Nahhaufnhame von Josef Müller. Er trägt einen weißen Hut.

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Geld und Wirtschaft

Interview: „Auf die Gier der Menschen konnte ich mich immer verlassen“

Der Steuerberater Josef Müller hat 40 Millionen Dollar für einen Drogenhändler aus den USA gewaschen – verurteilt wurde er dafür nie. Ich habe ihn gefragt, ob er seine Taten bereut.

Profilbild von Rebecca Kelber
Reporterin für eine faire Wirtschaft

Josef Müller hatte im Laufe seines Lebens viele Rollen: Steuerberater, Vermögensverwalter, Firmengründer, Diplomat, Betrüger. An der Wand seines Arbeitszimmers hängen ausgedruckte DIN-A4-Bilder von seinen Talkshow-Besuchen bei Anne Will und Markus Lanz, seine Ernennungsurkunde zum Honorarkonsul von Panama, in einem Nebenraum ein Metallschild seines ehemaligen Plattenladens.

Vor zwölf Jahren wurde Müller aus der Haft entlassen. Seitdem wohnt er wieder da, wo alles angefangen hat und er auch geboren wurde: in Fürstenfeldbruck bei München. Gemeinsam mit der Fotografin Regina Recht besuche ich ihn in seinem Haus. Die obere Etage ist vermietet, in der unteren lebt Müller. Seit einem Unfall mit 17 Jahren sitzt er im Rollstuhl. Er bittet uns, die Schuhe auszuziehen, die Putzfrau sei erst gestern dagewesen. Die Räume sind dunkel, überall ist Teppichboden verlegt, so wie es in den 1980er Jahren in Büroräumen üblich war: grau, grau-lila. Wir setzen uns in schwarze Ledersessel.


Rebecca Kelber: Sehen Sie sich selbst als Schurken?

Josef Müller: Ich habe nie eine Bank überfallen. Ich war ein Weißerkragentäter. Dann sieht man sich selbst nicht als kriminell. Es war für mich lange nicht so eindeutig, dass das, was ich mache, schlecht ist und gegen Gesetze verstößt. Ich bin eher schleichend zum Schurken geworden.

Ihre kriminelle Karriere ging 1989 los, als sie „Bruce“ das erste Mal trafen, den Mann, für den sie in den folgenden Jahren 40 Millionen Dollar Drogengeld gewaschen haben.

Ich hatte damals einen Freund in Heidelberg, der hat zu mir gesagt: Ich kenne jemanden in Miami. „Bruce“ heißt der, und der hat sehr reiche Eltern. Die Eltern wollen ihm zu Lebzeiten Geld schenken, damit sie keine Erbschaftssteuer zahlen müssen. Und Bruce würde dieses Vermögen gerne in Deutschland anlegen, um es zu streuen. Ob ich ihm da nicht helfen könnte? Als ich gehört habe, dass es dabei um Millionen geht und ich eine ordentliche Provision bekommen würde, war das für mich keine Frage.

Aber Ihnen war schon klar, dass das wahrscheinlich nicht ganz sauber ist.

Mit der Zeit. Am Anfang wusste ich nicht einmal, dass es um Bargeld geht. Ich dachte, das Geld wird überwiesen. Ich bin in die USA geflogen. Bruce war damals 28 Jahre alt und eher schmächtig. Er hat mir die Werft für Motorboote gezeigt, die angeblich den Eltern gehört hat. Ich war beeindruckt. 80 bis 100 Leute sind da rumgewuselt. Die hatten einen Showroom und sogar eine Werft nur für Reparaturen.

Ich habe die Eltern am Abend bei einem Essen persönlich kennengelernt. Die haben gesagt: „Toll, dass Sie unserem Sohn helfen möchten.“ Und dann: „Die Millionen sind nicht von der Werft, sondern aus einem Spielkasino, an dem wir beteiligt sind. Deshalb ist das Geld nicht auf dem Konto. Das gibt es nur in cash.“

Auf seinem Schreibtisch steht ein Überwachungsmonitor.

Von seinem Arbeitszimmer aus kann Josef Müller über eine Kamera beobachten, wer in seinem Haus kommt und geht.

Das hat sie nicht gewundert?

Für mich klang das plausibel. Ich war selbst oft in Spielcasinos, bis Freunde von mir da viel Geld verloren haben. Aber als ich die Eltern dann gefragt habe, wie das Geld aus den USA nach Deutschland kommen soll, haben die alle nur mich angeschaut!


