Wie die Frauenförderung in der deutschen Start-up-Szene vor allem sich selber fördert

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Geschlecht und Gerechtigkeit

Wie die Frauenförderung in der deutschen Start-up-Szene vor allem sich selber fördert

25 Jahre Geld, Medien, Preise, Öffentlichkeit – und trotzdem kein Fortschritt: Es wird Zeit, dass wir die Förderung von Gründerinnen an Ergebnissen messen und nicht nur an ihrer Gutgemeintheit.

Profilbild von Von Christoph Räthke, Start-up-Unternehmer

13 Prozent – dreizehn Prozent.

Das war der Anteil der von Frauen gegründeten Start-ups in Deutschland im Jahr 2013. Quelle dieser Zahl ist der „Deutsche Startup Monitor“ (DSM).

In den fünf Jahren dieser Erhebung hat sich viel getan im Bereich Gründerinnenförderung. Kaum eine Woche verging, in der nicht eine neue Initiative in diesem Bereich gestartet wurde. In Berlin laden zum Beispiel die „Geekettes“ seit 2012 zu regelmäßigen Meetups und Hackathons ein. Edition F, gegründet 2014, ist ein Online-Magazin für ambitionierte Frauen, und die Gründerinnen und ihr Produkt wurden vielfach ausgezeichnet. Es ist eines von vielen neuen Medienprodukten, die Frauen zu mehr Selbständigkeit ermutigen.

Und auch die alten Medien haben den Schuss gehört; in allen Wirtschaftsblättern findet man mittlerweile Kolumnen von Frauen, die die Männerwirtschaft schelten und vor allem das hohe Gut der „Vernetzung“ preisen. Und es bleibt nicht bei Worten. Mit einer Crowd-Finanzierung von 380.000 Euro begann 2016 das Female Future Force Mentoring-Programm, nicht zu verwechseln mit den Future Females Meetups. Die EU lobt schon seit 2011 europaweite Female-Only-Gründerwettbewerbe aus.

Die Ikone des Female Empowerments ist Sheryl Sandberg, CO-Geschäftsführerin von Facebook. Ihr Buch „Lean In“ erschien 2013 und wurde zum Ankerpunkt einer globalen Bewegung – leanin.org –, die Forschung, aber auch Meetups und Selbstorganisation von beruflich ambitionierten Frauen unterstützt. So etwas wie die deutsche Antwort darauf erschien 2016 – „Die Lean Back Perspektive“, ein Buch mit 42 Geschichten erfolgreicher Frauen. Weibliche Role Models werden jährlich ausgezeichnet auf dem „Victress Award“, gerade gestartet ist der female-only „Ada Accelerator“, letzte Woche hat Microsoft einen Wettbewerb ausgerufen, dessen Preis 4 Millionen Dollar für zwei Frauen-gegründete Start-ups sind. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt; weibliche CEOs in Berlin veranstalten regelmäßige „Ladies Dinners“, Railsgirls bildet seit 2010 weibliche Programmierer aus, 2016 produzierte das Start-Up-Magazin „The Hundert“ eine Art Coffeetable Book mit 100 Gründerinnen und … und … und …

Eines haben all diese Aktivitäten gemeinsam: Sie werden von Medien und Politikern heftig umarmt, mit Inbrunst gefeiert, mit Förderprogrammen unterstützt. Wie auch nicht, bei so einer rundum guten Sache, die jeden glänzen lässt, der sich in ihren Dienst stellt? Und das ist hochverdient, denn dank dieser unermüdlichen Arbeit wuchs der Frauenanteil unter den Start-up-Gründern bei der letzten Erhebung im Herbst 2017 auf stolze …

14,6 Prozent.

Fünf Jahre einer explodierenden Medien- und Unterstützungslandschaft, 1,6 Prozentpunkte Wachstum. Und wenn man nur auf die „technischen“ Start-ups schaut, also Start-ups, die nicht zu denen gehören, die ich die „Fünf K der weiblichen Gründung“ nenne – also Kochen, Kinder, Klamotten, Kreatives und Koaching – sinkt die Quote von 14,6 auf 5 Prozent.

Bei diesem Tempo ziehen die Frauen erst im 22. Jahrhundert gleich

Dieser inhaltliche Fokus zieht einige Unannehmlichkeiten nach sich, denn die Gründung ist ja kein Selbstzweck, sondern muss etwas Profitables schaffen. In Deutschland aber liegt die Zukunft der sinnvollen, Risikokapital-finanzierungsfähigen Gründung im Bereich „B2B“ (Business-to-Business, also Produkte für Unternehmen und Industrien). Auch wenn der Laie immer nur vom Kleidungshändler Zalando und dem Kochlieferanten HelloFresh hört, die das Gegenteil symbolisieren: Über zwei Drittel der Start-ups sagen, dass sie hauptsächlich oder teilweise im B2B-Segment tätig sind, und diese Quote steigt schnell. Denn nicht nur sind die zehntausende Mittelständler und globalen Konzerne der große Standortvorteil Deutschlands, dessen Digitalisierung durch Start-ups ein riesiger Markt ist. Darüber hinaus sehen die meisten ein, dass Endkunden-Angebote enorme Marketing-Budgets brauchen, die nur in Amerika zu haben sind und ohne die man nicht wettbewerbsfähig ist (wie vor ein paar Wochen die Schließung des Selbstgemachtes-Shops Dawanda zeigte). Da Frauen aber ausgerechnet im B2B-Bereich besonders wenig gründen, bekommen sie auch viel weniger Risiko-Kapital, das die meisten Start-ups brauchen, um sich erfolgreich zu etablieren. Aber sei dem, wie es sei: In dem vom Deutschen Startup Monitor gemessenen Tempo erreichen wir die Gründungs-Parität erst im 22. Jahrhundert.

