Die Braut, der man nicht traut
Geld und Wirtschaft

Die Braut, der man nicht traut

Verspätet gelieferte Flugzeuge, defekte Hubschrauber, neue Schiffe mit Mängeln: Die Bundeswehr hat genug Probleme mit ihrem Gerät. Warum erhitzt dann ausgerechnet das Sturmgewehr G36 so stark die Gemüter?

Profilbild von Thomas Wiegold

Hoch über dem Städtchen Oberndorf am Neckar, aus dem Besprechungsraum im Verwaltungsgebäude der Firma Heckler&Koch, geht der Blick übers Werksgelände und hinaus ins Land. Gegenüber der Fensterfront hat das schwäbische Unternehmen gerahmt an die Wand gehängt, was Heckler&Koch vor 20 Jahren seine wirtschaftliche Zukunft sicherte: Die „Nutzungsgenehmigung“ der Bundeswehr für das Sturmgewehr G36, mit der dieses Gewehr zur Standardwaffe der deutschen Streitkräfte wurde.

Spätestens seit Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen Ende März öffentlich mitteilte, das G36 habe unter bestimmten Bedingungen Präzisionsprobleme, ist die seit drei Jahren schwelende Debatte über technische Schwierigkeiten bei dieser Waffe erneut aufgeflammt. Mit gegenseitigen Vorwürfen. Mit Spott und Häme für den augenscheinlich erneuten Beweis der blamabel ausgestatteten „Trümmer-Truppe“ Bundeswehr und die Herstellerfirma.

Gesucht - ein zuverlässiges Gewehr

Wer die erregten öffentlichen Wortmeldungen zum Thema G36 verstehen will, muss wissen: Eine Debatte über die Qualität und die technischen Probleme der Standardwaffe des deutschen Soldaten löst ganz andere Reflexe aus als die Berichte über veraltete und defekte Hubschrauber der Bundeswehr, verspätet gelieferte Transportflugzeuge für die Luftwaffe oder Mängel bei gerade erst fertiggestellten Kriegsschiffen der Marine. Ein Soldat braucht ein zuverlässiges Gewehr, das ist die Mindestanforderung an eine Armee, egal, was an hochtechnisierten und viel teureren Waffensystemen sonst noch im Arsenal liegt. Der alte Spruch „Das Gewehr ist die Braut des Soldaten“ steckt nach wie vor tief in den Köpfen. Und dieser Braut, so läuft derzeit die öffentliche Diskussion, traut man nicht mehr.

Für die Debatte muss man allerdings auch die schwäbische Waffenschmiede zu verstehen versuchen. Ein mittelständisches Unternehmen wie etliche andere in der Region, das von feinmechanischem Tüftlergeist lebt und seine hochentwickelten Produkte weltweit vermarktet. Aber zugleich ein Unternehmen mit Erzeugnissen, die bei den einen Faszination auslösen, für andere als Tötungswerkzeuge der Inbegriff des Bösen sind.


Krautreporter-Mitglieder finden hier, wenn sie eingeloggt sind, in der rechten Spalte ein Interview mit Geschäftsführer Martin Lemperle von Heckler&Koch als Audiofile.


Nun ist das G36 nur eine Waffe in der Produktpalette von Heckler&Koch, die von der Pistole bis zum Granatwerfer reicht, der Granatmaschinenwaffe mit 40mm-Geschossen. Und es ist noch nicht mal das modernste oder technisch am weitesten entwickelte Gerät der Oberndorfer Firma.

