Atomwaffen sind die einzigen Waffen der Welt, die Milliarden kosten und die Sicherheitsdoktrinen ganzer Kontinente bestimmen, aber nur dazu gedacht sind, nicht eingesetzt zu werden. Sie sind eigenartige Biester.
Die wichtigsten Fragen beantworte ich hier.
Wie funktioniert eine Atomwaffe?
Wenn eine Atombombe explodiert, setzt der Sprengstoff eine sogenannte Kettenreaktion in Gang: Ein Ereignis löst das nächste, ähnliche Ereignis aus. Konkret: Die Explosion setzt bestimmte Teilchen frei, die in der Lage sind, einen Atomkern zu spalten. Bei dieser Spaltung entstehen wiederum neue Teilchen, die andere Atomkerne spalten. Der Prozess verstärkt sich selbst und setzt dabei sehr viel Energie in Form von Hitze, Strahlung und Druckwelle frei. Nur wenige Materialien sind spaltbar. Für Atomwaffen werden Uran und Plutonium verwendet. Bei den sogenannten Wasserstoffbomben wird die Energie nicht aus einer Spaltung gewonnen, sondern aus der Verschmelzung von Wasserstoffteilchen. Für diese Verschmelzung braucht es so viel Energie, dass sie mit einer herkömmlichen Kernspaltung eingeleitet werden muss – die wiederum mit der Zündung von normalen TNT beginnt. Auch eine Art von Kettenreaktion.
Heißt das eigentlich Kern-, Atom- oder Nuklearwaffe?
Deine Entscheidung.
Welche Typen von Atomwaffen gibt es?
Atomwaffen können von Schiffen oder U-Booten, von Bombern oder Jagdflugzeugen, von Lkw, Zügen oder festen Basen abgeschossen werden. Zusätzlich unterscheiden Militärs zwischen strategischen und taktischen Waffen.
Den Unterschied zwischen Strategie und Taktik kann ich mir immer nicht merken.
Konnte ich auch immer nicht bis ich mir, als ganz grobe Unterscheidung, gemerkt habe, dass Strategen eher langfristig denken und Taktiker eher kurzfristig. Beide müssen aber am gleichen Tisch sitzen und zusammen planen. Ein Beispiel: Als Kind war ich so verrückt nach Schokolade, dass meine Eltern die Süßigkeiten vor mir wegsperren mussten. Um diesem äußerst ärgerlichen Missstand zu begegnen, traf ich die strategische Entscheidung, auf die Vorräte meiner Schwester auszuweichen. Wann immer sie das Haus verließ, schlich ich mich in ihr Zimmer und nahm mir nur so kleine Mengen, dass es ihr nicht auffallen konnte. Das war meine Taktik. Allerdings keine besonders gute - sie hat es bemerkt.
Okay. Und wie überträgt sich das auf Atomwaffen?
Taktische Atomwaffen sollen im Gefecht eingesetzt werden. Sie sind deswegen meist kleiner, und ihre Sprengkraft ist begrenzt. Aber Vorsicht: Auch diese Waffen setzen Strahlung frei. Strategische Atomwaffen zielen auf das Hinterland des Gegners, auf seine Hauptquartiere, Fabriken und Städte. Ihre Sprengkraft ist deswegen sehr groß.
Wozu brauche ich überhaupt unterschiedliche Atomwaffen, wenn ich sie sowieso nie einsetzen will?
Der Zweck aller Atomwaffen ist in der Logik des Kalten Krieges die Abschreckung. Staaten brauchen unterschiedliche Waffen, weil sie andere Staaten von unterschiedlichen Handlungen abhalten wollen. So dienten die ganzen großen, strategischen Waffen der USA dazu, einen nuklearen Angriff auf das Land zu verhindern. In Europa aber hatte die Sowjetunion deutlich mehr Panzer, Flugzeuge, Artillerie, Soldaten stationiert. Sie war auf diesen konventionellen Feldern überlegen. Unter anderem deswegen stationierte die USA taktische Atomwaffen in Europa. Die Hoffnung war, dass sie die Sowjetunion von einem konventionellen Angriff abhalten würden. Deswegen hieß dieser Zustand „Gleichgewicht des Schreckens“.
Aber wie genau schreckten diese Waffen denn ab? Ich meine, die USA und die damalige Sowjetunion sind riesige Länder, die nicht nur durch einen, noch nicht einmal durch mehrere Atomschläge zerstört werden können.
Sie hätten nicht durch mehrere Atomschläge zerstört werden können. Aber durch hunderte, tausende, zehntausende. Die beiden Supermächte hielten zu Spitzenzeiten bis zu 40.000 Sprengköpfe bereit. Damit hätten sie den Gegner mehrmals zerstören können. Sie nannten das die „Overkill-Fähigkeit“.
Dieser Text ist Teil des Zusammenhangs: „Was du über Atomwaffen wissen musst“
Warum hat keine der beiden Supermächte einfach die jeweils andere zuerst angegriffen und die Gefahr gebannt?
Theoretisch hätte der Angreifer in der ersten Angriffswelle alle nuklearen Anlagen des Gegners zerstören müssen, um nicht Gefahr zu laufen, durch den Gegenangriff selbst vernichtet zu werden. Und das hätte zusätzlich gelingen müssen, ohne dass die Frühwarnsysteme des Gegners Alarm schlagen und der Gegenschlag eingeleitet wird, während die eigenen Raketen noch in der Luft sind. Zwar sahen es die Einsatzpläne vor, wichtige Stützpunkte des Gegners sogar mit mehreren Atombomben nacheinander anzugreifen, aber wirklich jeden gegnerischen Sprengkopf hätte keine der beiden Supermächte im ersten Angriff vernichten können. Denn sie wussten nicht immer, wo sich die U-Boote und Lkw des Gegners befanden. Sie hätten auch dann noch angreifen können, wenn alle anderen Anlagen zerstört wären. Sie sicherten die sogenannte Zweitschlagsfähigkeit.
Das heißt, der Angreifer musste immer mit seiner eigenen Zerstörung rechnen.
Korrekt. Jeder seiner Angriffe wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit auch tödlich für ihn. Also greift er nicht an.
Das scheint ja gut funktioniert zu haben. Der Kalte Krieg blieb kalt.
In einem bahnbrechenden Essay spricht der US-amerikanische Historiker John Lewis Gaddis vom „langen Frieden“, den Atomwaffen gesichert hätten. Dieser Frieden hält bis heute – wenn wir uns nur den Kreis der Nuklearmächte anschauen. Keine dieser Staaten haben bisher miteinander Krieg geführt, der mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Nuklearkrieg gewesen wäre.
Also greift die Logik vom „Gleichgewicht des Schreckens“ auch heute noch?
Ja. Mehr als 50 Jahre nach seiner Formulierung ist es immer noch die Grundlage für die Planungen von Russland und den USA. Diese Theorie hat aber natürlich ihre Kritiker. Sie sagen, Menschen seien nicht so rational; ihre Fähigkeiten, einen Nuklearschlag zu erkennen und zu befehlen, nicht so perfekt, dass sich die Menschheit auf dieses Gleichgewicht für alle Zeit verlassen sollte. Außerdem habe das schon in der Vergangenheit nicht funktioniert. Deswegen hat sich auch eine neue Protestbewegung gegen Atomwaffen formiert.