„Ich will dich anspucken, du Untermensch gehörst vergewaltigt!“, „Verpiss dich mit deinen Bildern aus dem Internet, du Fotze“, „Der Trollring hört nie auf dich zu ficken“, „Lass hinfahren und sie mit unseren guten deutschen Penissen anpimmeln“, „Hast du Angst? Ich erwarte dich in der Seitenstraße“, „Du gehörst vergast, nimm mal ne Dusche“. Alles Nachrichten, wie sie Paula, Hannah und Tom jeden Tag bekommen. Ganz öffentlich auf Twitter, für jeden lesbar, immer direkt an ihre Accounts adressiert.
Die Verfasser dieser Nachrichten sind mehrere hundert User, die sich als lose zusammengefasster „Trollring“ verstehen. Trollen, eine Tradition, die fast so alt ist wie das Internet. Der Ausdruck kommt vom Englischen “trolling with bait“, eine bestimmte Angeltechnik, bei der man Köder langsam durch das Wasser zieht. Der klassische Troll wollte schon immer ködern, stören und provozieren, um die Gemüter zu erhitzen, manchmal, um Kritik zu üben, dann wieder nur möglichst sinnlos.
Doch der Ton hat sich geändert.
Die drei Betroffenen wollen anonym bleiben, weswegen sie hier mit geänderten Vornamen stehen, auch die Tweets des Trollrings sind in diesem Text nicht verlinkt. „Die Trolls sehen das dann vermutlich als Trophäen, und es wird noch weiter verbreitet“, meint Paula, die selbst im Medienbusiness arbeitet. Und das wäre das Letzte, was sie sich wünscht - ungewollte Aufmerksamkeit bekommt sie jeden Tag genug. Ebenso wie Hannah und Tom, die beide als Autoren arbeiten.
„Ziel ist, die angegriffenen Personen aus dem Netz zu vertreiben“
„Ich kann gar nicht mehr sagen, wie das angefangen hat, das ging ganz ruhig los“ - beim Wort „ruhig“ setzt Paula Anführungszeichen in die Luft – „mit ein paar Dissen. Irgendwann merkt man dann, dass eine ganze Gruppe dahintersteht, und es wird immer extremer.“ Seit ein paar Monaten nimmt eine nicht genau eingrenzbare Gruppe von Usern fast jeden Tweet und jeden Teil von Paulas Onlinepräsenz auseinander. Nichts bleibt unkommentiert.
Bedrohlich fühle es sich aber vor allem an, erzählt Paula, seit es nicht mehr um Beiträge oder Äußerungen ging, sondern um sie als Person. Auf allen Kanälen, sogar ihrem Couchsurfing-Profil, wird sie verfolgt. Jedes Stück privater Information, das im Internet steht, wird zwischen den Trollen geteilt und zerpflückt. Von ihrer Adresse, die aufgrund der Impressumspflicht in ihrem Blog gelistet ist, bis zu Informationen über ihre Familie - und Bildern von ihr und ihrem Sohn.
Das Ziel sei offensichtlich: Die Angegriffenen mundtot zu machen und zum Aufgeben zu zwingen, sagt Paula. „Die wollen, dass diese Menschen aus dem Netz verschwinden.“ Sie hat festgestellt, dass die einzelnen Trolle inzwischen nicht nur viel aggressiver geworden, sondern auch besser organisiert sind. Was vor ein paar Monaten noch ein simples „Fickhure“ oder „Zeig Titten!“ war, ist jetzt zu „Ich komm vorbei und erziehe dein Kind mal richtig streng“ und „Ich zieh jetzt mal durch Friedrichshain, ich finde deine Wohnung schon“ geworden. Paula sieht darin eine systematische Verfolgung von Personen im Netz. Dieser Trend nehme extrem zu. „Das trifft ja nicht nur uns drei, das trifft so viele andere, die wir kennen oder nicht kennen, teilweise komplett zufällig.“
Tatsächlich erkennt man sogar eine gewisse Hierarchie, wenn man sich länger auf den Twitterprofilen der Trolle aufhält. Es gibt die großen Accounts, mit mehreren Hundert oder sogar Tausend Followern, einer von ihnen kommt zum Beispiel auf fast 100.000 Tweets. Scheinbare Neueinsteiger oder kleinere Accounts überschütten diese dann gerne mal mit Lob und Treueschwüren.
Alle Tweets der ausgewählten Ziele werden teilweise noch durch Twitterbots, also programmierte Accounts, gesammelt, damit auch von den Zielpersonen gesperrte User Zugriff auf die Inhalte haben und ja kein Tweet unkommentiert bleibt. Dazu kommt eine eigene Sprache („Almans“ sind die Gutmenschen auf Twitter, folglich also alle, die es verdient haben, angegriffen zu werden) und ein paar Running Gags über bestimmte Zielpersonen, die wohl unendlich oft wiederholt werden können, ohne an Beliebtheit zu verlieren. Jedes der auserwählten Opfer bekommt dann noch einen Spitznamen verpasst, der nicht unbedingt viel Sinn ergeben muss. Fertig ist der Trollring.
