Letzte Woche habe ich in einem Essay darüber geschrieben, wie ich als Mann über die #metoo-Debatte denke. Seitdem klingelt mein Telefon pausenlos. Ich bekomme Jobs angeboten, werde in Talkshows eingeladen und ins Radio, soll Bücher schreiben. Ein einziges Mal äußere ich mich zu dem Thema, und plötzlich bin ich für viele so etwas wie ein Vorzeige-Feminist. Dabei hatte ich bis vergangene Woche nie was mit Feminismus am Hut.
Meine Kolleginnen hier in der Redaktion, die seit vielen Jahren tolle Texte und Bücher über Feminismus, Gender-Fragen und sexuelle Ausbeutung schreiben, die also wirklich Experten bei diesem Thema sind, bekommen diese Aufmerksamkeit nicht.
Und was noch trauriger ist: Die Frauen, die mir im Laufe der letzten Tage in langen, erschütternden E-Mails beschrieben haben, wie häufig sie sexuell belästigt oder missbraucht worden sind – all diesen Frauen hört kaum jemand zu. Sie bekommen keine Jobs und kein Geld angeboten. Als ahnungsloser Mann profitiere ich von dem Thema. Als leidgeprüfte Frau verliert man dabei – und zwar ganz gleich, wie nüchtern, elegant oder hysterisch man sich äußert.
Frauen profitieren von der Debatte bisher nicht
Ich fühle mich einerseits schlecht, weil ich eine Aufmerksamkeit bekomme, von der ich denke, sie steht mir nicht zu. Andererseits fühle ich mich sehr gut. Und das hat einen anderen Grund, der ziemlich persönlich ist: diesen Text zu schreiben war sehr befreiend. Es ist auch für Männer nicht leicht, über sexuelle Belästigung zu sprechen, Fehler einzugestehen, sich selbst mal nicht als den Helden zu beschreiben, der man denkt, sein zu müssen. Ich hatte nicht mal meiner Freundin erzählt, was genau passiert war in der Nacht, in der meine Nachbarin verheult mit einer Flasche Wein vor meiner Tür stand und nicht gehen wollte. Und erst recht hatte ich ihr nicht erzählt, dass ich sogar überlegt habe, mir von einer besoffenen Frau, die ich nicht mal attraktiv fand, einen blasen zu lassen.
Der Punkt ist, dass ich meiner Freundin nicht davon erzählt habe, weil ich dachte: Oh je, da wird sie böse. Ich kann ihr doch sowas nicht erzählen, die wird eifersüchtig. Ich tat so, als würde ich auf meine Freundin Rücksicht nehmen – dabei habe ich nur auf mich selbst Rücksicht genommen, weil ich einem Streit aus dem Weg gehen wollte. Und dabei habe ich mal wieder eine Möglichkeit verpasst, etwas über mich zu lernen, indem ich mit dem Menschen, dem ich doch angeblich so sehr vertraue, rede.
Genau hier sehe ich eine große Schwäche, die ich mit vielen Männern teile. Wir verpassen in solchen Momenten die Gelegenheit zu lernen. Die #metoo-Debatte ist das beste Beispiel. Im Moment fragen sich viele Männer: Was darf ich denn heutzutage überhaupt noch sagen als Mann? Darf ich denn überhaupt noch Komplimente machen, oder ist das schon Sexismus?
Ist plötzlich jeder Mann ein potenzieller Vergewaltiger, weil sich herausgestellt hat, dass der Hollywood-Produzent Harvey Weinstein über Jahrzehnte ungestraft Frauen sexuell belästigt hat – und seitdem Frauen auf der ganzen Welt unter dem Hashtag #metoo Geschichten von Belästigung und Missbrauch in den sozialen Medien posten?
Die Lüge vom ahnungslosen Mann
Was darf man denn heute überhaupt noch, „als Mann”? Das ist überhaupt nicht die Frage. Die wäre auch einfach zu beantworten: alles, was für den anderen auch angenehm ist. Die Antwort darauf will aber eigentlich sowieso niemand hören. Anders ausgedrückt bedeutet diese Frage nämlich: Frauen sind so kompliziert geworden, ich fang gar nicht an, das zu verstehen.
Es spricht doch Bände, dass der Begriff „Frauenversteher” negativ konnotiert ist. Ein Frauenversteher ist ein Softie. Warum? Es ist doch eigentlich eine Qualität, etwas zu verstehen. Gerade in einer Wissensgesellschaft wie Deutschland. Der Mann als Kritiker kapituliert hier sozusagen.
Das erinnert mich an etwas, das ich einmal bei dem französischen Philosophen Roland Barthes gelesen habe. Er beschreibt in seinem Buch Mythen des Alltags das Phänomen des „einfältigen Kritikers” (allerdings in Zusammenhang mit der Film- und Theaterkritik) und fragt: „Warum also verkündet die Kritik von Zeit zu Zeit ihr Unverständnis? Gewiss nicht aus Bescheidenheit”, sondern weil er, der Kritiker, „sich seiner Intelligenz so sicher zu sein glaubt, dass das Eingeständnis eines Nichtverstehens die Klarheit des Autors (in unserem Fall der Frau) und nicht etwa die des eigenen Geistes in Frage stellt. Man spielt die Einfalt (‚Was darf man denn überhaupt noch zu Frauen sagen?‘), um das Publikum leichter zum empörten Aufschrei zu veranlassen und es mit wenig Aufwand vom gemeinsamen Unverständnis zum gemeinsamen Verständnis zu bringen.“
Das finde ich, ist das Problem mit der gegenwärtigen Debatte. Sie dreht sich im Kern darum, wie wir sie möglichst schnell wieder loswerden.
