Das vergiftete Geschenk
Geld und Wirtschaft

Das vergiftete Geschenk

Jahrelang kämpfte eine Görlitzer Bürgerinitiative dafür, das leerstehende Prachtkaufhaus in der Stadtmitte wieder mit Leben zu füllen. Sie hatte Erfolg. Bis der neue Investor im Dezember mit fremdenfeindlichen Äußerungen schockte. Ein Besuch in einer Stadt, die mit ihrem Glück hadert.

Profilbild von Peer Schader

Wenn Städte einen Oscar bekommen könnten, dann hätte sich Görlitz den schon lange verdient. Spätestens seit der amerikanische Regisseur Wes Anderson vor zwei Jahren zu Gast war, um seinen Film „Grand Budapest Hotel“ zu drehen. Anderson versetzte die ostdeutsche Grenzstadt nicht nur für ein paar Wochen in den Ausnahmezustand, sondern machte sie auch in Hollywood bekannt. Gerade wurde sein Film mit mehreren Oscars ausgezeichnet, unter anderem fürs beste Szenenbild.

Und die Görlitzer sind sich sicher: Es ist eine Auszeichnung, die irgendwie auch ein bisschen der Stadt gehört.

Schließlich lieferte das leerstehende Görlitzer Kaufhaus die Kulisse für das Filmmärchen. Ein Architekturdenkmal mit Säulen, Verzierungen und hohen Fenstern, das seit Mitte Februar alle nur noch „Oscar-Kaufhaus“ nennen; wuchtig und elegant zugleich, geschmückt von einer mit Jugendstilornamenten bemalten Glaskuppel, die bei jedem, der darunter steht, einen überwältigenden Eindruck hinterlässt. Vor über 100 Jahren wurde das Bauwerk vom Potsdamer Architekten Carl Schmanns nach dem Vorbild des Berliner Wertheim am Leipziger Platz entworfen, 1913 als „Kaufhaus zum Strauß“ eröffnet, später von Karstadt übernommen. Seit 2009 ist es für alle Nicht-Hollywood-Regisseure geschlossen.

Die perfekte Kulisse: leerstehendes Jugendstil-Kaufhaus in Görlitz

Die perfekte Kulisse: leerstehendes Jugendstil-Kaufhaus in Görlitz Foto: Barbara Kloth

So ein Ende hat dieses Monument nicht verdient, dachte sich Rainer Müller. Vor allem hat das die Stadt nicht verdient, in der der frühere Bankdirektor seit seiner Pensionierung wohnt. „Ich bin überzeugt davon, dass dieses Haus für die gesamte Stadt eine große Bedeutung hat“, sagt er. Jeder hätte das Kaufhaus gerne wieder gehabt, aber keiner habe etwas dafür getan. Also hat Müller 2011 die Bürgerinitiative „Görlitzer Kaufhaus“ gegründet. Um „eine ganz entscheidende Leerstelle in der Stadt wiederzubeleben“, so wie das in anderswo ja auch geklappt hat. „Doch die Politik hat uns signalisiert: Das Haus gehört uns nicht, wir sind dafür nicht verantwortlich, es gibt andere Probleme“, erinnert sich Müller. „Für uns war das eine sehr kurzsichtige Politik. Es ist immer einfacher zu sagen: Es geht uns nichts an.“

Müllers Verein hat das Kaufhaus im Gespräch gehalten, Konzepte für eine Umnutzung entworfen, mit der Presse geredet, ist der Stadt damit auf die Nerven gefallen – und hatte sich schon damit arrangiert, dass dort ein Museum einziehen würde, um wenigstens den Leerstand zu beenden. Bis im Juli 2013 aus heiterem Himmel die Nachricht kam: Es gibt einen neuen Eigentümer. Der will, dass das Kaufhaus wieder ein Kaufhaus wird. Es war wie ein Wunder!

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„Wir waren überglücklich, weil ein Kaufhaus an dieser Stelle natürlich viel mehr Leute anzieht und die Stadt dadurch belebt“, erinnert sich Müller, redet von der „idealen Lösung“ und sagt: „Görlitz hat einfach großes Glück gehabt.“

Jedenfalls bis zum 17. Dezember 2014.

