Halb Griechenland glaubt, dass ein deutscher Baukonzern  beim Athener Flughafen Hunderte Millionen Euro an Steuern hinterzogen hat. Stimmt das?
Geld und Wirtschaft

Halb Griechenland glaubt, dass ein deutscher Baukonzern beim Athener Flughafen Hunderte Millionen Euro an Steuern hinterzogen hat. Stimmt das?

In Griechenland kennt fast jeder diese Geschichte von den Hochtief-Schulden, in Deutschland kaum jemand. Ich habe nachgeschaut, was dran ist.

Profilbild von Rico Grimm
Politik- und Klimareporter

32.000 Facebook-Likes, 4.102 Tweets.

Es kommt sehr selten vor, dass ein Artikel in den sozialen Medien so häufig geteilt wird. In Deutschland gelingt das jedes Jahr nur einer Handvoll von Beiträgen. Diese Beiträge haben dann garantiert nichts mit Steuern, deutschen Baukonzernen und griechischen Flughafen zu tun. Aber dieser englische Text schon.

Und dieser hier, wortgleich, nochmal 8.000 Likes, Hunderte Tweets.

Die Magazine, in denen der Text erschienen ist, sind unbekannt, ihre Hintergründe rätselhaft. Das redaktionelle Umfeld mehr als fragwürdig. Aber die Überschrift des Textes ist eindeutig:

German Company is Top Tax Evader in Greece

Die Meldung wurde am 29. September 2014 veröffentlicht. Ein griechisches Gericht soll demnach angeblich den Essener Baukonzern Hochtief zur Nachzahlung von 500 Millionen Euro Mehrwertsteuer verurteilt haben. Diese Steuergelder soll die Firma hinterzogen haben, als sie den Athener Flughafen managte.

Hochtief ist ein Milliardenkonzern. 500 Millionen Euro nachzuzahlen, wäre nicht unmöglich für das Unternehmen. 500 Millionen Euro wären aber auch keine Kleinigkeit. Das Urteil hätte sich rasend schnell im Heimatland von Hochtief verbreiten müssen. Aufmacher auf den Nachrichtenportalen, erste Meldung im Radio.

Was ich dazu in deutschen Medien gefunden habe: Einen Bericht des deutschsprachigen Radio Kreta.

Griechen prangern deutsche Doppelmoral an und viele Deutsche würden beipflichten - wenn die Geschichte stimmen würde

Die Hochtief-Steuer-Saga ist nur in Griechenland eine und hat dort längst den Status eines einfachen Gerichts-Prozesses verloren. Hochtief hat seine Anteile 2013 verkauft - das könnte auch der Grund sein, warum die Geschichte offensichtlich kein Thema für deutsche Medien ist. Aber aus dem Rechtsstreit ist ein Politikum geworden und aus „Hochtief“ ein Reizwort. Es illustriert unter Griechen die vermeintliche Doppelmoral der deutschen Gläubiger: Sie zwingen uns Mehrwertsteuererhöhungen auf, aber ihre eigenen Konzerne haben diese Steuer nie gezahlt.

Wenn der Flughafen unter Hochtief-Beteiligung tatsächlich Mehrwertsteuer hinterzogen hätte, wäre diese Lesart sehr verständlich. Man darf annehmen: Viele Deutsche würden es genauso sehen.

Und einige Deutsche sahen es im Zuge der jüngsten Verhandlungen genauso – und verlinkten dabei den Text vom September:

https://twitter.com/annalist/status/622693640914124801

https://twitter.com/andreasdotorg/status/622809012539625472

Die Sachlage ist schwer einzuschätzen, denn die Wahrheit verbirgt sich irgendwo in den Paragraphen zweier griechischer Gesetze, dem nicht öffentlichen Urteil eines privaten Schiedsgerichtes in London und in den Akten eines Athener Verwaltungsgerichtes, das auf den ersten Blick gar nicht zuständig sein dürfte.

Die Bedingungen des Vertrags waren für Hochtief günstig

Die Geschichte begann 1995. Damals einigten sich ein Konsortium unter Hochtief-Führung und ein griechischer Privatinvestor mit dem griechischen Staat, den neuen Flughafen von Athen zu bauen und anschließend zu betreiben. Die griechische Regierung sah in der Kooperation mit den deutschen Privatunternehmen einen kostengünstigen Weg, den alten Flughafen zu ersetzen. Hochtief wiederum sah darin einen - dank staatlicher Garantien - sicheren Weg, um Geld zu verdienen. Der Flughafen würde zwar mehrheitlich in der Hand Griechenlands bleiben, aber über die jährlichen Gewinnausschüttungen könnte sich die Investition schnell rentieren.

