Die zehn kniffligsten Probleme des Feminismus

© Sibylle Jazra

Geschlecht und Gerechtigkeit

Die zehn kniffligsten Probleme des Feminismus

Über kaum einen anderen Begriff lässt sich so schön streiten. Darüber, wie Feminismus sich definiert, was Frauen wollen (sollen), wieso auch Männer davon profitieren. Wer behält da noch den Überblick? Der Versuch einer Einordnung.

Profilbild von Esther Göbel
Reporterin für Feminismus

1. Gäääääähn. Wer braucht Feminismus eigentlich noch?

Wir alle. Frauen, weil sexuelle Diskriminierung und Gewalt sowie Benachteiligungen im Beruf noch immer keine Ausnahme sind. Männer, weil auch viele von ihnen unter verstaubten Rollenklischees leiden und eigentlich niemand, der ernsthaft an eine gerechte Gesellschaft glaubt, wollen kann, dass ein bestimmter Teil dieser aufgrund seines Geschlechts diskriminiert, ausgebeutet oder ausgeschlossen wird.

Denn genau darum geht es beim Feminismus: Nicht nur um Gleichberechtigung der Geschlechter und um den Kampf von Frauen gegen sexuelle Gewalt und Unterdrückung. Sondern auch um die Idee einer grundsätzlich faireren Welt, in der möglichst viele Menschen Anteil an den gleichen Rechten und Privilegien genießen. Man könnte es auch so ausdrücken: Feminismus ist die logische Konsequenz humanistischen Denkens. Genau deswegen betrifft er letztlich jeden.

Seit Alice Schwarzer in den siebziger Jahren das Patriarchat bekämpfte, hat sich viel geändert: Frauen sitzen heute in gehobenen Positionen, studieren MINT-Fächer, werden Astronautinnen und lassen sich ihre Eizellen einfrieren, um die biologische Uhr zurückzudre­hen. Mehr Mädchen als Jungen schaffen das Abitur, sie sind besser in der Schule, seit 2015 ist die Frauenquote in Deutschland für rund hundert große Unternehmen beschlossene Sache.

Gleichzeitig aber gibt es auch die anderen Zahlen: Frauen stemmen weltweit ein Drittel aller bezahlten Arbeitsstunden, verdienen aber oft weniger als Männer. Dazu erledigen sie das Gros der Familienarbeit. Nur 36 Prozent der deutschen Bundestagsabgeordneten sind Frauen.

Sexuelle Diskriminierung und Gewalt sind zudem keine Randthemen. Die meisten Frauen können erschreckenderweise eine Geschichte dazu erzählen – und das nicht erst seit den Silvester-Ereignissen von Köln: Laut einer Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte aus dem Jahr 2014 hat jede dritte (!) Frau seit ihrer Jugend körperliche oder sexuelle Gewalt erlebt.

Deswegen brauchen wir Feminismus.

2. Aber die Rollenklischees ändern sich doch. Wieso also die Aufregung?

Ja, die Rollenbilder wandeln sich. Frauen können in westlichen Gesellschaften zumindest in der Theorie alles sein – aber auch nur dort. Geschlechtsgebundene, vermeintlich „natürliche“ Vorstellungen davon, wie eine Frau oder ein Mann sich zu verhalten hat, sitzen tiefer in uns fest, als uns oft bewusst ist. Natürlich sind kleine Jungs wilder und aggressiver als kleine Mädchen. Natürlich will jede Frau früher oder später die Liebe ihres Lebens finden und Mutter werden. Und natürlich sind Frauen allein aufgrund ihres Geschlechts besser dafür geeignet, Kinder zu erziehen. Das sind nur drei klischeehafte, geschlechtergebundene Stereotypen, die viele Menschen aber für „normal“ halten.

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Doch „normal“, so sagt es etwa die israelische Soziologin Eva Illouz, „ist nichts als der Name, den wir dem geben, was Normen stillschweigend diktieren“.