Manche Teile von Müllers Leben kann man leicht prüfen: Es gibt Zeitungsberichte von seiner Flucht; Belege, dass er sein Leben in Prunk und Protz gelebt hat und Nachweise für seine spätere Verurteilung. Wenn es um Bruce geht, ist die Verifizierung allerdings schwer. Nach 30 Jahren ist der Fall nicht mehr vollständig rekonstruierbar.


Sie sollten also der Zwischenmann werden. Was haben Sie da gedacht?

Ich hatte keine Ahnung, ob das erlaubt ist. Oder wie man so viel Bargeld in ein anderes Land bringt. Wir sind dann so verblieben, dass ich mir das überlege. Zuhause bin ich zum Hauptzollamt München West und ins amerikanische Konsulat gegangen und habe nachgefragt. Beide haben mir grünes Licht gegeben. In Deutschland war es kein Problem, Bargeld einzuführen. Und in den USA hätte ich Gelder deklarieren müssen, wenn ich sie eingeführt hätte, aber ausführen ging.

Und dann haben Sie gedacht, kein Problem, dann mach ich das mal?

Ich war damals ein solider, braver Steuerberater. Aber ich hatte viele Mandanten, die sehr reich waren, die über 100 Millionen hatten, die es sich haben gut gehen lassen. Ich habe schon eine Affinität dazu gehabt, auch ein schönes Leben zu führen. Dazu brauchst du Geld. Und da bin ich eben ein bisschen vom geraden Weg abgekommen.

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Naja, Sie waren ja schon ein bisschen mehr als ein solider kleiner Steuerberater, oder? Sie hatten zu diesem Zeitpunkt bereits diverse Unternehmen gegründet, hatten einen starken Durst nach Luxus und nach Geld.

Ja, klar. In der Szene von München, in der ich verkehrte, galt: „Hast du was, bist du was.“ Als Kind bin ich auf dem Weg zur Schule hier in Fürstenfeldbruck immer an einem Schild vorbeigefahren. Da stand ganz groß: „Ohne Fleiß kein Preis.“ Das hat sich mir eingeprägt. Und ich war fleißig! Ich habe gedacht, wenn du sieben Tage in der Woche arbeitest, dann kannst du dir das auch leisten. Aber Arbeit hat nicht gereicht, um mit den ganz großen Fischen mitzuhalten.

Josef Müller sitzt im Rollstuhl vor einem Bücherregal

Seit einem Autounfall mit 17 Jahren sitzt Josef Müller im Rollstuhl – er war am Steuer eingeschlafen.

Geld spielt in Ihrem Leben eine große Rolle.

Alles drehte sich immer um Geld. Wenn man an Geld denkt, denkt man nicht an Scheine, sondern an Träume. Was kann man verwirklichen? Haus, Yacht, vielleicht eine schöne Frau. Ich war nie der solide Typ.


Im einen Moment bezeichnet Müller sich als solider Steuerberater, im nächsten erklärt er, er sei nie der solide Typ gewesen – solche Widersprüche treten im Gespräch mit Josef Müller häufig auf. Ich habe zur Vorbereitung auf das Gespräch sein Buch „Ziemlich bester Schurke“ gelesen, das bei Fontis, einem christlichen Kleinverlag, erschienen ist. Dort erzählt er schwülstig seine Lebensgeschichte – vom Millionenbetrüger bis zu seinem Weg zu Gott. Das äußere Erscheinungsbild von Frauen, seine Geschäftsideen und seinen ausschweifenden Lebensstil beschreibt er besonders gern.


Wie haben Sie das Geld dann rübergebracht?

Ich bin in der Fußgängerzone zu einem Koffergeschäft gegangen und habe mir fünf große Samsonite-Hartschalenkoffer gekauft. Und mit denen bin ich dann an einem Freitag rübergeflogen. In einem Koffer waren meine Klamotten und mein Kulturbeutel und vier waren leer.

Und dann?

Ich wollte mit Bruce das Wochenende nutzen, um zu besprechen, wie wir sein Geld anlegen. Aber Bruce hat mich die ganze Zeit vertröstet und stattdessen Party mit mir und seinen Freunden gemacht. Ich wurde immer unruhiger.

