Im Bremer Hafen liegt ein beeindruckendes Schiff. Die Dilbar gilt als eine der größten Motoryachten der Welt, so groß wie ein kleines Kreuzfahrtschiff. Es soll 500 Millionen Euro gekostet haben, sie zu bauen. Zwei Hubschrauberlandeplätze, einen schiffseigenen Helikopter und einen 25 Meter langen Swimmingpool gibt es auf der Dilbar. Und an den Wänden hängen normalerweise Kunstwerke im Wert von fünf Millionen Euro, darunter ein Chagall.
Dann überfiel Russland die Ukraine. Momentan liegt die Yacht in einem Bremer Trockendock. Die Crew – bis vor ein paar Monaten arbeiteten über 80 Personen auf der Dilbar – hat gekündigt.
Ehrlich gesagt: Ich finde Yachten ziemlich hässlich, das gilt auch für die Dilbar. Trotzdem fasziniert sie mich. Denn durch sie habe ich verstanden, über welchen Umweg der Ukrainekrieg den Kampf gegen Geldwäsche angefacht hat.
Was ein Imperium von Plastiktüten mit dem Ukrainekrieg zu tun hat
Offenbar gehört die Dilbar einem Mann namens Alischer Usmanow, einem der reichsten Oligarchen Russlands. Usmanow, das schreibt der Spiegel, habe das Schiff nach seiner Mutter benannt.
Usmanow begann seine Unternehmer-Karriere im Plastiktüten-Business. Inzwischen gründet sich seine Macht vor allem auf Stahl- und Medienunternehmen. Und: Angeblich ist Usmanow einer von Putins Lieblingsoligarchen. Das schreiben Medien immer wieder. 14,8 Milliarden Euro sollen seine Besitztümer wert sein. Damit war er laut Forbes Magazin 2022 einer der 200 reichsten Menschen der Welt.
Usmanow legt Wert darauf, als Philanthrop bezeichnet zu werden, nicht als Oligarch. Schließlich sei er einer der weltweit großzügigsten Spender, steht auf der Webseite seiner Holding. Er hat viel Zeit in Deutschland verbracht und soll mehrere Villen am Tegernsee besitzen. Als Russland die Ukraine im Februar 2022 überfiel, landete er deshalb sofort auf einer Sanktionsliste. Bis die Dilbar eingefroren wurde, dauerte es über einen Monat. Die Yacht darf seitdem nicht mehr für wirtschaftliche Zwecke benutzt werden. Usmanow dürfte sie also betreten, aber nicht vermieten.
Woran die Sanktionen gegen russische Oligarchen scheitern
Dass Usmanow seine Dilbar verlor, war eine Ausnahme. Insgesamt hat Deutschland seit Kriegsbeginn fünf Milliarden Euro Oligarch:innen-Vermögen eingefroren. Das ergab die Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage der Linken, die T-Online vorliegt. Niemand weiß, wie viel Geld russischer Oligarchen in Deutschland im Umlauf ist. Aber fünf Milliarden dürfte nur ein Bruchteil davon sein.
Wie ist es möglich, dass nur so wenig Oligarchenvermögen eingefroren wurde – fast ein Jahr nach Kriegsausbruch?
Deutschland verhängte immerhin schon Sanktionen gegen Einzelpersonen, bevor Russland in die Ukraine einmarschierte. Auch gegen russische Oligarchen.
Schon im März 2014 hatte die EU beschlossen, das Vermögen von 21 russischen Personen einzufrieren, die in den Ukrainekrieg verstrickt waren. Also acht Jahre vor der aktuellen Invasion. Seitdem hat die EU die Liste massiv erweitert, auf inzwischen 1386 Einzelpersonen.
Das Ziel solcher Sanktionen beruht auf der folgenden Idee: Die russische Elite kann kein Geld mehr von ihren europäischen Konten überweisen oder entspannt ihrem Leben in bayerischen Villen frönen. Leidet sie genug, wird sie Putin beeinflussen und ihn überreden, den Krieg zu beenden.
Wie Deutschland jahrelang Sanktionen beschloss – sie aber gar nicht durchsetzte
Die Idee von Sanktionen gegen Einzelpersonen gibt es also schon lange, genauso wie die Diskussionen darüber, ob die Maßnahmen nun funktionieren könnten oder nicht, ob sie gerecht sind oder ungerecht.
Was mir bis zu meiner Recherche nicht klar war: Dass in den allermeisten Fällen Sanktionen gegen Einzelpersonen gar nicht umgesetzt werden. Denn offenbar hat man in Deutschland in all den Jahren zu wenig darüber nachgedacht, wie sanktioniertes Vermögen überhaupt eingefroren werden kann.