Wenn der Hass zum Hobby wird
Morgens warten dank dieser Organisation auf Paula, Hannah und Tom teilweise 100 Mentions, also neue Tweets, die direkt an sie gerichtet sind. „Da muss jemand echt viel Zeit haben“, meint Tom dazu. Aber wer, und vor allem warum? „Ich halte mir das total offen. Das Bild von dem Typ, der ohne Hose vor dem Rechner sitzt, wie man das so schön sagt, passt da nicht, glaube ich.“ Paula vermutet, dass in den Gruppen durchaus alle gesellschaftlichen Schichten vertreten sind, auch was Alter und Geschlecht angeht, könne sie keinen Schnitt machen. Hannah sieht das ähnlich: „Wenn man sich die als traurige Leute vorstellt, die bei Mutti im Keller sitzen und nichts zu tun haben, macht man es sich zu einfach. Das ist ja auch nur Psychohygiene.“
Würden die Trolls ihre Opfer nicht permanent verfolgen und beleidigen, man könnte sie für ihre technische Kreativität anerkennend bestaunen: Photoshop, Videoschnitt, Memes, sogar 3D-Animationen nutzen die Gruppen, um ihre Ziele anzugreifen. Wenn Tom das aufzählt, klingt er fast beeindruckt, wie viel Arbeit andere Leute in den Angriff seiner Person stecken. „Die Technik und die Zeit, die die dafür aufwenden, meine Inhalte, ich sag mal ‚neu zu interpretieren’, finde ich schon fast bemerkenswert.“
Für viele sei das Haten ein Hobby, meint Paula. Untereinander feuern sich viele Trolle nicht nur gegenseitig an, sie verteidigen sich auch, und wehe, ein Betroffener versucht einen der Accounts sperren zu lassen. Obwohl viele ihr persönliches „Lieblingsopfer“ zu haben scheinen, helfen sie dann gerne auch mal bei anderen mit, wenn Not am Mann ist. „Ich glaube, das hat auch einen massiven Suchtfaktor für diese Menschen.“ Paula hat schon Erfahrungen mit Accounts gemacht, die zwischendurch angekündigt hatten aufzuhören, weil „es ihnen selbst zu heftig wurde“. Am Ende waren sie aber doch wieder alle da und hassten weiter.
Einer der Trolle hat bis vor ein paar Monaten noch durchaus normal getwittert, sich irgendwann aber aufgeregt, dass er nicht genug Aufmerksamkeit bekomme. „Man kommt in eine Kneipe, findet irgendwie keinen Anschluss, dann sieht man, dass da zwei Leute rumpöbeln und denkt sich, ‚das kann ich auch’. Auf einmal hat man seine eigene Community.“
Trolle bitte nicht füttern
Diese Community füttere sich gegenseitig, meint Paula. Die klassische Internetregel „Don’t feed the trolls“, also Störer einfach zu ignorieren, greife schon lange nicht mehr. „Das ist so eine Community-Manager Binsenweisheit, die hat vielleicht vor Jahren auf den ersten Blogs mal funktioniert“, ergänzt Tom. Jeder Post und jede Präsenz im Internet sei mittlerweile schon ein Füttern, das müsse überhaupt nicht an die Trolle gerichtet sein. Die einzige Möglichkeit wäre also, im Netz einfach gar nicht mehr zu kommunizieren. Das ist auch das selbsterklärte Ziel des Trollrings.
Diese Aufforderung, die Trolle nicht zu füttern, setze die Schuldfrage an die falsche Stelle, sagt Paula. Natürlich sei jeder für seine Inhalte verantwortlich. Diese gezielten Angriffe könnten mittlerweile aber fast jeden treffen. Inhaltlich gebe es zwar immer Parallelen, aber der Großteil sei Willkür. „Ich höre auch immer ‚Ja DU postest doch dein ganzes Leben auf Twitter’ – erstens, nein, tu ich nicht, und selbst wenn, das ist kein Rechtfertigungsgrund.“ Tom ergänzt: „Das ist genauso wie einer Frau, die belästigt wird, zu sagen ‚Na dann zieh doch keinen Minirock an’.”
Auch sogenannte Counterspeech-Kampagnen wie „No Hate Speech“ des Europarates suchen die Schuld in gewisser Weise bei den Betroffenen, findet Tom. „Das klingt, als müssten wir einfach lauter dagegen vorgehen, dann verschwinden die.“ Was die Kampagnen bewirken wollten, sei natürlich wichtig. Aber der Hass höre dadurch trotzdem nicht auf.