Sonntagabend um 18 Uhr ging der Flug vom Flughafen Miami International nach München. Und Sonntagnachmittag sind wir dann endlich in sein Apartment gefahren. Er ist in ein Nachbarzimmer gegangen und hat eine riesige Kiste rausgezogen. Und dann macht er die auf und sie ist komplett voll mit Bargeld: 100-Dollar-Scheine, 50-Dollar-Scheine, 20-Dollar-Scheine. Und dann fängt er an, das Geld von der Kiste in meine Koffer umzupacken. Für mich war das surreal.

Woran denken Sie, wenn Sie an Bargeld denken?

An Gestank. Diese Massen an Bargeld haben nach allem gerochen, von Kokain bis Urin. Mir ist der Geruch jahrelang nicht mehr aus der Nase raus. Ich habe die Koffer noch im Keller unten. Die riechen heute noch.

Ein weißer Hut liegt auf einem Schreibtisch.

Früher kannte man Josef Müller als „Champagner-Müller“ oder „Konsul von Panama“.

Was hat Sie am meisten irritiert?

Ich habe Bruce gefragt, wie viel Bargeld er da hat. Und da sagte er zu mir: „Du, ich weiß es nicht genau. Lass es doch in München zählen. Das interessiert mich auch.“ Eigentlich hätten allein bei dieser Aussage alle Alarmglocken schrillen müssen. Ich weiß doch, was ich an Geld besitze!

Aber bei Ihnen haben keine Alarmglocken geschrillt?

Die ganze Geschichte war für mich ohnehin so surreal. Wer gibt jemandem, mit dem er zweimal unterwegs war, Millionen Dollar in die Hände, ohne Sicherheiten? Ich hätte statt nach München nach Brasilien fliegen können. Und er hätte nichts machen können. In München habe ich es dann gezählt, es waren vier Millionen.

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie dann mit dem Bargeld im Koffer geflogen sind?

Mir war mulmig zumute. Ich hatte Angst um das Geld, das mir ja anvertraut worden war. Es hätte mich nur jemand mit einem Tritt aus dem Rollstuhl befördern müssen und es mir stehlen können. Aber ich hatte auch Angst um mich. Es sind Leute wegen wesentlich weniger Geld umgebracht worden.

Aber Sie sind heil in München angekommen. Wo genau haben Sie das Geld dann angelegt? Immerhin kamen sie ja mit vier Millionen Dollar Bargeld an!

Ich war eine Woche vorher in der Münchner Hauptstelle der Dresdner Bank. Die habe ich noch nie beim Namen genannt. Aber heute ist es so lange her und es gibt sie gar nicht mehr.

Ich hatte dort ein Konto als Steuerberater und habe einfach mal angefragt. Denen hab ich erzählt, ich hätte in Miami Grundstücke besessen und hätte die jetzt verkauft, dafür aber Bargeld bekommen.

Ihnen war also klar, dass irgendwas komisch ist. Sonst hätten Sie dem Bankberater doch die Wahrheit gesagt.

Die Regeln waren zwar damals viel laxer als heute, es gab ja noch nicht mal ein Geldwäschegesetz. Aber trotzdem durfte man nicht einfach so Bargeld für jemand anderen einzahlen, das hätte ich mitteilen müssen. Das war mir zu blöd. Vielleicht hätten sie es dann nicht angenommen.

Wie hat die Bank reagiert?

Wenn Sie kommen und von Millionen reden, dann werden sie in ein separates Zimmer gebeten. Da saß ich dann mit drei Prokuristen und der kleine Prokurist hat gesagt: Na ja, Sie können die Koffer mit dem Bargeld nicht durch die Schalterhalle bringen. Wir machen es wie folgt: Sie kommen nach Dienstschluss, nach 16 Uhr. Und genauso haben wir das dann gemacht.

Sie sind danach noch neun weitere Male rübergeflogen. Warum haben Sie das gemacht?

Das ist was Psychologisches. Wenn Sie in der Früh aufstehen und schauen sich ihren Kontoauszug an und dann steht da „Josef Müller, 4 Millionen“, da fühlen Sie sich so gut gestärkt für den Tag. Und dann hat Bruce gesagt, er habe noch mehr Geld, wieder und wieder. Und so bin ich dann ein halbes Jahr lang alle zwei, drei Wochen rübergeflogen.

