Jedes Mal, wenn der Strom ausfällt, steigt Alice Walsh in ihr Auto und fährt durch Johannesburg. Von einem Vorort in den nächsten, auf der Suche nach Licht. “Es ist absurd. Als wären wir Vampire, die ausströmen, um eine mysteriöse Energiequelle zu finden.” Sie lacht, fassungslos. Eigentlich ist ihr gar nicht zum Lachen zumute.
Denn jedes Mal, wenn der Strom ausfällt, hat die 28-Jährige ein Problem. Als freie Grafikerin arbeitet sie von zu Hause aus. Kein Strom heißt kein Internet, heißt keine E-Mails versenden, heißt Aufträge werden verzögert. Kurz: Sie kann ihren Job nicht richtig machen. Ohne Strom geht nicht viel in der Welt der Südafrikanerin.
Alice trägt Shorts und T-Shirt, sie steht in der Lobby des Hauses ihrer Eltern in Greenside, einem der nördlichen Vororte Johannesburgs. Draußen ist es grün, im Garten blühen tropische Blumen, die Sonne ist noch heiß, obwohl sich der Sommer dem Ende entgegen neigt. “Wir winken immer noch mit einem verlegenen Lächeln auf den Lippen, dabei wissen wir, dass die Lage ernst ist.”
Ihr Land befindet sich in einer Stromkrise. Seitdem im November Teile eines wichtigen Stromwerkes zusammenbrachen, kann die staatseigene Elektrizitätsfirma Eskom an manchen Tagen nicht mehr genug Strom für die Bevölkerung produzieren. Eskom führte eine Maßnahme namens “Load Shedding” ein, „Lastabwurf“ oder “Lastabschaltung” auf Deutsch. Im Endeffekt nichts anderes als ein Euphemismus für regelmäßige Stromausfälle. Für alle.
Alice hat es inzwischen zu ihrem Morgenritual gemacht, auf den Internetseiten von City Power zu checken, ob an diesem Tag der Strom ausfällt. Wenn sie dort dort liest: “We are currently not on load shedding”, heißt das jedoch nicht, dass im Laufe des Vormittags nicht doch der Strom ausfällt. Und umgekehrt. “Nicht jedes Mal, wenn es angekündigt ist, passiert es auch.”
Wenn es wenigstens voraussehbar wäre, sagt sie, dann könnte sie damit gut leben.
Doch irgendwas läuft schief in der Kommunikation des Unternehmens. Und das mag daran liegen, dass Eskom jeden Tag aufs Neue hofft, dass nichts schief geht.
Denn: „Technisch sind wir allemal in der Lage, genug Strom zu generieren“, sagt Kulu Phandiwe, der Sprecher des Unternehmens, das 95 Prozent des landesweiten Stroms produziert. “Aber unsere Werke sind alt, jeder kleinste technische Fehler kann in diesen Tagen zu Lastabwurf führen. Fällt zum Beispiel ein Dampferzeuger aus, müssen wir plötzlich den Strom teilweise abschalten.”
Der südafrikanische Präsident Jacob Zuma, seine Minister und Regierungssprecher haben in den vergangenen Wochen kollektiv und wiederholt verkündet, es werde alles getan, dass die Lichter anbleiben. Dennoch scheint die Bevölkerung den Glauben an die Führung im Land verloren zu haben.
Chaos im südafrikanischen Parlament
Spätestens seit dem Chaos, das vor einem Monat im Parlament ausbrach, während Jacob Zuma die so genannte „State of the Nation Address“hielt, die jährliche Ansprache über die Lage der Nation. Die Oppositionspartei Economic Freedom Fighters (EFF) wurde nach fünf Minuten von Sicherheitskräften aus dem Parlament entfernt, nachdem sie Zuma wiederholt laut aufforderten, die 20 Millionen Euro Steuergelder zurückzuzahlen, die für Sicherheitsausstattungen in seine Privatresidenz in Nkandla geflossen sind. Infolgedessen verließ die andere Oppositionspartei Democratic Alliance (DA) die Räume freiwillig - der Rauswurf der EFF sei verfassungswidrig gewesen.
Die Politik stand tagelang Kopf. Und Bürger wie Alice Walsh schüttelten fassungslos den Kopf.
Das ganze Land scheint frustriert. Experten sagen, Stromausfälle werden das Land mindestens ein, zwei Jahre begleiten. Und erst, wenn die drei neuen Kohle-Stromwerke in Betrieb sind, kann Eskom wieder Strom garantieren. Doch die Fertigstellung der ersten neuen Stromanlagen seit Ende der Apartheid verzögert sich bereits um Jahre. In diesem Jahr sollen zwei Meiler von einem der drei Stromanlagen, Medupi, laufen, heißt es vonseiten der Regierung. Das Großprojekt wird allerdings inzwischen erst 2019 voll laufen - acht Jahre nach dem vorgesehen Datum.
