Man sieht die Schauspieler:innen Margot Robbie und Ryan Gosling in der Barbie-Filmkulisse: Barbie sitzt im Auto und Ken auf der Rückbank.

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Geld und Wirtschaft

Wie Woke-Washing funktioniert – am Beispiel von Barbie

Das ganze Internet leuchtet pink. Davon profitiert vor allem Mattel, die Firma hinter Barbie. Das ist kein Zufall. Sondern die vielleicht beste Marketingkampagne aller Zeiten.

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Reporterin für eine faire Wirtschaft

Dieser Text enthält Spoiler zum Ende des Barbie-Films.

Eigentlich hatte ich mir geschworen, beim neuen Barbie-Film jegliche Kapitalismuskritik auszublenden. Ich habe mich auf ihn gefreut, seitdem ich im Februar den ersten Trailer zum Film geschaut habe. Die Regisseurin Greta Gerwig mag ich schon lange, genauso wie die Barbie-Darstellerin Margot Robbie.

Kaum war der Film in den Kinos angelaufen, habe ich ihn mir innerhalb einer Woche nicht nur ein, sondern gleich zwei Mal angeschaut. Und den Song „I’m just Ken“ höre ich in Dauerschleife.

Meinen Hype um Barbie teilen viele: Der Haupt-Trailer des Filmes hat sagenhafte 63 Millionen Aufrufe. Am ersten Wochenende spielte Barbie weltweit 340 Millionen US-Dollar ein und brach damit jede Menge Rekorde.

Meine Begeisterung hat leider einen Nachgeschmack: Kapitalismuskritik

Dafür gibt es gute Gründe: Die Ästhetik von Barbie ist schon jetzt ikonisch, Ryan Gosling als Ken grandios. Und Margot Robbie spielt Barbies plastikhafte Puppenhaftigkeit in Perfektion – genauso wie deren schrittweise Vermenschlichung. Offensichtlich hatte Greta Gerwig bei der Inszenierung des Filmes freie Hand, er ist so verspielt und gleichzeitig schräg, wie Filmproduktionen es sonst fast nie sind, wenn sie über 100 Millionen Dollar gekostet haben. Der Film hat mich zum Weinen und vor allem sehr oft zum Lachen gebracht.

Kommen wir zum Aber. Meine Begeisterung hat einen schalen Nachgeschmack. Und der Grund für mein Unwohlsein heißt dummerweise dann doch: Kapitalismuskritik. Natürlich hat der Film eine feministische Botschaft - aber die orientiert sich fast ausschließlich an den Leben von Heteros aus dem globalen Norden, die sich problemlos das Kinoticket leisten können. Und von dem Hype, der den Film begleitet, profitieren nicht nur Greta Gerwig, Ryan Gosling und Margot Robbie. Sondern natürlich auch Warner Bros. und die Firma hinter Barbie: Mattel.

Der Film und die ganze Promo um ihn herum sind eine riesige Image-Kampagne für das umstrittenste Spielzeug von Mattel, eines Konzerns mit Milliarden-Umsatz, der seine Puppen von Arbeiter:innen in 10-Stunden-Schichten in 6-Tage-Wochen herstellen lässt, mit nur einer 30-Minuten-Pause zwischendrin.

So funktioniert die vielleicht beste Marketingkampagne aller Zeiten

Hinter dem Marketing-Coup stecken zwei interessante Entwicklungen: Erstens hat Mattel nach ein paar Jahren mit schlechten Umsatzzahlen 2018 einen neuen CEO angeheuert, Ynon Kreiz. Dessen Strategie ist es nicht mehr, auf den Einzelhandel zu setzen (Mattels Probleme hingen auch mit der Insolvenz von Toys’R’Us zusammen). Stattdessen will er den “vollen Wert des geistigen Eigentums von Mattel durch Franchise-Management” ausschöpfen. Heißt konkret: Statt nur Barbies zu verkaufen, produziert Mattel zum Beispiel eben einen Film über Barbie mit. Der stellt zweitens die nicht nur bislang erfolgreichste, sondern auch geschickteste Ausgabe von Hollywoods neuem Verkaufsschlager dar: Dem Produktfilm. Dieses Jahr gab es auch schon Filme über Nike Air Sneakers, Tetris oder Flaming Hot Cheetohs.