Die Funktionen, die Twitter zum Schutz anbietet, beheben das Problem genauso wenig. Da sind sich die drei Betroffenen einig. Jeder Account kann blockiert werden, aber für Paula ist damit wenig getan. Denn nur, weil sie die Drohungen nicht mehr lesen kann, heißt das nicht, dass sie nicht trotzdem ausgesprochen werden. „Wenn mir zwei schreiben, sie kommen mit ihren Schwänzen in Friedrichshain vorbei, dann will ich das wissen, selbst wenn die Drohungen bis jetzt keine Handlungen nach sich gezogen haben.“ Blockieren ist für Paula nur ein Ausblenden.
Auch der neue Ansatz von Blocklisten, die betroffene User untereinander teilen können, sei keine Lösung, findet Paula. So etwas verhindere Pluralität, denn nicht jeder, der sich mal im Ton vergreift, sei gleich ein Troll. „Das Netz ist für mich kein Selbstbeweihräucherungstool, wo ich mich nur feiern lassen will. Ich wünsche mir einen verantwortungsvollen Austausch.“
Auch das Melden von einzelnen Tweets und ganzen Accounts läuft auf Twitter oft ins Leere. Es ist grundsätzlich sehr viel erlaubt, weil das Unternehmen sehr darauf bedacht ist, „die Tweets fließen zu lassen“ und freie Meinungsäußerung als höchstes Gut ansieht. An Tools zum Schutz gegen den Missbrauch der Plattform werde aber stets gearbeitet.
Paula, Hannah und Tom können tatsächlich eine gewisse Verbesserung des Systems feststellen. Früher konnten sie beispielsweise nur einen Tweet auf einmal melden. Jetzt kann man durch „Multiple Tweet Reporting“ den systematischen Teil der Verfolgung besser deutlich machen.
Auch die auswählbaren Gründe für das Melden eines Tweets seien verbessert worden, sagt Hannah. Früher war die Auswahl: „Werden Sie bedroht? Werden andere Personen bedroht? Werden Sie beleidigt?“. „Ja, alles!“ – Hannah lacht – „Da traf meistens alles zu, und genau da liegt ja das Problem.“
Trotzdem beantwortet Twitter die meisten Meldungen, die bearbeitet werden, am Ende mit einem „Es verstößt nicht gegen unsere Richtlinien“. Es sollte zwar auch im Interesse des Unternehmens sein, dass sich dieser Hass zumindest mit dem Positiven einigermaßen die Balance hält, findet Tom. Aber bei jedem Hilfeschrei von Usern erklären die Community-Manager von Twitter Deutschland, der Hauptsitz des Unternehmens sei in Irland.
Twitter verweist auf die Polizei, die Polizei verweist auf Twitter
Weil der Kurznachrichtendienst nicht entscheiden will, wo freie Meinungsäußerung aufhört und eine Straftat beginnt, versuchen immer mehr Betroffene, auch juristisch gegen die Angriffe vorzugehen. Bisher mit sehr wenig Erfolg. Thomas Neuendorf, der Pressesprecher der Berliner Polizei, erklärt: „Ich verstehe den Frust, aber wir haben Gesetze.“ Eine Beleidigung sei natürlich ein Straftatbestand, dem auch nachgegangen werde, aber durch ein Ermittlungsverfahren sei das Handeln der Täter nicht sofort beendet. „Wir können natürlich sagen ‚Schluss, hör auf!’, aber wenn sich die Leute nicht daran halten, dann können wir wenig machen.“
Deshalb solle man sich immer auch an den Administrator der Plattform richten, auf der man bedroht wird, meint Neuendorf. „Da gibt es ja Möglichkeiten, das zu sperren. Im Notfall gibt es ja auch den Account-Wechsel.“
Die Aussage klingt hilflos; gegen Stalking und Aggressivität gibt es doch außerhalb des Internets, also im realen Leben, auch andere Mittel. Online gestaltet sich die Sachlage allerdings um einiges schwieriger. „Ein Platzverweis im Internet macht halt wenig Sinn“, erklärt Neuendorf, „es kann auch einfach ein Problem sein, dass die Rechtsprechung noch nicht so fortgeschritten ist und das nicht als massiver Angriff erkannt wird.“ Jeder Betroffene müsse sehen, inwieweit er sich selbst schützen könne.Trotzdem rät er jedem, der sich bedroht fühlt, zu einer Strafanzeige. Es gebe Spezialermittler, erklärt Neuendorf, die sich dann um die Herausgabe des Klarnamens der Angreifer bemühen. Hier kam es vor einigen Wochen zu technischen Problemen, einige Anzeigen drohten eingestellt zu werden „Früher ging das per Post oder Fax, da haben wir einfach gefragt ‚Wer ist denn jetzt Birne99?’. Als alle Social Media-Unternehmen das plötzlich nur noch per Email versenden wollten, hatten wir zugegebenermaßen kurz ein Problem.“ Inzwischen könne die Polizei aber auch verschlüsselte Daten senden und empfangen.
