Eine ungleiche Waage vor rotem Hintergrund. Im Hintergrund sind Teile eines Geldscheines zu erkennen.

Didier Weemaels, Wesley Tingey/Unplash |  Krittiraj Adchasai/Getty Images

Geld und Wirtschaft

Sogar Reiche profitieren von einer gleicheren Gesellschaft

Reiche wollen nur ihr Vermögen vermehren? Quatsch. Auch für sie hat es Vorteile, wenn es weniger Armut gibt. Einige haben das bereits begriffen.

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Freier Redakteur

Kurzzeitig gehörte ich zu den reichsten ein Prozent Deutschlands. Dann gab ich den Großteil meines Vermögens ab.

Denn Reichsein und sich gegen Ungleichheit einzusetzen, widersprechen sich nicht. Diese Verbindung ist selten Liebe auf den ersten Blick, aber bei mir zumindest auf den zweiten. Doch es haben längst noch nicht alle verstanden, dass Ungleichheit nicht nur für Arme, sondern für alle schlecht ist.

Vor ein paar Monaten saß ich auf einem Panel. Ich war eingeladen, um zu erklären, warum ich Rückverteilung sinnvoll finde. Die Organisatoren hatten lange nach einem zweiten Vermögenden gesucht, der die Gegenposition einnehmen würde. Es gibt sehr viele von ihnen, aber öffentlich will keiner darüber reden. Am Ende saß mir ein Lobbyist auf dem Podium gegenüber. Er beschrieb sich als „Klimaoptimist“ und sagte, dass der Markt schon alles regeln werde. Sagte, Reiche würden mit ihren Investitionen die Gesellschaft unterstützen. Kurzum: Er wollte nicht weniger, sondern noch mehr Gaspedal.

Mehr Gaspedal schadet aber langfristig auch den Reichen. Einige haben das bereits begriffen. Marlene Engelhorn ist ein bekanntes Beispiel. Selbst Bill Gates, einer der reichsten Männer der Welt, spricht sich inzwischen für eine hohe Erbschaftsteuer aus.

Aktivist:innen für soziale Gerechtigkeit tun sich teilweise noch schwer mit diesen neuen Verbündeteten. Aber eigentlich braucht es sie erst recht. Sie haben Geld und eine Lobby. Es ist ein ungleiches, aber perfektes Match. Und es heißt doch, Gegensätze ziehen sich an, oder?

Wie ich kurzzeitig Teil der reichsten ein Prozent wurde

Auch ich habe zum reichsten Teil der Bevölkerung gehört: Ich habe die Buchzusammenfassungs-App Blinkist mitgegründet. 2023 verkauften wir sie und ich wurde so zum Millionär.

Als ich erfuhr, dass es Reiche gibt, die sich für Umverteilung einsetzen, war ich überrascht. Inzwischen finde ich es schlüssig, weil auch Reiche von einer Gesellschaft profitieren würden, in der die Unterschiede nicht so groß sind wie heute.

Ich entschied mich also, 90 Prozent meines Vermögens abzugeben und gab das öffentlich bekannt, damit ich keinen Rückzieher machen könnte. Hier sind die Argumente, die mich überzeugt haben – und die andere überzeugen könnten.

Dieser Text ist der letzte Teil der Reihe „Wir müssen über Geld reden“, die ich mit meiner Kollegin Rebecca Kelber geschrieben habe. In dieser Reihe sind wir der Frage nachgegangen, wie es sein kann, dass Ungleichheit immer weiter steigt, obwohl wir in einer Demokratie eigentlich die Verhältnisse so gestalten könnten, dass sie im Sinne der Mehrheit sind.

Extremer Reichtum ist schlecht für alle – auch für die, die ihn haben

Ich kenne Anwälte und Unternehmensberater, die 800 Euro für eine Stunde ihrer Arbeit verlangen. Und Menschen, die Millionen, teilweise sogar Milliarden erben. Deswegen beschämt es mich, wenn ich jemanden sehe, der in meiner Nachbarschaft Pfandflaschen sammelt. Weil ich weiß, wie reich andere sind.

Dieser Gegensatz ist sinnbildlich: Deutschland ist eine der reichsten Gesellschaften aller Zeiten. Fast nirgends gibt es mehr Milliardär:innen als hier. Und gleichzeitig leben immer mehr Menschen in Armut.

Im deutschen Grundgesetz steht, alle Menschen sollen die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Möglichkeiten haben, sich selbst zu entfalten. Wenn 17 Prozent der Bevölkerung von Armut betroffen sind und zehn Prozent der Menschen zwei Drittel von allem besitzen, während die ärmere Hälfte der Bevölkerung praktisch nichts hat, ist das nicht gegeben.

Darunter leiden die Menschen, die in Armut leben: Sie sind weniger glücklich, leben ungesünder und sterben früher. Armut bedeutet, kein Geld für ein Leben in Würde zu haben. Wenn Menschen in einem reichen Land arm sind, kommt zur Armut auch noch Scham und soziale Ausgrenzung hinzu.

Außerdem sind ungleiche Gesellschaften weniger gesund. In Ländern wie den USA und Deutschland lässt sich dieser Effekt hautnah beobachten: Die Lebenserwartung von Bevölkerungsgruppen geht zurück. Armut wirkt sich negativ auf die Gesundheit aus, und wenn es mehr arme Menschen in einer Gesellschaft gibt, gibt es auch mehr Erkrankungen, und die Lebenserwartung insgesamt sinkt. Laut RKI starten Frauen, die von Armut bedroht sind, mit einer um acht Jahre niedrigeren Lebenserwartung ins Leben, bei Männern sind es sogar elf Jahre.