Wenn es um ein Geschäft geht, werden die Parameter ein bisschen verschoben. Da nimmt man es nicht so genau. Oder man will es nicht so genau wissen.
Josef Müller

Mir wurde mit der Zeit schon immer klarer, dass da was nicht stimmen kann. Aber ich sage es mal so: Wenn es um ein Geschäft geht, werden die Parameter ein bisschen verschoben. Da nimmt man es nicht so genau. Oder man will es nicht so genau wissen. Da bin ich nicht anders als viele andere auch. Mir war wichtig, dass ich die Leute kennengelernt habe und es einigermaßen plausibel klang. Das hat gereicht.

Was genau hat sie denn dazu angehalten, weiter das Bargeld zu transportieren?

Ich habe gemerkt, dass mich die Leute anders behandelt haben. Wenn ich in die Schalterhalle von der Bank kam, dann wussten die Mitarbeiter der Bank ganz genau, wer da kommt und was der für einen Kontostand hat. Die waren alle so devot. In der Bank haben sie mir auf einmal Kaffee angeboten. Das haben sie bei mir vorher niemals gemacht.

Eine Seite aus Josef Müllers Buch: Verschiedene Passbilder von ihm.

Das Gefängnis sei das Beste, was Müller je passiert ist, sagt er. Diese Polizeibilder, die Müller in seinem Buch abgedruckt hat, sollen es beweisen.

Wie sah Ihr Leben damals so aus?

Ja, wie soll so ein Leben schon aussehen. Ich hab eben in München Herzogpark gelebt, in so einem Luxusviertel, wo die ganzen Konsulate sind. Und mein Nachbar war der Friedrich Flick, der Milliardär Flick. Da hab ich natürlich Leute kennengelernt und Mädels und schön wars. Und es war einfach, sagen wir mal so, ein wildes, schönes Leben. Aber im Nachhinein, heute, bin ich klüger. Heute würde ich sagen, das war es nicht wert.

Und die Bank hat Ihre Geschichte auch nie weiter hinterfragt?

Die Bank hat mich gefragt, nachdem ich immer wieder mit Koffern voller Bargeld ankam: Wie viele Grundstücke haben Sie denn noch? Haben Sie einen Bebauungsplan? Und dann habe ich Ihnen natürlich einen Plan gebracht, ich besaß ja tatsächlich Immobilien in den USA. Und die Banker waren bei englischem Zeug damals noch nicht so fit. Wir mussten den Bebauungsplan aber auch nicht übersetzen. Die wollten auch bloß eine plausible Geschichte.

Sie haben dann mit Bruce’ Drogengeld an der Börse spekuliert, auf Währungskurse.

An den besten Tagen sind wir mit 40, 50 Millionen raus, rein an die Börse, dann wieder 70 Millionen. Wir haben Daytrading gemacht. Das war irre. Eine Zeit lang haben wir so gute Geschäfte gemacht und uns den Gewinn dann aufgeteilt.

Diese Spekulationen waren hochriskant. Ihnen war mulmig, als Sie die vier Millionen in den Koffern transportiert haben. Aber hierbei hatten sie keine Sorge?

Ja, natürlich hab ich mir erstmal keine allzu großen Sorgen gemacht! Weil ich mich damit nicht ausgekannt habe. Aber dafür hatte ich ja die Bank. Die Bankangestellten haben mir gesagt, wenn sie einen Riecher hatten für steigende oder fallende Devisenkurse und dann hab ich gesetzt. Aber die haben auch nicht so einen Riecher gehabt, hab ich dann gemerkt. Sonst wären Sie vielleicht auch nicht in der Bank angestellt gewesen (lacht).

Als der Dollar in den Neunzigerjahren einbrach, löste sich das Vermögen von Bruce in Luft auf. Und Sie hatten zwei Millionen D-Mark Schulden bei der Bank.

Der Fall hat damals weite Kreise gezogen, die haben auch den damaligen Leiter der Devisenabteilung gefeuert. Mich hat dann Bruce angerufen und ich musste ihm mitteilen, dass das Geld weg ist. Er hat geschrien: „Wenn du Geld veruntreut hast, dann schicke ich dir einen Killer und dann ist es aus mit deinem Leben.“ Ich wusste, dass er dafür die richtigen Leute kennt. Da hatte ich schon Angst. Zum Glück saß er da schon im Gefängnis.

