Du plädierst in Deinem Film für Biolandwirtschaft und kleine Bauernhöfe als Lösung für das Welthungerproblem. Das klingt verrückt. Wir brauchen mehr Essen für zehn Milliarden Menschen, und Biolandwirte erzeugen viel weniger als normale Bauern. Wie soll das gehen?
Genau, bei uns in Europa erzeugen sie 25 Prozent weniger. Das ist heftig viel, wenn man das auf die Welt überträgt. Das hat aber keinen Sinn, denn außerhalb von Europa gibt es diesen Gegensatz von konventionell und Bio nicht. Dort liegt der entscheidende Unterschied zwischen Kleinbauern und Großbauern. Und überraschenderweise sind Kleinbauern fast überall auf der Welt um Längen produktiver als die Großfarmen. Die können viel Arbeitskraft investieren, auf jede kleine Bodenunebenheit Rücksicht nehmen oder darauf, ob der Regen in diesem Jahr früher oder später kommt. Der Großfarmer muss viel schematischer rangehen.
Die Kleinen wirtschaften außerdem dazu nahezu ökologisch, einfach aus Mangel an Kapital – sie können sich keinen Kunstdünger leisten. Wenn sie ihn kriegen, benutzen sie ihn natürlich, klar. Aber trotzdem kann man daran sehen: Das Argument, mit Bio kann man die Welt nicht ernähren, ist das falsche Argument.
Trotzdem hört man immer: Es geht nur mit der industriellen Landwirtschaft, sie muss noch weiter intensiviert werden.
Das ist wirklich interessant. Ich bin selbst auf dieses Generalargument reingefallen, das nicht nur die Agrarkonzerne wiederholen, sondern auch die Politik, der Bauernverband zum Beispiel: Wir müssen mehr produzieren, damit woanders auf der Welt weniger Hunger herrscht. Das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir mehr Zeug auf den Weltmarkt schmeißen, ist das landwirtschaftliche Hungererzeugung, denn es macht Bauern in Entwicklungsländern kaputt. Milchpulver aus der EU zum Beispiel ist so billig, dass es in Afrika Milchproduzenten platt macht. Es wäre viel wichtiger, ein Produkt wie Milch oder Getreide, das auf dem Weltmarkt starken Schwankungen ausgesetzt ist, davon abzukoppeln.
Was hat der Weltmarkt mit einem kleinen Bauern in der Dritten Welt zu tun?
Wir haben seit einigen Jahren die Situation, dass die Preise auf dem Weltmarkt extrem stark schwanken. Das war früher nicht so. Das setzt die Kleinbauern existentiellem Stress aus. Die Preisschwankungen betreffen uns auch in Europa, aber uns tut das nicht weh. Bei der ersten Welthungerkrise gab es fast eine Verdreifachung im Weizenpreis, unsere Brötchen sind dadurch vielleicht um drei Cent teurer geworden. Der Brotpreis besteht bei uns hauptsächlich aus Energie und Arbeitslohn und ein bisschen auch aus dem Rohstoffpreis, aber das ist nicht so relevant.
In einem Land wie Malawi oder Kamerun besteht der Brotpreis zu ungefähr drei Viertel aus dem Rohstoff, weil dort die Arbeit so billig ist. Und die Energie auch oft nicht so teuer erzeugt wird. Wenn dann an der Börse in Chicago sich die Preise verdreifachen, weil Spekulanten oder Investoren schauen, was die Rohstoffmärkte bieten, weil der Aktienmarkt gerade nicht so gut läuft, schlägt das für die Kleinbauern sofort durch. Bei einem Ausschlag wie dem, der da in Chicago passiert ist, waren gleich ein paar hundert Millionen Menschen in einer Mangelsituation und mussten zu den Hungernden hinzugezählt werden. Als die Preise wieder runtergingen, konnten die Leute sich wieder mehr Essen leisten, das dauerte ja nur vier oder fünf Monate, aber ich weiß nicht, wie viele Menschen dadurch gestorben sind. Dazu gibt es keine Statistiken. Gesundheit ist ja auch von mehreren Faktoren betroffen, man stirbt nicht zwangsläufig direkt an Hunger, sondern zum Beispiel an einer Krankheit, weil man durch Hunger geschwächt ist.