Daraus resultieren Rollenfallen, in die wir tappen, oftmals ohne es zu merken. So hat die deutsche Soziologie-Professorin Karin Flaake in einer empirischen Studie von 2014 zwölf deutsche Familien zu ihrem Mütter- und Väterbild befragt sowie deren familiäre Lebenssituation sehr detailliert analysiert. Die ausgewählten Paare zeichneten sich dadurch aus, dass sie sich als gleichberechtigt verstanden und die Aufgaben der Elternschaft aufgeteilt hatten. In den intensiven Gesprächen, die Flaake führte, äußerten einige Mütter, wie schwer es ihnen trotz des eige­nen Anspruchs auf Egalität falle, ihren Männern genug Raum für eine innige Beziehung zu den Kindern einzuräumen.

Flaake hat herausgefunden, dass sich beide Geschlechter in­nerhalb einer Partnerschaft sehr an traditionellen Rollenbildern orientieren. Die Frauen seien innerlich stark daran gebunden, Selbstbestätigung aus der Mutterrolle ebenso wie aus der Hausfrauenrolle zu ziehen, folgerte Flaake aus den Interviews. Die Männer auf der anderen Seite verbanden die Übernahme von viel Hausarbeit mit Verweichlichung und der Entwertung ihrer Männlichkeit. Noch ein weiterer Punkt hat Flaake überrascht: Den Vätern, die sie befragte, fiel es schwer, eine emotional offene und körperlich zärtliche Beziehung zu ihren Söhnen aufzubauen. Bei Töchtern hatten die Väter weniger Probleme, bei den Söhnen aber verkrampften sie.

Das Beispiel zeigt: Die tief verwurzelten Geschlechterdynamiken spielen ineinander – und sich am Ende gegenseitig aus. Letztlich leiden also Frauen und Männer unter den verstaubten und einschränkenden Rollenvorgaben, nicht zu vergessen non-binary- und trans-Personen.

https://www.youtube.com/watch?v=T_ZWIHcE4LI

3. Woher stammen diese Rollenbilder?

Was viele Menschen sich nicht bewusstmachen: Sie werden nicht nur von persönlichen Faktoren, vom aktuellen Zeitgeist und neuen Trends geprägt – sondern auch von Jahrhunderte alten Vorstellungen, die also über einen langen Zeitraum kultiviert wurden. So schrieb beispielsweise Jean-Jacques Rousseau 1762 in seinem Buch „Émile oder über die Erziehung“:

„In der Vereinigung beider Geschlechter ist jedes für den ge­meinsamen Zweck gleich tätig, aber freilich nicht in derselben Weise. Aus dieser Verschiedenheit ergibt sich der erste bestimmbare Unterschied beider Geschlechter in moralischer Beziehung. Das eine soll tätig und stark sein, das andere empfangend und schwach; bei dem einen muss notwendig Wille und Kraft herrschen, bei dem anderen zarte Nachgiebigkeit. Wenn man diesen Grundsatz anerkennt, so muss man auch weiter daraus folgern, dass das Weib besonders dazu geschaffen ist, dem Mann zu gefallen. (…) Sein Verdienst beruht auf seiner Macht, er gefällt allein durch seine Kraft. Freilich gibt sich hierin noch nicht das Gesetz der Liebe zu erkennen, wohl aber das Gesetz der Natur, das älter ist als die Liebe selbst.“

Im 19. Jahrhundert wurde dieser Glaube an unterschiedliche „Geschlechtscharaktere“ weiter forciert: Der Mann galt als mehr aktiv und rational, die Frau aufgrund ihres Geschlechts als passiv und emotional. Schon allein durch diese Vorstellungen ergibt sich eine Hierarchie: Die Frau soll sich dem Mann unterordnen. Demzufolge durfte die bürgerliche Frau im 19. Jahrhundert kein Abitur ablegen, nicht studieren, nicht wählen und keine Geschäftsbeziehungen eingehen. Tugend, Fleiß und Sittsamkeit plus ein Wirkungsreich auf das traute Heim beschränkt: So sah das Abziehbild der damals idealen bürgerlichen Frau aus.

