Collage: Eine Baustelle. Mehrere Kräne ragen darüber hinaus.

NurPhoto / Getty Images

Geld und Wirtschaft

Warum Baufirmen in der Krise sind, obwohl Wohnungen fehlen

Baufirmen bekommen keine Aufträge mehr. Und das Schlimmste steht erst noch bevor.

Profilbild von Pascal Mühle
Freier Reporter

Noch drehen sich die Kräne auf den Baustellen der Republik, doch die Bauwirtschaft entwickelt sich nach einem langen Boom selbst immer mehr zur Großbaustelle. Zahlen des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo zeigen: Jedes fünfte Bauunternehmen berichtet von stornierten Aufträgen. Das ist ein historischer Höchstwert. Und fast jedem zweiten Unternehmen fehlen Aufträge. Noch vor einem Jahr sahen beide Zahlen deutlich besser aus.

Wäre die Baubranche ein Haus, würden gleich mehrere Handwerker mit dem Presslufthammer an den tragenden Wänden rütteln. Explodierende Baukosten, steigende Zinsen, ein Berg von Vorschriften, Fachkräftemangel – die Liste der Probleme ist lang.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundesbauministerin Klara Geywitz riefen deswegen schon Ende September zum Krisengespräch zwischen Politik und Branchenvertretern. Zum Wohngipfel brachten sie 14 Maßnahmen mit. Die Politik versucht, das Haus vor dem Einsturz zu stützen.

Die Ampelregierung will, dass bundesweit 400.000 neue Wohnungen pro Jahr gebaut werden, 100.000 davon im sozialen Wohnungsbau. Eigentlich müssten also die Auftragsbücher der Baubranche voll sein. Eigentlich, denn unter den derzeitigen Bedingungen will und kann kaum noch jemand bauen.

Mieten für Neubauten, die fast niemand mehr zahlen könnte

„Es ist eine toxische Mischung aus verschiedenen Gründen“, sagt Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB). „Aber das Hauptproblem sind die steigenden Zinsen.“

Die Europäische Zentralbank (EZB) bekämpft die Inflation, indem sie den Leitzins erhöht. Die Idee dahinter: Weil es auf Ersparnisse wieder höhere Zinsen gibt, geben die Verbraucher weniger von ihrem Geld aus. Dadurch sinkt die Nachfrage und damit auch die Inflation. Allerdings hat das eine gemeine Nebenwirkung: Auch Kredite für den Hausbau oder Wohnungskauf werden teurer.

Die explodierenden Finanzierungskosten schnüren vielen Häuslebauern die Luft ab und Wohnungsbaugesellschaften müssten für neue Projekte Mieten verlangen, die sich kaum jemand leisten könnte. Eine Familie, die 2021 einen Kredit über 300.000 Euro aufgenommen hat, bekam je nach Laufzeit noch einen Kredit mit einem Zins von rund einem Prozent. Bei einer Tilgung von zwei Prozent hat das eine monatliche Rate von 750 Euro ergeben. Aktuell liegen die Zinsen bei etwa vier Prozent, unter gleichen Bedingungen beträgt die monatliche Rate jetzt 1.500 Euro.

Die Baupreise wiederum seien in zwei großen Wellen gestiegen, sagt Pakleppa.

Erste Welle: die Corona-Pandemie. „Dämmstoffe aus China waren nicht mehr lieferbar. Alle erdölbasierten Produkte wie Kunststoffe und mineralische Baustoffe sind deutlich teurer geworden“, sagt Pakleppa. Nach aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamts sind die Erzeugerpreise für Zement im Vergleich zur ersten Jahreshälfte 2021 bis 2023 um rund 57 Prozent gestiegen. Die Lieferengpässe sind bis heute nicht vollständig behoben.

Zweite Welle: Russlands Krieg in der Ukraine. „Produkte wie Zement, Ziegel und Fliesen werden von den vielen deutschen Mittelständlern unter hohem Energieaufwand hergestellt“, so Pakleppa. Aber durch den Krieg seien die Energiepreise stark gestiegen. „Und auch Stahl haben wir vor dem Krieg zu etwa einem Drittel aus Russland, der Ukraine und Belarus bezogen“, sagt Pakleppa. „Da wurde der Zusammenhang zwischen Krieg und Baustelle sehr deutlich.“

Mehr zum Thema

Jetzt werde der Stahl beispielsweise in Indien oder Brasilien gekauft, was allein schon wegen der längeren Transportwege teurer sei. Der durchschnittliche Preis für Stabstahl ist nach Zahlen des Statistischen Bundesamts von der ersten Jahreshälfte 2021 bis 2023 um 86,9 Prozent gestiegen. „Inzwischen haben sich die Preise zwar etwas beruhigt, aber wir sind noch lange nicht wieder auf dem Vorkriegs- und Vor-Corona-Niveau“, sagt Pakleppa. „Die Kombination aus Zinsen und Baukosten lässt viele Wohnträume platzen.“

Baugenehmigungen gingen deutlich zurück

„Die nächsten Jahre werden sehr ungemütlich“, sagt Pakleppa. Vom Planungsbeginn bis zur Realisierung eines Bauvorhabens dauere es derzeit etwa 16 bis 18 Monate, so Pakleppa. Die Folgen der aktuellen Probleme werden also erst in den nächsten zwei Jahren richtig sichtbar.

Pakleppa sieht zwei große Warnsignale: „Die Anfragen unserer Mitgliedsunternehmen zum Thema Kurzarbeit häufen sich“, sagt der Bau-Lobbyist. „Außerdem ist die Stornoquote der Bauwilligen von zwei auf rund 18 Prozent gestiegen.“ Das seien vor allem Häuslebauer, die ihren Kaufvertrag bereits unterschrieben haben und nun fürchten, dass ihre Finanzierung nach Ablauf der Zinsbindung zusammenbricht und sich deswegen entscheiden, nicht zu bauen.

Aber auch die großen Wohnungsbaugesellschaften geraten in der aktuellen Marktsituation ins Wanken. Die Folgen sind schwerwiegend, gerade in den Ballungsräumen wird die Situation auf dem Wohnungsmarkt zur sozialen Frage. Flucht- und Migrationsbewegungen nach Deutschland verschärfen den Wettbewerb um bezahlbaren Wohnraum zusätzlich.

Ingeborg Esser, Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW), sagt: „Neubauwohnungen, die 2021 ohne Förderung noch für elf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter realisiert werden konnten, lägen unter den aktuellen Marktbedingungen bei 18 bis 19 Euro.“ Das kann sich kaum jemand leisten. Wenn die aktuellen Baumaßnahmen abgeschlossen sind, werden viele Wohnungsbaugesellschaften deshalb weniger bauen. „Ich denke, dass wir 2024 einen absoluten Tiefpunkt erleben werden“, sagt Esser.

Bereits im August hatte das Statistische Bundesamt mitgeteilt, dass die Zahl der Baugenehmigungen für Wohnungen in Deutschland im ersten Halbjahr im Vergleich zum Vorjahr um 27,2 Prozent eingebrochen sei. Allein Deutschlands größter Immobilienkonzern Vonovia hat nach eigenen Angaben den Bau von rund 60.000 neuen Wohnungen auf Eis gelegt, bis sich der Markt beruhigt hat. Für 2024 rechnet Esser mit weniger als 200.000 neu gebauten Wohnungen statt der von der Ampelregierung angestrebten 400.000.

Das Lego-Prinzip als Hoffnungsträger

Eine Hoffnung sieht die Branchenvertreterin im sogenannten seriellen und modularen Wohnungsbau. Dabei werden Module oder ganze Teile von Wohngebäuden ähnlich wie in der Automobilindustrie in Serie gefertigt und auf der Baustelle nach dem Lego-Prinzip aufeinander gestapelt und verbunden; es ist das Comeback des Plattenbaus. Die Quadratmeterpreise liegen in dieser Bauweise bereits deutlich unter denen des konventionellen Bauens. „Damit kommen wir unter heutigen Bedingungen vielleicht wieder auf Kaltmieten von rund 14 Euro pro Quadratmeter“, sagt Esser.

„Das ist für viele Menschen aber immer noch zu teuer“, so die GdW-Chefin. Über den sozialen Wohnungsbau hinaus wünscht sich der Verband deshalb ein „zeitlich befristetes Zinsverbilligungsprogramm“, so Esser. Wenn es nach dem Verband ginge, sollen Wohnungsbauunternehmen vorübergehend also auch vergünstigte Kredite für Wohnraum bekommen, der nicht unter den sozialen Wohnungsbau fällt. Ein weiterer Vorschlag des Verbandes ist, die Baukosten durch einen reduzierten Mehrwertsteuersatz im bezahlbaren Wohnungsbau zu senken.