Dem Tag, an dem der neue Besitzer ein Benefizkonzert für Asylbewerber in seinem Kaufhaus verbot. Und der „Sächsischen Zeitung“ dazu ein unfassbares Interview gab. Das war der Tag, an dem in Görlitz etwas kaputt gegangen ist. Der Glaube, dass man Wunder einfach so geschenkt kriegt.


Projektleiter Jürgen Friedel steht in der vierten Etage des Oscar-Kaufhauses und sagt, was jetzt passiert: „Es muss schön werden!“ Im Moment ist es nämlich erstmal nur – leer. Die alten Böden sind raus, nur der nackte Stein ist geblieben. Rohre und Kabel wurden entfernt. Mit den Handwerkern berät er gerade, wie sich die Treppen retten lassen, die irgendwann mal mit billigem Holzimitat überklebt worden sind. Und doch zieht einen dieses Haus sofort in seinen Bann.

Bevor das Kaufhaus mit neuem Leben gefüllt werden kann, musste die komplette Inneneinrichtung entfernt werden

Bevor das Kaufhaus mit neuem Leben gefüllt werden kann, musste die komplette Inneneinrichtung entfernt werden Foto: Barbara Kloth

Drinnen scheint es kälter zu sein als draußen. Aber Friedel kennt das, hat eine Fleecejacke parat, die er automatisch überzieht, wenn er Gäste aus dem improvisierten Büro im Erdgeschoss nach oben zur Testfläche führt, wo Fußbodenbeläge verlegt und Regale aufgestellt werden, um auszuprobieren, was passen könnte. „Die große Herausforderung besteht darin, die moderne Haustechnik einzubauen, ohne dass sie zu sehen ist“, erklärt Friedel. Flache Heizkörper werden in Holzverschalungen versteckt, Lichtschienen ins Stuckprofil eingearbeitet, und von den Rauchmeldern dürfen in der Decke allenfalls winzige Löcher zu sehen sein. Da ist der Investor mindestens genauso streng wie der Denkmalschutz. Wenn nicht sogar strenger.

Friedel sagt: „Wir nehmen uns die Zeit, um die optimale Lösung zu finden.“

Kaufhausbesitzer aus Heimatverbundenheit?

Es ist, freundlich gesagt, ein ehrgeiziges Konzept, mit dem etwas gelingen soll, an das sich jahrelang niemand gewagt hat. Ein riesiges Kaufhaus wiederzubeleben ohne die Einkaufsmacht einer etablierten Kette im Rücken zu haben, und dann auch noch in einer Stadt, die nicht gerade zu den reichsten des Landes gehört und in der die Bevölkerung über viele Jahre kontinuierlich geschrumpft ist.

Dutzende Interessenten seien in der Zeit des Leerstandes durchs Haus gezogen, erinnert sich Vereinsgründer Müller. Alle haben gerechnet: lokale Kaufkraft, Verkaufsfläche, Kosten – das könne sich unmöglich lohnen. „Nur Winfried Stöcker ist da nicht mit dem Rechenschieber rangegangen. Sondern mit dem Herzen.“

Kaufhaus-Verfechter Rainer Müller am Görlitzer Untermarkt vor dem Rathaus

Kaufhaus-Verfechter Rainer Müller am Görlitzer Untermarkt vor dem Rathaus Foto: psr

Es klingt selbst ein bisschen nach einer Geschichte, die sich Hollywood ausgedacht haben könnte. Alle, mit denen man spricht, beteuern: Stöcker, der Investor, hat das Haus nicht gekauft, um damit das große Geld zu verdienen. Sondern aus Heimatverbundenheit. Geboren 1947 im sächsischen Rennersdorf, 30 Kilometer von Görlitz entfernt, ging Stöcker mit seiner Familie in den Westen, studierte Medizin, leitete ein Speziallabor an der Universität Lübeck und gründete 1987 seine Labordiagnostik-Firma Euroimmun, die ihn reich machte.

Nach der Wende kam er zurück in die Heimat, kaufte das alte Fabrikgelände seiner Eltern, sanierte es und eröffnete eine Zweigstelle seines Unternehmens. Mitten im Wald. Als er vor zwei Jahren in der Zeitung las, dass Hollywood im Kaufhaus drehen würde, das er aus seiner Jugend kannte, und das Haus sonst leer stehe, traf er eine spontane Entscheidung. Innerhalb weniger Wochen war Stöcker Besitzer eines Architekturdenkmals. Und versprach, es wieder mit Leben zu füllen.