Auf der Internetseite zum Film schreibst Du: „Einem Kleinbauern aus der Dritten Welt ist völlig klar, dass es Wachstum gibt, von dem er gar nichts hat, oder sogar Wachstum, das ihm schadet.“ Was meinst Du damit?
Wenn ein Börsenkurs für ein Produkt, das der Bauer anbaut, auf das Doppelte anwächst, heißt das noch lange nicht, dass der Bauer davon etwas hat. Das sind Spitzen, die in einem viel zu schnellen Tempo rauf- und runterfahren, das bildet sich tatsächlich weltweit ab. Wir haben ja einen Börsenmenschen im Film, und dessen Argumentation ist nicht komplett falsch.
Der kleine Bauer hat von steigenden Preisen aber nur dann was, wenn ganz zufällig seine Ernte am Boomzeitpunkt stattfindet, was sehr unwahrscheinlich ist. Andersrum ist die Wahrscheinlichkeit sehr viel größer, dass er in der Phase des Jahres, in der er zukaufen muss, eine Hochphase erwischt, weil die sehr viel länger ist. Ein Bauer bei uns kann damit noch besser zurechtkommen, weil er nicht sofort alles verkaufen muss. Es gibt Lagermöglichkeiten, Händler, die Festpreise garantieren, die haben ein paar Absicherungsmechanismen. Die haben Kleinbauern in der Dritten Welt nicht.
Es gibt durchaus Vorteile des Handels, und man soll ruhig mit Luxusprodukten wie Ananas und Mango auf dem Weltmarkt handeln, kein Thema. Aber die Grundversorgung, da spielt man mit Menschenleben. Das ist der Kardinalfehler, Essen wie eine Ware zu behandeln, wie jeden anderen Rohstoff. Man sollte das bei Freihandelsverhandlungen explizit ausklammern. Explizit sagen, hier geht es um Ernährungssicherung. Afrikanische Regierungen, die ihre Landwirtschaft schützen, dürfen nicht damit bestraft werden, dass sie dann im Gegenzug nicht so viel exportieren dürfen.
Eigentlich ist das Hungerproblem aber doch eine Verteilungsfrage. Es gibt ja genug Essen.
Korrekt. Eigentlich ist es so, dass wir heute schon für über zehn Milliarden Menschen erzeugen. Aber ein Drittel der Welternte landet auf dem Müll. In den Industrieländern wird am Ende der Produktionskette viel weggeschmissen. In den Entwicklungsländern passiert das eher am Anfang, das sind Ernteverluste, weil es nicht genug Infrastruktur und Lagermöglichkeiten gibt. Natürlich kommen wir trotzdem nicht darum herum, auch Menge zu erzeugen. Aber noch wichtiger als Menge ist verteilen.
Wie kriegt man das hin? Der Dreh- und Angelpunkt sind wieder Kleinbauern. Die machen zwei Drittel der Hungernden aus. Das klingt erst Mal paradox, aber da fehlt es an Zugang zu Land, Zugang zu Wasser, zu Märkten. Die wollen ja selbst nicht als Subsistenzbauern verharren wie vor 100 Jahren. In den Entwicklungsländern haben wir noch eine sehr kleinräumig strukturierte Landwirtschaft. Für bestimmte Produkte, Getreide zum Beispiel, machen aber auch Großfarmen durchaus Sinn.
Wenn wir dagegen anderswo mehr Lebensmittel produzieren und in den Weltmarkt hineinschaufeln, landen die Lebensmittel noch lange nicht bei den Bedürftigen.
Das wäre die vereinfachte Denkart: Dass wir einfach unsere Überschüsse nach Afrika schicken sollten. Dann wäre alles okay.
Das ist das Schlimmste, was wir machen können. Dann gibt es eine Hungerkrise. Die Nothilfe wird ja immer als humanitäre Hilfe dargestellt. Aber so sieht es aus: Wir verschenken Lebensmittel, kriegen dadurch unsere Überschüsse los - super - und gleichzeitig machen wir in der Dritten Welt die Bauern platt, weil wir die Preise ruinieren. Das ist schon interessant: Selbst bei den größten Hungerskatastrophen, den Dürrekatastrophen in der Großregion des Sahel zum Beispiel, gab es in den 80er Jahren, als Hundertausende von Menschen starben, immer genug Essen. Hunger ist in erster Linie ein Mangel an Kaufkraft. Das Vieh ist verdurstet, und die Leute hatten kein Geld mehr, um die Lebensmittel zu kaufen, die auf den Märkten vorhanden waren. Statt ihnen Reissäcke zu schicken, hätte man ihnen am besten Geld in die Hand gedrückt, dann hätten sie bei den regionalen Bauern gekauft. Und die wären durch die Krise gestärkt.