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Die Vertragsdetails waren für das Hochtief-Konsortium günstig:

  • Das Hochtief-Konsortium investierte damals 180 Millionen Euro
  • andere Gelder stammten von Privatbanken, der EU und der Europäischen Investitionsbank
  • Insgesamt kostete der Flughafen 2,2 Milliarden Euro
  • Das Hochtief-Konsortium stellte somit knapp 10 Prozent der Investitionssumme
  • Bekam aber 40 Prozent der Anteile an der neuen Flughafengesellschaft – und damit auch 40 Prozent der jährlichen Gewinnausschüttungen

Der Vertrag, den der griechische Staat und Hochtief abschlossen, wurde in ein Gesetz überführt, das öffentlich zugänglich ist. Es liegt in zwei Sprachen, Englisch und Griechisch, vor, und ist fast 500 Seiten stark. 30 Jahre soll der Flughafen als private, gewinnorientierte Gesellschaft geführt werden, der griechische Staat gibt Garantien für die Kredite der Europäischen Investitionsbank. Außerdem ist ein ganzes Kapitel Steuerfragen gewidmet. Beide Seiten einigen sich darauf, dass die Flughafengesellschaft keine Kapitalsteuer zahlen müsse, keine Spezialsteuer für Bankgeschäfte, keine Zinssteuer, keine Steuer auf Immobiliengeschäfte, keine auf Grundstücksgeschäfte, kommunale Gebühren nur bis zu einer Obergrenze und keine Mehrwertsteuer.

Sollten sie bestimmte Passagen des Vertrages jeweils anders interpretierten, würden Hochtief und die griechischen Behörden zuerst versuchen, sich in privaten Gesprächen mit dem Wirtschaftsminister oder seinem Delegierten zu einigen. Sollte das scheitern, würden sie ein spezielles Gremium bilden. Findet sich auch darin keine Lösung, soll der „London Court of International Arbitration“ ein Urteil fällen; ein privates Schiedsgericht. Griechische Gerichte werden in den Vertrag auch erwähnt:

Der griechische Staat, die Konsortiums-Mitglieder und die Flughafengesellschaft schließen das Recht aus, [gegen die Entscheidung der Vermittler] Berufung einzulegen bei irgendeinem Gericht, das sonst zuständig wäre.

Mit einem Federstrich haben der griechische Staat und das Essener Hochtief-Konsortium jede Streitfrage, die den mehrheitlich staatlichen Athener Flughafen betrifft, zu einer Privatsache gemacht, die hinter verschlossenen Türen in London verhandelt wird.

Aus dem gefeierten Pilotprojekt zwischen öffentlicher und privater Hand resultierte ein langer Rechtsstreit

1995 galt die Kooperation zwischen dem griechischen Staat und Hochtief als vorbildlich. Es war ein Pilotprojekt in der globalen Flughafenbranche. Die Passagierzahlen stiegen, und die Gewinnausschüttungen flossen an alle Inhaber, nachdem der Flughafen 2001 eröffnet wurde.

2005 setzte die griechische Steuerbehörde nach Darstellung der Flughafengesellschaft in ihrem Jahresbericht eine Prüfung der Jahre 1998 bis 2003 an: Die Flughafengesellschaft sollte 1,3 Millionen Euro Mehrwertsteuer nachzahlen. Sie klagte. Die Steuerbehörde schaute sich nochmal genauer die Jahre 2001 bis 2003 an. 150,3 Millionen Euro Nachzahlung. Die Flughafengesellschaft klagte. 2004 bis 2009. 11,8 Millionen Euro Nachzahlung. Klage. 2010, 2011, 2012. 3,9 Millionen Euro. Klage. Und hier ging es nur um die Mehrwertsteuer. Steuerbehörde und Flughafengesellschaft streiten außerdem um Immobiliensteuern und kommunale Gebühren in Millionenhöhe. Klage, Klage.

Zusammen ergeben die ganzen Nachzahlungen und Strafen, die in dem Jahresbericht aufgeführt werden, nicht 500 Millionen Euro. Aber zwischen 150 und 200 Millionen Euro. Ganz genau kann ich das nicht beziffern, weil der Flughafen zum Teil widersprechende rechtliche Verweise, Benennungen und Begründungen in seinem Jahresbericht und in anderen Meldungen aufführt. In Pressemitteilungen, die er an Journalisten verschickt, steht, dass er keine Schulden gegenüber dem griechischen Staat habe, und beziffert den Streitwert auf 167 Millionen Euro, wovon 121 Millionen Euro Strafen und Mahnzinsen seien.

Nach eigenen Angaben hat der Flughafen keine Rücklagen für diese Prozesse gebildet. Er geht davon aus, alle Verfahren auch in letzter Instanz zu gewinnen. In einem Urteil kam das Londoner Vermittlergericht im Februar 2013 zu dem Schluss, dass die Steuernachforderungen der griechischen Behörden substanzlos seien und annulliert werden müssten. Der Flughafen stellte einen entsprechenden Antrag vor griechischen Gerichten. Anhörungen dazu finden später im Herbst dieses Jahres statt.

Hochtief ist rechtlich aus dem Schneider, aber es bleiben Fragen offen.

