1. Pflicht zur Benennung
Zunächst einmal: Was ist ein Kuckuckskind? Der Begriff leitet sich aus der Biologie ab: Kuckucke legen ihre Eier in fremde Nester – der Nachwuchs wird dann von fremden Vogeleltern ausgebrütet und großgezogen, als sei es der eigene. Im deutschen Sprachgebrauch hat es sich etabliert, ein Kind Kuckuckskind zu nennen, wenn der rechtliche Vater nicht auch der biologische ist. Wie viele solcher Kinder es gibt, ist offiziell nicht bekannt.
Um die Rechte der Scheinväter zu schützen, hat Bundesjustizminister Heiko Maas jüngst einen Entwurf für eine Gesetzesänderung vorgelegt, der vom Bundeskabinett beschlossen wurde. Diese Reform sieht vor: Eine Mutter soll in Zukunft dem rechtlichen Vater den biologischen Vater ihres Kindes nennen müssen, wenn der Scheinvater das verlangt, weil er Unterhalt zurückhaben will. Denn nach dem deutschen Familienrecht ist jener Mann der rechtliche Vater, der zum Zeitpunkt einer Geburt mit der Mutter verheiratet ist. Das heißt, er hält nicht nur das Sorgerecht – sondern ist auch zum Unterhalt verpflichtet, egal ob er das Kind seiner Partnerin wirklich gezeugt hat oder nicht.
Wenn also eine Frau beispielsweise fremdgeht, dabei schwanger wird und ihrem Mann das Baby des anderen „unterjubelt“, ist dieser ein Scheinvater. Er muss für den Unterhalt des fremden Kindes aufkommen, von dem er glaubt, es sei sein eigenes. Genau darum geht es bei dem sogenannten Scheinvaterregress: Maas’ Reform soll den gehörnten Vater rechtlich in die Lage versetzen, von dem biologischen Erzeuger rückwirkend für zwei Jahre den gezahlten Unterhalt zurückfordern zu können. Doch damit das möglich wird, muss natürlich erst einmal bekannt sein, wer dieser biologische Vater überhaupt ist. Wenn die Mutter darüber die Aussage verweigerte, sah es bislang schlecht aus für den Scheinvater.
2. Schwerwiegende Gründe
Was ist das genau, ein „schwerwiegender Grund“? Und wer soll darüber entscheiden? Laut Gesetzentwurf künftig ein Gericht, das entsprechende Einzelfälle überprüfen soll. Nur wenn eine Auskunft für die Mutter unzumutbar erscheint, ist sie von der gesetzlichen Pflicht zur Nennung des biologischen Vaters entbunden. Vergewaltigung oder Geschwisterbeischlaf werden als Beispiele für einen solchen schwerwiegenden Grund genannt. Doch auch, wenn die Situation damit rechtlich geregelt ist, moralisch bleibt sie mehr als schwierig – für alle Beteiligten: Für die biologische Mutter des jeweiligen Kuckuckskindes, denn sie wird sich in der Regel sehr genau überlegt haben, warum sie dem eigenen Sprössling die biologische Abstammung verschweigt. Für das Kind, das mitunter gezwungen ist, sich durch die Auskunft der Mutter mit einer völlig neuen Familiensituation auseinanderzusetzen. Und für den Scheinvater, der den Gehörnten in der ganzen Geschichte gibt (auch wenn die Auskunft der biologischen Mutter eventuell bedeutet, dass er finanziell entlastet wird).
So wird die Gesetzesänderung denn auch sehr unterschiedlich gesehen: Die einen begrüßen sie, weil sie meinen, dass Väterrechte endlich gestärkt gehören. Die anderen finden, dass die neue Regelung Mütter diskriminiert. Die Rechtsexpertin der Grünen, Katja Keul, sagte, dass Mütter nun ihre Sexpartner nennen müssten, greife zu sehr in deren Persönlichkeitsrecht ein. Der Deutsche Juristinnenbund sieht das ähnlich; der neuerdings verordnete „Blick ins Schlafzimmer“ reiche über das Ziel hinaus. Andere Kritiker bemängeln, dass das neue Gesetz inkonsequent sei und Scheinväter mehr schwäche als stärke, weil die Möglichkeit der Rückforderung nur auf zwei Jahre begrenzt sei.