Warum plädierst Du eigentlich nicht für Gentechnik als Lösung? Du sprichst das Problem an, dass Bauern über Saatgut-Patente abhängig von Konzernen gemacht werden, aber das könnte man gesetzlich regeln. Was spräche dann noch dagegen, Pflanzen gentechnisch so zu verändern, dass sie zum Beispiel mehr Erträge bringen?
Ich habe mir das letztlich auch überlegt. Das Thema ist halt stark ideologisch überfrachtet. Monsanto hat zum Beispiel ein gemeinnütziges Institut, das Danforth Center. Da entwickeln sie eine virusresistente Cassava. Und sagen, dass sie das Saatgut dann vielleicht einfach verschenken wollen. Im Moment verrotten ganz viele Cassava-Pflanzen auf dem Acker, das klingt also erst mal gut. Ich bin dann ein bisschen tiefer eingestiegen: Das Blöde bei dieser Virusresistenz ist, dass es im Durchschnitt sieben bis acht Jahre dauert, bis die Viren diese Resistenzen umgangen haben. Das ist also auch nur eine Lösung auf Zeit. Da könnte dann natürlich die Forschung wieder weitergehen. Es stimmt, dagegen kann man als Gentechnikgegner schwer argumentieren.
In deinem Film warnst Du vor „unabsehbaren Gesundheitsrisiken“.
Ja, ich bin da skeptisch. Ich weiß auch, dass es bei Bt-Mais durchaus Hinweise darauf gibt, dass er krebserregend sein könnte, bei Gensoja wiederum gibt es keine klaren Hinweise. Ich halte es absolut für möglich, dass es völlig harmlose Genprodukte gibt und andere, die wiederum nicht harmlos sind. Das Blöde ist, dass wir das eben erst im Großversuch nach Jahren erfahren. Aber das Credo der Forscher lautet: Bitte sagt nicht ja oder nein zur Gentechnik, sondern guckt euch konkrete Produkte an. Und auch dann bleibt natürlich der Hauptpunkt: Warum entwickelt ein Konzern ein Produkt? Um Geld zu machen, das muss er. Konzerne sind keine Wohltätigkeitsvereine. Das liegt auch daran, wie die derzeitige Forschung strukturiert ist. Es gibt kaum ein universitäres Forschungsprogramm, das ohne Drittmittel aus der Industrie funktioniert. Die Zielrichtung wird also auf kommerziell interessante Märkte gerichtet bleiben, da mache ich mir nichts vor.
Zur Lösung des Welthungerproblems, das kann ich sagen, trägt die Gentechnik momentan nichts bei.
Ihr habt einen Genforscher von Bayer befragt, wieso nicht Monsanto? Das ist doch das Reizwort unter Gentechnik-Gegnern.
Das Böse schlechthin. Wir haben versucht, bei Monsanto zu recherchieren, das war sehr schwierig. Wie wir da durchleuchtet wurden, war eine Erfahrung, die ich so bis jetzt nur vor Drehs in Diktaturen hatte. Ich will jetzt gar nicht alle Menschen, die da arbeiten, beschuldigen, aber wir haben wirklich Kreuzverhöre in verschiedener Besetzung erlebt: „Beim letzten Mal haben sie das doch noch anders gesagt!“. Ich habe mich sogar persönlich bei Monsantoin St. Louis vorgestellt. Es war nicht möglich.
Trotz der Kreuzverhöre.
Vielleicht war ich zu offen. Ich habe gesagt, wir machen hier definitiv keine Pro-Gentechnik-Veranstaltung, aber eben auch keinen Kontra-Gentechnik- Film. Das Misstrauen war aber zu groß, offensichtlich.
Ist der Titel deines Films nicht etwas alarmistisch? Du sprichst von zehn Milliarden – aber eigentlich ist doch gar nicht klar, dass wir 2050 wirklich so viele Menschen sein werden. Der Club of Rome spricht von acht Milliarden im Jahr 2040, das wäre nur eine Milliarde mehr als jetzt.