Wie haben Sie denn letztlich erfahren, wer Bruce wirklich war?

Das FBI kam nach Deutschland. Die haben mir erklärt, die Eltern, die ich damals kennengelernt hätte, seien bezahlte Schauspieler gewesen. Bruce hätte eine Gesichtsoperation gehabt, einen anderen Pass, einen falschen Namen. Und die Gelder stammten nicht aus einem Spielcasino, sondern das seien Einnahmen einer Schnellbootflotte in der Karibik gewesen, mit der Bruce und seine Gang Waffen und Drogen durch die Karibik befördert hätten. Und da wusste ich, dass ich nicht der Geldanleger für den lieben Bruce, Sohn der reichen Eltern, war, sondern dass ich einfach als Geldwäscher benutzt worden bin. Da war Bruce schon im Gefängnis und sein Geld weg.

Sie sagten, Sie hätten dennoch Angst gehabt, dass er sie vielleicht nochmal findet. Hat er sie denn gesucht?

Er hat mich einmal gesucht, aber zu der Zeit war ich selbst gerade hinter Gittern. Lustigerweise bin ich zehn Jahre später, 2004, geflohen und habe ein halbes Jahr in Aventura in Florida gelebt. Die Stadt hieß früher Miami Nord und genau dort war die Werft und dort hat auch Bruce gelebt.

Josef Müller sitzt an seiner Eingangstür. Es ist dunkel.

Als Josef Müller im Gefängnis war, hat seine Frau ihn verlassen. Seitdem lebt er allein.

Auf ihre Flucht kommen wir später noch. Wenn ich Ihnen so zuhöre, klingt es schon ein bisschen so, als ob Sie auch stolz darauf wären, was Sie alles gemacht haben.

Ja, klar. Heute muss ich darüber schmunzeln. Ein Schurkenstück oder wie sie es nennen wollen. Ich bin ja nie dafür belangt worden.

Also für die gewaschenen 40 Millionen Dollar nicht. Für andere Vergehen aber schon: unter anderem für Bankrott, Betrug, Untreue, Steuerhinterziehung, Trunkenheit am Steuer und Fahren ohne Führerschein.

Na ja, ich sage mal so, es gibt Dinge in meinem Leben, da bin ich stolz drauf und es gibt Dinge in meinem Leben, da bin ich nicht stolz drauf.

Wie sind Sie dann mit den zwei Millionen D-Mark Schulden umgegangen?

Ich bin in ein finanzielles Loch gefallen. Und um meine Darlehen zu bedienen und meinen luxuriösen Lebensstil zu finanzieren, habe ich mir etwas Geld von meinen Kunden geborgt.

Sie haben es veruntreut.

Ja, deshalb bin ich später ja auch ins Gefängnis gekommen. Nur, dass mir das damals nicht so klar war. Ich dachte die ganze Zeit, dass ich das Geld irgendwann zurückzahlen würde, bis es so viel war, dass es gar nicht mehr gehen konnte.

1996 stand fest: Sie sollen für vier Jahre und sechs Monate ins Gefängnis. Sie wurden aber für haftunfähig befunden. Sie sitzen im Rollstuhl. Gab es einfach keine rollstuhlgerechte Zelle in ganz Deutschland, in der man sie hätte unterbringen können?

Stopp! Wir sind in Bayern. Und Bayern ist nicht Deutschland, das werden Sie zugestehen (lacht). Bayern hat eine Justiz, die für sich verantwortlich ist, und Bayern hatte tatsächlich kein behindertengerechtes Gefängnis. Es gab eins in NRW Hövelhof. Da wollten sie mich auch hinstecken. Also erst viele Jahre später. Allerdings hätte der bayerische Staat 8.000 Euro zahlen müssen für den Müller pro Monat. Und da waren die wohl zu knickert. Außerdem war ich immer wieder im Krankenhaus und hatte immer wieder dies und jenes. Die Justiz hatte wohl Angst, dass der Müller im Gefängnis verendet. Das habe ich im Nachhinein aus dem Justizministerium gehört.

Krank hin oder her – besonders einsichtig wirken sie ehrlich gesagt nicht.