Bis zum Ukrainekrieg hat es vor allem eine Maßnahme gegeben: Geschäftsbanken sollten kontrollieren, ob von der EU sanktionierte Personen Konten bei ihnen haben – und diese dann einfrieren. Ob die Geschäftsbanken sich daran hielten, kontrollierte die Bundesbank.
Nun haben sehr reiche Menschen ihr gesamtes Vermögen aber nicht unter ihrem Klarnamen auf irgendwelchen Konten liegen. Sie legen es an: in Gemälden, Yachten oder Villen am Tegernsee. Sie benutzen Briefkastenfirmen, um zu verschleiern, wie viel Geld ihnen gehört. Insbesondere jene, die etwas zu verbergen haben: zum Beispiel russische Oligarchen. Um dieses Geld einzufrieren, reicht also keine Kontosperrung. Es braucht Ermittler:innen, die der Spur des Geldes hinterherschnüffeln.
Wer dafür zuständig war, wusste lange niemand so genau. Kilian Wegner unterrichtet Wirtschaftsstrafrecht an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt/Oder. Er forscht zu Geldwäsche und sagt: „Vor dem Ukrainekrieg war im Detail nicht klar geregelt, welche Behörden welche Aufgaben bei Durchsetzung von Sanktion übernimmt und welche Ermittlungsbefugnisse es dafür gibt.“
Und so passierte bis zu Russlands Überfall fast nichts.
Dirk Peglow ist Vorsitzender der Polizeigewerkschaft Bund deutscher Kriminalbeamter. Er erzählt mir von der Ratlosigkeit direkt nach Russlands Überfall, als die Sanktionen kamen und die Polizei die Ermittlungsarbeit hätte aufnehmen müssen. „Wir haben gemerkt, dass wir wenig Handhabe haben“, sagt er. „Wir wussten auch gar nicht so richtig, wie wir mit solchen Sachverhalten umzugehen haben. Wir hatten keine Präzedenzfälle dazu.“
Nach jahrelanger Untätigkeit passierte dann auf einmal sehr viel sehr schnell: Im März 2022 gründete sich eine Taskforce mit Mitgliedern verschiedener Ministerien, die sich um das Oligarchenvermögen kümmern sollte. Im Mai 2022 verabschiedete die Bundesregierung ein erstes Gesetz, das die Durchsetzung von Sanktionen erleichtern sollte, im Herbst ein zweites. Seit Januar 2023 gibt es außerdem eine Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung, die für die Kontrolle zuständig ist.
„Man kann keine Sanktionen durchsetzen, ohne Geldwäsche zu bekämpfen“
Unser globales Finanzsystem bietet viele Möglichkeiten, um zu verschleiern, wem was gehört. Aber diese Möglichkeiten erschweren die Arbeit der Ermittler:innen. Wegner erklärt, eigentlich seien die Methoden der Sanktionsdurchsetzung und der Geldwäschebekämpfung dieselben. Man könne von außen gar nicht erkennen, ob jemand eine verdächtige Transaktion deswegen verschleiert, weil das Geld aus einer Straftat kommt, es sanktioniert ist – oder weil es zum Beispiel zur Terrorismusfinanzierung eingesetzt werden soll. Hinzu komme, dass Verstöße gegen Sanktionen auch Straftaten sind und Erträge aus solchen Verstößen damit per Definition Geldwäsche. „Man kann deshalb keine Sanktionen durchsetzen, ohne Geldwäsche zu bekämpfen”, sagt Wegner.
Nehmen wir die Dilbar. In den meisten Artikeln steht, sie würde offiziell Usmanows Schwester gehören. Das stimmt zwar, aber nur um drei Ecken. Um zu belegen, dass die Yacht ihr gehört, gingen die Ermittler:innen vom BKA und der Steuerfahndung einen Umweg. Laut Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung kontaktierten sie die Traditionswerft Lürssen, die die Yacht 2016 gebaut hatte. Dort ließen sich die Ermittler:innen den 65 Seiten langen Wartungsvertrag zeigen. Die Rechnung zahlte eine auf den Cayman-Inseln gemeldete Firma. An der wiederum hält laut dem Spiegel eine Holding auf Zypern Anteile, die einem Unternehmen in der Schweiz gehören, treuhänderisch für einen Fond, den Usmanow gegründet und dann offenbar seiner Schwester überschrieben hat. Das BKA sorgte dafür, dass Usmanows Schwester ebenfalls auf der Sanktionsliste landete – und konnte so Anfang April das Schiff endlich festsetzen.
