Als vor zwei Jahren der amerikanische Präsident Barack Obama zu Besuch in Berlin war, skizzierte er eine Welt, die die Menschheit von einem ihrer größten Übel befreien würde. Eine Welt ohne Atomwaffen. Obama sagte: „Solange es nukleare Waffen gibt, sind wir nicht wirklich sicher.“ Ich hörte die Rede, setzte mich an meinen Schreibtisch und schrieb mit der ganzen überbordenden Abgeklärtheit meiner damals 26 Jahre einen Text, dessen zentrale Aussage nüchtern formuliert war: „Du wirst grandios scheitern, Obama! Alter Träumer!“
Denn warum modernisieren die USA gerade ihr Atomwaffenarsenal? Und warum lässt Russland neue, atomwaffenfähige U-Boote zu Wasser? Und überhaupt: Selbst, wenn alle abrüsten würden, wer sollte kontrollieren, dass sie auch wirklich alle Bestände zerstören? In Israel? In Nordkorea? Herrje, Obamas Rede war die Rede eines Naivlings, fern der Realität, in der noch immer die Logik des Kalten Krieges galt. Das wollte ich klarmachen. Dabei ersparte ich den Lesern und mir auch nicht diesen Satz: „Der Einsatz für atomare Abrüstung bleibt angesichts anderer drängender Probleme verdienstvoll.“ Hier ist deine Teilnahmeurkunde, Barack.
Früher hielt ich eine atomwaffenfreie Welt für unmöglich, heute nicht mehr
Heute sehe ich das anders. Heute sehe ich in Barack Obama einen Realisten, und in meiner Herabgelassenheit lese ich nur Zynismus. Dass sich meine Haltung veränderte, hat mit den vergangenen Wochen zu tun, in denen ich Dutzende Texte gelesen und Hunderte Fragen gestellt habe. Damit, dass ich erfahren habe, dass man wirklich kein großes Land sein muss, um sich mit allen neun Atommächten dieser Erde anzulegen, wie es die Marshall-Inseln gerade machen. Damit, dass kluge Menschen inzwischen anfangen, mit den ganzen Mythen aufzuräumen, die um Atomwaffen kreisen. Und es sogar eine neue vielversprechende Strategie gibt, sie zu bekämpfen.
Nachdem die Welt am Anfang dieses Monats zurückgeblickt und der Opfer der Atombombenabwürfe auf Nagasaki und Hiroshima gedacht hat, will ich mit euch zusammen in dieser Woche nach vorne blicken und eine einfache Frage beantworten: Welche Zukunft haben Atomwaffen? Die Frage ist doppelbödig, die Antwort jeweils scheinbar einfach: Welche Zukunft sollten sie haben? Welche Zukunft werden sie tatsächlich haben?
Die Frage ist wichtig. Denn trotz Syrien-Krieges, Gefechten in der Ukraine oder Kämpfen im Irak bleiben Atomwaffen eine der größten Gefahren für uns. Wir haben das nur vergessen, weil uns die Nachrichten nicht mehr jeden Tag daran erinnern. Dabei hat das „Bulletin of the Atomic Scientists“ neulich seine berühmte Weltuntergangsuhr auf drei Minuten vor zwölf gestellt. Zum letzten Mal stand sie dort 1984, als die Spannungen zwischen Ost und West so hoch waren wie seit der Kuba-Krise nicht mehr. Den Schritt hat die NGO unter anderem damit begründet, dass Russland und die USA ihre Atomwaffenarsenale für Milliarden Euro modernisieren, anstatt abzurüsten.
Aber am Anfang dieser Themenwoche muss das Ende Berlins stehen
Der Kalte Krieg ist zwar vorüber, seine Logik scheint aber noch allgegenwärtig zu sein. Doch an manchen Orten etabliert sich ein neues Denken. Eine Koalition aus Zivilgesellschaft und über 100 Staaten hat sich zusammengetan und „Es reicht!“ in die Runde geworfen. Sie wollen die Strategie wechseln und Atombomben einfach verbieten.
Das hört sich verrückt an, Obama-verrückt. Aber diese Koalition hat einen Plan, der bis weit in die Zukunft reicht. Ob es ein guter Plan ist, können wir alle am Ende dieser Woche hoffentlich besser einschätzen. Denn auch die Kritiker dieser Strategie kommen zu Wort.
Wenn wir über Atomwaffen reden, müssen wir wissen, dass wir über keine abstrakte Gefahr sprechen. Debatten über Abschreckung sind Debatten über die hypothetische Ermordung von Millionen von Menschen. Deswegen habe ich mich entschieden, im ersten Text eine Bombe über Berlin detonieren zu lassen. Meine Wohnung wäre innerhalb von 25 Sekunden nach der Explosion zerstört. Ich würde den Abwurf nicht überleben. Genauso wie Millionen andere Menschen auch nicht. Am Anfang dieser Woche steht also das Ende.
Aber hoffentlich nur dort.
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Illustrationen: Veronika Neubauer. Foto: Frank Suffert.