Wenn ich merke, dass eine Frau gereizt oder panisch reagiert, nur weil ich sie nach Feuer oder der Uhrzeit frage, dann wäre doch die Frage des intelligenten Kritikers: Warum reagieren die so auf mich? Hat das vielleicht gar nichts mit mir selbst zu tun? Und nicht: Uiuiui, jetzt darf man eine Frau nicht mal mehr nach der Uhrzeit fragen.
Feminismus ist nicht so schlimm wie du denkst
Es geht aber noch um mehr: Wenn mich eine Frau nachts spontan bei mir zu Hause besucht, oder wenn ich die Kollegin aus dem Büro zufällig mal in einer Bar treffe und sie hat dieses umwerfende Kleid an – dann kann es schon passieren, dass ich denke: „Oh yeah, wär geil, wenn wir im Bett landen!” Ich kann für den Gedanken nicht wirklich was. Er kommt einfach. Ich will mich dafür nicht schämen. Ich will auch nicht so tun, als gebe es ihn nicht. Der Punkt ist aber, dass wir keine Sklaven dieses Gedanken sind. Ich muss nicht auf Teufel komm raus versuchen, diese Frau ins Bett zu kriegen, nur weil ich daran denke. Noch wichtiger: Ob ich ein guter Mensch bin oder ein geiler Typ, hängt absolut nicht davon ab.
Ich dachte immer, Feminismus ist diese Bewegung, die Flirten verbietet, und alle Feministinnen sehen Männer als schleimige, sabbernde Sexmonster. Dass das nicht so ist, habe ich in erst in den letzten Tagen gelernt. Spät genug.
Vor Kurzem schrieb mir eine Frau, sie habe meinen Essay an zehn Freunde geschickt. Die Männer waren alle beleidigt, sagt sie. Einer fragte zurück: Hältst du mich für einen Vergewaltiger, oder warum soll ich das lesen?
Das Ding ist doch: So unglaublich schwierig ist es gar nicht, Frauen zu verstehen. Sie sprechen in der Regel unsere Sprache. Und man trifft sie fast überall. Und es ist auch nicht schwierig, das Problem zu verstehen, das sich hinter dem Hashtag #metoo verbirgt. Wir reden hier nicht über Gewalt an einer Minderheit, die weit weg lebt und von der wir noch nie gehört haben. Wir reden nicht über die Rohingya, Jessiden oder Kopten, sondern über die Mehrheit der Menschen, die auf dieser Welt leben, nämlich 52 Prozent!
Auch Männer wollen nicht immer Sex
Und so gut wie jede Frau wird etwas zu dem Thema zu sagen haben, wird eigene Erfahrungen gemacht haben mit sexueller Gewalt. Wenn wir endlich dazu kommen würden, diese Gespräche zu führen, dann könnten wir auch beginnen, das eigentliche Problem zu lösen. Und dabei werden wir in den wenigsten Fällen tatsächlich über Vergewaltigung reden. Das ist nur die Spitze des Eisbergs. Darunter liegen die Klischees und Vorurteile und Rollenbilder, die häufig der Auslöser sexueller Frustration und Gewalt sind. Nur wenn wir uns damit beschäftigen, werden wir das massive, beschämende Gewaltproblem lösen, das der Feminismus lösen will.
Meine Lieblingsdefinition von Feminismus – ehrlich gesagt auch die einzige die ich kenne – stammt von Chimamanda Ngozi Adichie: „Ein Feminist ist ein Mann oder eine Frau, die sagt: Wir haben ein Problem mit den Geschlechterrollen, so wie so heute geprägt sind. Und wir müssen das ändern. Wir müssen besser werden.“
Und es gibt keinen Grund, warum Männer davor Angst haben sollten. Sie haben dabei nichts zu verlieren, allenfalls viel zu gewinnen.
Vor ein paar Tagen hat mir eine junge Frau eine E-Mail geschrieben. Sie sagte, sie habe ein langes Gespräch mit ihrem Freund gehabt wegen #metoo. „Nach deinem Artikel habe ich ihn gefragt, ob er sich von mir manchmal genötigt fühlt, mit mir zu schlafen, obwohl er keine Lust hat.“ Die Diskussion war garantiert nicht angenehm.
„Erstmal war ich wirklich erschrocken”, schrieb sie. „Beleidigt! Stimmt etwas nicht mit mir? Warum willst du nicht? Ich habe tatsächlich versucht, ihn zu überreden und habe geschmollt. Ich musste erst einmal lernen, dass mein Partner auch mal keine Lust hat. Und dass Männer auch ohne Orgasmus Spaß am Sex haben können (dasselbe versuche ich ihm ja auch immer wieder zu erklären – aber dann verstehe ich es bei ihm nicht).“
Ich will sagen: Es gibt viel zu reden. Es wird uns allen guttun. Warum verbringen wir immer noch so viel Zeit damit, diese Aufgabe lächerlich zu machen oder kleinzureden? Einer der wichtigsten Schritte wird nun sein, dass Männer aufhören zu jammern und das Problem erstens anerkennen – und sich zweitens dann auch den Verletzungen des eigenen Egos stellen, die das mit sich bringen wird.
Beim Erarbeiten des Textes haben Esther Göbel und Theresa Bäuerlein geholfen; Martin Gommel hat das Aufmacherfoto gemacht.