Meine Umgebung war beunruhigt, als ich von meinen Plänen erzählte, mir aber gefiel die Vorstellung, eine Frau zu sein, die schwanger in die Wüste Gobi reiste, so wie mir vor Jahren der Gedanke gefallen hatte, eine junge Frau zu sein, die auf sich allein gestellt Indien bereiste. Ich dachte an Christiane Amanpour, die mit einundvierzig und schwanger nach Sarajevo gegangen war, um über den Krieg zu berichten. Ich dachte an die sonnengebräunte blonde Dokumentarfilmerin, die ich kürzlich im Fernsehen gesehen hatte, über deren Cargo-Hose sich der Bauch gewölbt hatte; sie hatte eine Frau in Mali interviewt, die ebenfalls schwanger war, und die beiden hatten gelächelt, als sie der jeweils anderen die Hand auf den Bauch gelegt hatten.
Ich neige nicht zum Aberglauben und bin auch kein Weichei: Wenn mir ein Arzt sagt, dass nichts dagegen spricht, etwas zu tun, dann ist der Fall für mich erledigt. Meine Frau Lucy sah das genauso. Falls der Vater und Samenspender des Kinds anderer Meinung war, so behielt er es für sich.
Unter den Gleichaltrigen fiel mir überhaupt eine gewisse selbstgerechte Anspruchshaltung auf hinsichtlich der optimalen Schwangerschaft – pränatale Akupunktur, alles bio natürlich –, die mich abstieß: der Vorbote der übertriebenen Bemühungen, ein gewöhnliches Zuhause in eine absolut perfekte Babywelt zu verwandeln. Man braucht unbedingt einen Windeleimer mit eingebauter Geruchs- und Bakterienbekämpfung, ein Feuchttücher-Warmhaltegerät, einen ganz besonderen Wickeltisch – das geht unmöglich auf einem normalen Tisch! –, einen sechshundert Dollar teuren Kinderwagen, einen BabyBjörn, einen Babymonitor, ganz zu schweigen von einer Nachtschwester und der Nanny.
Dabei haben Frauen von Anbeginn der Zeit Babys bekommen ohne all das, und irgendwie hat unsere Art trotzdem überlebt.
Die ganze Panik um die Schwangerschaft schien mir überkandidelter Yuppie-Quatsch zu sein. Insgeheim kritisierte ich meine Freundin Emma dafür, dass sie alle Regeln so akribisch einhielt, gereizt auf Fleisch aus dem Feinkostladen reagierte und plötzlich so tat, als sei Kaffee so was Ähnliches wie Crack. Ich hingegen wollte mein Kind Furchtlosigkeit lehren. Ich wollte ihm sagen: „Als du noch in meinem Bauch warst, sind wir gemeinsam bis ans andere Ende der Welt gereist.”
Die Schmerzen der Mutterbänder auf einem 14-Stunden-Flug
Eigentlich hatte ich vor nichts Angst außer dem mongolischen Winter. Die Hauptreisezeit endet im Oktober, und im späten November, als ich ins Flugzeug stieg, sank die Temperatur nachts bereits auf minus zwanzig Grad. Doch ich war vorbereitet: Ich hatte mir eine Schneehose angeschafft, die groß genug war, um meinen gewölbten Bauch einzuhüllen, und lange Unterwäsche, zwei Größen größer als normal.
Wenn man schwanger ist, fühlt man sich die meiste Zeit über irgendwie unwohl. Die ersten paar Monate wacht man jeden Morgen mit dem Gefühl auf, einen heftigen Kater zu haben, ohne dass man jemals etwas trinken darf; mir war schlecht, und ich war hungrig, hatte pausenlos Kopfweh und wollte ständig schlafen. Diese Phase war vorbei, allerdings setzte etwa eine Woche vor meiner Abreise in die Mongolei ein mir neues Bauchweh ein. „Schmerzen der Mutterbänder”, hörte ich von allen Seiten und las darüber auf sämtlichen Schwangerschafts-Websites. Die Gebärmutter dehnt sich aus, um Platz für das Baby zu schaffen, so dass ich endlich schwanger aussah und nicht bloß stämmig.
Dieser Gedanke tröstete mich auf dem vierzehnstündigen Flug nach Peking, während ich ununterbrochen auf meinem Sitz herumrutschte und nach einer Position suchte, die das runde Mutterband schonte.