Und so hat es Greta Gerwigs Werk geschafft, der vorher umstrittenen Marke Barbie (unrealistisches Körperbild! Sexualisierung! Viel zu teuer und konsumorienitert!) ein solch cooles, neues Image zu verleihen, dass selbst das linksliberale Bürgertum problemlos Hoodies und Ken-Puppen von Mattel kauft. Denn der Film wirkt zu abgedreht und macht sich zu sehr über Mattel lustig, um wie ein gigantischer Werbefilm für ein Unternehmen auszusehen. Aber natürlich ist er genau das.

Der Barbie-Film ist so erfolgreich, dass es in jedem Fall Nachahmer:innen geben wird. Allein Mattel hat bereits 45 weitere Filmprojekte in der Planung. Deshalb lohnt es sich, die Logik von Unternehmen wie Nike oder Mattel zu verstehen, um so ihr Woke-washing leichter zu durchschauen. Hollywood-Filme sind einfach ein neuer Weg für Unternehmen, ihr Image aufzupolieren und sich selbst einen woken Anstrich zu verpassen.

Und plötzlich finden alle Barbie toll

So können Firmen sich darstellen, als wären ihnen diversity oder Minderheitenrechte wichtig. Diese Strategie folgt demselben Prinzip, wenn Unternehmen beim pride month mitmachen, nur deutlich teurer, aber dafür auch umso effektiver. In einer Szene sagt Ken zu einem Geschäftsmann: „You guys aren’t doing patriarchy very well.“ Der antwortet: „We’re actually doing patriarchy very well.“ Und dann, leiser: „… we’re just better at hiding it.“ Ersetze Patriarchat durch Kapitalismus und du bist bei dem, was Mattel hier veranstaltet.

Stell dir vor, du wärst PR-Berater:in eines Milliardenkonzerns und möchtest einen Film drehen, um dein Image aufzupolieren. Deine Anleitung dafür würde ungefähr so aussehen:

1. Wähle eine bekannte Marke: Das versteht sich von selbst. So kannst du von ihrem Image profitieren. Ist dein Produkt – wie Barbie – umstritten? Immer noch besser, als wenn niemand es kennt. All publicity is good publicity.

2. Setze auf starke Schauspieler:innen und Regisseur:innen: Orientiere dich dabei daran, welches Publikum du dir für deine Marke neu erschließen willst. Barbie ist im Bildungsbürgertum verpönt? Dann such dir eine dort beliebte Indie-Regisseurin wie Greta Gerwig, die – netter Nebeneffekt – auch schon ein paar Oscar-Nominierungen mitbringt. Lass’ ihr so weit freie Hand, wie es für euch als Unternehmen vertretbar ist. So wirkt dein Film weniger wie eine Werbekampagne. Beliebte Schauspieler.innen wie Margot Robbie und Ryan Gosling motivieren noch mehr Menschen, ins Kino zu gehen.

3. Integriere gesellschaftskritische Themen: Achte darauf, dass der Produktfilm relevante gesellschaftskritische Themen anspricht, um den Eindruck eines sozial engagierten Unternehmens zu vermitteln. Wenn du möchtest, dass mehr Leute Barbie als feministisches Produkt sehen, dann darf der Film ruhig deutlich machen, wie blöd das Patriarchat ist. Übertreibe es aber nicht. Du willst keine Konsumkritik unterbringen oder Fragen zu Ungleichheit thematisieren. Deine Protagonist:innen sollten am besten Teil der oberen Mittelschicht sein, dann musst du dich im Film nicht mit Themen wie Armut herumschlagen.