Bei den meisten Menschen ist mittlerweile der Gedanke durchgesickert, dass Rousseau und seine Anhänger mit ihrer Theorie der „natürlichen Geschlechtercharaktere“ falsch lagen. Aber das Echo hallte lange nach. Erst seit knapp 100 Jahren (genauer gesagt seit 1918) dürfen Frauen in Deutschland beispielsweise wählen gehen, die sogenannte Hausfrauenehe (in der die Frau zur Haushaltsführung verpflichtet wurde) hatte bis zur Eherechtsreform von 1976/77 Bestand. Erst seit knapp 20 Jahren ist Vergewaltigung in der Ehe in Deutschland strafbar.

4. Aber ist der Feminismus nicht eine Modeerscheinung? Sogar Beyoncé behauptet mittlerweile, sie sei Feministin.

Feminismus ist nicht mehr nur eine politische Theorie und Bewegung, sondern auch ein popkulturelles Phänomen, das ist richtig. Feminismus gilt mittlerweile als cool – zumindest in der Werbeindustrie. Selbst jene Frauenzeitschriften, die mit ihren Diättricks, Schönheitskuren und Tipps zum Männerfang keine größere Antithese zu feministischen Ansätzen bilden könnten, bedienen sich der Thematik: Im Februar überschrieb Cosmopolitan einen Text mit den Worten „fun, fearless, feminist“, in dem ein „Feminismus mit Sexappeal“ gefordert wurde. Stars wie Beyoncé, Miley Cyrus oder Emma Watson schmücken sich zudem gern mit dem Attribut Feministin. Und der kanadische Premierminister Justin Trudeau zeigt in einer Rede wunderbar, wieso auch Männer Feministen sein können.

https://www.youtube.com/watch?v=FUtRnkm1GlY

Dieser öffentliche Zuspruch tut dem Feminismus gut. Dadurch bekommt der Kampf gegen sexuelle Diskriminierung und Gewalt mehr Gehör. Gleichzeitig aber ist die Frauenbewegung kein Zeitgeist-Phänomen. Sondern eine traditionsreiche Bewegung (siehe Punkt 7).

5. Trotzdem hat der Feminismus ein Imageproblem. Vielen Menschen, auch jungen Frauen, fällt es schwer, sich der Bewegung zuzurechnen. Warum?

Ein Grund dafür ist sicherlich das negative Bild, das dem Wort „Feminismus“ anhaftet. Obwohl der Begriff seit einigen Jahren stärkeren Einzug in die Popkultur hält, setzen viele den Begriff noch immer mit „hysterischem Emanzengeschrei“ gleich (wie die Bloggerin Meike Lobo sehr gut in diesem Text beschreibt). Eine Frau, die sich selbst als Feministin bezeichnet, sieht sich oftmals noch immer dem Achselhaar tragenden Klischeebild der geifernden Männerfeindin in Birkenstocksandalen ausgesetzt. Dieses Bild aber dient Antifeministen als Methode, jedweder Geschlechter-Kritik den Boden zu entziehen, funktioniert sie doch über Abwertung: Eine Frau hat schön zu sein, gut auszusehen. Auf dieses Attribut wird bei ihr nach wie vor viel mehr Wert gelegt als bei einem Mann. In dem Moment, in dem man ihr dieses Attribut abspricht und sie eine „achselhaartragende, hysterische Emanze“ nennt, wird sie in ihrer Weiblichkeit degradiert – und gleichzeitig mit einem Makel versehen.

Kein Wunder also, dass sich manche Frau sich letztlich dagegen entscheidet, öffentlich als Feministin aufzutreten. Auch wenn gerade dieser Schritt nötig wäre, um aus einer passiven Opferrolle herauszutreten.

Eine weitere Rolle mag spielen, dass viele junge Frauen heute zunächst keine Notwendigkeit für eine feministische Bewegung spüren. Zumindest die gut gebildeten aus der westlichen Mittelschicht nicht. So auch die Autorin Ronja von Rönne, die im Frühjahr 2015 einen viel diskutierten Kommentar schrieb, in dem sie den Feminismus als „Charityaktion für unterbemittelte Frauen“ bezeichnete, „nur noch Symptom einer Empörungskultur, die sich fester an die Idee der Gleichheit klammert als jedes kommunistische Regime“.

Jungen und Mädchen wachsen in Deutschland heute tatsächlich mit den gleichen Chancen auf. Wer sich als junge Frau keine großen Systemfragen stellt und außerdem das Glück hatte, nie mit sexueller Gewalt oder Diskriminierung in Berührung zu kommen, könnte in einem wenig reflektierten Fazit tatsächlich folgern, alles sei gut und der Feminismus obsolet. Dass diese Schlussfolgerung jedoch viel zu kurz gedacht ist und deswegen falscher nicht sein könnte, belegen die Fakten unter Punkt 1. Viele Frauen spüren die Geschlechter-Schieflage trotzdem erst ab einem gewissen Alter – nämlich dann, wenn sie an die viel beschworene „gläserne Decke“ stoßen oder sich das Babythema auftut. Und damit Fragen nach Gleichberechtigung in der Kindererziehung, Chancengleichheit im Beruf und monetärer Vergütung von Arbeit im Job versus Familienarbeit konkret werden. Erst dann fühlen sich viele Frauen, quasi über persönliche Betroffenheit, den Interessen des Feminismus wirklich nahe.

6. Warum werden Feministinnen und Feministen so oft angefeindet?

Auf diese Frage gibt es leider keine logische Antwort. Denn wäre es nicht im Sinne aller, wenn Frauen und Männer in einer gleichberechtigteren (und für Frauen sichereren) Gesellschaft zusammenleben würden? Ohne sexualisierte Gewalt? Ohne sexuelle Diskriminierung? Mit absoluter Chancengleichheit? Wer kann im Jahr 2016 eigentlich noch dagegen sein?

Offenbar mehr Menschen als man denkt. Wer sich öffentlich selbst Feminist nennt, etwa im Netz, darf nicht zimperlich sein. Beleidigende Kommentare oder E-Mails sind normal, Vergewaltigungs- oder Todesdrohungen gegenüber Feministinnen als „Erziehungsmethoden“ leider auch keine seltene Ausnahme. Mal ist die Emanzipation der Frauen in Deutschland schuld daran, dass hierzulande so wenige Kinder geboren werden, dann wird sie wieder dafür verantwortlich gemacht, dass das deutsche Rentensystem sich schon jetzt in einer Schieflage befindet oder Jungen schlechtere Schulnoten bekommen als Mädchen. Die Anhänger des sogenannten Maskulismus reagieren besonders kritisch gegenüber Feministinnen und werfen ihnen die Unterdrückung des Mannes vor. Wer sich dem Maskulismus verschreibt, versteht sich als Männerrechtler und gleichzeitig als Opfer der weiblichen Emanzipation.

https://www.youtube.com/watch?v=8gZAJNSMSFY

Eugen Maus ist Männerrechtler und Vorstandsmitglied der Initiative MANNdat. In diesem Video spricht er darüber, was sein Verein fordert.

Manche Männerrechtler treibt allerdings viel mehr als eine kritische Haltung gegenüber dem Feminismus um: Frauenhass und ein diskriminierendes Selbstverständnis. Woher beides rührt? Vielleicht aus der Angst vor einem Bedeutungs- und Machtverlust. Denn beides, Macht und Deutungshoheit, beanspruchten Männer Jahrhunderte lang allein für sich (und in weiten Teilen der Welt tun sie es auch heute noch).

7. Seit wann kämpfen Frauen für ihre Rechte?

Die feministische Bewegung hat eine lange Tradition, die grob in vier Wellen eingeteilt wird:

Frühe Vorläuferinnen kritisierten schon zu Zeiten der Französischen Revolution das rechtliche Ungleichgewicht zwischen Männern und Frauen, so zum Beispiel die englische Schriftstellerin Mary Wollstonecraft oder die Französin Marie-Olympe de Gouges. Sie verfasste 1791 die „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“, denn die neuen Menschen- und Bürgerrechte waren bis dato nur Männern vorbehalten. Zwei Jahre später bezahlte sie ihr Engagement allerdings mit dem Leben: 1793 wurde de Gouges wegen ihres Engagements mit der Guillotine geköpft.

