Vergangene Woche spielte eine Gruppe, die sich Yemen Cyber Army nennt, Reported.ly* interessante Unterlagen zu: Kopien von Ladepapieren und diplomatischen Schriftwechseln - Dokumente, die belegen, dass vor Kurzem Bomben-Teile von Genua aus über Saudi-Arabien zum Hafen von Jebel Ali in Dubai verschifft wurden. Auf dem Landweg gelangten sie dann zur Endfertigung nach Abu Dhabi. Hersteller der Bomben-Komponenten ist die RWM Italia S.p.A. auf Sardinien, ein Tochterunternehmen der deutschen Rüstungsfirma Rheinmetall AG. Die Unterlagen zeigen, wie europäische Waffen in einen Krieg gelangen können, der tausende Kilometer weit weg Menschen tötet.
Bei den Bombenkomponenten handelt sich um „Bausätze“ für MK82- und MK84-Modelle. Der Zusammenbau der Bomben erfolgt durch die Rüstungsfirma Burkan Munitions Systems (Teil der Tawazun Holding, Vereinigte Arabische Emirate) für die Streitkräfte der Vereinigten Arabischen Emirate, die sich zusammen mit mehreren anderen arabischen Streitkräften unter Führung Saudi-Arabiens seit März an Bombardierungen der Huthi-Rebellen in Jemen beteiligen.
Zusätzlich zur Aufdeckung der erst kürzlich erfolgten Lieferung von MK82/MK84-Komponenten kann Reported.ly auch den Export von MK83-Bomben, die von RWM Italia hergestellt wurden, für die Jahre 2012 bis 2014 belegen. Einige dieser Exporte können direkt bis zu den Bombardierungen in Jemen nachverfolgt werden.
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Ole Solvang, Forscher bei Human Rights Watch, hat dieses Bombenmodell mit dem Label von RWM Italia im Mai 2015 in Jemen fotografiert. Die GPS-Metadaten seiner Fotografien zeigen die noch nicht detonierten Bomben über Regierungsgebäuden von Sa’da, einer Hochburg der Huthi im Norden Jemens. Weitere Belege für das Ziel dieser Bombenattacke auf Sa’da hat Reported.ly von Augenzeugen erhalten, die von einem in Sa’da beheimateten Youtuber nach einem Angriff auf denselben Gebäudekomplex im April befragt wurden.
Unter den Reported.ly vorliegenden Dokumenten befindet sich ein Brief von Burkan Munitions Systems, in dem beim Militär der Vereinigten Arabischen Emirate um Hilfe für die Erlaubnis einer Transit-Lieferung nach Dschidda (Saudi-Arabien) nachgesucht wird. Der Brief wurde vom militärischen Hauptquartier zur VAE-Botschaft in Riad (Saudi-Arabien) weitergeleitet, um „die diplomatische Erlaubnis zum Anlaufen des Hafens von Dschidda durch das vom Militär der Vereinigten Arabischen Emirate gecharterte Schiff ‘Jolly Cobalto’ zu erhalten.“ Der Brief ging dann mit dem Vermerk „very urgent“ formell an das saudische Außenministerium, aber auch an König Salman, Kronprinz Abdullah und an den Transportminister, der gleichzeitig Vorsitzender der saudischen obersten Hafenbehörde ist.
Bei der Jolly Cobalto handelt es sich um das weltweit größte RoRo Container-Schiff (von englisch Roll on Roll off). Nach den Log-Daten von MarineTraffic.com und den Papieren des italienischen Schiffseigners, Grupo Messina, verließ das Schiff am 12. Mai Genua und erreichte Dubai am 5. Juni. Die Ladeliste führt sechs Container auf, die von RWM Italia hergestellte MK82/MK84 Bomben-Komponenten enthalten, jedoch keine Explosivstoffe.
