Collage: Eine Hand mit Schere zerschneidet ein altes Anwesen.

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Geld und Wirtschaft

Die Erbschaftssteuer könnte Deutschland gerechter machen

Viele Deutsche hassen die Erbschaftssteuer. Dabei verstehen viele sie grundsätzlich falsch. Denn die Steuer könnte der einfachste Weg sein, um den Abstand zwischen Arm und Reich zu verringern.

Profilbild von Rebecca Kelber
Reporterin für eine faire Wirtschaft

Für wenige Glückliche kann ein Erbe die entscheidende Wende im Leben sein. So ging es Elvira. Als sie Mitte 40 war, hatte sie kaum Geld. Sie konnte wegen einer Krankheit nicht arbeiten und bezog Hartz 4. Dann erbte sie Immobilien. Seither lebt sie von den Mieteinnahmen und ist deshalb finanziell unabhängig. Das erzählte sie in einer Umfrage, die ich für diesen Text gemacht habe.

Von solchen Erbschaften profitieren in Deutschland nur wenige. Die Hälfte aller Erbschaften landet laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bei den oberen zehn Prozent, die ärmere Hälfte erbt dagegen fast nichts.

80 Prozent der Deutschen finden es ungerecht, wie ungleich das Geld in Deutschland verteilt ist, 70 Prozent wären dafür, daran etwas zu ändern. Das schreibt der Soziologe Steffen Mau in seinem Buch „Triggerpunkte“. Viele Deutsche halten die Vermögenssteuer für geeignet, um das Geld in Deutschland gerechter zu verteilen. Die Vermögenssteuer ist eine Steuer auf persönliches Vermögen und in Deutschland seit 1997 ausgesetzt.

Die Erbschaftssteuer zu erhöhen, ist dagegen deutlich unpopulärer. Wer die Vermögenssteuer für besser geeignet hält als die Erbschaftssteuer, sitzt jedoch einem Missverständnis auf: Denn es wäre leichter möglich, die Erbschaftssteuer zu reformieren. Und es gibt Argumente, die auch Konservative und Liberale überzeugen könnten.

In dem fünften Teil unserer Serie zu Vermögensungleichheit in Deutschland beschäftige ich mich mit dem Dilemma, in dem sich Forscher:innen und Aktivist:innen zu diesem Thema befinden. Mithilfe der Krautreporter-Community drösele ich auf, warum so viele Deutsche gegen eine höhere Erbschaftssteuer sind. Und ich erkläre, warum eine progressive Reform dieser unbeliebten Steuer trotzdem ein wirksames Instrument wäre, um Deutschland gerechter zu machen.

Mit dem Erbe wird eine Wolldecke zur Erinnerung an die Omi

Beginnen wir mit einem offensichtlichen Grund, warum die Erbschaftssteuer so unbeliebt ist: Eine Erbschaft ist ein Vermögen, mit dem man etwas Persönliches verbindet, sei es ein Haus oder ein Paar Ohrringe. Dieser Besitz ist direkt mit Leben und Tod verknüpft. Das ist emotional – egal, ob die Mutter stirbt, mit der man seit Jahren nur widerwillig auf Familienfeiern geredet hat oder der geliebte Großvater. Anna erzählt in der Umfrage, dass sie von ihrem Mann geerbt habe und das fühle sich „scheiße“ an. Sie schreibt: „Ich hätte lieber meinen Mann behalten.“

Der Wirtschaftssoziologe Jens Beckert beschreibt in einem Aufsatz Erbe als eine besondere Art von Vermögen. Das Eigentum werde durch den Tod „pietätvoll verklärt“ und der „Sphäre des Profanen entrissen.“ Etwa Vera, die von ihrer Oma eine Wolldecke und einen Schal erbte. Sie erzählt: „Ich hab mich gefreut, etwas von meiner Omi zu behalten. Etwas, das mich im Alltag an sie erinnert und ich habe den Schal drei Jahre lang sehr viel getragen.“ Dazu kommt: Ein Erbe ist nicht einfach nur Geld, ein Erbe kann Teil eines Generationenvertrags der Familie sein: Die Eltern haben hart gearbeitet, um ihren Kindern ein Vermögen zu vermachen.

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In diesen emotionalen Raum drängt sich der Staat und will etwas abhaben. Deshalb ärgert es viele Erb:innen besonders, diese Steuer zahlen zu müssen. So etwa Martin, der in der Umfrage erzählt, dass er Anteile an vier Immobilien in München geerbt hat – aber kein Geld. Er musste Erbschaftssteuer zahlen und schreibt, das sei für ihn schlimm gewesen, weil er das Geld nicht selbst aufbringen konnte und deshalb die Mieten erhöht habe. Außerdem hat er das Gefühl, in seiner Kindheit und Jugend für die Häuser mitbezahlt zu haben: durch Verzicht. „Während die Schulfreunde mit den Eltern ins Ausland flogen, gabs für meinen Bruder und mich die Seen im Umland von München.“

Für Erb:innen dürfte die Erbschaftssteuer auch dadurch schwerer zu händeln sein, weil sie erst nachträglich erhoben wird. Wer Geld erbt, bekommt es zunächst direkt aufs eigene Konto. Erst dann verlangt das Finanzamt die Erbschaftssteuer. KR-Mitglied Julia hat in ihren Zwanzigern Geld von einer Großtante geerbt. Sie beschreibt, wie seltsam sie es fand, dass der abstrakte „Staat“ hier eingriff und etwas von „ihrem Geld“ haben wollte.

Die aktuelle Erbschaftssteuer ist sozial ungerecht

Die Erbschaftssteuer ist kompliziert – und das macht sie sozial ungerecht. Das Handelsblatt nennt sie die „Dummensteuer“ Deutschlands. Denn die Freibeträge und Steuersätze schwanken um ein Vielfaches, je nachdem, wem man etwas vererbt. Je vermögender man ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass man sich vor dem Tod gut beraten lässt und zum Beispiel die Partnerin bei einer schweren Krankheit aus steuerlichen Gründen schnell heiratet.

Weil Betriebsvermögen weitgehend von der Erbschaftssteuer ausgenommen sind und gerade die reichsten Menschen Firmen besitzen, zahlen sie besonders wenig Erbschaftssteuern. Wie sehr sich die Erbschafts- und Schenkungssteuer „optimieren“ lässt, habe ich in Teil 3 unserer Serie beschrieben. Das beste Beispiel dafür: Springer-Chef Mathias Döpfner, der auf eine Milliardenschenkung durch einen geschickten Kauf von Aktien keine Steuer zahlen musste.

Gerade die Mittelschicht erbt aber eher ein Haus als einen Betrieb. Umfrageteilnehmerin Heike und ihr Mann haben zwei Häuser geerbt: Erst eines im Münchner Umland. Sie schreibt, das Grundstück sei damals mit 1,2 Millionen Euro bewertet worden. Wenn man ein Haus erbt und in den nächsten sechs Monaten dort einzieht, muss man keine Erbschaftssteuer darauf zahlen. Aber weil Verwandte „Nießbrauch“ hatten, also bis an ihr Lebensende mietfrei wohnen durften, konnten Heike und ihr Mann dort nicht einziehen.

So mussten sie Erbschaftssteuer zahlen. Heike schreibt: „Es war ein ganz schöner Act, dass wir uns das überhaupt leisten konnten.“ Nun hat sie ein zweites Grundstück geerbt, im Nürnberger Umland. Es ist deutlich größer und trotzdem wird keine Erbschaftssteuer fällig, weil das Grundstück wegen seiner Lage nur mit 95.000 Euro bewertet wird. Heike schreibt, sie sei für eine höhere Erbschaftssteuer. „Aber aus meiner Sicht müsste man eben unterscheiden zwischen den Leuten, die ‚nur‘ das sprichwörtliche Häuschen erben“ und denen, „die größere bis sehr große Vermögen erben und ohne Probleme ihren Teil über Erbschaftssteuer beitragen könnten.“ Auch solche Geschichten tragen dazu bei, dass viele eine höhere Erbschaftssteuer ablehnen: Sie befürchten, selbst von ihr betroffen zu sein.

Vier Gründe, warum eine Reform der Erbschaftssteuer realistischer ist, als eine Vermögenssteuer einzuführen

Obwohl die Erbschaftssteuer so unbeliebt ist, gibt es eine ganze Reihe von Gründen, warum es relativ leicht wäre, sie so zu reformieren, dass Reiche mehr zahlen und so die Schere zwischen Arm und Reich zu verkleinern.

Über die Vermögenssteuer debattieren Ökonom:innen aus unterschiedlichen Lagern. Manche fordern, dass sie wieder eingesetzt wird, etwa die Autor:innen dieser Studie, die von Oxfam, dem Netzwerk Steuergerechtigkeit und dem Momentum Institut veröffentlicht wurde. Das arbeitgebernahe Wirtschaftsforschungsinstitut IW Köln dagegen schrieb 2021, keine Steuer sei wirtschaftsfeindlicher.