Olympe de Gouges, Pastell von Alexander Kucharski

Olympe de Gouges, Pastell von Alexander Kucharski Quelle: Wikipedia, gemeinfrei

Mary Wollstonecraft, Gemälde von John Opie

Mary Wollstonecraft, Gemälde von John Opie Quelle: Wikipedia, gemeinfrei

In der Mitte des 19. Jahrhunderts wuchs die Unzufriedenheit der Frauen über die herrschenden Verhältnisse, zum Beispiel über den Ausschluss aus politischen Prozessen. Arbeiterinnen demonstrierten, 1865 gründete sich der Allgemeine Deutsche Frauenverein, der sich für das Recht auf Bildung und Erwerbstätigkeit für bürgerliche Frauen einsetzte. Die sogenannten Suffragetten wie beispielsweise Emily Wilding Davison kämpften in England vehement für ein Frauenwahlrecht und eine politische Teilhabe. Diese organisierten Proteste nennt man heute die erste Welle des Feminismus. Seit 1929 steht dieses Wort im deutschen Duden.

Die zweite Welle bezeichnet die Frauen-Proteste in den sechziger bis achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, ausgehend von den USA. Frauen sprachen in dieser Zeit öffentlich über ihr Recht auf Abtreibung und die eigene Sexualität. Die französische Intellektuelle und Feministin Simone de Beauvoir veröffentlichte ihr Buch „Das andere Geschlecht“, das heute als feministischer Klassiker gilt. Zudem kämpften Frauen für eine stärkere Teilhabe am Erwerbsleben, sie forderten Chancengleichheit und mehr Selbstbestimmung. In Deutschland gilt Alice Schwarzer als Vorreiterin der zweiten Welle. 1977 gründete sie die feministische Zeitschrift Emma.

Die dritte Welle des Feminismus in den neunziger Jahren schwappte ebenfalls von den USA nach Deutschland hinüber, eine Schlüsselfigur ist die Feministin Rebecca Walker. Ihr Buch „To be real. Telling the Truth and Changing the Face of Feminism“ von 1995 gilt als Standardwerk. Die Feministinnen der dritten Welle engagierten sich einerseits für die Ziele der zweiten Welle, die sie noch nicht vollendet sahen, andererseits aber grenzten sie sich auch von den alten Vorreiterinnen ab. Riot Grrrl-Bands bildeten sich, Ladyfeste wurden organisiert. Feminismus sollte nicht mehr nur schwer und streng sein, sondern auch Spaß machen. Es ging jetzt nicht mehr nur um die Dichotomie Mann versus Frau, sondern auch um Hautfarbe, Ethnizität, postkoloniale Theorien und verstärkt um die Frage nach der sozialen Geschlechtsidentität. Judith Butler veröffentlichte ihr Buch „Gender Trouble: Feminism and the Subversion of Identity“ und gilt als Vordenkerin der Queer-Theorie, die kritisch die Begriffe biologisches und soziales Geschlecht hinterfragt, den kulturellen Einfluss auf beides untersucht und sich gegen ein binäres, feststehendes Geschlechtssystem wehrt. 2008 erschien zum ersten Mal das junge MISSY MAGAZINE in Deutschland, ein Heft über „Popkultur für Frauen“, so der Untertitel, im selben Jahr landeten die Journalistinnen Susanne Klingner, Barbara Streidl und Meredith Haaf mit „Wir Alphamädchen“ einen Bestseller.