Burkan Munitions vermarktet seine Bomben aus der MK80-Serie mit dem Slogan: „Perfekt für Situationen, die höchste Druck- und Explosivkraft erfordern.“ Die in Jemen gefundene 450 Kilogramm schwere MK83-Bombe sei zum Zweck entworfen, „Zerstörung, Tod und Verletzungen durch Druck- und Streueffekte hervorzurufen“, erklärt der Waffenexperte Mark Hiznay von Human Rights Watch gegenüber Reported.ly. Diese Bomben können einfach abgeworfen oder nach Installation eines Steuersystems in ihrer Zielgenauigkeit optimiert werden. Die in der Ladeliste der „Jolly Cobalto“ aufgeführte MK84-Bombe wiegt ca. 1.000 Kilo, je nach Art des Zünders und des installierten Leitsystems.
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„Wir haben mehrere Luftangriffe auf Sa’da dokumentiert, die wir für illegal halten“, sagt Ole Solvang von HRW. Wohnhäuser und Marktplätze seien getroffen worden. „Es gab mehrere Dutzend Tote unter der Zivilbevölkerung.“ Es sei gut möglich, dass die von Saudi-Arabien geführte Koalition ähnliche Bomben in Gebieten einsetzte, in denen Zivilisten getötet wurden, so Solvang weiter. „Aber wir können dies nicht belegen.“ Human Rights Watch hat bereits den ungesetzlichen und tödlichen Einsatz verbotener Streubomben in Jemen dokumentiert.
Tausende Exporte
Reported.ly konnte Export-Lizenzen im Wert von mehr als 100 Millionen Euro einsehen, die RWM Italia seit 2012 für Exporte von MK82/83/84-Bomben und anderen Waffen und Munition erteilt wurden. Waffen im Wert von Millionen von Euro wurden allein 2012 nach Australien und Saudi-Arabien geliefert. Die jetzt Reported.ly vorliegenden Dokumente belegen Exporte auch in die Vereinigten Arabischen Emirate: Italien hat in den Jahren 2013 und 2014 Export-Lizenzen für große Mengen an MK83-Bomben-Komponenten erteilt – diese Bomben wurden von Human Rights Watch in Jemen gefunden – darunter ein Vertrag zur Lieferung über 62 Millionen Euro für 3.650 Bomben. Allerdings führen die für 2013 und 2014 von Italien erteilten Lizenzen kein Bestimmungsland auf. Bis 2012 gehörte Burkan Munitions Systems zur Rheinmetall-Gruppe, aber auch nach deren Ausstieg bleibt Burkan „abhängig von europäischer Technologie“ zur Herstellung von Bomben, meint Pieter Wezeman vom Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI).
“Burkan bleibt von importierten Komponenten [für Bomben] abhängig”, erklärt Wezeman. “Sie werden in den Vereinigten Arabischen Emiraten zusammengebaut und mit Sprengstoff gefüllt. Woher sie den Sprengstoff beziehen, weiß ich nicht mit Sicherheit, aber ich bezweifle, dass der dort produziert wird. Ich denke, er wird in Europa hergestellt und – auf welchen Wegen auch immer – nach Arabien transportiert.”
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Abgesehen von fundamentalen moralischen Fragen, die Waffenproduktion und -export aufwerfen, handeln die Vereinigten Arabischen Emirate nach Ansicht von Pieter Wezeman im Rahmen internationaler Normen. Er nennt es ein “gutes Beispiel, dass und wie die Vereinigten Arabischen Emirate ein System für den Import/Export von Waffen im Rahmen internationaler Standards implementieren”. Andernfalls würde das Risiko illegalen Waffenhandels zunehmen.
Dennoch wirft die Lizenzerteilung der italienischen Regierung wichtige Fragen auf. EU-Mitgliedsstaaten sind bei Waffenexporten an bestimmte Kriterien gebunden, sagt Patrick Wilcken, Experte für Rüstungskontrolle, Waffenhandel und Menschenrechte bei Amnesty International:
Aufgrund des Vertrags über den Waffenhandel und der “Common Position on Arms Export Control” der EU muss Italien von Fall zu Fall eine strenge Risikobewertung jedes vorgelegten Waffengeschäfts durchführen, um zu überprüfen, ob ein Risiko besteht, dass die Waffen von ihrem vorgesehenen Empfänger dazu verwendet werden, internationale Menschenrechtsgesetze zu verletzen. Besteht ein solches Risiko, muss Italien den Export verweigern.