„Lieber Gott, du hast mir so einen Verrückten geschickt, der mir das Geld einfach anvertraut. Jetzt bin ich alles los. Könntest du mir nicht nochmal so einen Verrückten schicken im Leben?“
Josef Müller

Heute schon! Damals habe ich mich gefragt: Wieso komme ich an so jemanden wie den Bruce und versemmel es dann? Ich hatte es ja versemmelt, das ganze Geld war weg! Verstehen Sie? Das ist wie ein Lottogewinn, den sie einmal hatten und verlieren. Da habe ich gesagt: „Lieber Gott, du hast mir so einen Verrückten geschickt, der mir das Geld einfach anvertraut. Jetzt bin ich alles los. Könntest du mir nicht nochmal so einen Verrückten schicken im Leben?“

Dafür haben Sie gebetet?

Ja. Und dann kam ein paar Jahre später diese Geschichte mit der Vermögensverwaltung. Das war völlig irre.

Was genau meinen Sie?

Ich habe angefangen, an der Börse zu spekulieren, Daytrading gemacht. Erst nur für mich, dann für einen Freund und dann für immer mehr Leute. Dabei habe ich eine Rendite von zehn Prozent im Monat versprochen. Um die Leute davon zu überzeugen, habe ich sie zu mir nach Hause in meine Villa eingeladen, in München Solln, und ihnen dann mein Büro gezeigt, in dem sieben, acht Bildschirme übereinander hingen. Das hat Eindruck gemacht. Und das Geschäft lief! Mein Credo war: Auf die Gier der Menschen konnte ich mich immer verlassen. Ich war gierig und alle anderen waren es auch.

Nahaufnahme: Ein Kreuz hängt um Josef Müllers Hals

Josef Müller ist katholisch aufgewachsen. Er sagt, wirklich zu Gott gefunden hätte er erst im Gefängnis.

Haben Sie sich an dem Geld auch bereichert?

Nein, das habe ich nicht. Es war auch gar nicht nötig. Ich bekam 20 Prozent der Gewinne, das reichte. Allerdings fehlte mir bis zum Schluss die BaFin-Lizenz, das Verfahren dafür war noch am Laufen. Auch darüber bin ich dann gestolpert.

Wie würden Sie den Müller aus ihrem ersten Leben beschreiben?

Ich war extrem von mir selbst überzeugt: Ich bin der Beste, der Größte. Mir kann man nichts. Genauso wie Alfons Schuhbeck oder Uli Hoeneß. Ich könnte Ihnen noch so viele andere Namen nennen, mache es aber nicht. Aber verstehen Sie, die Leute da oben, die glauben alle, unser Geld schützt uns. Das ist diese Spezilwirtschaft in Bayern, die gibt es in Düsseldorf und Berlin genauso. Vielleicht heute etwas weniger. Ich finde gut, dass Uli Hoeneß und Alfons ins Gefängnis mussten. Genauso wie es überfällig war, dass ich ins Gefängnis kam.


In seinem Buch begründet Müller seine Gier nach Geld mit einem Durst nach Anerkennung. Danach scheint er immer noch zu streben: Heute tritt Müller in Schulen und Kirchen mit seiner Geschichte auf, trägt sie mehrmals die Woche vor. So will er andere davor warnen, seinen Weg einzuschlagen, sagt er. Ich merke, dass er seine Geschichte mit Bruce schon oft erzählt hat, anderes zur Steuerhinterziehung als Steuerberater dagegen kaum.


2003 sollten Sie dann doch ins Gefängnis kommen. Sie sind aber geflüchtet.

Ich hatte überall Leute. Jemand aus dem BKA Wiesbaden hat mich gewarnt: Es wäre gut, wenn du jetzt nicht zu Hause bist. Wir haben die Information, dass dein Haftbefehl kommt. Später habe ich erfahren: Ich sollte wegen einer Geldwäscheverdachtsmeldung der Deutschen Bank in Untersuchungshaft kommen.

Ihre Flucht war ungewöhnlich luxuriös, sie haben in Wien, New York und Miami in Luxushotels gelebt, hatten ein Apartment in Aventura, ein schickes Auto. Wie ließ sich das mit einer Flucht vereinbaren?

Ich habe 20 Jahre „Tatort“ geschaut, da lernt man was. Ein Beispiel: Die Eigentumswohnung hatte ich nicht auf mich laufen, sondern auf eine Firma namens Sunshine Florida Cooperation, die mir gehörte. Aber in dem Kontext tauchte mein Name gar nicht auf. Ich hatte auch irgendwann einen zweiten Pass.