Die Zahl des Club of Rome kenne ich nicht. Die zehn Milliarden beziehen sich auf eine Schätzung der UNO, an der wirklich viele Wissenschaftler teilgenommen haben. Ich habe mich sehr viel mit Demografie beschäftigt und man unterschätzt, wie präzise demografische Vorhersagen sind. Die Mütter von morgen sind heute schon geboren. Deswegen kann man für 2040 oder 2050 relativ präzise voraus sagen: Es werden 9,5 oder 10,5 Milliarden. Ich habe diese Zahl bewusst gewählt, weil sie oft als das Schreckgespenst verwendet wird.
Genau so macht es ja auch die Industrie, um zu begründen, dass die Landwirtschaft intensiviert werden muss. Die Zahl wirkt auch deswegen so bedrohlich, weil es sich so anhört, als wäre das erst der Anfang, als würde die Menschheit immer weiter wachsen, bis der Planet irgendwann voll ist. Aber das stimmt nicht, manche sagen sogar, ab 2050 werde das Wachstum rückläufig sein.
Die Mehrheitsmeinung ist, dass es stagnieren wird. Genau weiß man es noch nicht. Klar ist, dass es nicht weiter in dem exponentiellen Maße wachsen wird, wie es jetzt ist. Das ist für mich aber eigentlich nicht der relevante Punkt. Es kommt weniger auf die schiere Zahl der Menschen an, sondern darauf, wie sie sich ernähren.
Meinst du damit, woher wir die Lebensmittel beziehen, oder was wir essen?
Es geht auch um was. Und da ist die erste Fragestellung natürlich, wie viel Fleisch wir essen.
Was sagst du Vegetariern, die dir sagen, dass sie die Lösung schon längst hätten - wir dürften einfach keinen Fleisch essen, dann hätten wir kein Ernährungsproblem?
Ich sage, dass sie Recht haben. Ein Drittel der Getreideernte wird an Tiere verfüttert, wenn das entfallen würde, hätten wir definitiv kein Problem. Leider ist das unrealistisch. Menschen davon zu überzeugen, dass sie auf Fleisch verzichten sollten, weil irgendwo am anderen Ende der Welt einer hungert – das wird schwierig.
Du hast also absichtlich keinen Vegetarierfilm gemacht. Das wäre schließlich auch gegangen.
Dazu muss ich sagen, dass ich selbst kein Vegetarier bin, wobei sich mein persönlicher Fleischkonsum im letzten Jahr vielleicht geviertelt hat. Aber ich mag einfach ein gutes Stück Fleisch. Und ich weiß aber auch, dass die Biolandwirtschaft den Tierdung für ihre Kreisläufe braucht, um die Böden fruchtbar zu halten. Man könnte dann argumentierten, dass man für einen richtigen Kreislauf auch Menschendung nehmen könnte, der aber ist leider ziemlich belastet. Und es gibt Viehhaltung auf der Weide, die ist fantastisch umweltfreundlich. Die Landwirtschaft auf dem Grünland, also Weiden, ist die einzige Wirtschaftsform, die CO2-negativ ist. Da wird mehr CO2 gebunden in der Humuschicht unter dem Gras, als durch die Tiere produziert wird.
Trotzdem - ich weiß nicht, wie viel Fleisch man so produzieren könnte, aber das muss ja extrem viel weniger sein, als das in den heutigen Massenställen der Fall ist. Jeden Tag Wurst geht dann nicht mehr.
Auf jeden Fall. Was wir im Supermarkt haben, kommt, klar, zu 95 Prozent aus Massentierhaltung. Vegetarier leisten da wirklich etwas, vor dem ich den Hut ziehe. Ich glaube aber nicht, dass Zeigefinger oder Verzicht, dass das die Mehrheiten erreichen wird. Ich glaube eher an ein positives Gefühl, eine Gewinn an Lebensqualität, das ist überzeugender. Wenn ich mir überlege, wo mein Essen herkommt, und auch mein Fleisch da kaufe, wo man mir das nachweisen kann, dann ist das für mich Lebensqualität.
Du zeigst in deinem Film Fleisch, das im Labor aus Stammzellen gezüchtet wird. Ein Wissenschaftler brät aus einer Art Fleischpaste einen Burger. Ist das ein Grund zur Hoffnung?