Diese paneuropäische Steuer-Saga ist komplex, sie ist aber auch merkwürdig. Zwei Punkte lassen aufhorchen: Erstens, die Sache wird vor einem normalen griechischen Gericht verhandelt. Die weitgeteilte Meldung vom Beginn dieses Artikels fußt auf dem Urteil so eines Gerichts. Aber der Vertrag von 1995 hatte dessen Zuständigkeit explizit ausgeschlossen. Dabei war es zum Teil sogar die Flughafengesellschaft selbst, die dieses Gericht angerufen hatte. Das ist eigenartig, weil normalerweise Schiedsgerichte die Firmen vor dem unter Umständen nicht rechtsstaatlichen Zugriff von Staaten schützen sollen. Warum hat die Flughafengesellschaft dann den Weg über die normalen Gerichte gewählt? Wie genau interpretiert der Flughafen die strittigen Paragrafen des Vertrages?

Zwar ist der Flughafen für Fragen erreichbar, da ich aber nach zum Teil sehr komplexen Details gefragt habe, bat der Flughafen um mehr Zeit für die Beantwortung, weil die Justizabteilung eingebunden werden muss. (Die Fragen stehen in den Anmerkungen, ich reiche die Antworten nach).

Eigentlich könnte auch das griechische Finanzministerium viele dieser Fragen beantworten. Aber seit Tagen warte ich auf einen Rückruf aus Athen. Eine der spannendsten Fragen kann tatsächlich nur der Staat selbst beantworten: Verklagt er sich hier nicht selbst? Schließlich ist der Flughafen mehrheitlich in Staatsbesitz. Das ist die zweite Merkwürdigkeit.

Und Hochtief. Der Konzern verweist auf den Flughafen selbst und äußert sich nicht. Warum auch? Der Konzern hat alle seine Anteile am Flughafen im Mai 2013, drei Monate nach dem Urteil des Londoner Schiedsgerichts, an einen kanadischen Pensionsfonds verkauft. Hochtief ist damit – rein rechtlich – aus dem Schneider. Alle Urteile, die Gerichte, welche auch immer, in Zukunft zum Streit zwischen dem Flughafen und Steuerbehörde fällen werden, betreffen den Konzern nicht mehr.

Das ist aber nur die rechtliche Seite dieser Saga. Die Vorwürfe könnten haltlos sein. Aber es ist das Jahr fünf der Griechenland-Krise, das Land braucht dringend Geld und sehr viele Deutsche haben noch nichts davon gehört, dass einer ihrer größten Baukonzerne beschuldigt wird, Steuern hinterzogen zu haben - während deren Regierung das Land zum Sparen zwingt. Das ist die andere Seite.


Update mit den ausführlichen Antworten des Flughafens - 21.09.2015

Als ich diesen Artikel im August recherchiert hatte, blieben noch einige Fragen offen. Da diese Fragen sehr komplex sind und rechtlich sensible Bereich berühren, bat mich der Flughafen um mehr Zeit für deren Beantwortung. Die habe ich ihnen gerne gewährt. Inzwischen hat er sich gemeldet.

Warum hat die Flughafengesellschaft den Weg über die normalen Gerichte gewählt, obwohl die laut Vertrag gar nicht zuständig sind?

Die Flughafengesellschaft hat diesen Weg gewählt, weil es nur auf Aktionen des griechischen Staates reagieren will. Das internationale Schiedsgericht hat nicht die Macht, die Entscheidungen des griechischen Staates und seiner Steuerbehörde zu annulieren. Dafür bräuchte es eine Verfassungsänderung, heißt es vom Flughafen. Deswegen gehe man den Weg über die lokalen Gerichte.

Wie genau interpretiert der Flughafen die strittigen Paragrafen des Vertrages?

Nach Darstellung des Flughafens kreist der Streit um die Frage, ob das so genannte pro-rata-Prinzip angewandt werden kann oder nicht. Das bedeutet, dass der Flughafen Gegenstände nur insofern steuerlich gelten machen kann, insofern er sie auch für mehrwertsteuerpflichtige Geschäfte benutzt. Im Vertrag zwischen Flughafen und griechischen Staat wurde dieses Prinzip bis 2015 ausgesetzt. Das ist zum Vorteil des Flughafens, da er im Schnitt mehr Leistungen steuerlich geltend machen kann d.h. unter dem Strich weniger Steuern zahlen muss.

Was wird in den Anhörungen im Herbst verhandelt?

Im Herbst finden zwei verschiedene Anhörungen statt:

  • Am 7. Oktober 2015 verhandelt das Griechische Berufungsgericht für Verwaltungssachen, ob der Schiedsspruch rechtens ist.
  • Am 23. Oktober 2015 verhandelt das Griechische Berufungsgericht für Verwaltungssachen, die Klage des griechischen Staates, der Steuern nachgefordert hat und den Schiedsspruch des internationalen Gerichtes in London nicht akzeptieren will.

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Aufmacherfoto: Athens International Airport