Klimaziele gegen Wohnungsbedarf

Es steht allerdings noch eine andere Idee im Raum, um mehr bezahlbare Wohnungen zu schaffen: weniger strenge Energiestandards. „Der Koalitionsvertrag wurde in einer heilen Bauwelt geschlossen“, sagt Pakleppa. Also in einer Welt vor dem Krieg in der Ukraine, dem Zinsanstieg und der Inflation. „Da konnten wir noch sehr ambitionierte Schritte beim Neubau planen, was die energetischen Anforderungen angeht.“

Für energiesparende Gebäude gibt es einen Orientierungsmaßstab der staatlichen Förderbank KfW: das Effizienzhaus. Die Kennzahl eines Effizienzhauses (EH) gibt an, wie energieeffizient ein Gebäude im Vergleich zu einem Referenzgebäude ist. Der Energiestandard im Gebäudesektor sollte aus Klimaschutzgründen laut Koalitionsvertrag Schritt für Schritt verbessert werden. Anfang 2023 wurde der geforderte Standard für Neubauten von EH-70 auf EH-55 verschärft. Die Gebäude duften nur 55 Prozent der Primärenergie des Referenzgebäudes verbrauchen und 30 Prozent weniger Wärme durch die Gebäudehülle verlieren. Aber: Staatlich geförderte Kredite durch die KfW sollte es nur geben, wenn die EH-40-Stufe erreicht wird; also nochmal härtere Anforderungen.

„Das sind dann natürlich nicht die Gebäude, die für das bezahlbare Segment zur Verfügung gestellt werden“, sagt GdW-Hauptgeschäftsführerin Esser. Wirklich sozial sind diese Wohnungen also auch nicht. „Selbst DAX-Konzerne sagen, dass sie EH-40 bei den aktuellen Preisen nicht mehr realisieren können“, sagt ZDB-Chef Pakleppa.

Als Reaktion auf die Krise rudert die Bundesregierung nun mit dem Maßnahmenpaket des Wohngipfels bei den energetischen Standards teilweise zurück. Der Mietwohnungsbau wird bereits mit dem Standard EH-55 mit staatlich vergünstigten KfW-Krediten gefördert. Der geplante Energieeffizienzstandard EH-40, der laut Koalitionsvertrag in einer weiteren Verschärfung ab Anfang 2025 für Neubauten verpflichtend werden sollte, wird nun für diese Legislaturperiode ausgesetzt. Es sind harte Kompromisse zwischen den Klimazielen und dem steigenden Wohnungsbedarf.

Für den privaten Häuslebauer oder Familien, die einen Neubau finanzieren, gibt es zinsgünstige KfW-Darlehen aber weiterhin erst ab einem EH-40-Standard. „Das empfinden wir als Ungerechtigkeit“, sagt Pakleppa. Schließlich kämen zwei Drittel der Bauaufträge von Menschen, die Eigentumswohnungen oder Häuser für sich selbst bauen lassen, so der Verbandschef. „Jede Wohnung, jedes Haus, das für sich selbst gebaut wird, macht irgendwo eine Wohnung für jemanden frei“, so Pakleppa. Nötig seien realistische und stabile Förderbedingungen. „Alles andere ist Gift für den Markt“, sagt Pakleppa und meint damit wohl auch das Hickhack der Ampelregierung um Dämmvorschriften und Heizungsgesetz.

Entlastungsmöglichkeiten sieht das Bundesbauministerium vor allem bei der Baufinanzierung. Es stockt ein Förderprogramm für Familien auf, die nach strengen energetischen Standards bauen oder eine entsprechende Wohnung kaufen wollen: Künftig können mehr Familien von den zinsgünstigen Baukrediten der staatlichen Förderbank profitieren, indem die Obergrenze für das Jahreseinkommen von 60.000 auf 90.000 Euro angehoben wird. Auch die Darlehenshöhe soll steigen. Eine Beispielfamilie mit einem oder zwei Kindern erhält bei der KfW maximal 170.000 Euro, 30.000 Euro mehr als bisher.

Aber: „Mit dem Maßnahmenpaket des Wohngipfels passiert eindeutig zu wenig“, so GdW-Hauptgeschäftsführerin Esser. „Alles, was bisher beschlossen wurde, sind notwendige, aber keine hinreichenden Bedingungen. Wir brauchen jetzt noch einmal einen richtigen Schub“, so Esser.

Die Lage für Wohnungssuchende und Häuslebauer wird sich aber vorerst nicht deutlich entspannen. Alle Probleme auf der Großbaustelle Wohnungsbau gleichzeitig in den Griff zu bekommen, ist nahezu unmöglich. Scholz selbst spricht von der Rekordsumme von 18 Milliarden Euro, die der Bund bis 2027 für alle Projekte im sozialen Wohnungsbau bereitstellen will – und hofft damit wohl, dass sich wenigstens ein paar der Kräne weiter drehen.


Redaktion: Rico Grimm, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Philipp Sipos, Audioversion: Christian Melchert

Warum Baufirmen in der Krise sind, obwohl Wohnungen fehlen

0:00 0:00

Einfach unterwegs hören mit der KR-Audio-App