Die Gedanken, die ich mir angesichts dessen mache, sind nicht, ob Frauen grundsätzlich weniger befähigt zur Gründung sind. Dass das nicht so ist, weiß ich von den hervorragenden Gründerinnen und Unternehmens-Chefinnen, mit denen ich zusammenarbeite. Sondern, ob es nicht an der Zeit ist, der Frauenförderung einmal die Fragen zu stellen, die man auch sonst jeder Unternehmung stellt. Nämlich: Klappt das eigentlich, was ihr da macht? Nach welchen Kriterien bemesst ihr Erfolg? Bemesst ihr eure Wirkung überhaupt?

Ich selbst als herzlicher, treuer Freund der liberalen Wirtschaftsordnung habe ein absolut diesseitiges Interesse daran, dass es mehr Gründerinnen gibt. Mehr Gründerinnen bedeuten mehr ökonomische Gelegenheiten – Wachstum, Arbeitsplätze, Investitionen, Innovation – auf allen Ebenen, für Investoren, Mentoren, Groß- und Mittelstandsunternehmen. Davon sind wir weit entfernt, denn meiner Erfahrung nach ist die Realität sogar noch dramatischer, als sie sich aus den Umfragen ergibt. In der Bewerbungsphase zu meinem 2016/17er Start-up-Academy-Programm zum Beispiel erhielt ich 242 Bewerbungen aus der ganzen Welt; davon waren sage und schreibe sieben (7) von Frauen. Und das passt mir natürlich nicht.

Man muss entsprechend kein Sozialromantiker oder Feminist sein, um diese 14,6 Prozent und deren Schneckentempo zu bedauern. Denn obwohl der Anfangszeitpunkt meiner Argumentation 2013 ist: Ich selber arbeite seit 1995 professionell „im Internet“ und erinnere mich, dass diese neue Industrie seit den frühen Tagen als eine besondere Chance für Frauen eingeschätzt wurde, weil sie – anders als die im patriarchalischen 19. Jahrhundert gegründeten Auto-, Maschinenbau- und Chemieindustrien – einen Neuanfang bedeuteten, ohne Altlasten und mit allen Chancen für Frauen. Und das offenbar nicht ganz zu unrecht – laut einer Bitkom-Studie von 2017 finden 57 Prozent der Frauen, dass die Internetbranche eine bessere Chancengleichheit bietet als klassische Industrien. 23 Jahre sind also mein Horizont. 14,6 Prozent bis heute.

Aber wenn die Sache mit der Chancengleichheit tatsächlich so ist, möchte ich wissen, was die Gründerinnen-Szene eigentlich erreicht, außer, jährlich die Meisterschaft im Sich-selber-auf-die-Schulter-Klopfen zu gewinnen. In allen anderen Bereichen, die einen Fortschritt erzielen wollen, gibt es den fortwährenden und nachvollziehbaren Abgleich von Aufwand und Resultat. Das gilt für den ökonomischen und den sozialen Bereich; auch Entwicklungshilfe-, Spenden- oder Stiftungsbudgets stellen sich regelmäßig harter Evaluation und tragen die Konsequenzen, wenn sich nichts rührt. Start-up-Stil ist es sowieso; es ist bei einem neuen Unternehmen die Regel, dass die ersten Verkaufs-Maßnahmen fehlschlagen, weswegen viele auf wöchentlicher Basis nachjustieren.

Für Gründer-Frauen funktioniert der ganze Zirkus nicht

Aber dafür muss man erst einmal feststellen, dass etwas nicht funktioniert. Und der Gründungsmotivations-Zirkus für Frauen scheint, wenn man sich die Zahlen anschaut, so nicht zu funktionieren. Vielleicht funktioniert er anders, aber wie will man das herausfinden, wenn man einfach so weitermacht wie bisher? Jedes Jahr werden dieselben Gründe angeführt, warum es keine merkbare Bewegung beim Thema gibt: zu wenige Rollenvorbilder, zu viele Männer, zu wenig Risikobereitschaft, zu wenig Geld und so weiter. Welche von diesen Gründen wie wichtig sind, will ich nicht beurteilen. Aber um etwas positiv zu verändern, muss die Lösung zu den Problemen passen, man muss eine Entwicklung sehen, die über das Anekdotische hinausgeht.

Man muss auch hehre Themen nach denselben Gesetzen professionalisieren und verkaufen wie banale, wie Schuhe oder Seife. Wer eine neue Seife auf den Markt bringt, muss sich fragen, wer mit den existierenden Seifen nicht zufrieden ist und darum eine neue sucht; wie viel Geld es (zum Beispiel über Werbemaßnahmen) kostet, einen neuen Seifenkunden zu gewinnen und wie oft er dann nachkauft; welche Alternativen es gibt, Hautoberflächen zu reinigen; ob man lieber eine Luxusseife für wenige oder eine Massenseife für alle herstellt – und für wie viele Menschen persönliche Hygiene überhaupt wichtig ist.

Der Unternehmer, der diese Antworten nicht sucht und damit zufrieden ist, dass seine Frauenförderung gut riecht und hübsch verpackt ist, wird über 1,6 Prozentpunkte Wachstum in fünf Jahren niemals hinauskommen. Da können Duft und Design so oft prämiert werden, wie sie wollen.


Redaktion: Rico Grimm. Schlussredaktion Vera Fröhlich. Bildredaktion: Martin Gommel (unsplash / Matheus Ferrero).

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