Frau Noroc, eigentlich werden Frauen doch oft genug auf ihr Äußeres reduziert. Warum haben Sie sich entschieden, trotzdem über die Schönheit von Frauen zu sprechen?
Das Buch trägt zwar den Titel „Atlas der Schönheit”, soll aber in Wirklichkeit das Nicht-schön-Sein und das Schön-Sein zugleich zeigen. Wenn man in der Google-Bildersuche „Beautiful Woman“ eingibt, dann sehen alle Gesichter, die man findet, beinahe gleich aus. Ich wollte diesem Standard-Schönheitsideal etwas entgegensetzen. In meinem Projekt finden sich Frauen in allen möglichen Formen, Farben und Ausprägungen. Wenn jemand sagt, eine Frau sei nicht schön, dann ist sie in meinem Buch trotzdem schön. Wir sind als Frauen sehr besorgt um unser Aussehen. Aber mir ist während der Arbeit klar geworden, dass das unnötig ist: Es gibt keine Definition für Schönheit. Schönheit kann alles sein, was du willst.
Sie haben in über 50 Ländern nach Frauenbildern gesucht, die sonst in den Medien weniger sichtbar sind. Wie haben Sie die Frauen ausgewählt?
Die Auswahl war meistens spontan, sehr subjektiv und schwer in Worte zu fassen. Es entscheidet eher ein Gefühl, das du hast, wenn du unterwegs bist. Plötzlich zieht dich etwas an und du folgst ihm. Darüber hinaus gibt es keine Strategie und keine festen Kriterien, an denen ich mich während des Projekts orientiert habe. Das Bindeglied zwischen allen Frauen bin ich und was zwischen mir und ihnen vor sich ging. Es gab auch viele Frauen, die ich nicht fotografieren konnte, auch wenn ich es gerne getan hätte. Einige von ihnen wollten oder durften nicht. Manche Portraits waren auch geplant, wie im Falle der isländischen Sängerin Thorunn Antonía Magnúsdóttir: Hierfür wurde ich von Facebook beauftragt. Als mein Projekt bekannt wurde, kontaktierte mich Facebook. Ausgerechnet! Sie hatten 10 Personen weltweit für mich rausgesucht. Ich sollte dann innerhalb von zwei Wochen um die Welt fliegen und fotografieren.
Dass Ihre Fotografien so bekanntwerden, war während ihres Kunststudiums noch nicht abzusehen: Sie schreiben, dass Ihre Professoren nicht sehr an Ihren Porträts interessiert waren. Wie denken Sie heute darüber?
Es war eine seltsame Universität, die einen Fokus auf experimenteller Fotografie legte. Das hat mit meiner klassischen Arbeitsweise einfach nicht zusammengepasst. Die Lehrer hatten wenig Verständnis für unterschiedliche Stile und Persönlichkeiten. Ich habe deswegen mein Studium abgebrochen. Ich versuche zwar immer noch, einen offiziellen Studienabschluss zu machen, aber mit meinen Reisen ist das im Moment fast unmöglich. Ich hatte aber auch schon vor dem Projekt das Studium immer wieder ausgesetzt, weil ich Geld verdienen musste. Insgesamt war die Studienzeit keine sehr gute Phase in meinem Leben.
Sie hatten mit ihrem abgebrochenen Studium die Fotografie eigentlich aufgegeben. Was hat sie dazu motiviert, dennoch das Projekt Atlas of Beauty zu starten?
Ich hatte nach dem Studium verschiedene Jobs im Bereich TV-Produktion, habe aber eher hinter den Kulissen gearbeitet: Casting, Produktionen, langweiliges Zeug hinter den Kameras. Ich mochte es überhaupt nicht. Das war einer der Gründe, die mich dazu veranlasst haben, mich wieder der Fotografie zuzuwenden. Als ich mit dem Projekt Atlas of Beauty begann, war ich 27 und dachte: Das ist jetzt meine allerletzte Chance, Fotografin zu werden.