Nee, also, das lockt mich überhaupt nicht.
Zugegeben, es sah ziemlich scheußlich aus.
Ja, wobei sie es schon jetzt so hinkriegen, dass es einigermaßen schmeckt. Ein Äquivalent zu gewachsenem Fleisch werden sie in absehbarer Zeit aber nicht schaffen. Im Übrigen ist das ist ein Produkt, das nur auf den Märkten der reichen Ländern Erfolg haben kann, weil es in großen, energieintensiven Bioreaktoren hergestellt werden muss. Der Kleinbauer in Afrika könnte eine Insektenfarm haben, wenn es darum geht, Proteine zu erzeugen. Insekten fressen Speisereste, sind besser Futterverwerter noch als Hühner. Das wäre eine Richtung in die man denken könnte. Diese Hightechsachen sind in absehbarer Zeit noch nichts.
Dieser Wissenschaftler im deinem Film sagt, dass sein Laborburger 250.000 Euro kostet. Das kann er doch nicht ernst meinen.
Das liegt daran, dass das Produkt noch im Forschungsstadium ist. Er macht das an der Uni alles noch manuell. Wie schnell die auf den Preis von normalem Fleisch runterkommen - das kann man nicht sagen. Er sagt, 10 bis 15 Jahre, ich sage mal: 20.
Aber irgendeine Lösung wird es für Fleisch geben müssen.
Ich kann über meinen eigenen Fleischkonsum sagen, dass er sich drastisch reduziert hat, und ich glaube nicht, dass das nur an der Erfahrung lag, in Indien einem 100.000-Hühner-Stall zu drehen. Wir haben da Bilder gedreht, die wollte ich meinem Publikum nicht zumuten. Da spritzte… – nein, ich will das lieber nicht beschreiben.
Das hat jedenfalls schon dazu geführt, dass ich kein Zwei-Euro-Huhn aus dem Supermarkt mehr kaufen will. Aber wenn ich mir überlege, wo mein Essen herkommt, und auch mein Fleisch da kaufe, wo man mir das nachweisen kann, dann ist das für mich Lebensqualität. Ich nehme mir Zeit, rede mit anderen darüber, das hat auch einen sozialen Aspekt. So etwas trägt zu Veränderung von Ernährungsstilen bei, nicht so sehr Verzicht und Askese. Viele von uns sind nicht auf dem Land aufgewachsen, wir haben vieles verloren, was man hat, wenn man näher an seinen Lebensmitteln ist. Alles, was uns näher an die Produktion ran rückt, hilft. Sei es, dass man in Gemeinschaftsgärten arbeitet, oder mit Bauern auf dem Markt redet oder über eine Einkaufsgenossenschaft teilnimmt. Da hilft das Internet. Ich kann darüber jetzt direkt beim Bauern einkaufen, ich brauche keinen Handel mehr dazwischen. Das kostet mich genau so viel Zeit, wie wenn ich im Supermarkt einkaufe. Ich nehme teil an einer Einkaufsgenossenschaft namens Food Assembly, die in Frankreich schon extrem erfolgreich ist, in Deutschland ist sie gerade am Entstehen.
Du zeigst in deinem Film einige Projekte von urbanen Gärtnern. Diese Idee, dass ich in der Stadt zur Arbeit gehen kann, und auf meinem Weg überall Apfelbäume stehen – das ist natürlich sehr charmant und attraktiv für Leute, die in der Stadt wohnen. Aber hat das irgendein reales Potential für unsere Ernährungssicherheit? Du sagst in deinem Film, es würde bereits eine Fläche von der Größe Europas mit urbanen Gärten bewirtschaftet, das sind mehr als zehn Millionen Quadratkilometer. Müssten wir das nicht bemerken?
Damit ist die weltweite Fläche gemeint. In Europa und den USA ist der Prozentsatz noch sehr klein. Das ist der Unterschied zwischen Großstädten in Entwicklungsländern und unseren Großstädten. Bei uns sind diese Gemeinschaftsgärten eine schöne Sache, das hat ja auch einen mentalen Effekt, weil die Leute anders konsumieren, wenn sie eine Beziehung zum Essen aufbauen. In den Entwicklungsländern aber geht es darum, dass über die Hälfte der Nahrung in Megacities aus der Stadt selbst oder einem Grüngürtel kommt, der direkt an der Stadt angrenzend stammt. Das klappt in einem Maße, das wir uns gar nicht vorstellen können. Durch informelle, kleine Märkte, die gar nicht geregelt sind. Man muss dazu gar nicht nach Indien oder Afrika fahren, das ist auch schon in Kuba so. Der pure Mangel lässt die Leute da erfinderisch werden.
