Wieviel Aldi steckt in dm?
Geld und Wirtschaft

Wieviel Aldi steckt in dm?

Zu kaum einem anderen Handelsunternehmen haben die Deutschen soviel Vertrauen wie zur Drogeriemarktkette dm. Die Läden sind schön, die Preise schön niedrig, die Mitarbeiter zufrieden. Dabei funktioniert das Unternehmen zur Hälfte wie ein aufgebohrter Discounter. Wie passt das zusammen?

Profilbild von Peer Schader

Blinzeln Sie mal.

So ein Pech – jetzt haben Sie wieder die Neueröffnung eines dm-Drogeriemarkts verpasst.

1.622 Filialen zählte Deutschlands erfolgreichster Drogeriemarktbetreiber am Ende des vergangenen Geschäftsjahres im Herbst 2014. Und selbst wenn es übertrieben ist, die Neueröffnungen mit Wimpernschlägen messen zu wollen, ist deren Zahl beachtlich: An jedem zweiten Tag macht ein Laden neu auf, 174 waren es allein im vergangenen Geschäftsjahr. (Wenn man die alten Läden abrechnet, die durch neue ersetzt wurden, bleiben immer noch 142.) Es scheint so, als könnten wir uns gar nicht genug eincremen, shampoonieren und duftbaden.

Zu den Gründen für das Wachstum des Karlsruher Unternehmens gehört freilich auch die Lücke, die der ehemalige Konkurrent Schlecker hinterlassen hat. Anfang 2012 meldete die Kette Insolvenz an, viele Läden stehen seitdem leer. Und die Kunden müssen ihre Sachen anderswo einkaufen.

Dabei hat dm dem einstigen Drogerie-König Anton Schlecker die Marktführerschaft schon 2011 abgeluchst. Damals lag der Umsatz in Deutschland mit 4,6 Milliarden Euro erstmals vor dem von Schlecker, inzwischen sind es 6,4 Milliarden. Die Pleite des Mitbewerbers hat das Tempo der Neueröffnungen beschleunigt. Auch weil der unmittelbare Konkurrent Rossmann, der geschätzt auf rund 5,7 Milliarden Euro Umsatz kommt, es genauso macht. Erst mit deutlichem Abstand folgt die süddeutsche Drogeriekette Müller auf Rang drei, Budnikowsky konzentriert sich auf den Raum Hamburg.

Die Großen liefern sich derweil ein Wettrennen um die Marktführerschaft. Und zwar ein eher stilles. dm-Geschäftsführer Erich Harsch kokettierte zuletzt damit, „dass es nichts Spektakuläres und Dramatisches über dm zu berichten gibt“, und fügte hinzu: „Ich kann schon vorab sagen, dass sich daran nichts ändern wird.“

Das liegt vor allem daran, dass dm bei Kunden, Mitarbeitern und nicht zuletzt bei Journalisten einen hervorragenden Ruf genießt. In regelmäßigen Abständen rühmt sich die Drogeriemarktkette mit Spitzenwerten in Kundenbefragungen und wird als vertrauensvollste Marke, bester Händler oder beliebtester Ausbildungsbetrieb bewertet. dm gelingt es, sich in der Öffentlichkeit fast ausschließlich über das positive Einkaufserlebnis und seine Engagements zu definieren. Über den anderen Teil der Strategie, der sich auffällig am Aldi-Prinzip orientiert, wird selten geschrieben. Dabei funktioniert dm im Grunde genommen zur Hälfte wie ein aufgebohrter Discounter. Wir merken es nur die meiste Zeit nicht.

Zwei Entwicklungen, die dm auszeichnen, sind besonders interessant:

1. Weit weg von Schlecker

„Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“, lautet das von Goethes „Faust“ gemopste und leicht dem eigenen Zweck angepasste Motto, mit dem dm bereits die Grundwerte des Unternehmens andeutet. Fast 42 Jahre ist es her, dass Götz W. Werner „dm drogerie-markt“ gründete und sich mit seiner anthroposophischen Weltanschauung in maximalem Abstand zu den Aldi-Brüdern positionierte, denen es bei der Gründung ihres Discounts ein Jahrzehnt zuvor um reine Effizienz ging. Werner setzte andere Prioritäten. „Wenn ich den Kunden im Visier und das entsprechende Menschenverständnis, die entsprechende Menschenliebe habe, kann nicht viel schiefgehen“, sagte der Verfechter des bedingungslosen Grundeinkommens im vergangenen Jahr dem Wirtschaftsmagazin „brand eins“, dessen Aktionär er ist, in einem sehr wohlwollenden Interview und ließ sich beim Blumenriechen abbilden (Unterzeile: „Er liebt die Natur, wenn auch nicht unbedingt die Gartenarbeit“, PDF).

Vermutlich spüren die Kunden, dass dm anders als funktioniert als gewöhnliche Händler. Erst recht anders als der frühere Mitbewerber Schlecker, der Schlagzeilen mit ausgebeuteten Mitarbeiterinnen machte, die sich zum Teil alleine um ganze Filialen zu kümmern hatten, um Kosten zu sparen, und die deshalb ein leichtes Ziel für Überfälle waren.

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Werner hingegen ist überzeugt: „Der Mitarbeiter ist der wichtigste Kunde.“ Anstatt auf überarbeitete, schlecht bezahlte Angestellte wie bei Schlecker trafen dm-Kunden auf motiviertes, hilfsbereites Personal. Sie mussten sich nicht durch vollgestopfte Regalschluchten in irrgartenartigen Minifilialen schieben, sondern konnten in aufgeräumten Läden mit viel Platz und modernem Design einkaufen. Die ganze Branche hat aus den Fehlern gelernt, die Schlecker gemacht. Aber kein anderes Unternehmen hat sie so konsequent ins Gegenteil verkehrt wie dm.

2. Nah dran an Aldi

Zugleich beruht der Erfolg von dm ganz wesentlich auf Prinzipien, die sonst vor allem Discounter ausmachen, etwa den kontinuierlich niedrigen Preisen. dm will nicht nur billig sein, sondern – zumindest bei Drogerieartikeln – der Billigste. Anderswo übliche Sonderangebote einzelner Artikel gibt es nicht, dm wirbt mit Dauerniedrigpreisen, unter denen am Regal steht, wann sie zum letzten Mal erhöht wurden.

Mit dieser Strategie gelingt es sogar, das Vorbild Aldi in die Schranken zu weisen. Wenn Aldi Preise senkt, orientiert sich die ganze Lebensmittelbranche daran. Nur bei Drogerieartikeln orientiert sich Aldi an dm.

Zugleich sucht dm bei seiner Expansion selbst die Nähe zu Aldi und baut neue Filialen direkt neben die des Discounters, zum Teil auf Grundstücke, die dem Konzern gehören.

Für Kunden mag das von Vorteil sein. Bei Produzenten sorgen die Niedrigpreise für zusätzlichen Druck, weil sie in der Lage sein müssen, dafür die geforderte Qualität zu liefern. Hersteller von Markenprodukten müssen sich zudem gegen bekannte dm-Marken wie „Balea“ und „Denk mit“ behaupten. In vielen Sortimenten ist der Umsatzanteil der dm-Labels schon so groß, dass es nur noch sehr etablierte Produzenten schaffen, dagegen zu halten. Wenn kleinere Marken verschwinden, verstärkt sich die Verhandlungsposition der Händler gegenüber den Lieferanten.

In der Praxis scheint sich dm mit zunehmendem Wachstum immer öfter wie ein klassischer Händler zu verhalten, dem es in erster Linie um die Steigerung der eigenen Marktanteile geht.

  • Wenn Markenhersteller neue Produkte entwickeln, dauert es oft nicht lange, bis dm Kopien unter eigenem Namen im Regal stehen hat. Hersteller können wenig dagegen unternehmen, wenn sie dm nicht verärgern wollen – und das wollen die wenigsten. Bei drogistischen Produkten hat dm fast ein Viertel des Markts für sich (22,7 Prozent des Umsatzes).
  • Mit steigender Filialzahl ändern sich die Prioritäten gegenüber Partnern, weil dm darauf dringt, das eigene Profil zu stärken. Budnikowsky hat die langjährige Kooperation mit dm beendet, nachdem die Karlsruher auch in Hamburg immer stärker expandieren und zur unmittelbaren Konkurrenz geworden sind.
  • Die Biosupermarktkette Alnatura ist mit ihren Produkten bald nicht mehr alleine im dm-Regal: Ab 16. April will dm eine eigene Biomarke etablieren und tritt damit in direkte Konkurrenz zum bisherigen Partner.
  • Und als im vergangenen Jahr bekannt wurde, dass dm einen Teil der Produktion seiner Baumwolltaschen aus Augsburg nach Indien verlagert hat, sah sich das Unternehmen genötigt, sich wegen der negativen Reaktionen bei den Kunden zu erklären.

Mit diesem Vorgehen ist dm keineswegs alleine im deutschen Markt. Aber es passt nur noch bedingt zum sorgsam aufgebauten Positiv-Image, bei dem sich das Handeln des Unternehmens größtenteils am Gemeinwohl zu orientieren scheint. Geschäftsführer Harsch sagt: „Wir bei dm wollen durch unser händlerisches Schaffen zu Wohlbefinden und Wohlstand beitragen.“ Sicher hat dm immer noch eine Sonderrolle im deutschen Handel, und Götz Werners Prinzipien mögen in der Branche immer noch zu den Ausnahmen gehören. Aber sie gelten im Zweifel auch nur, so lange sie nicht die Nummer-eins-Position von dm im deutschen Drogeriemarkt gefährden.


Aufmacherfoto: dm