Das ist vier Jahre her. Sie haben seitdem für Atlas of Beauty ausschließlich Frauen fotografiert. Was würden Sie von einem Buch halten mit dem Titel 500 schöne Männer auf der ganzen Welt?
Nur zu! (lacht)
Im Ernst: Warum war es so wichtig, die Männer auszulassen?
Ich war schon als Kind und Teenie nie daran interessiert, Männer zu fotografieren. Die Verbindung mit Männern war nie einfach für mich. Atlas of Beauty ist ein Frauenprojekt, weil ich eine Frau bin. In meinem Buch kommen zwar vereinzelt Männer vor, beispielsweise als Ehemann einer Frau, die ich porträtiert habe. Aber der Fokus liegt dabei immer auf den Frauen. Ich finde, es gibt ohnehin schon zu viele Bücher über Männer, allein schon, weil sich die ganze Weltgeschichte bereits um Männer dreht.
Einige Frauen haben Sie in ihrer traditionellen Kleidung dargestellt, die Fotos wirken manchmal arrangiert. Warum haben Sie sich in diesen Fällen dafür entschieden, der Wirklichkeit etwas „nachzuhelfen“?
Diese Fotos sind oft auf kleinen, lokal organisierten traditionellen Festivals entstanden.Die Tänzerinnen oder Sängerinnen dort trugen also bereits ihre Tracht, als ich sie portraitiert habe. Ich fand es sehr schön, dass sie sich dafür einsetzen, ihre Traditionen neben ihrem modernen Alltag zu bewahren. Das wollte ich auch in den Fotos zeigen. Anders war es mit dem Portrait der Amazonas-Indianerin: Ich besuchte sie in ihrer Hütte im Dschungel. Dort zeigte sie mir voller Stolz ihr Hochzeitskleid – sie hatte vor einem Jahr geheiratet. Sie wollte, dass ich sie in diesem Kleid portraitiere. Ich habe festgestellt, dass die Menschen oft sehr stolz sind auf ihre Bräuche und Traditionen, besonders, weil sie viel davon durch den modernen Lebensstil verlieren. Natürlich ist es ihnen gerade vor Touristen wichtig, ihre alte Kultur zu zeigen.
Gibt es eine Szene auf Ihrer Reise, an die Sie besonders oft denken?
Es gab einen magischen Moment mit einem Mädchen namens Nila. Sie ist leider nicht in meinem Buch, ich hatte einfach zu viele Bilder. Sie lebte auf der Straße in Mumbai, als ich sie kennenlernte. Ich war in der Nähe eines Blumenmarktes, 7 Uhr morgens, ich lief einfach so durch die Straßen. Ich entdeckte Zelte, vor denen Leute in Decken gehüllt auf der Straße schliefen. Als ich näher kam, war da ein Mädchen. Sie war aufgewacht, weil sie fühlte, dass jemand in ihrer Nähe war. Sie öffnete die Augen und lächelte mich direkt an. Ihr Lächeln war so aufrichtig und echt. Ich wusste nicht, woher sie die Kraft nahm, mich so anzulächeln. Ich bin weiß, habe blonde Haare und eine Kamera – es war offensichtlich, dass ich viel Geld habe im Vergleich zu ihr. Trotzdem schenkte sie mir das schönste Lächeln, das ich je gesehen habe.
Was lernt man über sich selbst, wenn man 500 Menschen fotografiert?
Interessant war, dass die Reaktionen auf einen selbst von Land zu Land und Gesellschaft zu Gesellschaft sehr unterschiedlich sind. In manchen Ländern hassen dich die Leute, weil du dich ihnen näherst, in manchen Ländern haben sie Angst vor dir, in anderen Ländern lieben sie dich. Ich denke, ich habe vor allem gelernt, loszulassen und kümmere mich nicht mehr so sehr darum, was andere Leute über mich denken.