Es hilft, den Hass sichtbar zu machen
Ingrid Brodnig, österreichische Journalistin, hat vor kurzem das Buch „Hass im Netz“ veröffentlicht. Wer merkt, dass er Ziel eines Angriffes ist, dem rät Brodnig, sofort alles zu dokumentieren. Auch andere Leute einzuweihen, sei es öffentlich oder privat, kann helfen. „Man muss der angegriffenen Person nicht einmal inhaltlich nahestehen.“ Bei der Solidarität gegen Hass gehe es ums Prinzip. Als Beispiel nennt sie den Tortenangriff auf die AfD-Politikerin Beatrix von Storch – zu dem dann fiese Bildmontagen im Netz kursierten. „Selbst, wenn ich von Storchs Politik ablehne, kann ich mich gegen solche sexistischen Witze aussprechen.“
Diese Solidarität hilft auch unter Betroffenen sehr. Sie merkten dann, dass es nicht um sie selbst als Person gehe, erklärt Brodnig, und fühlten sich sofort weniger allein. „Das passiert so vielen, und es ist wichtig, diesen Hass sichtbar zu machen, das kann eine ganz stärkende Maßnahme sein.“ Hass sichtbar zu machen, das hat Brodnig auch versucht, indem sie im Rahmen einer Videoaktion des österreichischen Magazins „Wienerin“ Hasskommentare laut vorgelesen hat. Angelehnt an das beliebte „Mean Tweets“-Format des US-Talkshow-Hosts Jimmy Kimmel sollte die Veranstaltung darauf aufmerksam machen, wie der anonyme Hass im Netz echte Menschen trifft.
Doch all diese Maßnahmen helfen mehr den Opfern als dass sie das Verhalten der Täter ändern würden. Im Zweifelsfall rät Brodnig daher auch zu juristischen Schritten. Österreich hat vor kurzem ein Cybermobbing-Gesetz verabschiedet, das die Strafverfolgung wesentlich effektiver machen könnte als in Deutschland. „Diese rechtlichen Schritte sollen klar zeigen, was eben keine Meinungsfreiheit mehr ist“, erklärt Brodnig, „denn in keiner Demokratie dieser Welt ist es erlaubt, Menschen mit dem Tod oder mit Vergewaltigung zu drohen.“
Aber auch die Unternehmen sieht Brodnig in der Verantwortung. „Wer seine Einnahmen durch menschliche Interaktion macht, der hat auch die Aufgabe, Menschen vor einem Missbrauch dieser Interaktion zu schützen.“ Dank öffentlichen Drucks gebe es immerhin schon die Erkenntnis, dass sich etwas ändern muss und der momentane Opferschutz nicht ausreicht.
„Stehen die irgendwann tatsächlich vor meiner Wohnung?“
Eigentlich klinge trollen viel zu harmlos, meint Tom. „Das Thema ist Hass im Netz. Das Thema ist Hass. Das Thema ist Hass in unserer Gesellschaft.“ Das Internet sei leider ein Nährboden für alles Radikale geworden, sagt Paula. Das schlimmste sei für sie das Gefühl, nicht zu wissen, wie sich dieser Hass noch steigern könnte. „Kann passieren, dass ich morgens aufwache und jemand ein Bild von meinem Kind mit einem Messer im Kopf gezeichnet hat. Es kann aber auch drei Wochen nichts passieren.“
Hannah sagt, bei ihr bleibe eine gewisse Grundangst, auch wenn sie die täglichen Beleidigungen nicht mehr träfen. „Aber diese Frage, wie radikal kann das werden, die bleibt. Stehen die irgendwann tatsächlich vor meiner Wohnung?“ Sie schockiert vor allem das Selbstverständnis der Trollringe. „Die sagen, sie sind humorvoll und satirisch. Das ist keine Satire, das ist Hass. Sowas schiebt nur Verantwortung ab.“
Paula fordert, das Problem müsse endlich erkannt werden. „Gerade für Leute, die nicht so netzaffin sind, gibt es da noch ein Riesenunverständnis.“ Selbst wenn Netzexperten, Polizei und Politiker noch keine Antworten haben, wünscht sie sich eine Ankündigung, dass etwas unternommen wird. „Dauerhafter Hass wird jedem die Unbeschwertheit nehmen, egal, wie dick das Fell ist“, sagt Paula. “Und genau ab diesem Punkt wird meine Freiheit eingeschränkt, da muss sich etwas ändern.“
Aufmacherbild: EyeEM, Redaktion Vera Fröhlich, Produktion Esther Göbel.