„Wir“ gegen „die“
Geld und Wirtschaft

Interview: „Wir“ gegen „die“

Die griechisch-deutsche Journalistin und Aktivistin Margarita Tsomou, Herausgeberin des “Missy Magazine”, ist eine der wichtigsten Kritikerinnen der Griechenland-Berichterstattung in deutschen Medien. Am Freitag und Samstag kuratiert sie beim Internationalen Sommerfestival in Hamburg eine Konferenz unter dem Titel “This is not Greece: Erzählungen von der Krise”, an der einige der interessantesten griechischen Denker und Künstler der Gegenwart teilnehmen.

Profilbild von Sebastian Esser
Herausgeber

Margarita, was ist das außergewöhnliche an der deutschen Berichterstattung über die Griechenland-Krise?

Harald Schumann, der Macher des Films über die Troika „Macht ohne Kontrolle“ und Gast in der Konferenz, meinte neulich zu mir: „Was die deutschen Journalisten angeht, da ist die Griechenland-Krise, was der Irak-Krieg für die amerikanischen Kollegen war: vollständiges Versagen auf breiter Front.“ Das Versagen beginnt damit, dass die Erklärung über die Ursachen der Krise einseitig war, wie es auch mittlerweile in Studien belegt wurde. Es begegnete einem wenig differenzierte Berichterstattung, sondern vor allem eine Narration: Die Krise ist eine hausgemachte Krise der griechischen Finanzen, und das liegt an der Schlamperei und der Trickserei der griechischen Bevölkerung. Das heißt: Wir hatten überwiegend negative Berichte, die Krise wurde als Griechenlandkrise reduziert dargestellt und mit Mentalitätsanalysen des griechischen „Volks-Charakters“ erklärt. Dabei wurde „der Grieche“ als der Betrüger, als der unaufrichtige Kleinkriminelle und als der Raffgierige dargestellt. Eine Verschiebung in der Debatte gab es allerdings durch die Niederlage der griechischen Regierung in den Verhandlungen in der Nacht zum 13. Juli.

Was für eine Verschiebung?

Der beliebteste Hashtag #ThisisaCoup zeugt von dem abrupten Zusammenbruch bisheriger Gewissheiten, über den Charakter der EU etwa. Den Verhandlungen zwischen denjenigen, was man früher „Partner“ in Europa genannt hat, wird nun der mutualistische Charakter abgesprochen. In der Öffentlichkeit wird heute durchaus immer mehr von einem „Staatsstreich“ gegen die griechische Regierung gesprochen, also einer autoritären Erzwingung eines gesamten politischen Programms vor einer blanken Erpressung der Abkapselung von Liquidität. Einige Stimmen sprechen von innereuropäischem Kolonialismus, den Verlust der Souveränität Griechenlands und seiner Degradierung als Protektorat. Kritik an Bundesfinanzminister Schäuble und der Perspektive des europäischen Projekts wird laut. Dennoch ist es so, dass die Mehrheit der Bevölkerung und der deutschen Öffentlichkeit den harten Austeritätskurs und Tsipras’ Einlenken darauf begrüßen beziehungsweise beruhigt hinnehmen. Das liegt daran, dass die von mir gerade erwähnte Narration über Jahre hinweg kultiviert und verfestigt wurde, so dass es lange und vielleicht mehrere Coup-Hashtags brauchen wird, um sie aufzubrechen.

Welche Geschichte erzählen die deutschen Medien denn nicht oder zu selten?

Dass die Krise eine strukturelle Krise des Euros ist, die auch andere Peripherie-Länder ähnlich betrifft, und dass sie vor allem der Finanzkrise und der daraus überschuldeten Staaten entsprungen ist, wurde im Vergleich viel seltener artikuliert. So eben, dass sich die erste Narration irgendwann als „common sense“ durchsetzen konnte. Der Umkehrschluss dieser negativen Zeichnung des „Anderen“ produziert natürlich die implizite positive Selbstzeichnung „des Deutschen“ als ehrlich, ordentlich, fleißig, pünktlich, steuerzahlend und so weiter. Das Argumentationsschema ist hier ein „wir“ gegen „die“ und entpuppt sich somit als durch und durch nationalistisch, auch wenn etwas verdeckt. Denn das Subjekt dieses neuen Nationalismus ist der „deutsche Steuerzahler“ - meine Lieblingsfigur in der Debatte.

Woran machst Du fest, dass es sich um Nationalismus handelt?

Die Anrufung in die nationale Gemeinschaft, das nationale Interesse geht über die Gemeinde der Steuerzahler, als Leistungsträger. Es ist eine interessante nationale Entität, die nicht – wie einst – den Souverän, das Volk, den Wähler oder den Bürger als die Kollektivität setzt, die einander vereint, sondern den ökonomischen Rahmen als Gemeinsamkeit. Ich würde die These einer neuen Art von ökonomischen Nationalismus bemühen wollen – ohne Blut, Verwandtschaft, Tradition, Sprache, Kultur und so weiter. Dieser neue „kleine Mann“ ist nicht Arbeitnehmer, sondern Steuerzahler und hat damit das gleiche Interesse wie „unsere Banker und Politiker“. Und er ist natürlich Opfer: Er sowie „seine Banken“ geben Milliarden an die Griechen - und was ist mit ihm? Die Angst der Deutschen vor dem sozialen Abstieg in der europäischen Krise wird nicht an die Habenden adressiert, sondern umgelenkt an die Nicht-Zahler, gerne auch Hartz-IV-Empfänger und Sozialschmarotzer - und eben auch die Griechen, wird als umgelenkt in Fremdenhass. Das ist ein sehr banaler und alter Mechanismus, aber es ist traurig mit zu erleben, dass er immer noch so gut funktioniert.