Das ekligste Essen der Welt in Ulaanbaatar
Der Anschlussflug landete morgens in der Mongolei, doch dank des eisgrauen Dunsts sah es aus, als wäre es die Abenddämmerung. Ulaanbaatar gehört zu den am meisten verschmutzten Hauptstädten der Welt und ebenso zu den kältesten. Der Weg in die Stadt wand sich durch gefrorene Felder und Ansammlungen von Jurten in das überfüllte Zentrum mit gedrungenen Verwaltungsgebäuden aus der Sowjetzeit, sich wild über-kreuzenden Telefon- und Trolleybus-Leitungen und alten buddhistischen Tempeln mit Pagodendächern. Die Menschen auf der Straße bewegten sich unter der Last zahlreicher Kleidungsschichten gegen die bittere Kälte hastig und ungelenk voran.
An meinem ersten Abend in der Stadt traf ich Jackson Cox. Er schickte ein Auto mit Chauffeur vorbei – alle Leute aus dem Westen, denen ich in Ulaanbaatar begegnete, hatten ein Auto mit Fahrer –, das mich am Blue-Sky-Hotel abholte, einem modernen gläsernen Turm mit scharfer Spitze, der den kalten Himmel teilte wie eine Haifischflosse. Das Hotel war nach Tengri benannt, dem Gott des ewigen blauen Himmels, den die Mongolen, die Turkvölker und die Hunnen einst als allmächtigen Vater verehrt hatten, gemeinsam mit Yer, der Mutter Erde.
Das Hotel lag dem Suchbaatar-Platz gegenüber, auf dem junge Mongolen im Winter 1990 einen Hungerstreik veranstaltet, Dschingis-Khan-Banner geschwenkt und bei Minustemperaturen im Freien geschlafen hatten, um das Ende der siebzigjährigen sowjetischen Herrschaft einzufordern. Ein Jahrzehnt später war Cox mit dem International Republican Institute nach Ulaanbaatar gekommen, einem Arm der republikanischen Partei, der Entwicklungsarbeit in Ländern organisiert, die für den Einfluss des Kapitalismus empfänglich sind.
Cox glaubte fest an die Macht des freien Markts, und zu der Zeit, als ich ihn traf, war er der Kontaktmann zwischen ausländischen Firmen, die in der Mongolei Geschäfte machen wollten, und dem Parlament, dem Großen Staats-Chural. Cox war schwul, Südstaatler und liberal, auch wenn er sich selbst als Konservativer bezeichnete, weil es nun einmal „seine Leute” waren, wie er mir sagte, als ich in seiner Wohnung eintraf. Im Hintergrund lief Beyoncé, und er war gerade dabei, einem Freund Sekt einzuschenken, einem jungen Anwalt für die Bergbauindustrie aus New Jersey. Die Wohnung war sauber und modern, aber bescheiden. In Ulaanbaatar war es leichter, Geld zu verdienen, als es auszugeben.
Die zwei Männer warnten mich, dass ich bei einem Besuch in den Jurten der Wüste Gobi „das ekligste Essen” bekommen würde, „das du je gesehen hast”, wie der Freund von Cox sagte. „Sie tragen einen Eimer mit Fleisch auf, der seit einer Woche herumsteht, wärmen ihn auf und halten es für den größten Leckerbissen.” Ich erwiderte, dass ich keine Probleme damit hätte, wenn ich nicht schwanger wäre, aber man solle mich lieber für unhöflich halten, als dass ich das Baby vergiftete.
Die Schmerzen in meinem Bauch wurden hartnäckig
Wir gingen in ein französisches Restaurant und bestellten alle Rindfleisch – Seefisch und Meeresfrüchte taugten hier nichts, da die Mongolei durch ihre sperrigen Nachbarn China und Russland vom Meer getrennt ist –, und danach zeigten sie mir eine unterirdische Schwulenbar namens 100 Per Cent. Wir hätten in Brooklyn sein können, einmal davon abgesehen, dass in der Mongolei alle immer noch in der Kneipe rauchten. Mir gefiel es, in einem dunklen Raum voller Republikaner und rauchender, schwuler Mongolen zu sitzen, aber mein Körper fühlte sich merkwürdig an. Ich kehrte früh ins Hotel zurück.
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, war der Schmerz im Bauch hartnäckig geworden. Ich fragte mich, ob das Baby strampelte, angeblich sollte ich das bald spüren. Ich rief zu Hause an und beklagte mich, und Lucy trug mir auf, eine westliche Klinik zu suchen. Daraufhin schrieb ich Cox eine E-Mail und bat ihn um die Telefonnummer seines Arztes, die ich mir auf den Notizblock kritzelte. Dann machte ich mich auf den Weg zu meinen Interviewpartnern: dem Umweltminister, dem Leiter eines Bergwerks. An diesem Tag waren Kommunalwahlen, und in Begleitung eines mongolischen Freunds von Cox ging ich in ein paar Wahllokale und befragte die Wähler, was für Hoffnungen sie in den Wirtschaftsboom setzten.
