Ich sitze auf der Kante meines Bettes in einem Krankenhaus in Bukarest, den Oberkörper vor- und zurückwiegend wie in einem Schaukelstuhl, und presse mir das Kissen an den Bauch. Es tut so weh, als hätte mich jemand in der Mitte durchgeschnitten, und ich versuche, dem Gespräch der anderen Frauen im Raum zu folgen, um den Schmerz zu vergessen.
Die Krankenschwester hat gerade zum letzten Mal für heute reingeschaut, Arznei verteilt, und die nächsten drei Stunden werden wir reden, reden, bis die Medikamente wirken, bis wir müde werden. Wenn es soweit ist, wird eine von uns aufstehen und das Licht löschen. Nur der Fernseher wird weiterlaufen, ohne Ton - wenn man einmal die zehn Lei (etwa 2,20 Euro) für ihn bezahlt hat, läuft er zwölf Stunden durch.
Bis wir einschlafen reden wir über alles, was uns durch den Kopf geht, ganz wie früher, auf dem Land, im Sommer, wenn meine Großmutter, meine Schwester und ich die Hühner in den Stall gebracht und unsere Füße gewaschen hatten, uns in ihr kleines Haus mit dem kühlen Lehmboden zurückzogen und uns Geschichten erzählten, in den Schlaf plapperten.
Hier, im Krankenhaus, teile ich das Zimmer mit drei anderen Frauen. Im Bett vor mir liegt eine Frau, deren Damm gerissen ist. Ihr Kopf ruht auf ihrem aufgestützten Arm, mit der anderen Hand knetet sie einen langen dünnen Schlauch, der zwischen ihren Beinen entspringt und sich in einen transparenten Beutel mit Pisse windet, der warm auf ihrem Schenkel ruht. Tagsüber, wenn die Frau sich durch den Raum schleppt, zieht sie den Beutel vorsichtig hinter sich her. „Ich dreh ‘ne Runde mit dem Hund“, sagt sie und grinst uns an.
Als sie vor 30 Jahren ein Kind gebar, machte der Doktor einen zu tiefen Schnitt und heute, da ihre Muskeln geschwächt sind, ist der alte Riss wieder da. Sie nässt sich ein beim Laufen. „Vor allem beim Treppensteigen spritzt’s raus“, erzählt sie, als wäre es die Geschichte von jemand anderem. Sie arbeitet im Lager eines Elektrohandels.
Im Bett neben ihr liegt eine Frau, die etwa 30 Jahre alt ist, blond, mit zerzaustem Haar und einem um die Hüfte gebundenen Bademantel. Als sie eingewiesen wurde, stürmte sie praktisch ins Zimmer, schmiss ihre Sachen aufs Bett und war genauso schnell wieder draußen, wie sie reinkam. Sie rannte beinahe.
Mehrmals kam die Krankenschwester, um nach ihr zu fragen. „Sie wird doch nicht geflüchtet sein? Wir hatten schon solche Fälle, die Polizei findet sie meist nachts am Kloster Cașin.“ Aber die Frau war nicht zum Kloster gerannt, sie stand draußen und rauchte Kette.
Der ganze Raum riecht nach Teer, als sie zurückkommt. Schwer seufzend packt sie ihre Sachen aus, räumt ihren Hygienebeutel und das Obst in die Schubladen des rostigen Nachtschranks neben dem Bett, die Feuchttücher und das Toilettenpapier oben drauf, immer griffbereit, und stellt die Wasserflasche auf den Boden. Als sie fertig ist, plumpst sie aufs Bett und fängt an zu weinen.
„Ich habe Zysten am Eierstock“, sagt die Blonde zwischen zwei Schluchzern. Wir atmen alle erleichtert auf, versuchen sie zu trösten: „Heeey, deshalb muss man doch nicht so furchtbar weinen!“ Aber das ist ja auch gar nicht das Problem. Ihr Mann ist Lastwagenfahrer in England, sie sieht ihn nur alle halbe Jahre, und ihr zehn Jahre altes Mädchen ist nun allein zu Hause.
Auf dem Bett links von mir sitzt eine athletische, stille Frau in einem türkisfarbenen Bademantel. Sie hat seit heute früh nichts mehr gegessen, und bis zu ihrer Operation morgen darf sie nichts zu sich nehmen. „Meine Eileiter sind verstopft. Morgen werden sie freigemacht, damit ich Kinder bekommen kann.“ Sie sagt es in einem Atemzug und lächelt, als wäre es ihr peinlich, so viel zu reden.
„Oh, und manche können einfach so Kinder machen, und dann schmeißen sie sie weg“, sagt die Blonde in einem bedauernden, vom Weinen ermüdeten Tonfall. Dann schnaubt sie sich aus und ergänzt mit einer Vehemenz, die nicht unbedingt etwas mit dem Leid der anderen zu tun haben muss:
„Wie kann man so etwas nur machen, häh? Ein Baby wegmachen – es hat doch auch eine Seele?”
„Ja, das hat es. Trotzdem habe auch ich ein paar Babys weggeworfen zu Ceaușescus Zeiten“, sagt die Frau mit dem Dammriss. Die Stille im Raum, die darauf folgt, wird nur von dem gedämpften Gequake der Karaoke-Show unterbrochen, die im Fernsehen läuft.
Damals, zu Ceaușescus Zeiten, war Abtreibung verboten. Man konnte dafür im Gefängnis landen. Es gab auch keine Verhütungsmittel. 1966 verordnete der rumänische Staat, dass jedes Ehepaar mindestens vier Kinder haben sollte, damit die Bevölkerung wuchs – und damit, so die Logik des zum Diktator gewordenen Bauernsohnes Nicolae Ceaușescu, auch die Wirtschaftskraft.
Wenn man schwanger wurde – was kaum zu vermeiden war – blieb einem nichts anderes übrig, als sich einer „Baba“ anzuvertrauen. Die Baba war die Frau, die heimlich half abzutreiben, in fast jedem Dorf gab es sie. Einige verstanden was von Medizin, andere nicht.