Am Ende betrifft das sogar die Reichen. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schreibt dazu, dass psychische Erkrankungen, die sich bei Menschen in Armut gehäuft zeigen, der Volkswirtschaft als Ganzes schaden. Das Ergebnis seien dann „erhöhte Krankenstände, Behandlungskosten, Frühverrentungen und verringerte Produktivität am Arbeitsplatz.“

Eine weitere Folge der Ungleichheit, die alle ausbaden müssen, sind die politischen Folgen: Arme haben weniger Vertrauen in demokratische Institutionen. Ungleichheit fördert also ein antidemokratisches Mindset. Das ist schlecht für die Demokratie: Einige Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Ungleichheit ein Grund ist, warum mehr Menschen populistische Parteien wählen. Und populistische Parteien stehen für eine Politik, die schlecht für die wirtschaftliche Entwicklung ist. Darunter leiden letztlich alle, auch die Reichen.

Extremer Reichtum ist schlecht für die Wirtschaft

Wenn ein Land zu ungleich wird, ist das schlecht für die Wirtschaft und damit auch für die Vermögen der Reichen.

So kommt die Zeitschrift für Wirtschaftspolitik „Wirtschaftsdienst“ zum Schluss, dass die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen die deutsche Wirtschaft und ihre Leistungsfähigkeit schädigt. In Deutschland herrsche aufgrund der hohen Ungleichheit kein fairer Wettbewerb, viele Menschen können ihre Talente nicht nutzen.

Auch der Internationale Währungsfonds kommt in einer Studie zu einem ähnlichen Schluss. Sie schreiben: „Wenn nur die Reichen reicher werden, schrumpfe auf lange Sicht das Bruttoinlandsprodukt. Gewinnen dagegen Gering- und Durchschnittsverdiener hinzu, profitiere davon die gesamte Volkswirtschaft.“ Umverteilung führt also zu nachhaltigerem Wirtschaftswachstum.

Gleichzeitig brauchen Unternehmen immer Kaufkraft, die schlicht fehlt, wenn ein großer Teil der Gesellschaft in Armut lebt. Die Journalistin und Autorin Ulrike Herrmann führt das Beispiel Russlands an: Dort ist die Ungleichheit extrem hoch, eine Handvoll Oligarchen besitzt fast alles. Das Problem: Überreiche konsumieren anders, sie kaufen sich Yachten und Karibikinseln, aber keine Konsumartikel für Normalsterbliche. Deshalb entsteht in einem solchen Staat auch keine Volkswirtschaft, wie wir sie kennen. Mittelständische Unternehmen finden schlicht keine Abnehmerschaft im eigenen Land.

Reiche sitzen im selben Boot

Reiche müssen immer auch bedenken, dass die große Masse irgendwann sagen könnte, dass es ihnen zu viel wird und sie die Verhältnisse nicht mehr akzeptieren.

Schon vor zehn Jahren hat das Nick Hanauer in einem TED Talk zusammengefasst: Plutokraten wie er, die eigentlich von der Ungleichheit profitieren, müssten sich für Umverteilung einsetzen. Sonst riskieren sie, dass die große Masse sich mit Mistgabeln bewaffnet und selbst für Umverteilung sorgt.

Es wäre nicht das erste Mal in der Geschichte, dass ein hohes Maß an Ungleichheit durch Revolutionen und Enteignungen vermindert wird. Auch wenn die reichsten Menschen der Welt sich Fantasien hingeben, in denen sie die Erde verlassen und auf dem Mars weiterleben, sitzen sie doch mit im Boot.

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Ich habe in den vergangenen Jahren mit vielen vermögenden Menschen gesprochen und den Eindruck gewonnen, dass es unter ihnen genau wie überall in der Bevölkerung solche und solche gibt. Natürlich gibt es Menschen, die sehr egoistisch sind und sich von der Gesellschaft entkoppelt fühlen. Die denken, dass selbst der Klimawandel und ein Zerfall der Demokratie wenig an ihrem eigenen Leben ändern würden.

Es gibt aber auch viele, die die Verhältnisse ungerecht finden und sich dafür einsetzen, dass sich etwas ändert. Immer mehr Menschen trennen sich freiwillig von ihrem Vermögen, um damit zu weniger Ungleichheit beizutragen. Zum Beispiel die Millionenerbin Marlene Engelhorn, die über einen Bürger:innen-Rat 25 Millionen Euro rückverteilen ließ. Oder der Millionenerbe Kai Viehof, der den größten Teil seines Vermögens an gemeinnützige Organisationen abgegeben hat.

Als ich beschlossen hatte, 90 Prozent meines Vermögens abzugeben und das auf Linkedin postete, kommentierten Tausende von Menschen und schrieben mir Direktnachrichten. Darunter waren ein paar, die dachten, ich sei verrückt geworden. Viel mehr schrieben mir aber, dass sie den Schritt richtig finden.

Ich frage mich: Warum kennen alle Elon Musk und Mark Zuckerberg, aber kaum jemand Chuck Feeney? Der Duty-Free-Shop-Milliardär gab zu Lebzeiten fast sein gesamtes Vermögen an gemeinnützige Zwecke ab. Überreiche wie Bill Gates oder Warren Buffet nennen ihn als Vorbild, aber niemand nagelt Gates und Buffet darauf fest, seinem Beispiel zu folgen. Warum fordern wir nicht ein, dass mehr Überreiche es Chuck Feeney gleichtun und sich zeitlebens von ihrem Vermögen trennen?

Was mich nach meinem Post auf Linkedin überrascht hat: Viele Vermögende haben mich kontaktiert oder mir im Gespräch gesagt, dass sie ähnliches vor- oder bereits umgesetzt haben. Oder wenigstens darüber nachdenken.


Redaktion: Rebecca Kelber und Lea Schönborn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Sogar Reiche profitieren von einer gleicheren Gesellschaft

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