4. Wenn du sehr bekannte Vorwürfe nicht entkräften kannst, sprich sie kurz an, ignoriere sie aber für die weitere Handlung komplett: Wenn die Barbie-Erfinderin Steuern hinterzogen hat, erwähnt sie das einfach in einem Nebensatz selbst. Ein pubertierendes Mädchen wirft Barbie vor, dass sie den Feminismus um 50 Jahre zurückgeworfen habe und für zügellosen Konsum stehe, der unseren Planeten zerstört. Barbie schaut sie mit großen Augen an und fängt an zu weinen. Es ist völlig klar, bei wem in dieser Szene die Sympathie liegt. Selbstverständlich wird sich das Mädchen im Laufe des Films mit Barbie anfreunden.

5. Nutze Selbstironie, um weitere Kritikpunkte aufzugreifen und das Unternehmen als selbstreflektiert darzustellen. Das kann weh tun. Aber wenn deine Regisseurin sagt, die Chefetage von Mattel soll aus einer Gruppe von Männern in Anzügen bestehen, die zusammen rollerbladen, sich kitzeln und insgesamt eher inkompetent wirken, dann lass es zu. Es reicht ja, dass du weißt, wie schlau ihr seid, indem ihr diesen Film zugestimmt habt. Im besten Fall feiert euch das Publikum dafür, wie souverän dein Unternehmen sich veralbern lässt.

6. Mach klar, dass dein Unternehmen natürlich trotzdem zu den Guten gehört, und sei es nur symbolisch: Im besten Fall sollte eine sympathische Figur für dein Unternehmen stehen. Dafür eignen sich zum Beispiel verstorbene Gründungsfiguren. Im Barbie-Film erscheint am Ende die Barbie-Erfinderin Ruth Handler als kleine, ältere Frau mit gottähnlichem Auftreten. In der Szene wird klar: Mattel ist nicht nur ein Konzern bestehend aus Männern in Anzügen. Eigentlich verkörpert Barbie die Liebe einer älteren Frau für ihre Tochter.

7. Integriere Diversität und Inklusion in den Film: So kannst du dein Produkt als fortschrittlich und offen für verschiedene Zielgruppen präsentieren. Zeige eine Barbie im Rollstuhl, eine übergewichtige Barbie und natürlich sehr viele Barbies und Kens in unterschiedlichen Hautfarben. Die Haupthandlung kannst du aber weiterhin der weißen, normschönen Barbie überlassen, keine Sorge.

8. Wenn du versuchst, die gesellschaftskritischen Spannungen aufzulösen, bleibe dabei auf der individuellen Ebene: Barbie leidet unter dem Patriarchat, Ken darunter, nicht von Barbie beachtet zu werden. Für beides lautet die Lösung: Finde heraus, wer du wirklich bist und akzeptiere dich in deiner Durchschnittlichkeit. Barbie wird Mensch, Ken trägt einen knallbunten Fleecepuli mit dem Spruch „I am Kenough“. Dagegen ist nichts einzuwenden. Schade nur, dass viele der Leute, die die Mattel-Produkte herstellen, nicht den Raum haben dürften, um Selbstentfaltung als das Hauptproblem ihres Lebens zu sehen.

9. Mach ganz, ganz viel Werbung. Und dann verkaufe alles, was Leute im Internet toll finden: Beobachte die sozialen Medien genau; welche Aspekte des Films stehen im Vordergrund? Dann beginne, zu produzieren. Der “Kenough“-Pulli, das “Kenergy”-Muskelshirt, Bauchtaschen mit Barbie-Collagen, die Puppe selbst – keine Sorge: Die Menschen da draußen werden alles kaufen.


Redaktion: Esther Göbel, Bildredaktion: Philipp Sipos, Schlussredaktion: Esther Göbel, Audioversion: Iris Hochberger

Wie Woke-Washing funktioniert – am Beispiel von Barbie

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