Doch die inzwischen 20 Jahre alte Waffe ist das Brot-und-Butter-Geschäft des Unternehmens, das Anfang der 1990er-Jahre der in wirtschaftliche Schwierigkeiten geratenen Firma eine solide Basis verschaffte. Kurz zuvor hatten das Ende des Kalten Krieges und die Auflösung des Warschauer Pakts das Ende eines scheinbar erfolgversprechenden Projekts der Oberndorfer besiegelt: Ein seit den 1970er-Jahren entwickeltes Gewehr mit neuartiger hülsenloser Munition, für die Bundeswehr schon als Gewehr G11 eingeplant, wurde für die Truppe nicht mehr beschafft. Es wäre für Heckler&Koch der größte Auftrag seit der Fertigung des damaligen Bundeswehr-Standardgewehrs G3 gewesen, dessen Produktion 1983 ausgelaufen war. Das Unternehmen stand nach dem plötzlichen Wegfall der Lieferung für die damals schon im Frieden 500.000 Mann starke Bundeswehr nahe am Konkurs.

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Mit dem Zuschlag für das neu entwickelte G36 ging es für die Firma wieder aufwärts. Das neue Sturmgewehr löste das mehr als 30 Jahre alte G3 ab: Eine leichtere Waffe mit einem Gehäuse aus stabilem Kunststoff, modular aufgebaut. Dank des kleineren NATO-Kalibers wurden auch die Munitionsvorräte leichter als beim G3 – und zudem den meist verwendeten Waffen der Verbündeten angepasst: Das kleinere Kaliber, so die Überlegung, würde bei Auslandseinsätzen den Nachschub für NATO-Truppen vereinfachen.

Fast 180.000 Gewehre dieses Typs lieferte Heckler&Koch an die Bundeswehr. Spanien, Lettland und Litauen führten das G36 ebenfalls als Standardwaffe ein. Polizei- und Spezialeinheiten bestellten das Sturmgewehr. In Saudi-Arabien errichtete das Unternehmen sogar, nach Genehmigung durch die erste schwarz-rote Regierungskoalition in Berlin, eine komplette Fabrik zur Montage des G36. Die wesentlichen Teile werden jedoch nach wie vor in Oberndorf hergestellt und geliefert.

Das G36 ist für Heckler&Koch damit von ähnlicher Bedeutung, wie lange Zeit der VW Käfer für Volkswagen: Nicht das technologische Spitzenprodukt – aber das Produkt, dessen Zuverlässigkeit entscheidend für den Ruf des Unternehmens ist.

Nun hatte und hat die schwäbische Firma an anderen Fronten ebenfalls um ihren Ruf zu kämpfen. Wirtschaftlich steht das Unternehmen seit Jahren unter Druck, Finanzfachdienste berichteten im vergangenen Jahr von Zahlungsproblemen. „ Um für eine Anleihe über 295 Millionen Euro nur die Zinsen zu bezahlen, sind jedes halbe Jahr rund 14 Millionen Euro fällig“, rechnete die „Welt“ im Februar dieses Jahres vor. Die Haltung von Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD), weniger Rüstungsexporte in Länder außerhalb der NATO zu genehmigen, verschärfte die Schwierigkeiten des stark vom Export abhängigen Unternehmens weiter.

Zugleich erheben die Gegner von Rüstungsexporten immer wieder Vorwürfe gegen die Oberndorfer – zum Beispiel wegen der Lieferung von G36-Gewehren an Mexiko, die trotz Einschränkungen in der Ausfuhrgenehmigung ihren Weg in Unruheprovinzen des Landes fanden. Der deutsche Menschenrechtsbeauftragte und SPD-Politiker Christoph Strässer mochte sogar nicht ausschließen, dass die deutschen Waffen für den Mord an mexikanischen Studenten in der Provinz Guerrero eingesetzt wurden. In Libyen oder Georgien tauchten G36 auf, die offiziell nie an diese Länder geliefert worden waren.

https://twitter.com/Achim_Reinhardt/status/571374661742829568

Die Verantwortung für illegale Lieferungen wies Heckler&Koch bislang immer zurück: Wenn es solche strafbaren Geschäfte gegeben haben sollte, seien dafür einzelne Mitarbeiter verantwortlich. 2014 veröffentlichte das Unternehmen ethische Grundsätze, in denen es unter anderem heißt, die Einhaltung von Recht und Gesetz genieße „absolute Priorität“:

Lieber verzichtet das Unternehmen auf den Abschluss eines Geschäfts, als gegen ein Gesetz, eine behördliche Regelung oder einen ethischen Grundsatz zu verstoßen. Unlauteres oder unethisches Verhalten gefährdet den nachhaltigen Erfolg von Heckler&Koch. Davon ist die Geschäftsführung überzeugt. Die Unternehmensorganisation und jeder einzelne Mitarbeiter müssen ihr Verhalten deshalb stets an den Unternehmensprinzipien und -werten ausrichten.
Compliance Statement von Heckler&Koch

Doch so sehr die wirtschaftlichen Probleme und der politische Druck in Deutschland der Firma zu schaffen machten: An der technischen Qualität, die Heckler&Koch lieferte, gab es niemals öffentlich Zweifel.

Bundeswehrsoldaten mit G36 in einem Feuergefecht in Afghanistan

Bundeswehrsoldaten mit G36 in einem Feuergefecht in Afghanistan Foto: Bundeswehr/Patrick v. Söhnen

Bis zum Frühjahr 2012. In Fachkreisen kursierten Informationen über Tests der Bundeswehr, nach denen das G36 erheblich ungenauer traf, wenn die Waffe heißgeschossen war. Ein Phänomen, das zwar bei allen Gewehren auftritt. Doch bei diesem Sturmgewehr, so ermittelten die Prüfer, seien die Abweichungen besorgniserregend groß. Schon am 22. März jenes Jahres hatte das Einsatzführungskommando der Bundeswehr deswegen eine Weisung an die Truppe im Auslandseinsatz herausgegeben, vor allem an die Soldaten in Afghanistan:

Auf Grund von Beschädigungen (Verschmorter Handschutz) an zurückgelieferten Waffen des Typs G36 wurden durch den Nutzungsleiter weiterführende Untersuchungen veranlasst. In Ergebnis teilt LogABw [Logistikamt der Bundeswehr, d.Red. ] mit, dass beim schnellen Verschuss einer großen Menge von Munition ZDv 3/136 RN 136 zu beachten ist:
Nach dem Verschießen von Patronen im schnellen Einzelfeuer oder in kurzen Feuerstößen (150 Schuss Dauerfeuer Gefechtsmunition bzw. max. 100 Schuss Manövermunition) muss bei starker Rohrerhitzung das Rohr (bei offenem Verschluß) auf Handwärme abkühlen, bevor weitergeschossen werden darf.
Aufgrund des Wärmestaus in der Waffe nach schnellem Verschuss einer großen Menge von Munition (s.o.) muss zudem von einer erheblich größeren Streuung ausgegangen werden.
Dadurch wird die zuverlässige Bekämpfung von Zielen bei Kampfentfernungen über 100 Metern mit zunehmender Entfernung deutlich erschwert. Die Trefferwahrscheinlichkeit sinkt dann bei Entfernungen von 300 Metern allein aufgrund der Streuung auf circa ein Drittel.
Nach dem Abkühlen ist die Funktionalität des Gewehrs wieder voll gegeben.
Ist in einer taktischen Situation das Abkühlen des Gewehrs nicht möglich, und muss weitergeschossen werden, ist zu berücksichtigen, dass bei weiterem Feuerkampf Waffen komplett ausfallen können und/oder dauerhaft beschädigt werden.

Die interne Anweisung war so richtig wie merkwürdig: „Auf Handwärme abkühlen“ war für die Truppe in Afghanistan, die zeitweise in heftigen Feuergefechten mit Taliban stand, keine allzu praktikable Vorgehensweise. Außerhalb der Bundeswehr bekannt wurde das Thema dann durch eine Meldung des „Spiegels“ am 1. April 2012, die wegen des Veröffentlichungsdatums von vielen zunächst als Aprilscherz angesehen wurde. (Offenlegung: Der Autor dieses Artikels war auch Verfasser der damaligen „Spiegel“-Meldung.)

Der Meldung folgten in den nächsten Monaten mehrere Berichte in verschiedenen Medien, allen gemeinsam die Aussage: Die Bundeswehr hat ein Problem mit dem G36. So zitierte das ZDF-Magazin „Frontal 21“ Ende 2012 aus einer sogenannten Einsatzauswertung des Heeres:

Durch Truppe im Einsatz wurde eine mangelnde Wirksamkeit des G36 festgestellt. Dies liegt zum einen an der Wirksamkeit der Munition, die für Kampfentfernungen über 300-400m nur bedingt geeignet ist, zum anderen aber auch an der falschen Handhabung des Sturmgewehr G36 im Feuerkampf. In den Medien wurden Aussagen über ein Absinken der Treffleistung der Waffe bei heiß geschossenem Rohr gemacht. Diese Angaben konnten bisher durch Beobachtungen aus dem Einsatz nicht belegt werden, jedoch haben Versuche an der Wehrtechnischen Dienststelle 91 (WTD91) diesen Sachverhalt im Wesentlichen bestätigt. Der Treffkreis bei heiß geschossener Waffe (nach 60 Schuss im Dauerfeuer/schnell aufeinander folgenden Feuerstößen) kann sich um mehr als das doppelte ausweiten. Somit liegt dann nur noch etwa die Hälfte der Schüsse im Ziel. Bei zunehmender Kampfentfernung erweitert sich der Streukreis entsprechend, die Treffwahrscheinlichkeit sinkt weiter.

Falsche Handhabung, mangelnde Wirksamkeit der Munition: Für die Bundeswehr waren Meldungen über die Probleme des Sturmgewehrs auf jeden Fall keine Schwierigkeiten, die in erster Linie der Waffe anzulasten wären. Allerdings kamen bei einer Besprechung im Bundesamt für Ausrüstung, Infrastruktur und Nutzung der Bundeswehr im August 2013 auch andere mögliche Fehlerquellen zur Sprache. „Der Gehäusekunststoff im Bereich der Rohraufnahme ändert mit zunehmender Temperatur seine Federsteifigkeit, insbesondere nach Überschreiten des Glasübergangspunktes. Hierdurch ändert sich das Schwingungsverhalten des Rohres, was zur Streukreiserweiterung führt. (…) Die in jeder Waffe individuelle Ausrichtung der im Gehäusekunststoff enthaltenen Glasfasern bewirken bei Erwärmung eine nicht vorhersehbare Haltepunktverlagerung (…)“, heißt es im Protokoll des Expertentreffens. Mit anderen Worten: Das Kunststoffgehäuse, das das G36 zu einer leichten Waffe macht, könnte der wesentliche Grund für die erkannten Probleme sein.

Mängel? - Geliefert wie bestellt

Konsequenzen hatten diese Erkenntnisse weder bei Heckler&Koch noch bei der Bundeswehr. Das Unternehmen betonte immer wieder, die gelieferten G36 entsprächen exakt den „Technischen Lieferbedingungen“ der Bundeswehr – und ging auch vor Gericht gegen Medien vor, die von „Mängeln“ bei der Waffe schrieben. An den Produkten aus Oberndorf, so die Aussage, könnten die erkannten Probleme nicht liegen.

Das wurde im Frühjahr 2014, inzwischen hatte Ursula von der Leyen das Verteidigungsministerium übernommen und das G36-Problem von ihrem Vorgänger Thomas de Maizière geerbt, auch offiziell bestätigt. „Das Gewehr G36 der Bundeswehr ist treffsicher“, meldeten die Streitkräfte und präsentierten auch eine – wissenschaftlich unterfütterte – Erklärung. Ausgangspunkt sei die Vermutung gewesen, dass es an der Waffe liege, aber:

Dies konnte jedoch durch umfangreiche Untersuchungen eines unabhängigen Sachverständigen, das Ernst-Mach-Institut der Fraunhofer Gesellschaft, eindeutig widerlegt werden. Ursache sind vielmehr einzelne Munitionslieferungen (Lose) eines Herstellers. (…) Das Gewehr G36 ist technisch zuverlässig und ohne Mängel. Es erfüllt vollumfänglich die Anforderungen der laufenden Einsätze und den Grundbetrieb der Bundeswehr.
Bundeswehr (Presse- und Informationszentrum Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung)

Das Aufatmen in Oberndorf und in den für die Rüstungsbeschaffung zuständigen Bundeswehr-Dienststellen dauerte allerdings nicht lange. Nur wenige Wochen später schaltete sich der Bundesrechnungshof ein, ließ einige Gewehre probeschießen – und kritisierte erneut, die heiß geschossenen Waffen seien nicht mehr treffsicher. Diesmal gab es Konsequenzen: Das Verteidigungsministerium gab nicht nur eine weitere Untersuchung in Auftrag, sondern stoppte auch den für 2014 vorgesehenen Kauf weiterer G36.

Rufschädigung - durch den Bundesrechnungshof

Heckler&Koch tobte. „Bundesrechnungshof agiert rufschädigend“, überschrieb die Firma eine – inzwischen von der Internetseite entfernte – Pressemitteilung im Juni 2014. „Ohne belastbare Ergebnisse“ habe das Kontrollorgan „das Qualitätsprodukt G36 in Frage gestellt“. Die staatliche Behörde, „die selbst keine wehrtechnische Kompetenz hat, nimmt mit ihrem Vorgehen in Kauf und provoziert geradezu, dass unabhängig vom Wahrheitsgehalt der aufgestellten Behauptungen zur Treffsicherheit des G36 bei Heckler & Koch ein erheblicher Reputationsschaden eintritt“.

Doch es sollte noch dicker kommen für die Oberndorfer. Ein Dreivierteljahr später zeichneten sich die Ergebnisse der Untersuchung ab, die das Verteidigungsministerium im Sommer 2014 in Auftrag gegeben hatte. Und Ursula von der Leyen demonstrierte Ende März öffentlichkeitswirksam, wie sie mit dem Problem umgeht. Noch war der Abschlussbericht nicht geschrieben, da bestellte die CDU-Politikerin den „Militärischen Führungsrat“, die Inspekteure der Teilstreitkräfte, zur Krisensitzung in den Berliner Bendlerblock – an einem Sonntag.

Einen Tag später ging die Ministerin vor die Presse: „Das G36 hat offenbar ein Präzisionsproblem bei hohen Temperaturen, aber auch im heißgeschossenen Zustand. (…) Wenn der Abschlussbericht dieser mehrmonatigen Untersuchungsreihe vorliegt und ausgewertet ist, wird das Ministerium notwendige weitere Konsequenzen ziehen. Das schließt auch die Frage ein, ob und inwieweit die Truppe auf mittlere Sicht mit einem anderen Sturmgewehr ausgerüstet werden muss.“

Das Unternehmen reagierte erneut mit wütenden Pressemitteilungen. Vier Stück feuerte Heckler&Koch in rascher Reihenfolge ab, die vorerst letzte, zehn Seiten technische Erläuterungen umfassende am 10. April. Kernaussage: Alle bisherigen Untersuchungen kamen ohne Beteiligung des Herstellers zustande – und sind zweifelhaft.

Ob das der Firma nützen wird, ist ebenfalls zweifelhaft. Am 17. April, so teilte das Verteidigungsministerium mit, soll der Abschlussbericht der technischen Untersuchungen vorliegen. Und anschließend sollen gleich zwei Kommissionen dazu ihre Arbeit aufnehmen: Unter Vorsitz des früheren Grünen-Abgeordneten und Verteidigungspolitikers Winfried Nachtwei prüft ein Gremium, ob in den Auslandseinsätzen möglicherweise Bundeswehrsoldaten wegen der mangelnden Treffergenauigkeit des G36 gefährdet waren. Und eine weitere Arbeitsgruppe, geleitet vom früheren Commerzbank-Chef und ehemaligen Vorsitzenden der „Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex“, Klaus-Peter Müller, wird am Beispiel des Sturmgewehrs „der Frage nachgehen, ob es strukturelle Schwachstellen im Management der Großorganisation Bundeswehr gibt“.