Wachstum im Schneckentempo
Doch die Unfähigkeit der Regierung und Eskoms, das veraltete Stromnetzwerk instand zu halten, ist lediglich ein Symptom für all die Leiden, die das Land in diesen Tagen durchlebt.
Die Wirtschaft Südafrikas wächst seit der Rezession 2008 allenfalls im Schneckentempo. In der einst wichtigsten Wirtschaftsmacht Afrikas liegt die Arbeitslosigkeit inzwischen offiziell bei 25 Prozent. Die soziale Ungleichheit ist groß: Fast 60 Prozent der Bevölkerung lebten laut Statistics South Africa 2009 in Armut, der Gini-Index der Einkommensverteilung liegt bei 65 (die Spanne reicht von 0 - alle haben das gleiche Einkommen - bis 100 - einer hat alles und alle anderen haben nichts) und damit über allen anderen Ländern weltweit. Und mehr als drei Millionen Haushalte haben im Jahr 2015 noch immer keinen Zugang zu Strom - das sagte Präsident Zuma in seiner State of the Nation Rede.
Hinzu kommt, dass die Wirtschaft kaum wächst. Das begann bereits im vergangenen Jahr, als ein fünfmonatiger Streik im Platinsektor das Land lahmlegte. Die Folge: Afrikas zweitgrößte Wirtschaftsmacht - Nummer eins ist Nigeria - wuchs um nur 1,5 Prozent. Prognosen für dieses Jahr - vor allem unter den derzeitigen Bedingungen - sehen nicht viel rosiger aus: 2,1 Prozent sagt der Internationale Währungsfonds voraus, das entspricht dem Wachstum einer entwickelten Nation wie Deutschland.
Experten prognostizieren, dass die Stromkrise das Land Millionen kosten wird. Vor allem Kleinunternehmen haben Probleme, mit der Situation umzugehen.
„Es läuft mir kalt den Rücken runter“
Ein Spaziergang durch die dicht bewohnten Viertel der Innenstadt von Johannesburg bestätigt dies. Die Straßen Yeovilles sind voll von Ständen, auf denen sich Mangos, Bananen, Spinatbündel und Tomaten stapeln. Es ist eines der lebendigsten Viertel der Stadt und gleichzeitig eines der ärmsten, chaotisch und voller Menschen. Hier gibt es Gebäude, in denen Menschen ganz ohne Strom leben - der krasse Kontrast zu den nördlichen Vororten wie Greenside, wo die wohlhabenderen Teile der Bevölkerung in von elektrischen Zäunen und Mauern umgebenen Häusern leben.
“Ayayay …”, sagt Samuel Ilongo, “Load Shedding!” Er zuckt theatralisch zusammen. “Es läuft mir kalt den Rücken runter, wenn ich es nur höre!” Samuel ist Obstverkäufer, seit mehr als zwanzig Jahren ist er jeden Tag hier und verkauft seine Ware. Die Mango umgerechnet für 80 Cent, der Butternut-Kürbis 1,20 Euro. Der ältere Herr ist von gedrungener Statur, trägt eine schwarze Gaunermütze, und hat immer ein freundliches Lächeln auf den Lippen. Er will sich nicht fotografieren lassen.
Jedesmal, wenn der Strom ausgeht, habe er Angst, sagt er. „Ernsthaft! Es ist schlimm.“ Anstatt um 21 Uhr schließen die Stände an diesen Tagen bereits um 17 Uhr. Vier Stunden weniger Geschäft. Und als er einmal länger offen hatte, wurde ihm just Falschgeld untergejubelt. „Johannesburg ist voller Betrüger“, sagt er. 200 Rand – knapp 15 Euro, für Samuel eine signifikante Summe. Ja, er mache sich Sorgen, wohin das führe, sagt er. Aber was könne er schon ausrichten? Die große Politik liegt ihm fern. Wie viele in Yeoville und den umliegenden Vierteln lebt Samuel von der Hand in den Mund, von Tag zu Tag.
Ein paar Straßen weiter treffe ich Charles Evans, der einen Fish & Chips Franchise Laden managt. In dem engen Raum riecht es nach Frittiertem, in der Auslage liegen ein paar Frankfurter neben Salat in Plastikboxen. “Jedes Mal, wenn der Strom ausfällt, müssen wir einen Minibus mieten und das gesamte Lager in eine andere Filiale in der Stadt bringen”, sagt er, als er aus der stickigen Küche in das Ladenlokal kommt. Das kostet. An diesem Tag hat Eskom Stromausfälle angekündigt, doch bisher sind die Lichter noch an.
