In einer Wüste steht eine Gruppe Männer in orangefarbenen Overalls vor einem Zaun. Genauer gesagt muss es sich um zwei Gruppen Häftlinge handeln (es ist kein Gefängnis zu sehen, aber wer außer gekidnappten Muslimen auf kubanischen Inseln und Häftlingen trägt orangefarbene Overalls?), denn eine Gruppe steht links vom Zaun und eine rechts vom Zaun. Dazwischen ist ein Zwischenraum, vielleicht so etwas wie ein Todesstreifen, ein Pfad für Wachhunde und ihre Dienstherrchen, ein Korridor, den ein Scharfschütze vom Wachturm aus kontrollieren könnte, freie Schussbahn auf alles, was sich hier bewegt.
Die Männer lungern antriebslos vor ihrem jeweiligen Zaun rum, irgendwo in der Nähe muss ein Steinbruch oder ein Fitnessstudio oder ein Eishockeystadion sein, denn alle sehen aus, als wäre das Bewegen schwerer Massen durch Muskelkraft ihr täglich Werk. Die ganze Szene wirkt etwas surreal, wie eine Mischung aus David Lynch und Sonnenbrand.
Plötzlich eskaliert die Situation. Heidi Klum betritt den Todesstreifen. Sie trägt High Heels und ein hautenges schwarzes Leder-Outfit. So was trägt man nicht zum Spaß. Erst recht nicht in der Wüste. Heidi Klum scheint die Männer für etwas bestrafen zu wollen, wir erfahren natürlich nicht, für was, aber Heidi läuft wie eine Art Sex-Oberkommandant den Todesstreifen entlang und schüttelt ihre sekundären Geschlechtsmerkmale auf verdächtige Art und Weise.
In Heidis Welt sind alle Männer Triebtäter
Es sieht ein bisschen so aus, als feuerte sie unsichtbare Projektile ab, oder so was wie Radiowellen oder Mini-Chemtrails, irgendetwas jedenfalls, das bei den Männern sofort Reflexe auslöst, denn diese rütteln nun links und rechts wie besessen am Zaun, mit beiden Händen, sie johlen und schreien und springen auf und ab, irgendetwas muss ihnen weh tun, einige erleiden offenbar gar Muskelkontraktionen, jedenfalls spannen sie ohne Grund ihre Oberarmmuskeln an und betrachten sie dann bewundernd im Sonnenschein, was auch ein Indiz für einen drogenindizierten Wüstenaufenthalt sein könnte. Auf jeden Fall scheinen alle ganz dringend mit Heidi kopulieren zu wollen.
Kurz, die Männer verhalten sich wie die Affen im Zoo, und Heidi ist ein lächelnder, laufender Bananenbaum, der sich, bevor er den Todesstreifen verlässt, noch einmal demonstrativ auf seine lederbespannte Staude haut, um die soziale HierARSCHie dieses merkwürdigen Wüstenortes namens ProSieben-Werbespot mit einer Geste des Triumphes zu bestätigen. Jeder große Herrscher braucht auch seine eigene große Geste. Und Heidi Klum ist die Herrscherin über Germany’s Next Topmodel und damit auch ein bisschen über das Bild, das Millionen junge Zuschauerinnen von sich selbst entwickeln.
Darüber ist viel geschrieben worden, auch schon vor der #metoo-Debatte haben sich Menschen gefragt, was es wohl für die Gleichberechtigung der Geschlechter bedeutet, dass eine konsum- und körperfaschistische Show wie Germany’s Next Topmodel zum Leitbild einer Generation junger Frauen geworden ist. Dass sich seit 13 langen Staffeln Mädchen zum gemeinsamen Fernsehen treffen und stellvertretend für die Show-Kandidatinnen fragen: Bin ich so perfekt schön und schlank und angepasst, dass Heidi mich eine Runde weiterkommen lassen würde, damit mein extrem unrealistischer Traum von einem Job als willenloses Objekt wahr wird?
Diese Stereotype sind der Nährboden sexueller Gewalt
Die Szene, die ich beschrieben habe, ist ein Werbespot. Und letztlich ist Germany’s Next Topmodel nur eine Show, ein Unterhaltungsformat, um vom echten Leben mal Abstand zu nehmen, und das wird vielen Zuschauerinnen auch bewusst sein. Nicht jeder, der Germany’s Next Topmodel guckt, sehnt sich nach der Figur oder dem (angenommenen) Leben eines Supermodels. Manche schauen die Show angeblich sogar einzig aus dem bizarren Bedürfnis heraus, sich durch eine Welle des Fremdschämens gegen den Silikontittenkosmos von Heidi Klum zu immunisieren.
Aber auf jeden Fall zeigt Heidis Catwalk vor einer Meute eingesperrter Männer (plus die sich daran in der Sendung anschließende „Challenge”, die für die Teilnehmerinnen eben genau so aussah wie der Werbespot):
An der deutschen Unterhaltungsindustrie ist die #metoo-Debatte offenbar spurlos vorüber gegangen. Fernsehsender wie ProSieben weigern sich anzuerkennen, dass die Geschlechter-Stereotype, die sie produzieren und in die Welt hinausschicken, zwar nicht zwangsläufig in sexueller Belästigung und Gewalt münden – aber mit ihren vermeintlich typisch männlichen und weiblichen Verhaltensweisen den besten Nährboden dafür bilden.
Die Frau als Beute (Heidi Klum im Gefängnistrakt, begafft und begehrt).
