Deutschlands Wirtschaftsikonen wackeln. Volkswagen, der Deutschland-Konzern schlechthin, droht zum ersten Mal in seiner Geschichte ein Werk zu schließen. Beim Stahlhersteller Thyssenkrupp müssen bis zu 11.000 Mitarbeiter:innen gehen und das Chemieunternehmen BASF hat ein großes Sparprogramm aufgelegt. Und auch außerhalb des Kreises der großen DAX-Konzerne ist die Stimmung schlecht.
Deutschland hat Angst vor einem Wirtschaftsabstieg, und für bestimmte Teile der Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ist die Ursache klar: Während der Rest der Welt fröhlich Geschäfte macht, binden wir uns unnötige Vorschriften und strenge Schutzgesetze ans Bein, die die Konjunktur abwürgen. Klimaschutz bremst die Konjunktur.
In seiner vulgärsten Form lässt sich das Argument immer wieder auf Social Media finden. Aber auch außerhalb taucht es auf. So sagte etwa der CDU-Politiker Jens Spahn vor ein paar Tagen im Bundestag: „Drei Jahre Praxistest grüner Wirtschaftspolitik haben gezeigt: Die Wirtschaft schrumpft, die Bürger sind ärmer geworden.“
In solchen Einschätzungen steckt viel undifferenziertes Draufhauen. Aber die Debatte über Klimaschutz und Wirtschaftswachstum ist zentral. An ihr entscheidet sich, ob wir es hinbekommen können, diesen Planeten in einem lebenswerten Zustand zu erhalten. Damit eine Mehrheit so viel Klimaschutz wie möglich akzeptiert, reicht nicht die Gewissheit, dass sonst eine Katastrophe droht. Sondern es braucht auch Lösungen, die realistisch und politisch möglich sind.
Anders gesagt: Würde Klimaschutz wirklich Millionen Arbeitsplätze kosten, wäre er in modernen Demokratien eine politische Totgeburt.
Und mehr Klimaschutz wird Arbeitsplätze kosten. Um ehrlich zu sein: Er hat schon längst Arbeitsplätze gekostet. In der Kohleindustrie etwa.
Und auch Mitarbeiter:innen der großen Mineralölgesellschaften, Expert:innen für Verbrennertechnologien und große fossile Kraftwerke sind gefährdet. Nach der vollen Elektrifizierung des Verkehrs braucht es weniger KfZ-Mechaniker:innen und weniger Tankstellenmitarbeiter:innen. Gleichzeitig verteuern CO₂-Steuern viele Waren des täglichen Lebens. Bisher ist das kaum spürbar. Aber in der Zukunft, wenn die Steuern planmäßig steigen, könnte sich das ändern.
Es bringt nichts, alle Debatten über die wirtschaftlichen Folgen von Klimaschutz abzuwürgen. Stattdessen ist es wichtig, diese Folgen besser zu verstehen. Die Debatte wird jedenfalls geführt, so oder so. Eine Leserin schrieb mir, dass sie immer wieder mit Freunden und Bekannten darüber diskutieren müsse, wie Klimaschutz der Wirtschaft schadet. Sie sehen in der Klimapolitik der Ampel den einen, wichtigsten Grund für die derzeitige wirtschaftliche Misere in Deutschland.
In diesem Artikel zeige ich dir, was wirklich dran ist an diesem Vorwurf. Dafür habe ich mir die vier gängigsten Argumente genauer angeschaut.
Argument 1: Die Energiewende hat die Strompreise überhaupt nicht gesenkt
Das Kernargument der Energiewende- und Klimaschutzkritiker:innen dreht sich um den Strompreis. Sie behaupten, dass die Energiewende außer Kosten nicht viel gebracht hätte. Denn ja, Sonne und Wind schicken keine Rechnung, aber der Strompreis ist trotzdem nicht gesunken.
Das stimmt. Der Strompreis in Deutschland ist nicht gesunken, sondern sogar gestiegen. Im Jahr 2000 begann offiziell die Energiewende in Deutschland. Damals kostete die Kilowattstunde Strom inflationsbereinigt circa 20 Cent. Heute sind es 35 Cent.
Sonne und Wind schicken zwar keine Rechnung, aber Rabatte geben sie anscheinend auch nicht.
Das Strompreisargument ist entscheidend, weil Stromkosten für energieintensive Schwerindustrien der größte Batzen aller Betriebsausgaben sind. Eine Aluminiumhütte verbraucht mehrere hundert Megawattstunden pro Tag – ungefähr so viel wie eine Großstadt. Steigt der Strompreis um wenige Prozentpunkte, kann genau dieser Minianstieg die ganze Gewinnmarge des Unternehmens auffressen.