Mein letztes Treffen war mit einem Viehhirten und Umweltschützer, Tsetsegee Munkhbayar, der zum Volkshelden geworden war, weil er Schüsse abgefeuert hatte, als ein Bergbauunternehmen einfach das Wasser einiger Nomadengemeinschaften ableitete. Wir trafen uns in der schicken Lobby des Blue-Sky-Hotels, zusammen mit Yondon Badral, einem klugen, sarkastischen Mann in Jeans und Parka, den ich als Dolmetscher angeheuert hatte und der mich in ein paar Tagen auch in die Wüste Gobi begleiten sollte, wo wir in einem Land Rover über die kalten Sandpisten fahren und uns mit Bergarbeitern und Nomaden unterhalten wollten. Munkhbayar trug einen Deel, einen langen, traditionellen Mantel, und eine Pelzmütze mit einem kleinen Metallfalken an der Spitze und setzte sich in einen der Hotelsessel, die aussahen, als stammten sie aus einer Weltraumstation. Es war, als trinke man einen Latte mit Kublai Khan, einem Enkel Dschingis Khans.
Mitten im Gespräch hörte Badral plötzlich zu reden auf und starrte mir ins Gesicht; er musste mir meine Beschwerden angesehen haben. Er sagte, seiner Frau gehe es genauso, sie sei auch schwanger, nur wenige Wochen weiter als ich, und er erklärte Munkhbayar die Lage. Die Haut des Nomaden war gerötet und spröde vom Wind, seine Nase, die Augen und Ohren wirkten so, als seien sie seit Jahrzehnten darum bemüht, sich ins Gesicht zu verdrücken, um der Kälte zu entkommen. Stolz überschwemmte mich, als er lobte, wie tapfer ich sei, unter diesen Umständen eine so weite Reise zu unternehmen. Aber ich fing an, mir Sorgen zu machen.
Beinahe hätte ich mein nächstes Essen mit den Amerikanern an diesem Abend abgesagt, doch ich beschloss, dass ich etwas zu mir nehmen sollte, und außerdem boten sie an, in das japanische Restaurant im Hotel zu kommen. Cox wollte am nächsten Tag abreisen, um Thanksgiving mit seiner Familie zu feiern; er fühlte sich schuldig, ein Vermögen für das Business-Class-Ticket ausgegeben zu haben. Ich dachte an den ungemütlichen Flug hierher und meinte, es sei das Geld vermutlich wert. „Du führst dich auf wie eine Prinzessin”, meinte der Freund bissig zu Cox, aber ich konnte nicht lachen. Irgendetwas ging in mir vor. Ich musste aufbrechen, bevor das Essen kam.
Ich dachte: Das hier wird der größte Schiss aller Zeiten!
Ich rannte hinauf ins Zimmer, riss mir die Hose vom Leib und hockte mich auf den Badezimmerboden, so wie ich es zehn Jahre zuvor in Kambodscha gemacht hatte, als ich an der Ruhr erkrankt war. Aber in dieser Position waren die Schmerzen unerträglich. Ich kniete mich hin, beugte mich nach vorne und presste die Wange an die kühlen Fliesen. Ich weiß noch, dass ich dachte: „Das hier wird der größte Schiss aller Zeiten!” Ein unseliger Sturm fegte durch meinen Körper, danach klafft eine kurze Lücke in meinem Gedächtnis.
Entweder verlor ich durch die Schmerzen das Bewusst- sein, oder aber ich habe die Erinnerung verdrängt. Dann lag da ein anderer Mensch vor mir auf dem Boden, bewegte Arme und Beine, war lebendig. Ich hörte mich selbst sagen: „Das kann nichts Gutes bedeuten.“ Aber es sah wie etwas Gutes aus. Mein Baby war hübsch wie eine kleine Muschel.
Er war durchsichtig und rosa und winzig, aber er war makellos. Seine schönen Lippen öffneten und schlossen sich, öffneten und schlossen sich, atmeten die neue Welt ein. Eine Weile saß ich nur da, voller Ehrfurcht, gelähmt. Jeder einzelne Finger, jeder Zehennagel, der goldene Schatten der sich andeutenden Augenbrauen, der Schwung seiner Schultern – all das war ein erstaunliches Wunder. Ich hob ihn dicht vors Gesicht, sein Kopf und die Schultern füllten meine Hand aus, die Beine baumelten fast bis zu meinen Ellenbogen herab. Ich wollte etwas Mütterliches tun, um ihm zu vermitteln, dass ich seine Mutter war und alles unter Kontrolle hatte. Ich küsste ihn auf die Stirn, und an meinem Mund fühlte sich seine Haut an wie ein seidig-glatter Frosch.