https://www.youtube.com/watch?v=WRw4H8YWoDA

Heute ist Feminismus diverser denn je – den einen Feminismus gibt es nicht. Netzfeminismus ist ein wichtiges Stichwort, getragen von Aktivistinnen wie Anne Wizorek (#aufschrei), der muslimischen Feministin Kübra Gümüsay (mit anderen #ausnahmlos) oder der Britin Caroline Criado-Perez. Die bekannteste Feministin der jüngeren Stunde, oft auch als Vertreterin einer vierten Welle genannt, dürfte in Deutschland Laurie Penny sein, ebenfalls Britin (der Spiegel nannte sie erst vor Kurzem den „Popstar des Feminismus“). Anders als viele Feministinnen hierzulande, deren Gedanken sich allein um die Themen Vereinbarkeit von Familie und Beruf drehen, spricht sich Penny gegen einen „Karrierefeminismus“ aus. Sie wehrt sich stattdessen gegen den Kapitalismus, gesellschaftliche Klassenunterschiede und feste Geschlechterrollen. Sie bezieht Männer und soziale Schwache in ihre Denkweise ein und ist eine Verfechterin von polyamorer Liebe – allumfassender könnte moderner Feminismus nicht sein.

https://www.youtube.com/watch?v=hsy7Lh-nr7M

8. Das ist ja alles gut und schön – aber manchmal ist Feminismus wirklich schwer zu verstehen. Zum Beispiel: Wieso ist es wichtig, hinter jede männliche Personenendung ein „–in“ zu hängen? Dadurch ändert sich doch nichts, oder? Wieso machen Feministen/-innen das?

Sprache schafft Sachverhalte, sie spiegelt Machtverhältnisse und Normen. Deswegen macht es einen Unterschied, ob in einer Pressemitteilung beispielsweise steht: „Anwesend waren auch Dr. Michael Schmidt und seine Gattin“ oder „Anwesend waren auch Dr. Michael Schmidt und seine Gattin Prof. Dr. Julia Schmidt.“ Genauso macht es einen Unterschied, ob man eine trans-Person vehement gegen ihren Willen mit dem jeweiligen Personalpronomen des biologischen Geschlechts anspricht – oder mit dem Personalpronomen ihrer Identität.

Eine neutrale Sprache dient dazu, auf das Problem von geschlechtsspezifischer Diskriminierung aufmerksam zu machen – und einen ersten Schritt Richtung Gleichbehandlung zu gehen. Ein gutes Beispiel dafür hat vor Kurzem die Tagesschau geliefert: Das Ehepaar Amal und George Clooney trafen Bundeskanzlerin Angela Merkel am 12. Februar zu einem Gespräch. Doch statt wie üblich zu schreiben „Der berühmte Schauspieler George Clooney und seine Frau trafen Angela Merkel … “ titelte die Tagesschau-Redaktion auf Facebook zu dem untenstehenden Foto:

„Bundeskanzlerin Merkel hat sich heute mit der international renommierten Menschenrechtsanwältin Amal Clooney getroffen, um über die Flüchtlingskrise zu sprechen. Clooney kam in Begleitung ihres Mannes, einem Schauspieler.“

https://twitter.com/RegSprecher/status/698080695604899840

Die Schweden beispielsweise sind diesbezüglich schon viel weiter als wir: 2015 wurde dort das geschlechtsneutrale Pronomen „hen“ eingeführt. Es bewegt sich zwischen „han“ für „er“ und „hon“ für „sie“. So sollen beispielsweise auch transsexuelle Menschen durch das neue Pronomen berücksichtigt werden.

Manche Autoren und Autorinnen benutzen auch den sogenannten Gender Gap: Einen Unterstrich als sprachliches Stilmittel in der Bezeichnung von Personen. Zum Beispiel: Feminist_in. Diese Lücke soll nicht nur männliche und weibliche Personen gleichermaßen einbeziehen, sondern auch alle Menschen, die für sich eine geschlechtliche Identität zwischen diesen beiden Polen wählen.