Du zeigst auch Fabrikfarmen in Japan, in denen massenhaft Salat ohne Erde unter künstlichem Licht in Hydrokultur gezogen wird. Das ist viel weniger schön anzusehen als die städtischen Gemeinschaftsgärten. Aber ist das nicht die realistischer Variante?
Die Japaner sind da einfach schon weiter als wir, weil es so wenig Land in Japan gibt. Die könnten das mittlerweile fast schon zu den Preisen anbieten, die Salat vom Feld kostet, und sie können das ganze Jahr lang produzieren, sogar pestizidfrei. Die Mitarbeiter müssen da mit einem Ganzkörperschutzanzug rein und bekommen vorher eine Luftdusche, denn in dem Moment, in dem ein Schädling reinkommt, haben sie ein Riesenproblem. Aber sie haben es bisher geschafft, das ohne Kontamination zu betreiben. Für Länder mit dem entsprechenden Kapital ist das eine Option, so eine Fabrik ist ein wie ein Ikea - eine riesige Box, die man irgendwo hinstellt. Aber für den Welthunger ist das völlig irrelevant. In Südasien oder in Afrika gibt es weder das Kapital noch die Notwendigkeit, die Sonnenenergie durch künstliche Energie zu ersetzen. Wo es viele Menschen gibt, obwohl die Wasservorräte gar nicht ausreichen würden, würde es Sinn machen.
In deutschen Städten zum Beispiel wäre es doch sinnvoll. Das spart ja schließlich auch Transportwege.
Ja, man kann so eine Pflanzenfabrik direkt auf einen Supermarkt stellen. Das stimmt. Das ist eine sehr technische Methode, bei der kein Boden verwendet wird, aber regional ist das allemal.
Und ökologisch.
Im Vergleich zum Gewächshaus ja, aber im Vergleich zum Freiland nicht. Da müsste ich den Salat schon von sehr weit her transportieren, damit sich das lohnt.
Noch mal zu den Kleinbauern: Es ist nicht gesagt, dass die klein bleiben werden. Wieso sollten sie nicht zu Großbauern werden, sobald sie die Möglichkeit haben?
Das kann passieren. Das ist aber dann eine Lösung für wenige. Ich zeige in meinem Film einen amerikanischen Farmer, der in Mosambik eine riesige Fläche mit Soja bebaut. Der sagt, das sei für kleine Landwirte gut, weil sie dadurch auch wachsen könnten, indem sie zum Beispiel seine Lagerhäuser nutzen. Es kann natürlich passieren, dass auch dort letztlich eine Entwicklung passiert, wie sie bei uns geschehen ist: Dass es statt vieler kleiner Bauern irgendwann nur noch einige mittlere und große gibt. In Mosambik arbeiten noch 80 Prozent in der Landwirtschaft, das ist noch sehr viel und wird sicher schrumpfen. Die Bauern werden dann notgedrungen in die Städte abwandern.
Bei uns ist es im 19. Jahrhunderts passiert, dass die Landbevölkerung in die Städte strebte. Aber da begann die Industrialisierung gerade, dieser Entwicklungswelt ist der Dritten Welt verstellt. Sie haben keine Vierte Welt, die sie ausbeuten können. Eine Industrialisierung kann nur in einem sehr geringen Maße passieren, deswegen sollten wir, wenn wir das mit der Ernährungssicherheit ernst meinen, Lebensverhältnisse auf dem Land zu schaffen versuchen, die Menschen nicht dazu zwingen, in die Städte abzuwandern.
Valentin Thurn ist ein freier Filmemacher, der unter anderem für ARD, ZDF und Arte arbeitet. Berühmt gemacht hat ihn sein letzter Kinofilm „Taste the Waste“ über den Umgang der Industriegesellschaften mit Nahrungsmitteln und die globalen Ausmaße von Lebensmittelabfall.
Die Videos sind Ausschnitte aus Thurns Film „10 Milliarden - Wie werden wir alle satt?“
Aufmacherfoto: PROKINO Filmverleih GmbH