Hongkong, Kunstmesse Art Basel, März 2015. Matthias Arndt hat keine Zeit. Der Galerist erklärt einer australischen Kuratorin, einem asiatischen Sammler und einem deutschen Feuilletonchef die Kunstwerke an seinem Messestand. In fünf Minuten. Arndt, dunkler Anzug, weißes Hemd, Brille, ein verbindliches Lächeln, hat eine Statur, die den begeisterten Rettungsschwimmer der Jugendtage verrät.
Vor 21 Jahren hat er sich in den damals noch maroden Hackeschen Höfen in Berlin den Traum von einer Galerie erfüllt, heute reist er durch die ganze Welt. Seine einst chaotische Arbeitssituation hat er hinter sich gelassen, nun bestimmt ein straff durchorganisierter Kalender seinen Alltag. So viele Termine, um beispielsweise für die Bilder des britischen Künstlerduos Gilbert & George oder des indonesischen Malers Jumaldi Alfi den richtigen Käufer zu finden. Vier Tage lang sondieren, verhandeln, verkaufen.
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Matthias Arndt verspricht, in Berlin könne man nächste Woche reden. Aber jetzt sei es unmöglich. Die Art Basel in Hongkong ist die wichtigste Kunstmesse in Asien. Arndt hat vor zwei Jahren eine Dependance in Singapur aufgemacht, vier Flugstunden entfernt. Er glaubt an das Potenzial der Region, 70 Prozent seiner Bilder verkauft er hier. Arndts neue Klientel kommt aus Schanghai, Manila oder Jakarta. In diesem Teil der Welt ist die Zahl der Milliardäre in den vergangenen Jahren enorm gestiegen. Sie investieren nicht nur in Hotelanteile, Goldbarren und Weingüter, sondern auch in zeitgenössische Kunst.
Der Messeveranstalter European Fine Art Foundation hat als Beweis für diesen Trend eindrucksvolle Zahlen zu bieten: Mit Kunst wurde 2014 ein Rekordumsatz von 51 Milliarden Euro erwirtschaftet. China ist mit 24 Prozent nach den USA und dem gesamten EU-Raum der drittgrößte Markt für Gemälde, Skulpturen und Installationen.
Den Künstlern und den Geldströmen auf der Spur
Folgt die Kunst einfach dem Geld? „Ich folge dem Künstler“, sagt Matthias Arndt eine Woche später. Er sitzt in seiner Berliner Galerie an der Potsdamer Straße, erste Etage eines Altbaus, 350 Quadratmeter, Dielenboden, hohe Decken, Stuck. Er hat nun etwas Zeit. Vor zwei Tagen war die Eröffnung der Otto-Piene-Ausstellung, in einer Stunde will der 46-Jährige in ein Flugzeug nach Australien steigen. Davor muss er noch zur Apotheke und ins Hotel. Zeitzonen-Jogging in der Business Class.
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Matthias Arndt spricht schnell, manchmal überstürzt. „Lange Rede, kurzer Sinn“, sagt er oft. Er war mitten drin im Berliner Kunstboom Mitte der 90er Jahre. Aber Matthias Arndt ist kein herkömmlicher Galerist. Er wartet nicht auf das Geschäft in seinen Räumen, sondern vermittelt Künstler für Sammler und Museen, „managt“, wie er sagt. Er mag dem Künstler folgen, aber er ist auch den Geldströmen auf der Spur.
Banklehre, abgebrochenes Kunststudium, Kulturmanager
Als er 1994 seine Galerie in den Hackeschen Höfen gründete, war der Ort im Umbruch. „Es gab auf zwei Quadratkilometern fast keine gastronomische Einrichtung. Nicht mal eine Pommes-Bude“, erinnert sich Matthias Arndt. Er hatte gerade eine Banklehre in Frankfurt, ein abgebrochenes Kunststudium in Kassel und einen Kulturmanager-Studiengang in Hamburg hinter sich. Irgendwas mit Kunst wollte er machen, nachdem er als Teenager zuerst Van Gogh und dann den „Block Beuys“ im Hessischen Landesmuseum Darmstadt entdeckt hatte. „Da hat es gefunkt“, sagt er.