9. Warum hört man immer wieder die Forderung nach einem neuen Feminismus?

Der Streit darüber, wie Feminismus sein und in welche Richtung er sich bewegen soll, ist so alt wie der Feminismus selbst. So wie in jeder anderen politischen Bewegung gibt es immer wieder Richtungsstreits. In den vergangenen Jahren wurde jedoch der Ruf nach einer stärkeren Solidarität unter Frauen laut. Kämpften die Feministinnen der zweiten Welle noch als „Schwestern“ Seite an Seite für basale Rechte, die alle Frauen betrafen, sprechen manche Kritikerinnen heute von einem „Elitefeminismus“, der sich auf den Kampf um Karriere und Quote konzentriert und damit nur die Frauen erreicht, die sowieso schon bessergestellt sind: nämlich die studierten und gut ausgebildeten (und in der Regel weißen) Frauen der Mittelklasse.

Statt sich beispielsweise im Kampf für ein verbessertes Steuer- und Unterhaltsrecht alleinerziehender Mütter zu solidarisieren (die in Deutschland massiv von Armut bedroht sind), diskutierten die „Elitefeministinnen“ lieber über social freezing oder Frauen in Chefetagen, so der Vorwurf. „Sisterhood is dead“, schrieb etwa die britische Ökonomin Alison Wolf im vergangenen Jahr in einem viel beachteten Artikel im englischen The Guardian „Schwesternschaft ist tot.“ Klasse übertrumpfe Geschlecht, so Wolfs vernichtendes Urteil. „Die [soziale] Ungleichheit unter Frauen wächst viel stärker als die unter Männern.“

Was Wolf damit meint: Während ein bestimmter Teil an Frauen beispielsweise von der Frauenquote oder flexibleren Teilzeitmodellen in höheren Berufen profitiert, ändert sich für sozial schwächer gestellte Frauen nichts. Sie füllen lediglich die Lücken, die die Karrierefrauen zurücklassen, hüten also deren Kinder oder putzen deren Wohnungen – klassische Frauenjobs, die schon immer vom weiblichen Teil der Weltbevölkerung erledigt wurden. In Deutschland etwa waren 2010 rund 74 Prozent der Erwerbstätigen in Berufen des Gesundheitswesens weiblich. Heute sieht das in etwa so aus: Die deutsche Managerin geht arbeiten, lässt ihre Wohnung von einer Haushaltshilfe aus Polen verwalten, die wiederum eine billigere Kraft aus einem ärmeren ehemaligen Ostblockstaat bei sich zu Hause beschäftigt, um den entstehenden Engpass zu beheben. „Care-Kette“ nennen Wissenschaftler das Prinzip. Und der Markt hinter dieser ausgelagerten Fürsorge floriert: Der Sektor der drei großen „C“ – Caring, Cleaning and Cooking – hat sich zu einer Goldgrube entwickelt; er ist zum größten Arbeitsmarkt für Frauen weltweit geworden.

So entstehen paradoxe Verhältnisse: Während die Schere zwischen den Geschlechtern kleiner wird, vergrößert sie sich unter den Frauen dieser Welt immer weiter.

10. Welche Art von Feminismus brauchen wir also?

Einen, der alle einschließt. Frauen, Männer, Queers, gut Verdienende, gering Verdienende, gut Gebildete, weniger gut Gebildete, Mütter, kinderlose Frauen, Hausfrauen, Karrierefrauen, Heterosexuelle, Homosexuelle, Religiöse, nicht Religiöse, PoC, also People of Colour.

So banal diese Antwort klingen mag, so wichtig ist es, sie zu verstehen: Feminismus sollte kein elitäres Projekt sein, dass sich nur für die Verbesserung der Situation einer bestimmten Gruppe von Frauen einsetzt. Wir brauchen kein hysterisches Gezeter eines kleinen Kreises, der seinerseits die Deutungshoheit darüber beansprucht, was Feminismus ist, wie eine moderne, emanzipierte Frau zu leben hat, ab wann eine Frau eine Frau ist, welcher Mann ab wann als Macho einzustufen gilt oder wann ein Mann ein Mann ist. Wir brauchen einen unaufgeregten Feminismus, der überlegt und sachlich argumentiert, sich breit aufstellt und nicht aus- oder abgrenzt. Sondern alle einlädt.


Illustration: Sibylle Jazra für Krautreporter.