Anders ist es mit einer Reform der Erbschaftssteuer: Die ist in Fachkreisen nicht so umstritten. Das Bundesverfassungsgericht hat die jetzige Erbschaftssteuer schon mehrmals für verfassungswidrig erklärt. Und auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ermahnte Deutschland in ihrem Wirtschaftsbericht 2023, die Ausnahmen bei den Erbschaften zu verringern, also Steuerschlupflöcher zu schließen. Dazu kommt: Will man eine Steuer ändern, braucht es dafür politische Mehrheiten. Und wegen dieser vier Punkte ist es leichter, Union und FDP von einer Reform der Erbschaftssteuer zu überzeugen als davon, die Vermögenssteuer wiedereinzuführen:

Erstens: Die aktuelle Erbschaftssteuer könnte der Wirtschaft schaden

Denn anders als etwa das IW Köln behauptet, würde es Familienunternehmen nicht gefährden, wenn sie Erbschaftssteuer zahlen müssten. Es gibt keinen einzigen bekannten Fall, bei dem ein Unternehmen bankrott gegangen ist, weil die Erb:innen die Steuer zahlen mussten. Tatsächlich könnte das Gegenteil der Fall sein: Laut einer Studie ist es schlecht für die Wirtschaft, wenn Familienunternehmen nicht besteuert werden.

Zweitens: Eine gerechte Erbschaftssteuer wäre zutiefst liberal

Politisch ist eine Reform der Erbschaftssteuer attraktiver, weil sich Liberale leichter auf die Seite holen lassen. Der Ökonom Volker Grossmann sieht sich als Liberaler und sagt: „Es ist merkwürdig, dass man eine Erbschaftssteuer als nicht-liberal ansieht, wo doch geerbtes Vermögen leistungslos zustande gekommen ist und so der Chancengleichheit schadet.“

Das Argument dahinter: In einer Leistungsgesellschaft müsste es jede:r zu Wohlstand bringen, wenn er oder sie sich nur genug anstrengt. Inzwischen wird aber die Hälfte des Vermögens in Deutschland vererbt. Statt in einer Leistungsgesellschaft befinden wir uns also in einer Erbengesellschaft. Das kann für den Einzelnen ein großes Geschenk sein, auch wenn die Erb:innen nichts dafür geleistet haben. Skrolan etwa hat das Haus seines Vaters geerbt und wohnt dort nun mit seiner Familie. Er schreibt: „Ich hätte es mir nicht leisten können, ein Haus zu bauen.“

Drittens: Vermögenssteuern führen zu Steuervermeidung, effektive Erbschaftssteuern weniger

Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, in denen es noch eine Vermögenssteuer gibt. Grossmann verweist auf mehrere Studien zu Ländern, in denen eine Vermögenssteuer existiert. Sie zeigen, dass eine Erhöhung der Vermögenssteuersätze dazu führt, dass deutlich weniger Vermögen deklariert und beispielsweise in Steueroasen verschoben wird. In Ländern, in denen bei Erbschaften auch Überreiche zur Kasse gebeten werden, kommt es dagegen seltener zu Steuervermeidung.

Würde Deutschland eine Vermögenssteuer einführen, könnten also deutlich mehr Vermögen in Steueroasen ins Ausland verschwinden. Würde die Bundesregierung die Erbschaftssteuer reformieren, sodass Überreiche mehr Steuern zahlen müssen, gäbe es wahrscheinlich weniger Steuerflucht.

Viertens: Es ist weniger aufwendig, eine Erbschaftsteuer zu erheben als eine Vermögenssteuer

Und dann gibt es noch einen ganz praktischen Grund, warum eine Reform der Erbschaftssteuer leichter umzusetzen wäre als eine Vermögenssteuer. Eine Vermögenssteuer zu berechnen, ist sehr aufwendig, sowohl für den Staat als auch für Privatpersonen. Jedes Jahr müsste der Wert aller Häuser, Firmen und Wertanlagen neu berechnet werden. Bei einer Erbschaftssteuer kommt dieser Aufwand für einen Vermögenswert wenigstens nur einmal pro Generation auf einen zu.

Wie sich die Erbschaftssteuer anfühlt, dürfte auch damit zusammenhängen, welche Beziehung man zum Staat hat. Also ob man denkt, dass Steuern zwar nervig, aber wichtig sind – oder ob man vermutet, dass der Staat das Geld sowieso nur zum Fenster rauswirft. Mehrere Personen in meiner Umfrage erzählen, dass sich ihre Einstellung zur Erbschaftssteuer geändert hat, als sie besser verstanden haben, wofür man sie braucht. So etwa Swantje, die die Erbschaftssteuer damals als Belastung empfunden hatte. Ihre Meinung änderte sich, als sie gemeinsam mit der Erbengemeinschaft ihre Hausanteile verkaufen wollte. „Hier habe ich bewusst gemerkt, dass es einfach ein tolles Geschenk war.“ Sie schreibt, inzwischen sei ihr bewusst, dass sie durch das Erbe privilegiert ist.


Redaktion: Isolde Ruhdorfer, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Iris Hochberger

Die Erbschaftssteuer könnte Deutschland gerechter machen

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