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Ein ikonisches Medienbild der vergangenen Monate war Varoufakis’ Mittelfinger. Ist der möglicherweise ein Symbol für die gesamte Mediendebatte?

Varoufakis’ Mittelfinger-Affäre ist deswegen emblematisch, weil sie zunächst die Vehemenz zeigt, mit der die deutschen Medien die neue griechische Regierung zu diffamieren gesucht haben. Da wurden alle Register gezogen – eben auch die Videoaufnahmen von 2010 von einem kleinen Kongress internationaler Aktivisten zu nehmen, sie dem Kontext zu entreißen, in welchem Varoufakis noch nicht Finanzminister war und im Konjunktiv gesprochen hat, und zu behaupten, der Finanzminister hätte während der Verhandlungen mit der Troika solche Aussagen gemacht. Das aus dem Kontext reißen, ist, wie wir alle wissen, einer der Grundfehler des journalistischen Handwerks, da man damit alles verfälscht darstellen kann. Der bekannte kroatische Theoretiker und Aktivist und Kurator des „Subversive Festivals“, dem dieser Finger gezeigt wurde, Srecko Horvat, kommt auch zu unserer Konferenz und erzählt seine Deutung dieses Mediencoups.

An anderer Stelle hast Du auf die sexuelle Komponente der Varoufakis-Debatte hingewiesen…

Ja, in meinem Artikel zur Frage ”Warum Varoufakis als sexy gilt” im Missy Magazine habe ich Jauchs Coup auch als Kastrationsakt gedeutet. Varoufakis hat seit seiner Amtsübernahme provoziert, nämlich durch seine neue Art den Politiker zu performen. Und er wurde dabei stets auch sexualisiert gelesen. Der Mittelfinger ist ebenfalls eine sexualisierte Geste, die gut zu der Performance seiner Potenz passt. Jauch hat durch die Konfrontation mit der Videoaufnahme versucht, genau diese sexuelle Symbolik anzuzapfen und dabei die Coolness und Sexyness Varoufakis zum Verhängnis zu machen – eine symbolische Kastration, wenn man so will.

Auf Deiner Konferenz sind einige bekannte griechische Künstler und Philosophen zu Gast. Welche möchtest Du hervorheben?

Besonders erfreut bin ich über die Theoretikerin Athena Athanasiou. Sie ist Sozialanthropologin und lehrt an der Panteion Universität für Sozial- und Politikwissenschaften in Athen. International bekannt geworden ist sie durch die Veröffentlichung eines theoretischen Dialogs mit Judith Butler, der auf Deutsch auf Diaphanes erschienen ist mit dem Titel “Die Macht der Enteigneten. Das Performative im Politischen” über diejenigen in Griechenland, die sowohl des Lebensunterhalts, ihrer Würde, quasi der Zugehörigkeit zur Welt beraubt worden sind durch die Austeritätspakete der Troika. Die Besonderheit ist bei ihr, dass sie auch eine der bekanntesten Geschlechterforscherinnen des Landes ist und auch von dieser Seite über die Krise nachdenkt – ihr Denken über die kapitalistische Krise ist eben auch von Fragen der Menschenrechte informiert. Darüber hinaus ist sie Beraterin der griechischen Regierung, und mich freut, dass sie – nach diesem heißen Griechenland-Juli – kommt, um aus einer griechischen Innenansicht eine aktuelle Einschätzung der Lage vor dem Prisma des neoliberalen Dogmas in Europa zu geben.

Außerdem wird es einige griechische Filme zu sehen geben. Welche?

Es ist eine Ehre, den Regisseur Ektoras Ligyzos mit seinem preisgekrönten Film „Boy eating the bird’s food“ auf Kampnagel zu haben. Dieser Film ist beispielhaft für den neuen griechischen Filmrealismus, der konkret und auch allegorisch an der Sichtbarmachung der Gewalt der Krise arbeitet. Interessant sind natürlich auch die Produktionsbedingungen, die ebenfalls paradigmatisch für die Kulturproduktion in Griechenland sind – der Film ist ein No-Budget Film der mit der Handkamera und mit der Hilfe von Freunden gemacht. Er konnte offenbar so an das Lebensgefühl von Publikum und Kritikern anknüpfen, dass es zu einem der wichtigsten Filme Griechenlands der letzten Jahre wurde.

https://www.youtube.com/watch?v=PFdAeRnYDxA

Schließlich würde ich noch gerne etwas zu Poka-Yio sagen, dem Künstler und Co-Kurator der Biennale in Athen. Der Mangel an staatlicher Förderung führt in Griechenland zu neuen Arten von Produktion und Kuration. Die Kuratoren suchen sich nicht von oben “gute Kunstwerke” und stellen sie nebeneinander aus – in der letzten und preisgekrönten – Biennale mit dem Titel „Agora“ wurde stattdessen ein offener Verhandlungsraum geschaffen, der kollektiv bespielt werden konnte.


Aufmacherbild: Margarita Tsomou (Foto privat)