Mit einem brachialen Ruck riss ich die Nabelschnur aus mir heraus
Undeutlich nahm ich wahr, dass Unmengen an Blut aus mir herausschossen, irgendwann aber registrierte ich es doch. Mein Blick wanderte von meinem Kind zu dem See, der sich über dem Badezimmerboden ausbreitete, und ich fragte mich, was ich mit der Nabelschnur anstellen sollte, die diese beiden Bilder verknüpfte. Sie war überraschend dick und gespenstisch weiß, ein verschlungenes menschliches Seil. Ich war mir sicher, dass sie durchtrennt werden musste, das war immer das Erste, was in den Filmen gemacht wurde. Ich hatte Angst, dass mein Baby ersticken würde, wenn ich die Schnur nicht durchschnitt. Aber ich hatte keine Schere. Mit einem abrupten, brachialen Ruck zerrte ich sie aus mir heraus.
Seine Haut in meiner Hand nahm einen schwachen Violettschimmer an. Blutend schleppte ich mich durchs Zimmer bis zum Telefon und wählte die Nummer von Cox’ Arzt, die ich auf meinen Block gekritzelt hatte. Ich erklärte der Stimme am anderen Ende, dass ich im Blue-Sky-Hotel ein Kind geboren hatte und in der neunzehnten Woche war. Die Stimme sagte, dass das Baby nicht überlebensfähig war. „Er lebt aber”, sagte ich und blickte auf den Menschen in meiner linken Hand.
Die Stimme erklärte, dass sie das verstanden habe; doch es werde nicht lange überleben. Ein Krankenwagen für uns beide werde sofort kommen. Wenn es keine Chance für das Baby gab, meinte ich da, könnte ich auch ein Taxi nehmen. Die Stimme hielt das für keine gute Idee.
Bevor ich mein Handy zurücklegte, machte ich ein Foto von meinem Sohn. Ich hatte Angst, dass ich andernfalls nicht glauben würde, dass er jemals existiert hatte.
„Weinen Sie, weinen Sie nur!”
Als die beiden mongolischen Rettungssanitäterinnen zur Tür hereinkamen, war ich nicht länger kompetent und benommen. Eine der beiden bot mir ein Tampon an, und mir war klar, dass ich es nicht annehmen sollte. Doch die Erkenntnis, dass von uns beiden ich diejenige war, die mehr davon verstand, weckte derartige Panik in mir, dass mir schlecht wurde, und ich sagte, dass ich mich übergeben müsse. Sie fragte, ob ich betrunken sei, und verletzt erwiderte ich: „Nein, ich bin traurig.”
„Weinen Sie nur”, sagte sie. „Weinen Sie, weinen Sie.” Ihre Kollegin beugte sich über mich und steckte mir eine dicke Nadel in den Unterarm, und ich überlegte, ob ich jetzt mongolisches Aids bekommen würde. Doch ich war unfähig, irgendetwas zu tun, außer zu weinen, weinen, weinen. Sie wollte mir das Baby wegnehmen, und aus einem Impuls heraus hätte ich ihr am liebsten in die Hand gebissen. Als ich schließlich auf der Trage im Rettungswagen lag, seinen Körper in ein Handtuch gewickelt auf meiner Brust, beobachtete ich, wie die eisige Stadt an den Fenstern vorbeijagte. Mir kam der Gedanke, dass ich womöglich dabei war, den Verstand zu verlieren.
In der Klinik gab es gleißendes Licht und weitere Spritzen und Infusionen, und ich überließ ihnen das Baby. Es war das letzte Mal, dass ich ihn sah. Er lag auf einem Tisch, ich auf einem anderen, weit entfernt, reglos unter den grellen Scheinwerfern; verwirrenderweise kam in diesem Augenblick der schönste Mann der Welt herein und erklärte, er sei mein Arzt. Seine Stimme war angenehm, sie klang vertraut.
Ich fragte ihn, ob er Südafrikaner sei, und er war überrascht, dass ich es erkann- te. Ich erklärte ihm, dass ich einige Zeit in seiner Heimat verbracht hatte, und wir unterhielten uns über die Zukunft des ANC und die Schönheit von Kapstadt. Mir wurde bewusst, dass ich über und über voll Blut war, verheult – und dass ich flirtete.