Bundeswehr-Fallschirmjäger mit dem G36 bei der NATO-Übung "Cold Response" im März 2014

Bundeswehr-Fallschirmjäger mit dem G36 bei der NATO-Übung “Cold Response” im März 2014 Foto: Bundeswehr/Bender

Damit kommt Heckler&Koch, über Jahrzehnte der unbestrittene Hauslieferant der Bundeswehr für Infanteriewaffen, in schweres Fahrwasser. Denn die Verteidigungsministerin scheint entschlossen, am Beispiel der Firma vorzuexerzieren, wie die künftige Richtung für den Umgang mit der Rüstungsindustrie aussehen soll: Von euch, so die unausgesprochene Botschaft, lasse ich mir nicht mehr alles bieten. Das gilt zwar den Großen der Branche wie dem Luftfahrtkonzern Airbus genauso – lässt sich aber eindrücklicher und öffentlichkeitswirksamer durchsetzen, wenn es um „die Braut des Soldaten“ geht. Pluspunkte für die Vollblutpolitikerin von der Leyen scheinen programmiert.

Ansehensverlust - nicht nur des Waffenlieferanten

Allerdings: Auch der technische Abschlussbericht wird den Streit kaum entschärfen. Denn nach wie vor ist es eine offene Frage, ob die Truppe zwar nicht das Gewehr bekommen hat, das sie in Einsätzen wie in Afghanistan brauchte – wohl aber die Waffe, die die Bundeswehr vor 20 Jahren für eine Wehrpflichtarmee in Mitteleuropa bestellt hatte. Aus den Einsätzen selbst waren bislang praktisch keine Klagen über Zuverlässigkeit und Präzision des G36 zu hören, jedoch über das zu kleine und deshalb manchmal wirkungslose Kaliber. Auch der scheidende Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus, der zusammen mit dem Grünen Nachtwei die G36-Probleme in den Einsätzen aufarbeiten soll, hatte nach eigenen Angaben „keine Hinweise darauf, dass deutsche Soldaten wegen mangelnder Präzision beim G36 in Gefahr geraten sind“.

Für Heckler&Koch geht es um die Reputation.

Für Ursula von der Leyen aber auch.


Nachtrag: Am 17. April hat das Verteidigungsministerium wie angekündigt den technischen Bericht vorgelegt – zunächst aber nur als Verschlusssache für die Abgeordneten des Bundestages. Dennoch ist einiges daraus bekannt geworden: Die erneuten Untersuchungen haben „signifikante Präzisionseinschränkungen“ ergeben, wenn das G36 heißgeschossen ist oder sich durch Umwelteinflüsse wie Sonnenstrahlung erwärmt. Vor allem aber kommt das Planungsamt der Bundeswehr zu dem Ergebnis, dass das Sturmgewehr „für den Einsatz nur eingeschränkt tauglich und daher nicht in vollem Umfang einsatzreif“ sei. Die Streitkräfte empfehlen deshalb die Beschaffung einer neuen Waffe – was allerdings bis zu zehn Jahren dauern kann. Für die Auslandseinsätze, heißt es aus dem Planungsamt, sollten „geeignete Sturmgewehre mit geeigneter Munition“ als Zwischenlösung gekauft werden.

Heckler&Koch hat dem Bericht, wie zu erwarten war, widersprochen. „Was wir herstellen, ist zu hundert Prozent einsatzfähig“, sagte der Mehrheitseigentümer Andreas Heeschen der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Der Streit dürfte also weitergehen.


Aufmacher-Bild: Transparentes Modell des Sturmgewehrs G36 im Firmenmuseum von Heckler&Koch in Oberndorf - Foto:Thomas Wiegold


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