Auch deswegen entscheiden sich immer mehr dieser energieintensiven Industrien, ihre deutschen Standorte zu schließen oder sich hier gar nicht mehr anzusiedeln.
Das Strompreisargument scheint also stichhaltig. Allerdings nur, solange man ignoriert, wie der Strompreis in Deutschland entsteht. Denn an der Strombörse wird der Strompreis immer durch das teuerste Kraftwerk gebildet. Die Verbraucher:innen und Unternehmen zahlen also für den in der Herstellung günstigsten Strom genauso viel, wie der teuerste kostet. Und am meisten kosten zurzeit sehr oft Gaskraftwerke.
Claudia Kemfert forscht am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung seit Jahrzehnten zur Energiewende. Sie sagt: „Die Ursache für die hohen Energiepreise ist die fossile Energiekrise.“ Das Hauptproblem sei, dass seit dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine die Gaspreise massiv gestiegen seien. „Die Krise ist immer noch nicht vorbei. Wir spüren außerdem die Konsequenzen der verschleppten Energiewende.” Sie erklärt, die erneuerbaren Energien wirkten tatsächlich strompreissenkend, weil sie die teureren Gaskraftwerke verdrängen.
Hinzu kommt, dass einen großen Anteil der Strompreise sogenannte Netzentgelte ausmachen. Das ist die Gebühr, die fast alle Stromkunden dafür zahlen, dass sie die Netze nutzen dürfen und diese weiter ausgebaut werden. Die Netzentgelte sind in den vergangenen Jahren stark gestiegen, weil mehr Hochspannungsleitungen, Umspannwerke und Trafostationen gebaut werden müssen, die Strom im ganzen Land verteilen. Das ist eine Folge der Energiewende. Kohlekraftwerke lassen sich theoretisch überall hinbauen, aber der Wind weht nicht überall gleich stark. Allerdings ist es eine politische Entscheidung, wie der Netzausbau finanziert wird. Ihn auf die Stromkunden umzulegen, ist nur eine Option. Denkbar wären auch mehr direkte Investitionen des Staates, finanziert durch Steuern oder ein Sondervermögen.
Argument 2: Klimaschutz vernichtet Arbeitsplätze
Ich hatte es bereits erwähnt. Ja, das stimmt. Jede Industrie, die entweder direkt mit fossilen Brennstoffen zu tun hat oder indirekt von ihnen abhängt, wie zum Beispiel die chemische oder die Stahlindustrie, hat derzeit Probleme. Das ist für die Gesellschaft doppelt problematisch, wie eine gerade erschienene OECD-Studie zeigt.
Das Forscher:innenteam hat gezeigt, dass gekündigte Arbeiter und Arbeiterinnen aus den energieintensiven Industrien mehr Einkommen verlieren als Menschen, denen in anderen Branchen gekündigt wird. Das hat mehrere Gründe: Diese Industriejobs werden gut bezahlt. Und die wenigsten Gekündigten werden anschließend Programmierer:innen. Sie finden also nur selten neue Stellen, die so gut bezahlt sind wie ihre alten. Manchmal dauert es auch länger, bis sie überhaupt wieder einen Job finden.
Wobei auch hier eine Differenzierung wichtig ist: Nicht allein der Klimaschutz ist schuld, sondern auch Managementfehler und schlechte Industriepolitik. Die Probleme der chemischen Industrie sind keine Probleme der Energiewende, sondern der Gasversorgung. Wie kein zweiter deutscher Konzern hatte sich etwa die BASF von russischem Gas abhängig gemacht. Sie hätte schon früher ihre Lieferketten umstellen können. Die Automobilindustrie wiederum hat, von großen Teilen der Politik kräftig unterstützt, seit dem Jahr 2015 die Wende hin zur E-Mobilität verschlafen und ignoriert.
Trotzdem gibt es direkte Klimaschutzfolgen für die Industrie. Klimaneutraler Stahl wird zum Beispiel mit Wasserstoff hergestellt. Das ist deutlich teurer, als ihn auf die herkömmliche, klimaschädliche Weise zu produzieren. Zement lässt sich nur mit sehr hohem technischen und finanziellen Aufwand dekarbonisieren. Nicht alle Firmen werden den Wandel zu mehr Klimaschutz schaffen, selbst wenn die Politik sie unterstützt. Gleichzeitig steht die komplette Kohleindustrie vor dem Ende. Jonas Fluchtmann, einer der Autoren der OECD-Studie sagt: „Wir können diese Industrien nicht für immer am Leben erhalten. Aber es ist wichtig, ihre Abwicklung langsam anzugehen. Wir müssen ihr Ende sanft abfedern.“
Zuletzt schafft Klimaschutz natürlich auch Arbeitsplätze in neuen Industrien, in der Wind- und Solarbranche, im Wärmemanagement, bei den großen Netzgesellschaften. Und gerade im Batterierecycling zum Beispiel hat Deutschland prinzipiell sehr gute Voraussetzungen. Das Problem aus Sicht von Gesellschaft und Politik ist, dass nicht alle diese Stellen so gut bezahlt sind wie jene in den energieintensiven Industrien – und dass Menschen nicht einfach direkt wechseln können. Der Sprung aus einer Raffiniere in den Windkraftanlagenbau zum Beispiel ist schlicht zu weit.