In Zusammenarbeit mit Giorgio Beretta von Opal (Permanent Observatory on Small Arms) in Brescia hat Reported.ly alle Export-Lizenzen überprüft, die die italienische Regierung 2012, 2013 und 2014 an RWM Italia vergeben hat. Nur 2012 stellte sie eine Export-Lizenz für MK82/84 aus, als Teil eines 8,5-Millionen-Euro-Kaufs von Saudi-Arabien. Das wirft die Frage auf, ob die Mai-Lieferung der MK82/84-Komponenten – und auch die MK83s, deren Überreste im Frühjahr in Jemen gefunden wurden – ordentlich exportiert worden sind. Es ist möglich, dass die Exportlizenz für die im Mai versandten Waffen noch so neu ist, dass sie nicht veröffentlicht wurde, oder dass die Bomben als Teil einer bilateralen militärischen Vereinbarung exportiert und nicht in die offiziellen Verlautbarungen aufgenommen wurden. Reported.ly wartet noch auf eine Antwort des italienischen Außenministeriums, um Klarheit zu schaffen.
Es wird wenige wirklich überraschen, dass Bomben, die von einer deutschen Firma hergestellt werden, an Streitkräfte in der ganzen Welt geliefert werden. Denn das liegt im Wesen des internationalen Waffenhandels. Interessant ist hier der Einblick, den die vertraulichen Dokumente in eine Lieferkette von Rüstungsgütern geben, vom Hersteller in Europa bis zu den spezifischen Konfliktgebieten, in denen sie landen. Besonders für EU-Bürger ist es wichtig zu wissen, in welchem Ausmaß EU-Länder mit Waffen handeln.
Die Firma hinter den Bomben
Die Rheinmetall AG mit Sitz in Düsseldorf betreibt eine italienische Tochterfirma, die Bombenteile herstellt. Nach moderaten Gewinnen 2013 und 2014 rechnen Branchen-Experten laut Bloomberg mit 130 Millionen Euro Gewinn in diesem Jahr – ein Zuwachs von 642 Prozent. Die Geschäfte von Rheinmetall sind in zwei Bereiche aufgeteilt: Rheinmetall Defence und Rheinmetall Automotive. Der Jahresbericht 2014 weist 2,2 Milliarden Euro Umsätze aus dem Verteidigungsbereich aus – fast die Hälfte des Gesamtumsatzes in diesem Jahr. Verteidigung machte in diesem Jahr 71 Prozent des gesamten Geschäfts von Rheinmetall aus. Laut einer Analyse der Investmentbank JP Morgan verfügt Rheinmetall über noch ausstehende Aufträge im Wert von mehr als 6,5 Milliarden Euro - was den Börsenkurs des Unternehmens wahrscheinlich nach oben treiben wird, so die Analyse. JP Morgan Chase & Co war laut Aktionärsmitteilung und auch laut Bloomberg bis vor Kurzem einer der größten Investoren von Rheinmetall.
Berichte von der jährlichen Jahreshauptversammlung im Mai waren weniger vielversprechend. Die Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf einen Schadensersatzanspruch von Rheinmetall von 120 Millionen Euro gegen die Bundesregierung aufgrund eines wegen der Ukraine-Krise verlorenen Geschäfts mit Russland. Waffengegner kritisierten die zunehmende Verlagerung der Produktion in Länder wie Südafrika, Saudi-Arabien und Indonesien, wo es nach ihrer Meinung zunehmend schwierig ist, Firmenaktivitäten zu regulieren. Tatsächlich wurde Rheinmetall im Dezember 2014 zu einer Strafzahlung von 37 Millionen Euro verurteilt, weil eine ihrer Tochterfirmen in einem griechischen Waffengeschäfts Schmiergeld gezahlt hatte.