Aber gleichzeitig ging es Ihnen auch schlecht.

Habe ich das gesagt?

Ja, Sie schreiben in Ihrem Buch, dass sie tagsüber ein gutes Leben hatten, manchmal auch nachts. Aber wenn sie dann alleine waren, dann war es schon schwierig, so weit weg von München. Sie schreiben auch, dass Sie sich dann das Leben nehmen wollten.

Ich war schlecht drauf an diesem Abend, melancholisch. Ich weiß nicht mehr genau, wieso. Es lag vielleicht an vielen Dingen, an Alkohol und Drogen. Auf jeden Fall war ich auf dem Balkon von meinem Penthouse auf Williams Island. Es war schon ein bisschen schlechtes Wetter und ich habe runtergeschaut, die zwanzig Stockwerke und wollte mich runterstürzen. Ich habe gerade überlegt, wie ich mich über die Brüstung heben kann, denn ich konnte meine Beine ja nicht benutzen. Als ich mich runterstürzen wollte, hörte ich eine Männerstimme hinter mir. Die hat geatmet und gehustet. „Josef. Du hast schon vieles gemacht in deinem Leben. Aber du warst nie feig. Jetzt stell dich den Behörden.“ Da dachte ich, Gott hat zu mir gesprochen. Ich habe danach die Wohnung durchsucht, aber niemanden gefunden. Und dann habe ich beschlossen, mich wegen meiner vorherigen Vergehen zu stellen.

Unter anderem also wegen der vorherigen Betrugsfälle. Sie haben sich aber nicht sofort gestellt. Wieso?

Ich wollte erst nochmal Urlaub machen. Vielleicht war ich auch doch noch zu feige, mich zu stellen. Jedenfalls bin ich erstmal nach Jamaika geflogen. Und dann bin ich über London mit dem Linienflug nach Wien und von Wien wollte ich mit dem Auto nach München fahren. Davor bin ich aber nochmal in einem Designerhotel abgestiegen, Le Meridian. Bevor ich mich stellte, wollte ich nur noch mit meiner Frau ihren Geburtstag in Salzburg feiern. Und dann hatte ich vor, zu den Justizbehörden zu gehen und zu sagen: „Hallo, ihr habt mich nicht gefunden, jetzt bin ich da und stelle mich selbst.“ Ein bisschen theatralisch.

Aber es hat nicht geklappt.

Es hat nicht geklappt, weil ich mit meiner Frau telefoniert habe und deren Telefon wurde überwacht. Und dann standen die Jungs mit einem Funkwagen vor meinem Hotel. Weil ich als Kind Funker war, habe ich das Auto erkannt. Ich hab noch gedacht, dass die einen Schwarzfunker suchen. Aber niemals bin ich darauf gekommen, dass das mir gelten würde.

Da waren Sie sich Ihrer Sache aber sicher. Sie waren da ja schon ein halbes Jahr auf der Flucht.

Am Samstag, den 16. April 2005, kam ich vom Frühstück in mein Zimmer. Da klopfte es und dann stehen zehn Polizisten oder Polizistinnen vor der Tür und eine schreit: „Herr Müller, jetzt haben wir sie!“ Und ich habe gedacht: „Ja, auf dich habe ich hier gewartet.“ Das war eine hübsche blonde Frau und diese österreichische Polizeiuniform steht Frauen echt besser als die deutsche.

In dem Moment war Ihnen nicht egal, wie irgendjemand aussieht?

Also, ich war natürlich geschockt, aber ich wog mich in Sicherheit. Denn alle meine Dokumente waren auf meinen zweiten Pass, den ich mir besorgt hatte. Und da hieß ich Leon Dean. Und auch dieser Name war total geil, weil ich so immer sagen konnte: „wie James Dean.“ Der ist ja 1955 gestorben, wo ich geboren wurde!

Unter dem Namen hatte ich auch eingecheckt. Dann haben die mein ganzes Hotelzimmer und meinen Koffer durchsucht. Da haben sie dann Kreditkarten, meinen Pass, Visitenkarten von Leon gefunden. Nirgendwo stand Müller drauf. Ich hatte alles mit meinen Nachnamen in den USA gelassen.