Nach Berlin wollte er 1994, weil er überzeugt war: „Die Stadt brauchte uns.“ Uns - der Plural steht für jene Galerien, die damals im Scheunenviertel aufmachten, wie „Eigen+Art“ oder „Klosterfelde“, für den Ausstellungsraum „Kunst-Werke“, den der Medizinstudent Klaus Biesenbach mit aufbaute, heute Kurator am Museum of Modern Art in New York.
Matthias Arndt war damals 26 Jahre alt, hatte kein Geld, aber Ideen. Seine Kollegen prophezeiten ihm: Berlin wird es nie schaffen. Heute lacht Arndt darüber. Olympia schaffte es nicht an die Spree, kein DAX-Konzern verlegte seinen Hauptsitz vollständig in die Hauptstadt, aber die Künstler, sie strömten in dieses Berlin, das reich an verfallenen Orten und gammeligen Gestalten war.
Aber Sammler und somit das Geld saßen woanders. Also verdiente Arndt sein Geld anfangs mit Öffentlichkeitsarbeit für die Hackeschen Höfe, er gründete eine Kulturberatung und organisierte für die documenta 1997 den Besucherdienst. Der Kunstkritiker Marius Babias nannte ihn „kommerziell“. Damals habe ihn das gewurmt, gesteht Arndt, heute zuckt er mit den Schultern: „Ich bin der Letzte, der egozentrisch sein darf. Ich bin ein Zuarbeiter.“
140.000 Mark und das Gefühl: „Ich habe es geschafft“
Auf diese Art finanzierte er seine Ausstellungen und seine Künstler: die Konzeptkünstlerin Sophie Calle, den Zeichner Douglas Kolk, den Fotografen David Byrne. „Die Idee des Galeristen, der in seiner Galerie auf Besucher wartet und ein Buch liest, wenn keiner kommt“, sagt Matthias Arndt, „diese Vorstellung gab es für mich nicht.“ Ab 1996 besuchte er Messen im Ausland, die ersten Arbeiten verkaufte er an französische Museen und amerikanische Sammler. Als die Kulturstiftung des Bundes im Jahr 2000 ein Werk von Sophie Calle für 140.000 Mark kaufte, hatte Arndt zum ersten Mal das Gefühl: Ich habe es geschafft!
„Vor diesem ersten Kauf wurde ich zwar auch schon in meiner Galerie plattgetreten“, sagt Arndt, „weil so viele Menschen gekommen sind. Nur kein einziger wollte etwas kaufen.“ Das änderte sich jetzt. Plötzlich kamen auch die Sammler in die Stadt, und es begann „ein Hauen und Stechen“. Arndt zitiert einen Kollegen: „Uns ging es allen gut, bis das Geld kam.“
Die Räume wurden größer: Checkpoint Charlie, Hamburger Bahnhof, Potsdamer Straße. Fünf Mal zog Arndt innerhalb von 15 Jahren um. Er machte 2005 in Zürich eine Galerie auf, weil dort bekannte Sammler wohnten, vermögende Menschen ein- und ausflogen, der Flughafen gut angebunden war. „2007 hatte ich in vier Ländern über 2.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche, noch mal so viel Lagerfläche und 35 Mitarbeiter“, sagt Matthias Arndt.
400.000 Euro kostet die Galerie und der Boom ist vorbei
Und dann begann Ende des Jahres die Krise. Der erste Boom war vorbei, 400.000 Euro kostete der Unterhalt der Galerien pro Monat – inklusive Reisen zu Messen, Anfertigungen für Kataloge und Gehälter für Angestellte.