Der Mann als Triebtäter (sabbernd und am Zaun reißend als Gefängnisinsasse). Is klar.
Heidi, wo warst du, als #metoo geschah?
Man fragt sich, ob in der ProSieben-Redaktion irgendeiner in den vergangenen Monaten aufgepasst und schon mal von #metoo gehört hat? Es sieht nicht so aus. Denn sonst wäre irgendjemanden vielleicht aufgefallen, dass das Bild, das dieser Werbespot zeichnet, nicht nur Frauen diskriminiert, sondern die Männer gleich mit.
Welches Verhalten sozial akzeptiert ist und erwartet wird, dafür kann man nur bedingt etwas. Denn das schauen wir uns von den Menschen um uns herum ab. Wir orientieren uns immer an der Mehrheit, auch wenn wir gegen sie handeln.
Heidi Klum kann in einer Mediengesellschaft eben auch dann eine Mehrheit beeinflussen, wenn sie gar nicht zu ihr gehört, weil sie über Fernsehen und Internet ein Millionenpublikum erreicht, was theoretisch zwar jeder kann, praktisch aber eben nicht. Ich kann nicht zu ProSieben gehen und die Chefs fragen, ob ich zur Primetime diesen Text vorlesen darf.
Und du würdest wahrscheinlich ebenfalls keine Sendezeit bekommen, wenn du einen Protestsong vortragen wolltest, der mich am Vorlesen dieses Textes hindert. Kurz: Mit dem Publikum, das man hat, geht auch eine Verantwortung einher. Und Heidi Klum nutzt Geld und Sendezeit dafür, Stereotype von Mann und Frau zu verbreiten, die dazu beitragen, Sexismus zu zementieren, weil sich damit gut Geld verdienen lässt.
Die deutsche Unterhaltungsindustrie macht weiter, als wäre nichts passiert
Sie ist bei weitem nicht die einzige. Auch das Magazin Brigitte illustrierte kürzlich einen Artikel über Sexismus in Clubs mit einem Bild, auf dem Frauen in Strapsen an der Stange tanzen. Selbst seriöse Tageszeitungen können nicht auf den nackten Frauenarsch im Foto verzichten, wenn sie über Prostitution schreiben, und beim Deutschen Fernsehpreis dieses Jahr traten als witzige Showeinlage Tänzerinnen nackt bis auf ein Röckchen aus Bananen auf.
Hmm. Wieder Bananen. Affen. Käfig. Eingesperrte, die die Kontrolle über sich verlieren. Nacktheit, die an unkontrollierbare Urinstinkte appelliert, die uns emotional mit unserem Höhlen-Ich in Verbindung setzt. Ja, wir sind Tiere, ist die Botschaft.
Das ist mein Problem mit Heidi Klum und dem ganzen lahmen Unterhaltungssexismus. Von mir aus können wir alle nackt rumrennen, das ganze Jahr. Als Ossi liebe ich doch mein FKK. Aber ich habe ein Problem damit, wenn Nacktheit, oder die Illusion von Nacktheit, die Heidis Leder-Outfit erzeugt, eingesetzt wird, um zu untermauern, was wir doch für Tiere sind.
Denn was sagt Heidis Spot anderes über das Bild von Männern aus? Heidi auf High Heels reicht, um die sowieso orientierungslos und latent kriminellen Männer in der Wüste zum Ausrasten zu bringen! Zum Glück ist da ein Zaun, beziehungsweise sind da zwei, denn sonst würden die Typen sich wie ein Rudel Wölfe auf die geile Heidi stürzen und sie nacheinander besamen, denn anders können sie nicht, diese Tiere, so ist die Natur eben!
Das Muster bleibt: Frauen sind selbst schuld, wenn sie angegrapscht werden
Wenn da ein Loch im Zaun wäre, dann könnte man Heidi wohl nur noch ein paar warme Worte und ein „Selbst schuld!” hinterherrufen.
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Denk mal an den Typ im Club, der denkt, er darf eine Frau, die er noch nie zuvor gesehen hat, einfach von hinten antanzen, denn sie tanzt ja so sexy.
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Denk mal an den Typ im Büro, der denkt, er darf seiner Kollegin an den Arsch fassen, denn sie hat ja so einen kurzen Rock an.
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Denk mal an den Typ in der Sauna, der denkt, er darf einer Frau minutenlang auf die Brüste starren, weil die so schön sind.
Und so weiter. Es ist immer das gleiche Muster: Das eigene Aussehen erfüllt in dieser Logik schon den Tatbestand der Fahrlässigkeit. Die Tatsache, ein Mann zu sein, wirkt hingegen strafmildernd. „Selbst schuld!” ruft es leise aus dem Gebüsch, dem Parkhaus, dem letzten Regionalzug.
Dass Männer denken, sie dürften oder müssten sich sogar so verhalten, liegt nicht an Heidi Klum. Dass Frauen denken, sie müssten dieses Verhalten tolerieren, weil Männer nun mal so sind, liegt auch nicht an Heidi Klum.
Aber dass sich solche Verhaltensweisen immer wieder reproduzieren, liegt auch daran, dass sie im Fernsehen immer wieder reproduziert werden – obwohl Heidi Klum und Co. es längst besser wissen.
Redaktion: Esther Göbel; Produktion Vera Fröhlich, Bent Freiwald. Aufmacherbild: Screenshot aus Germany’s next Topmodel - Playlist: Alle Topmodel Folgen aus allen Staffeln