Argument 3: Klimaschutztechnologien sind technisch ineffizienter und damit teurer
Grüne Technologien sind angeblich umständlich, aufwändig, teuer. Als gutes Beispiel galt lange Zeit das E-Auto, das nur begrenzte Reichweiten hatte. Als anderes Beispiel galten in der öffentlichen Debatte Batterien und Akkus, die wir niemals leistungsstark genug produzieren könnten, um den erneuerbaren Strom zu speichern.
Und ja, es stimmt. Neue Technologien sind oft erstmal teurer als die alten. Und ja, es stimmt auch, neue Technologien bringen oft neue Probleme mit sich.
Allerdings ist das, gerade was Batterie, Wärmepumpen und E-Autos betrifft, ein Argument von vorvorgestern. Die Kritik mag gestimmt haben, als diese Geräte noch neu und unerprobt waren. Moderne E-Autos sind den besten Verbrennern technisch in jeder Hinsicht überlegen. Sie sind wartungsärmer, stinken weniger und nutzen die eingesetzte Energie deutlich effizienter. Das Gleiche gilt für Wärmepumpen. Aus einer Einheit Energie können sie bis zu vier Einheiten Wärme produzieren. Das schafft keine Ölheizung. Und Batterien werden immer billiger und leistungsfähiger.
Das Problem ist nicht die Technologie an sich, es ist das drumherum. So kostet der Strom an vielen Ladesäulen in Deutschland absurd viel, deutlich mehr als der Haushaltsstrom. Und es kann Monate dauern kann, bis Firmen selbst Ladeinfrastruktur für ihre Mitarbeiter aufbauen dürfen. Beides ist Folge politischer Entscheidungen. Ähnlich wie mit den Netzentgelten ist das Problem also nicht die Technologie an sich, sondern die politische Entscheidung, wie teuer sie für die Allgemeinheit ist.
Argument 4: CO₂-Preis bzw. Emissionshandel kosten Geld
In manchen Sektoren greift bereits heute eine CO₂-Steuer bzw. der Emissionshandel. Das bedeutet, dass zahlen muss, wer CO₂ ausstoßen will. Kohlekraftwerke etwa müssen ihre Emissionen so ausgleichen. Ziel dieser Maßnahme ist es, einen Anreiz zu schaffen, in klimafreundliche Technologien zu investieren.
Diese Steuern treiben prinzipiell die Preise und senken so tendenziell das Wachstum. Aber Claudia Kemfert, Wirtschaftswissenschaftlerin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung, sagt: „Die CO₂-Preise sind noch nicht auf einem Niveau, das uns eine Rezession bringt.“ Zurzeit kostet die Tonne CO₂ im europäischen Emissionshandel 68 Euro und die CO₂-Steuer beträgt 45 Euro. Die Forschung zeige, so Kemfert: Würden die Preise auf mehr als 200 Euro steigen, wäre die Inflationsgefahr deutlich höher.
Dabei ist die CO₂-Steuer kein Selbstzweck, sie hat ein Ziel. Durch die von ihr ausgelösten Investitionen in klimaschutzfreundliche Technologien soll sie das Wachstum langfristig stützen. Aber Kemfert sagt: „Es gibt ein Tal der Tränen, durch das man durchmuss, in dem die Investitionen getätigt werden müssen.“
Aktuell befinden wir uns genau in diesem Tal der Tränen. Das zeigt auch, dass wir diese Debatte gerade so intensiv führen.
Der Wandel hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaft provoziert auch Verlierer. Das zeigen die vier Argumente in diesem Text deutlich. Es ist wichtig, dass auch Klimaschützer:innen das mal aussprechen müssen.
Trotzdem stimmt es nicht, dass mehr Klimaschutz diese Rezession ausgelöst hat. Der Klimaschutz ist weder an der Gaspreiskrise noch an falschen Managemententscheidungen schuld. Aber es stimmt auch nicht, dass von mehr Klimaschutz automatisch alle in der Gegenwart profitieren.
Wer gerade in der Stahlbranche oder bei VW arbeitet, seinen Job verliert und sich fragen muss, was aus ihm wird, dem kann das Schicksal der Urenkel auf diesem Planeten erstmal herzlich egal sein. Das ist eine menschliche Reaktion.
Redaktion: Rebecca Kelber, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert