlt sich von den Konventionen in der Kleinstadt eingeengt. „Dort war alles so festgefahren“, sagt sie. Sie protestiert auf ihre Art gegen das bürgerliche Elternhaus und die Disco-Bewegung, die sie „seicht“ findet. Sie liest politische Bücher aus linken Buchhandlungen, und mit 14 Jahren entwickelt sie eine Faszination für die RAF. Sie nennt das ihr „politisches Erwachen“. Links ist sie immer noch, „fast anarchistisch“, sagt sie lachend.
Der Mörder Unterweger wird als Knastliterat berühmt
Während Astrid Wagner sich also mühsam gegen die öde Bürgerlichkeit wehrt, wird Jack Unterweger im Gefängnis als Autor berühmt, man nennt ihn den „Häfnliterat“ (Häfn = österreichisch für Knast). Er schreibt Gedichte, Erzählungen, es ist aber sein autobiografischer Roman, der ihn bekannt macht. Das Buch wurde inzwischen zwei Mal verfilmt.
In den 1980ern gibt er Interviews, spricht über seine schlimme Kindheit, die Suche nach seiner Mutter. Er sieht sein Leben vor der Haft als eine „ewige Flucht”. „Fegefeuer“ – so nennt Unterweger seinen autobiografischen Roman. Ein bisschen habe er aber geschummelt, sagt der Unterweger-Biograf John Leake in Interviews. Denn lange Zeit tut Unterweger so, als wäre seine Mutter Sexarbeiterin gewesen. Laut Leake war sie allerdings Kellnerin.
Intellektuelle setzen sich für Unterwegers Freilassung ein
Unterweger hat Glück. In den 1970er und 1980er Jahren herrscht in Österreich eine sozialromantische Vorstellung von Kriminellen. Die Täter werden zu Opfern gemacht. Weil sie eine schlimme Kindheit hatten, ihnen ein Sicherheitsnetz fehlt und die Gesellschaft sie verachtet, verletzen sie andere Menschen. Man sucht nach einem befriedigenden Grund, der erklären soll, wieso Mörder und Vergewaltiger gar nicht anders konnten, als ein Verbrechen zu begehen.
Die Gesellschaft ist schuld, nicht der einzelne Mensch. Das ist die gesellschaftliche Stimmung, in der Jack Unterweger aus dem Gefängnis ein Star werden konnte. Zahlreiche Intellektuelle und Künstlerinnen setzten sich für seine Freilassung ein. In Freiheit soll Unterweger beweisen, dass Täter keine Täter bleiben müssen, dass Menschen sich ändern können und das Gefängnissystem funktioniert.
Wagner beschreibt die Verfilmung von „Fegefeuer“, die 1988 in die Kinos kam, als „Kultfilm der intellektuellen Linken“. Sie ist tief beeindruckt und kauft sich nach der Kinovorstellung sofort zwei von Unterwegers Büchern. Sie hat sich inzwischen ein eigenes Leben aufgebaut. Mit 25 Jahren studiert sie Rechtswissenschaften in Graz, wohnt mit ihrem Freund in einer kleinen Wohnung, sie essen aus Konservendosen und sind glücklich.
1990 ist sowohl für Wagner als auch für Unterweger ein großes Jahr. Sie schließt ihr Studium ab. Er kommt nach 15 Jahren Haft frei.
Neuer Verdacht: Er soll elf Sexarbeiterinnen umgebracht haben
Nach zwei Jahren Freiheit, Ruhm und nachdem er mit 152 Frauen im Bett war, so zählt Unterweger es in seinem Tagebuch mit, ist seine Glückssträhne plötzlich vorbei. Das Grazer Landesgericht erlässt einen Haftbefehl gegen ihn. Er soll elf Sexarbeiterinnen ermordet haben. Die Polizei kann beweisen, dass er auffällig oft in der Nähe der Tatorte war. Unterweger flieht mit seiner 17 Jahre alten Freundin nach Miami.
Sein Versteckspiel landet auf den österreichischen und deutschen Titelseiten: „Mord-Dichter auf der Flucht“ (Bild), „Jack Unterweger der Ripper aus Österreich“ (tz), „Literat Jack Unterweger als Serienmörder gesucht“ (Die Presse). Und der Spiegel fragt: „Schlug der ‚Hurenwürger‘ nach der Entlassung auf Bewährung nun wieder zu?“
Unterweger telefoniert aus seinem Versteck in Miami mit den Zeitungen und beteuert seine Unschuld. Lieber werde er sich umbringen, als noch einmal ins Gefängnis zu gehen, sagt er. Einer Geliebten in Wien erzählt er von seinem Versteck in Miami. Über Umwege verhaftet ihn die örtliche Polizei in einer Postfiliale in Los Angeles. Die US-amerikanische Justiz überstellt Unterweger nach Österreich, wo er in Untersuchungshaft landet und sofort versucht, sich das Leben zu nehmen.
Aus den Medien erfährt Astrid Wagner, sie ist jetzt 29 Jahre alt, von Unterwegers Suizidversuch. Was macht die junge Frau? Sie schreibt dem vermeintlichen Serienmörder einen Brief:
„Sehr geehrter Herr Unterweger! Ich bin eine junge, kritische Juristin und verfolge seit einiger Zeit die Geschehnisse um ihre Person. Sie sollten wissen: Es gibt durchaus noch Menschen in diesem Land, die Sie noch nicht vorverurteilt haben!“
In einem Buch zeigt Wagner den Mörder als Menschen
Es dauert nicht lang, bis sie ihn im Gefängnis besucht. „Ich habe ihn mir anders vorgestellt“, schreibt Wagner über das erste Treffen in ihrem Buch „Verblendet“. „Er ist unglaublich blass, und alles an ihm wirkt irgendwie zerknittert.“ Trotzdem verliebt sie sich in ihn.
„Vielleicht habe ich ihn mit der rosaroten Brille gesehen“, sagt sie in der Küche in ihrer Kanzlei. Sie hat uns Kaffee gemacht, schwarz, ohne Zucker. Ihre Verliebtheit habe aber nichts damit zu tun gehabt, dass sie den angeblichen Serienmörder wegen seiner Ausstrahlung erotisch fand. „Im Gegensatz zu jemandem in Freiheit, der’s mir richtig besorgen kann, zwei Jahre mit jemandem im Häfn romantisieren?“, fragt sie.
Es gibt Interviews mit Jack Unterweger und Dokumentationen über ihn. Ich finde seine leiernde Art zu sprechen unsympathisch, seine kleinen, traurigen Augen irgendwie lächerlich, genauso wie seinen biederen Seitenscheitel. Er sieht durchschnittlich und normal aus, den Mörder würde man ihm nicht zutrauen. Vielleicht hat das die Anziehung ausgemacht: der Widerspruch zwischen seinen feinen, zerbrechlichen Zügen und seinen grausamen Taten.
„Verblendet“ heißt das Buch, das die Juristin über ihre Beziehung zu Jack Unterweger geschrieben hat. Es zeigt, wie der berühmteste Mörder Österreichs als Mensch war. Die beiden sind liebevoll zueinander, machen Scherze. Er schreibt ihr: „Weißt du was schön ist? Wenn eine viertel Stunde reicht, dass man noch am Abend, vor einschlafen, 24 Stunden später … lächeln kann. Bis jetzt.“ In einem anderen Brief nennt er sie Kuschelmonster und deutet die sexuelle Spannung zwischen den beiden an, trotz der Glasscheibe, die sie trennt: „So, auf sachlich, sonst brennt da was unten.“
Wagner beschreibt ihn als feinsinnigen Mann mit schlimmer Vergangenheit, dem die größte Ungerechtigkeit angetan wird. Sie weiß, dass er den Mord an dem 18 Jahre alten Mädchen begangen hat, den hat Unterweger schon damals zugegeben. Dass ihr Geliebter ein Mörder ist, verdrängt sie aber.
Die „Unterweger-Freundin“ halten viele für nicht tragbar
Mit Wagners langjährigem Freund ist bald Schluss. Ihre beste Freundin bricht den Kontakt zu ihr ab. Mit jemandem wie Unterweger will sie nicht mal indirekt etwas zu tun haben, sagt sie. Die Anwältin vermutet heute, dass ihre Freundin Angst um ihre Karriere hatte. Sie selbst ist zu dem Zeitpunkt in der Mietervereinigung Graz, wird sogar Landesvorsitzende. Die Verbindung zum prominenten Häftling macht ihr zu schaffen. Ihr Chef erhält immer wieder anonyme Briefe, sie sei nicht „tragbar“ als „Unterweger-Freundin“.
Wagner lässt sich nicht beirren, besucht Jack Unterweger, erledigt für ihn Anrufe und wäscht seine Kleidung. In ihrem Buch sind Briefe aus dieser Zeit abgedruckt. Er nennt sie „Butzi“, sie ihn „Jacky“ und macht es sich zur Aufgabe, seinen Namen reinzuwaschen.