“Wir können gar nicht weiterarbeiten, aber auch wenn wir könnten – wenn es dunkel ist, kommen keine Kunden in den Laden”, sagt er. Es ist ein Problem, das eine ganze Kettenreaktion auslöst, alle verlieren - der Besitzer, der Manager, die Angestellten, die Kunden. Gewinner gibt es keine.
Auch Leichenhallen haben ein Problem
Nkosinathi Kwanike Nare versucht, sich von all dem nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Auch wenn er jedes Mal ins Schwitzen kommt, wenn der Strom ausfällt. Der Simbabwer, der sich als NK vorstellt, hat ein Beerdigungsunternehmen in Johannesburg. Zwar sind Leichenhallen per Gesetz verpflichtet, Backup-Stromgeneratoren zu haben. “Doch Generatoren sind erstmal teuer”, sagt NK, den ich im Untergeschoss eines Einkaufszentrums im Herzen der Stadt treffe. 5.000 Euro pro Maschine. Der Unterhalt kostet, genau wie die Sicherheitsmaßnahmen. “Und dann haben wir Backup-Batterien, die brauchen eine Zeit, um zu laden.” Wenn der Strom in dieser Zeit ausfällt, haben sie ein Problem.
Es sei eine sehr, sehr unglückliche Situation.
NK musste reagieren. Leichen verwesen schnell, es darf keine Minute Verzögerung geben, sagt NK. “Und den Kunden sagen, sorry, die Leiche ist verwest, weil Eskom den Strom ausgeschaltet hat, das geht nicht”. Also begannen sie, jeden Verstorbenen sofort einzubalsamieren. Auch das kostet. Als Kleinunternehmer kann er sich zusätzliche Kosten auf Dauer nicht leisten.
Der Simbabwer trägt ein beiges Shirt mit dem Logo seiner Firma, die er vor acht Jahren gründete. Er hat am Wochende drei Rücktransporte nach Simbabwe anstehen, an diesem Donnerstag die jeweiligen Beerdigungszeremonien. Es läuft prinzipiell gut für das Familienunternehmen, doch die Planungsunsicherheit macht auch ihm Sorgen.
“Keiner gesteht sich Fehler ein”, sagt er und guckt auf. Sein linkes Auge ist milchig, das rechte dafür um so wacher. Als Simbabwer weiß er, was es bedeutet, wenn die Wirtschaft bergab geht. Das nördliche Nachbarland steckt seit den radikalen Reformen des Diktators Robert Mugabe seit Jahren in der Hyperinflation. Stromausfälle sind dort an der Tagesordnung. “Aber dort gibt es wengistens einen Plan: Sie wissen zum Beispiel, dass es in der Nachbarschaft XY von 8 bis 15 Uhr keinen Strom gibt”, sagt NK. Soweit ist es schon gekommen.
“Südafrika hätte von den Nachbarländern lernen können. Die haben alle versagt, ihre Systeme instandzuhalten”, sagt er. “Jetzt machen sie es schnell-schnell, es kostet Geld, und alle sind negativ betroffen.”
Fingerzeigen, wie das die Opposition während Zumas Ansprache demonstriert hat, helfe niemandem. Wenn Julius Malema, der Oppositionsführer, zetere und schreie und behaupte, er hätte es besser gekonnt - das helfe keinem.
NK hält kurz inne. Und sagt dann: “Wir haben alles hier. Ich frage mich: Warum passiert das?”
Diese Frage hört man in diesen Tagen oft. Egal, ob es ein Obstverkäufer aus der Innenstadt ist, oder eine Selbständige in den reicheren Vororten.
Jeden Freitag gibt Alice Walshs Mutter Keramikkurse. Die Schüler der Künstlerin sind vornehmlich weiße Mittelständler aus den umliegenden Vororten.
Sie haben die finanziellen Möglichkeiten, sich selbst zu helfen. Melanie Low beleuchtet seit einer Woche einen Raum in ihrem Haus mit Solarenergie. Die Panels hat sie aus Kenia. Der Strom ist zu schwach, um zu kochen, aber stark genug, ihr Handy zu laden.
“Wir müssen uns selbst helfen”, sagt sie. Jacob Zuma? Die Regierung? State of the Nation? Eskom? Ein Lachen geht durch den Raum. Und das sagt alles.
Aufmacherbild: Strommasten in der Nähe des Stromwerkes Kusile in Mpumalanga, Südafrika. Foto: Victoria Schneider
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Der Text wurde gesprochen von Alexander Hertel von detektor.fm