Matthias Arndt schloss seine Galerien in anderen Städten, er konzentrierte sich wieder auf das Berliner Kerngeschäft, nahm am Gallery Weekend teil, das er 2005 mit aus der Taufe gehoben hatte und das inzwischen das wichtigste Kunstevent der Stadt ist: Am ersten Wochenende im Mai schließen sich Berliner Galerien zusammen und laden Sammler und Sponsoren in die Stadt. Es gibt Autoshuttles, Champagner-Empfänge und opulente Abendessen. Seit drei Jahren ist Matthias Arndt nicht mehr im offiziellen Programm des Weekends vertreten. Es gab darüber keine Aussprache, keine Begründung. „It is not a friendly place“, sagt der Geschasste nebulös, er will über den Vorfall nicht reden. Eine Ausstellung wird er trotzdem zeigen am Gallery Weekend.
Von der Spree über Australien nach Singapur
Arndt sagt, Ende der 2000er Jahre sei die Stadt für ihn uninteressant geworden. Er besuchte andere Länder, andere Märkte. In Dubai und Abu Dhabi zogen Kunstmessen neue Käufer an, in Singapur und Hongkong entdeckte er den Markt für zeitgenössische Werke. Aus privaten Gründen zog Matthias Arndt mit seiner Frau, einer Australierin, nach Sydney. Er organisierte in Melbourne und Sydney eine „Mini-Biennale“, wie er sie nennt, brachte 40 internationale Künstler in das Land, das von der Finanzkrise weitestgehend verschont war.
„Die letzten 15 Museumsverkäufe gingen alle nach Australien“, erzählt Arndt stolz.
Und dass er dort vom Nimbus des hippen Berlins profitieren kann. Wer aus dieser kunstbesessenen Stadt kommt, die alle Welt mit einem Mal abgöttisch liebt, dem eröffnen sich fern des inzwischen unübersichtlichen Berliner Galeriengeschäfts neue Chancen.
Doch Matthias Arndt wollte nicht in Australien bleiben, es war ihm zu weit weg von der Spree. Singapur war der Kompromiss. Auch weil hier die Regierung gerade Kunst förderte. Selbst einem Jetsetter wie Arndt laufen die Kunden in einer fremden Stadt nicht einfach zu. „Ich musste das Geschäft finden“, sagt er. Also besuchte er regionale Messen in Indonesien und Thailand, verabredete sich mit Künstlern, Sammlern, Museumskuratoren. Heute hat sich sein Hauptgeschäft nach Südostasien verlagert. Wenn er in Berlin ist, stellt er indonesische Künstler aus, in Singapur zeigt er den Menschen die riesigen Collagen von Gilbert & George. Matthias Arndt ist ein Kulturvermittler, Nischenfinder und cleverer Geschäftsmann.
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Singapur, Mitte April, Ausstellungseröffnung in den Gillman Barracks, einem ehemaligen Kasernengelände, das zum Kunstdistrikt mit mehreren Galerien umgebaut wurde. Singapur ist politisch stabil und reich. Für Arndt ist hier das Tor zum asiatischen Kunstmarkt. Doch es ist noch recht leer in den Räumen in der zweiten Etage der früheren Offiziersmesse.
Matthias Arndt schaut ratlos auf sein Smartphone. „Wir müssen mehr mit Instagram arbeiten“, sagt er. Seine Mitarbeiter bringen ihm bei, wie man ein Bild hochlädt. Auf E-Mails reagiere in Singapur kaum jemand, erzählt Arndt. Aber wenn einer ein Bild, zum Beispiel ein Foto von sich vor einem Gemälde, auf Instagram postet, kommen schnell 300 Kommentare zusammen.
Er trägt ein gestreiftes Hemd, dunkle Hose. Sein Blick flackert durch den Raum, über den lackierten Betonfußboden, an den Gemälden vorbei, 14.000 bis 18.000 US-Dollar kosten sie jeweils. Ein älteres Ehepaar schlendert in den Raum, europäische oder amerikanische Expats. Sofort geht Arndt hinüber, redet mit den beiden, erklärt die Kunstwerke. Danach kommt ein Sammler aus Singapur, chinesischstämmig, anschließend ein junges Paar, beide im teuren Freizeitlook.
Über eine Stunde redet der Berliner, gestikuliert, preist an. Matthias Arndt scheint am glücklichsten zu sein, wenn er keine Zeit hat.
Aufmacher-Foto: Matthias Arndt, fotografiert von Bernd Borchardt