3. Recht
Die Reform schließt eine rechtliche Lücke: Das Bundesverfassungsgericht hatte erst im vergangenen Jahr beschlossen, dass die Pflicht zur Nennung des biologischen Vaters das Persönlichkeitsrecht der Mutter verletze – und es dafür schlicht keinen gesetzlichen Rahmen gibt. Dem soll der neue Entwurf Abhilfe schaffen. Im Bürgerlichen Gesetzbuch findet sich künftig unter Paragraph §1607 – „Ausfallhaftung und gesetzlicher Forderungsübergang“ ein neuer Absatz 4:
„Die Mutter des Kindes ist verpflichtet, dem Dritten, der dem Kind als Vater Unterhalt gewährt, auf Verlangen Auskunft darüber zu erteilen, wer ihr während der Empfängniszeit beigewohnt hat, soweit dies zur Feststellung des übergegangenen Unterhaltsanspruchs erforderlich ist. Die Verpflichtung besteht nicht, wenn und solange die Erteilung der Auskunft für die Mutter des Kindes unzumutbar wäre.“
Fraglich bleibt in der ganzen Diskussion über Scheinväter, Unterhaltspflicht, biologische Väter und Mütter, wie eigentlich die vermeintlichen Kuckuckskinder selbst über den Vorstoß des Bundesjustizministeriums denken. Titus Sennfelder wuchs als ein solches Kind auf. Schon früh hatte er das Gefühl, in der eigenen Familie, zwischen den älteren Geschwistern und seinen vermeintlichen Eltern, fehl am Platz zu sein. Heute ist er 57 und sagt: „Die Beziehung zu meinem sozialen Vater war immer kühl, da gab es keine Zärtlichkeiten. Er hat mich abgelehnt, ich ihn aber auch.“
Aus dem unreflektierten Gefühl der Fremdheit in Kindertagen wurde eine Vermutung im Teenageralter. Mit etwa Mitte 20 lernt Titus eine junge Frau kennen, die ihm erzählt, dass sie selbst ein Kuckuckskind ist. „Und damit war plötzlich für mich ganz klar, dass es bei mir genauso sein muss, dass mein Gefühl der Fremdheit nur diesen einen Grund haben kann“, sagt Titus heute. Damals spricht er die Mutter auf seinen Verdacht an, doch die blockt ab. Jahrelang. Erst als der Sohn daraufhin den Kontakt verweigert, gesteht sie nach einigen Jahren: Ja, Titus hat recht – nicht der Mann, mit dem er aufgewachsen war, hat ihn gezeugt. Sondern ein anderer, den Titus gut kennt – der Kinderarzt der Familie. Ein Ausrutscher, wie die Mutter sagt.
Titus wäre froh, wenn er diese Gewissheit schon viel früher in seinem Leben gehabt hätte. „Ich bin der Meinung, es ist für ein Kind besser, so früh wie möglich zu wissen, was eigentlich los ist. Das hätte mir viele Umwege erspart“, glaubt er. Deswegen findet Titus die neue gesetzliche Pflicht zur Nennung des Vaters gut. Ihn stört in der Diskussion, dass die Kuckuckskinder selbst keine Stimme haben und die Mütter zu sehr als Opfer betrachtet werden. Die Kritik, die Gesetzesänderung greife zu sehr in das Persönlichkeitsrecht von Müttern ein, will er nicht gelten lassen. „Naja“, sagt er, „meine Mutter hat in mein Persönlichkeitsrecht auch ganz schön hart eingegriffen.“
4. Leiblicher Vater
Es ist für Kinder wichtig, die eigenen Eltern zu kennen, weil sie darüber eine persönliche Identität entwickeln. Für die meisten Menschen bedeutet das: Sie wollen wissen, wer die biologischen Eltern sind. Jeder Mensch fragt sich, woher er kommt, wo er sich in dieser Welt verorten soll, also: wer er ist. Die eigene Herkunft spielt eine wichtige Rolle, um diese Frage beantworten zu können. Aus der Forschung zu Adoptivkindern weiß man, dass deren Selbstbild mehr negative Selbstanteile beinhaltet als das von Kindern, die mit leiblichen Eltern in einer „klassischen Familie“ aufwachsen. Deswegen können beispielsweise Adoptierte in Deutschland ab dem 16. Lebensjahr eine Abstammungsurkunde mit den Namen der leiblichen Eltern beantragen, sofern sie die Namen nicht von ihren Adoptiveltern erfahren haben. Ab dem 18. Lebensjahr dürfen sie außerdem ihre eigene Adoptionsakte einsehen.
Auch Titus hat den leiblichen Vater immer vermisst. „Das Gefühl, ein Kuckuckskind zu sein, hat mich lange verunsichert. Ich habe mich mein Leben lang nach einem männlichen Vorbild gesehnt, nach einer Vaterfigur“, sagt er. Sieben Jahre lang hat er eine Psychotherapie gemacht, um die eigene Geschichte aufzuarbeiten. „Ich war sehr lange sehr wütend“, sagt er, „auch auf meine Mutter. Vor zehn Jahren hätte ich ihr die Pest an den Hals gewünscht. Aber heute geht es mir gut. “
Titus hat sich ausgesöhnt mit seinem Schicksal, ist selbst Vater von vier Kindern, zwei davon schon erwachsen. Für seine Mutter empfindet er keine Wut mehr. Sondern sogar eine gewisse Empathie. „Sie hatte wahnsinnige Angst, dass ihr mit einem Eingeständnis ihre ganze Existenz um die Ohren fliegt“, sagt er. Und er weiß heute: „Irgendwann kann man loslassen.“
Name von Titus von der Redaktion geändert; Redaktion und Produktion Theresa Bäuerlein.