In dieser Nacht lag ich in einer Windel im Krankenhaus. Ohne mein Baby
Ich lieh mir sein Handy und rief meine Frau Lucy an, die im Jeep vor unserem Wohnhaus saß und auf einen Parkplatz wartete. Sie weinte und erklärte sich bereit, meine Eltern und den Vater des Kinds anzurufen – der, da war ich mir sicher, mir niemals vergeben und mir nie mehr sein Sperma, seine Zuneigung oder sein Geld anvertrauen würde.
Es war spät, als ich dem Arzt das Handy zurückgab. Er wollte nach Hause, doch ich durfte nicht zurück ins Hotel, weil ich dort unbemerkt verbluten könnte. Also blieb ich über Nacht im Krankenhaus, im T-Shirt und mit einer Erwachsenenwindel, in die mir eine nette, dicke, kichernde Krankenschwester half.
Dann fragte sie: „Wollen Sie Tee und Toast?” Der Tee war milchig und süß und erinnerte mich an den Chai, den ich vor so langer Zeit im Himalaja getrunken hatte, als ich noch nicht alt genug war, um mir Sorgen über das Verfallsdatum meiner Fruchtbarkeit zu machen. Damals in den Bergen hatte ich mich von Haschisch und Snickers ernährt und war schließlich in einen Schneesturm geraten, der einige Bergsteiger das Leben kostete, mich jedoch nur etwas zum Frösteln brachte.
Ich hatte solches Glück gehabt. Kaum etwas in meinem Leben war wirklich schiefgelaufen bis zu dem Abend auf dem Badezimmerfußboden. Und ich wusste, mit der gleichen Überzeugung, mit der ich ein Kind wollte, dass diese Schicksalswende meine Schuld war. Aus Eitelkeit und Selbstsucht hatte ich ein Flugzeug bestiegen, und der dunkle mongolische Himmel hatte mich dafür bestraft.
Das allerdings bestätigte mir Doktor John Gasson nicht, der am folgenden Morgen wieder in die Klinik kam. Er erklärte mir, dass ich eine Plazentaablösung erlitten hatte, was sehr selten war und, wie ich mir später anlas, gewöhnlich Frauen traf, die regelmäßig Kokain konsumierten oder hohen Blutdruck hatten. Manchmal aber passierte es einfach, weil man zu alt war. Es hätte mir an jedem Ort der Welt zustoßen können, und er wiederholte, was er am Vorabend gesagt hatte: Es gab keinen Zusammenhang zwischen Flugreise und Fehlgeburt.
Trotzdem fragte er in gleichbleibend freundlichem Ton: „Sie haben also mit achtunddreißig beschlossen, mal so eben eine Familie zu gründen?” So machten wir das in Manhattan, erwiderte ich. Dann sagte ich, dass ich rechtzeitig aus dem Krankenhaus müsse, um meinen Elf-Uhr-Termin mit dem Innenminister nicht zu verpassen. Ich war pünktlich in seinem Büro, nachdem ich zum Duschen in mein Hotelzimmer gefahren war, das aussah wie der Tatort eines Mordes.
Ich starrte auf den Fleck. Meistens aber auf das Foto meines toten Babys
Ich verbrachte die folgenden fünf Tage in diesem Zimmer. Langsam dämmerte mir, dass es vermutlich das Beste wäre, nach Hause zurückzukehren, statt in die Wüste Gobi zu fahren, zunächst aber konnte ich nicht fort. Thanksgiving zog vorbei. Immer wieder fiel der Strom aus, und alles wurde dunkel und still.
Ich lag im Bett, aß Snickers und trank Whiskey aus den kleinen Fläschchen in der Minibar, während ich Programme im Fernsehen anschaute, die genauso fremd und trostlos wirkten wie meine neue Zukunft.
Jemand hatte eine weiße Badematte auf den größten Blutfleck neben dem Bett gelegt; dort hatte ich gekniet, als ich Hilfe gerufen hatte. Nach und nach sickerte das Blut durch, und der weiße Stoff wurde erst rot und dann, als er oxidierte, braun.
Ich starrte auf den Fleck. Ich beobachtete, wie sich der Schnee vor dem Fenster auf die sowjetischen Bauten legte. Meistens aber betrachtete ich das Foto meines Babys.
Dieser Text ist ein Auszug aus Ariel Levys Buch Gegen alle Regeln – ein Buch über Liebe und Verlust, das bei Knaur erschienen ist. Levy lebt in New York und arbeitet hauptsächlich für das Magazin The New Yorker.