Eine lange, komplizierte Finanzkette ist das, ähnlich denen bei Geldwäsche. Genau wie die Durchsetzung von Sanktionen stagnierte der Kampf gegen Geldwäscher:innen. Auch die Gründe ähneln sich: schlechte Gesetze, überforderte Behörden und vor allem ein fehlendes Bewusstsein für das Problem. Die Gründe habe ich ausführlich in diesem Artikel dargelegt.
Wann Usmanow die Dilbar wieder ganz gehört
Die Gesetzespaketen, die seit Beginn des Ukrainekriegs verabschiedet wurden, könnten diese langen Finanzketten brechen. Das zweite Sanktionsdurchsetzungsgesetz vom Herbst 2022 verbietet es etwa, Häuser mit Bargeld oder Gold zu kaufen. Das war zuvor eine der einfachsten Möglichkeiten für Geldwäscher:innen, ihr Vermögen in Deutschland anzulegen.
Auch in Sachen Briefkastenfirmen gab es einen Durchbruch: Im Transparenzregister muss jetzt vermerkt sein, wenn die Strukturen eines Unternehmens so verschachtelt sind, dass man die Eigentümerin nicht ausmachen kann. Bisher durften solche Unternehmen in das Register einfach irgendwen eintragen lassen, ohne das zu kennzeichnen. Beide Maßnahmen helfen sowohl bei der Geldwäschebekämpfung als auch bei der Sanktionsdurchsetzung. Und FDP-Finanzminister Christian Lindner plant derzeit eine neue Behörde, die Finanzkriminalität verfolgen soll, unter anderem Sanktionsumgehung und Geldwäsche.
Bessere Gesetze alleine reichen nicht
Es ist also leichter geworden, Geldwäscher:innen und Sanktionsumgeher:innen auf die Schliche zu kommen. Theoretisch.
Von den fünf Milliarden Euro eingefrorenen Vermögens stammen 4,5 Milliarden aus der Zeit vor dem Sommer – also aus den ersten Kriegsmonaten. Seitdem scheint kaum etwas passiert zu sein. Woran das genau liegt, lässt sich schwer sagen.
Expert:innen befürchten, dass Lindner für seine neue Behörde jene Fehler wiederholt, die schon beim Aufbau einer ähnlichen Behörde gemacht wurden, der Financial Intelligence Unit oder FIU. Bis 2017 war sie dem Innenminsiterium unterstellt, dann wurde sie holterdipolter ins Finanzministerium verschoben, wobei Personal, Ressourcen und Rechte verloren gingen. Deshalb funktioniert die zentrale Geldwäschebekämpfungsbehörde bis heute nicht. Bis 2022 stauten sich bei ihr aber über 100.000 unbearbeitete Verdachtsmeldungen. Darunter 90 ungeprüfte Meldungen über den Oligarchen Alischer Usmanow.
Warum die FIU so wichtig ist? Wenn zum Beispiel einer Bank oder einem Notar auffällt, dass sich jemand dubios verhält – zum Beispiel, weil sie oder er eine Wohnung mit 500.000 Euro in kleinen Scheinen zahlen will oder diese Summe von einem Konto auf den Cayman-Inseln in einem Schlag überweisen möchte – dann muss die- oder derjenige eine Meldung bei der FIU machen. Die soll dann vorprüfen, ob es sich dabei wirklich um Geldwäsche handeln könnte, und die Meldung dann im Zweifelsfall an die zuständigen Ermittlungsbehörden weiterleiten, also an das BKA oder das LKA. Tut sie das nicht, kann also gar nicht gegen Geldwäsche ermittelt werden – weil das Problem nicht bekannt ist.
Wenn Lindner diese Konstruktionsfehler der FIU bei seiner neuen Behörde gegen Finanzkriminalität wiederholen sollte, helfen auch die besten Gesetze nicht.
Usmanow aber wird seine Dilbar irgendwann zurückbekommen. Wahrscheinlich wird sie aber erst aufgetaut, wenn in der Ukraine wieder Frieden herrscht. Sollte sich bis dahin herausstellen, dass er sie mit Geld aus Straftaten gekauft hat, könnte er sie trotzdem endgültig verlieren.
Usmanow ist einer von weltweit 2.668 Milliardär:innen. Deren Anzahl ist laut Forbes auch durch den Ukrainekrieg 2022 nur leicht zurückgegangen. Das Leben dieser Superreichen mag sich weit weg anfühlen, hat aber direkten Einfluss auf unsere Leben. Das möchte ich mir in meiner nächsten Artikelserie genauer anschauen. Wenn dich das interessiert, abonnier doch meinen Newsletter.
Redaktion: Thembi Wolf; Illustration: Philipp Beck; Bildredaktion: Philipp Sipos; Schlussredaktion: Lisa McMinn; Audioversion: Christian Melchert