Inwiefern hat sich Ihr eigenes Leben seit Ihrer Rückkehr verändert? Planen Sie bereits weitere Projekte?
Mein ganzes Leben dreht sich gerade nur um das Projekt. Offiziell waren die Fotoarbeiten für das Buch mit meiner Balkanreise im Sommer 2017 abgeschlossen. Ich will aber weitermachen. Ich denke, dass ein zweites Buch noch mächtiger, ansteckender und interessanter werden könnte. Das ist mein Traum im Moment – ein neues Buch zu produzieren mit dem gleichen Projekt. Ich glaube, das wird insgesamt mein Lebenswerk sein: Eine Frau, die ihr ganzes Leben lang Frauen fotografiert hat. Ich bin sehr neugierig, meine Arbeit zu sehen, wenn ich 70 Jahre alt werde.
Pjöngjang, Nordkorea:
Diese Frau hat Noroc in Nordkorea fotografiert. Dazu schreibt sie: „Nirgendwo sonst auf meinen Reisen habe ich so viele Uniformen gesehen wie in Nordkorea. Sie sind dort ein alltäglicher Anblick.“
Paris, Frankreich:
Die Studentin Imane hat afrikanische und europäische Wurzeln. Sie verdient ihren Lebensunterhalt als Kellnerin in drei verschiedenen Restaurants und mit Babysitten. Am liebsten möchte sie ihre eigene Galerie eröffnen.
Addis Abeba, Äthiopien:
„Ich lernte Samira im Café ihrer besten Freundin kennen. Sie ist Muslima, ihre Freundin Christin. In Äthiopien sah ich viele Freundschaften über religiöse Grenzen hinweg. Doch es gibt dort schreckliche ethnisch oder religiös motivierte Konflikte“, schreibt die Künstlerin.
Mailand, Italien:
Zuerst wollte sich Laile nicht fotografieren lassen, weil sie sich nicht für schön genug hielt. Noroc postete das Foto auf Facebook, es bekam über 20.000 „Likes“ und Kommentare wie:
„Sie ist eine Herzensbrecherin.“
„Du bist auffallend schön.“
„Du rockst!“
Teheran, Iran:
Das Bild zeigt die Iranerin Mahsa, was auf Persisch „mondgleich” heißt. Ihr Vater wollte, dass sie Medizin studiert, doch sie wurde Grafikdesignerin. Sie ist stolz, dass sie seit ihrem 18. Lebensjahr finanziell unabhängig ist, und will demnächst ihre eigene Agentur gründen.
Istanbul, Türkei:
Die türkische Zypriotin Pinar hatte lange davon geträumt, Theaterschauspielerin zu werden. Deshalb zog sie von Zypern in die Türkei und arbeitete hart für ihren Traum. Sie liebt es, auf der Bühne in verschiedene Rollen zu schlüpfen.
Mexiko-Stadt, Mexiko:
Captain Berenice Torres ist Hubschrauberpilotin bei der mexikanischen Bundespolizei. Die Mutter gehört einer Einheit zur Bekämpfung von Drogenkriminalität an und fliegt zudem Rettungseinsätze bei Naturkatastrophen.
„Ich habe immer davon geträumt, zu fliegen. Obwohl meine Einsätze nicht ungefährlich sind – ich habe zwei Unfälle überlebt –, liebe ich jede Sekunde, die ich in der Luft bin.“
Mihaela Noroc, 1985 in Bukarest geboren, ist eine rumänische Fotografin. Seit 2013 bereist sie für ihr Fotoprojekt die Welt. Denn Schönheit ist überall und zeigt sich in den unterschiedlichsten Facetten.
Eine Leseprobe aus dem Buch findet ihr hier.
Das Aufmacherfoto zeigt eine Frau Bischkek, Kirgisien, kurz vor ihrem Auftritt bei einer traditionellen kulturellen Darbietung. Martin Gommel und Corinna Mayer haben die Bilder ausgewählt.