Sein Humor gefällt ihr, die Neckereien. Außerdem fühlt sie sich frei, niemandem verpflichtet und trotzdem geliebt. In ihrer heutigen Kanzlei sagt sie: „Er hat wirklich gut geschrieben, war ein hochintelligenter, brillanter Mensch. Ich glaube nicht, dass alles nur gespielt war. Er hat einen furchtbaren Mord begangen, aber er ist immer noch ein Mensch.“
Unterweger wird schuldig gesprochen und erhängt sich
Zwei intensive Jahre dauert es, bis Unterweger der Prozess gemacht wird. Sein Anwalt rät Wagner, Interviews zu geben. Sie solle ihre Liebe für ihn und seine Unschuld beteuern. Die Medien schreiben über sie als Geliebte, Vertraute, als naive junge Frau. Dabei ist die Juristin inzwischen 30 Jahre alt. Eine Kolumnistin der berüchtigten Kronen Zeitung schreibt während des Prozesses über sie: „Sie ist gescheit, sie ist Juristin, sie ist jung. Es wäre schade, wenn sie an dieser Geschichte verbrennt.“
„Ich war damals jung, und da war ich eben das Opfer“, kommentiert Wagner heute achselzuckend die Berichte von damals.
Sie kämpft um sein Leben und scheitert. In ihrem letzten Brief an ihn schreibt sie: „So, Schatz, Du sturer Bock, schreib dir das ein für allemal hinter die Ohren, ich LIEBE Dich und bin GLÜCKLICH darüber.“ Sie ahnt, dass er sich etwas antun wird und hofft, dass ihre Liebe ihn retten kann. Vergeblich. Nachdem Unterweger in erster Instanz schuldig gesprochen wird, erhängt er sich mit der Kordel seiner Trainingshose, die sie ihm geschenkt hat. Ihren letzten Brief hat er nicht mehr erhalten.
Astrid Wagner bricht zusammen, als sie von seinem Suizid erfährt. Sie wollte ihn heiraten, sich mit ihm durch die nächsten Instanzen kämpfen. Unterwegers Urteil ist nie rechtskräftig geworden. Nach dem Gesetz gilt für ihn immer noch die Unschuldsvermutung.
Die Faszination des Bösen als Antrieb?
Unterweger ist tot, doch Wagner kämpft immer noch, will seinen Namen reinwaschen. Sie schreibt ein Buch über den Prozess, das Gericht verbietet es. Ihr Chef bei der Mietervereinigung legt ihr nahe, den Job aufzugeben. Sie geht nach Wien und macht bald ihre eigene Kanzlei auf.
Für die Klatschpresse ist sie bis heute „die Geliebte von Jack Unterweger“. Das stört sie nicht. Sie habe aus der Not eine Tugend gemacht, sagt sie. Im Februar wird ihr nächstes Buch erscheinen. Es ist Jack Unterwegers Prozesstagebuch, das vierte Buch, das sie über ihn schreibt.
25 Jahre sind inzwischen vergangen. Astrid Wagner sitzt in ihrer Kanzlei vor mir, makellos geschminkt, trägt einen grünen Jeans-Overall und Sneaker von Calvin Klein. An der Wand hängt ein Porträtfoto von ihr mit Katze. Sie kommt frisch vom Friseur, hat deswegen unseren Termin verschoben und verlässt immer wieder die Küche, um zu telefonieren. Sie ist gleichzeitig nahbar und extrem schwer festzumachen.
Ist sie immer noch die naive junge Frau von damals, die bei den schlimmsten Tätern vor allem deren Unschuld sieht? Oder treibt sie das Gegenteil an, die Faszination des Bösen?
Vielleicht muss man Wagner in ihrem Element sehen, um sie zu verstehen: vor Gericht. Drei Wochen nach unserem letzten Kaffee in der Kanzlei wage ich den nächsten Versuch: Ich werde mir ansehen, wie Wagner vor Gericht einen Mann verteidigt, der seine Frau mit 51 Messerstichen ermordet hat.
Dies ist der erste Teil meines Porträts der österreichischen Staranwältin Astrid Wagner. Im zweiten Teil beschreibe ich, was freizügige Fotos mit ihrem Erfolg als Anwältin zu tun haben, warum sie immer noch Kleinkriminelle um sich schart – und was passieren muss, damit selbst sie einen Fall abgibt.
Redaktion: Theresa Bäuerlein; Bildredaktion: Martin Gommel; Schlussredaktion: Vera Fröhlich.