Aber dann habe ich mir gedacht „Müller, Josef, du bist doch hier drüben, um dich zu stellen!“ Und Wien ist ja beinahe München. „Du musst den Moment nutzen!“ Und dann dachte ich mir: „Das nutzt du jetzt kräftig. „Also habe ich den Polizisten beim Rausgehen nachgerufen: „Buam, i bin schoan der, den ihr suacht.“ (Lacht laut und lange.) Die sind wie versteinert stehen geblieben. Den Anblick werde ich nie vergessen. Der war es wert.

Und dann sind Sie endlich ins Gefängnis gekommen. Dort waren Sie fünf Jahre.

Das hat mir mein Leben gerettet, wahrscheinlich wäre ich sonst längst am Kokain gestorben. Ich war ja elf Jahre lang abhängig, hab am Schluss jeden Tag eine Flasche Wodka getrunken und hab hinter Gittern von einem auf den anderen Tag aufgehört. Und ich hab diese Bibel gefunden und dann im Gefängnis Theologie studiert.

Nahaufnahme einer Bibel. Eine Hand blättert eine Seite um.

Diese Bibel begleitet Müller seit Beginn seines Gefängnisaufenthalts – sie stammt aus der dortigen Bücherei.

Was bereuen Sie am meisten?

Dass ich Menschen geschädigt habe, die mir am Herzen lagen. Es gibt Verfahren, die eingestellt worden sind. In anderen Fällen bin ich gar nicht angeklagt worden.

Um was ging es denn da?

Es ging um viel Geld, wie immer. Wissen Sie, man macht sich immer was vor, man leiht sich was und das kriegt man dann schon wieder in den Griff. So denken viele, aber das ist der Anfang vom Ende. Das hab ich heute erkannt. Ich hatte so eine Gnade, dass mir nochmal ein neues Leben geschenkt wurde!

Sie haben heute noch zehn Millionen Euro Schulden. Haben Sie mal darüber nachgedacht, das Geld zurückzuzahlen?

Als ich 2010 aus dem Gefängnis kam, habe ich einen Antrag auf Privatinsolvenz gestellt und der wurde abgelehnt. Gerade stelle ich wieder einen neuen Insolvenzantrag.

Das würde sie innerhalb von drei Jahren schuldenfrei machen.

Ich habe schon mal darüber nachgedacht, das Haus zu verkaufen, um meine Schulden zu bezahlen.

Haben sie aber nicht, sie wohnen noch hier. Wovon leben Sie heute?

Die ersten drei Jahre nach dem Gefängnis von Hartz IV. Das ging auch, ich hatte ja keine Miete, weil ich im Haus von meinem Papa gewohnt habe. Dann bekomme ich noch ein Pflegegeld, das sind auch ein paar hundert Euro. Das steht mir gesetzlich zu. Und natürlich meine Rente. Seit einem Jahr bin ich Rentner von Beruf und kriege 150 Euro Rente.

Nur 150 Euro?

Ja, ich hab ja nicht viel eingezahlt. Meine Altersvorsorge sollten Immobilien sein, die jetzt alle weg sind, um meine Schulden zu bezahlen. Weil ich ja noch die Schulden habe, darf ich nicht mehr als 1.800 Euro im Monat netto verdienen. Da liegt meine Pfändungsschutzgrenze. Aber ich komme gut zurecht, am Ende des Monats geht meine Rechnung auf und ich kann mir meinen Einkauf leisten. Leute laden mich auch oft ein. Ich hab schon zwei Autos geschenkt bekommen!


Wir wollen uns verabschieden. Da klingelt es an der Tür: Es ist die Nachbarin von oben. Sie hat Nudelsuppe gekocht und fragt, ob er auch welche möchte? Müller drückt mir noch fünf Bücher in die Hand, die er selbst geschrieben hat, neben seiner Autobiographie noch drei Gebetbücher und einen Lebensratgeber.


Für mich ist mein früheres Leben inzwischen sehr weit weg. Aber es war da. Ich habe die Beweise, ich habe die Bilder, ich habe die ganzen Geschichten. Das Leben war da.


Vielen Dank an KR-Mitglied Sebastian

Redaktion: Thembi Wolf und Lisa McMinn; Schlussredaktion: Susan Mücke; Fotos: Regina Recht, Bildredaktion: Philipp Sipos; Audioversion: Christian Melchert und Iris Hochberger

„Auf die Gier der Menschen konnte ich mich immer verlassen“

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