Neben Saudi-Arabien wird Rheinmetall mit der Regierung von Bahrain in Verbindung gebracht, die Bürgerrechte brutal unterdrückt und internationales Recht missachtet. Mit der Hilfe örtlicher Aktivisten haben John Horne und die Beobachtergruppe “Bahrain Watch” mehrfach unmarkierte Tränengas-Kanister und Blendgranaten dokumentiert, die von Rheinmetall Denel hergestellt worden seien, einem südafrikanischen Tochterunternehmen. Beweise, die der Autor dieses Textes vor einiger Zeit für die Nachrichtenagentur Storyful verifizierte, zeigen den wiederholten illegalen Einsatz von Tränengas durch Sicherheitskräfte in Bahrein. In einer Stellungnahme gegenüber die Deutschen Welle gibt Rheinmetall an, der Regierung von Bahrain Tränengas-Kanister weder angeboten noch geliefert zu haben.
Hintergrund zu den Dokumenten
Die Reported.ly vorliegenden Dokumente wurden von einer Gruppe geleakt, die sich als “Yemen Cyber Army” bezeichnet und nach eigener Aussage im Mai das saudi-arabische Außenministerium gehackt hat. Die Hacker-Gruppe unterstützt die Huthi-Rebellen in Jemen, die zurzeit durch die saudi-arabische Koalition bekämpft werden. Das Ministerium bestätigte am 22. Mai einen “begrenzten digitalen Angriff” auf die Saudi Press Agency, die staatliche Nachrichtenagentur von Saudi-Arabien. Die Hacker luden ein paar Dokumente ins Netz, um ihre Aktion zu beweisen. Und sie teilten mit, dass sie schrittweise “Dokumente und geheime E-Mails” veröffentlichen würden. Die Gruppe hat nach eigenen Angaben auch das Innenministerium sowie das Verteidigungsministerium Saudi-Arabiens gehackt und will weitere Informationen dazu “in Kürze” bekanntgeben.
Kürzlich veröffentlichte Wikileaks aus dem saudi-arabischen Außenministerium stammende Dokumente, die Reported.ly für die Dokumente der Yemen Cyber Army hält. Zum Zeitpunkt dieser Recherche war noch noch nicht ersichtlich, ob die hier untersuchten Dokumente Teil der ursprünglichen Veröffentlichung bei Wikileaks sind. Die Yemen Cyber Army schrieb am 28. Mai, dass die Unterlagen “als Backup” an Wikileaks geschickt worden seien – Wikileaks hat die Quelle der Dokumente nicht veröffentlicht. Andere Dokumente, die Reported.ly einsehen konnte, stimmen mit den Veröffentlichungen bei Wikileaks überein. Das deutet darauf hin, dass es sich um den gleichen Leak handelt.
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(*) Reported.ly ist ein in diesem Jahr gegründeter Nachrichtenservice, der Storys in sozialen Netzwerken aufspürt und in Echtzeit in Twitter- (@reportedly) und Facebook__-Reportagen verwandelt. Reported.ly gehört zu First Look Media, einem Journalismus-Unternehmen, das von Ebay-Gründer Pierre Omidyar finanziert wird. Im Mai startete Reported.ly eine Seite, die investigative Stücke und Nachrichten veröffentlicht. Krautreporter übersetzt diese Geschichte leicht gekürzt ins Deutsche. Hier geht es zur ungekürzten Originalfassung dieser Geschichte „Blood money: How your 401k profits from bombing Yemen“. Dort finden sich auch aktuelle Updates.
Malachy Browne bei Twitter: @malachybrowne.Redaktion Reported.ly: Andy Carvin. Dank an John Horne, Bahrain Watch; Margot Williams, Rechercheurin bei The Intercept; Ole Solvang, HRW; Mark Hiznay, HRW; Pieter Wezeman, SIPRI; Giorgio Beretta, OPAL; Patrick Wilcken, Amnesty International; einem anonymen Finanzanalysten. Zusätzlicher Dank an Marina Petrillo von Reported.ly, Conor Fortune und Amnesty Internationals Golf-Abteilung für Hilfe bei der Übersetzung, gemeinsam mit Jenny Hauser und freiwilligen Übersetzern, die aus Sicherheitsgründen anonym bleiben wollen. Danke ebenfalls an Polish Seaman on Youtube, der Videomaterial aus dem Hafen von Genua zur Verfügung stellte.
Vielen Dank an Krautreporter-Mitglied Christoph Weigel, der uns bei der Übersetzung unterstützt hat.