"Hier wird heute renoviert, was Sie morgen fasziniert", steht rechts im Fenster

“Hier wird heute renoviert, was Sie morgen fasziniert”, steht rechts im Fenster Foto: psr

Es ist sozusagen ein 20-Millionen-Euro-Geschenk an die Stadt aus seiner Kindheitserinnerung. Soviel soll der Innenausbau des Hauses kosten, wahrscheinlich sogar mehr. Die Fenster müssen erneuert werden. Die alte Anlieferzone mit dem Wellblechdach wird abgerissen, um Platz für einen Neubau mit Restaurant, Terrasse, Rolltreppen und Fahrstühlen zu machen. Die 6.000 Quadratmeter Verkaufsfläche sollen durch einen Umbau des Kellers erweitert werden. Vielleicht gibt es sogar eine Verbindung mit dem kleinen Einkaufscenter dahinter, das vor allem aus einem Elektronikmarkt und ein paar Billigtextilketten besteht. Man konkurriere da ja nicht wirklich miteinander, sagt Projektentwickler Friedel. „Wir brauchen hier nicht nochmal tausend Quadratmeter für ein Sortiment reservieren, das im City-Center von einem Händler schon bedient wird. Wir hoffen, dass wir da miteinander kooperieren können.“

Kik lässt schön grüßen: Blick auf Kaufhaus und "City Center" dahinter

Kik lässt schön grüßen: Blick auf Kaufhaus und “City Center” dahinter Foto: psr

Nach der für Herbst 2016 geplanten Wiedereröffnung soll das Haus als Shop-in-Shop-Konzept funktionieren, wie die großen Ketten. „Wir brauchen Partner, die auch ein Stück Einkaufsmacht mitbringen“, sagt Friedel. „Und wir müssen aufpassen, dass wir nicht in einem Preissegment landen, bei dem keiner mehr kauft.“ Anfangs war mal von Prada und Gucci die Rede, um vermögende Kunden aus Breslau und Posen anzulocken. Inzwischen ist klar, dass es eine breitere Mischung geben muss, damit die Massen kommen. Touristen natürlich. „Und die Görlitzer, die heute zum Einkaufen nach Dresden fahren, sollen künftig hier kriegen, was sie wollen.“

Mehr Vision als Konzept

Der Plan klingt toll. Und so, als ob er im Leben nicht funktionieren kann. Friedel redet von einer Prosecco-Bar, vom „Männerparadies“ mit kühlem Bierchen und Fußballgucken, von Erlebnistoiletten und Kinderspielecke. Das nimmt Platz weg, der eigentlich gebraucht wird, um Waren zu verkaufen. Wie soll das gehen? „Wenn wir nur darauf schauen würden, dass der Umsatz pro Quadratmeter stimmt, müssten wir die Decken durchziehen und den Lichtraum zubauen. Aber dann steht hier ein 08/15-Kaufhaus“, sagt Friedel. Stattdessen sollen die Kunden sagen: Das hast du noch nicht gesehen, da musst du hingehen! „Nur so kriegen wir Leute als Kunden, die sonst vielleicht nicht kommen würden.“

Projektleiter Joachim Friedel im vierten Obergeschoss des Kaufhauses, das er wieder zum Erfolg führen will

Projektleiter Joachim Friedel im vierten Obergeschoss des Kaufhauses, das er wieder zum Erfolg führen will Foto: psr

Ein konkretes Konzept ist der Öffentlichkeit bislang nicht bekannt. Interessierte Mieter gibt es angeblich viele, aber nennen will Friedel sie nicht. Eigentlich ist das, was aus dem Kaufhaus werden soll, bislang nicht mehr als eine Vision. Aber für diese Chance sind viele Görlitzer bereit, darauf zu hoffen, dass die Regeln, die dem stationären Handel gerade überall das Leben schwer machen, hier vielleicht nicht gelten.

„Rendite steht nicht im Vordergrund“, sagt Friedel nochmal. „Herr Stöcker fühlt sich der Region verbunden und will ihr etwas Gutes tun.“

Dabei hat er mit der Konzertabsage im Dezember erst einmal das Gegenteil erreicht. Glaubt Friedel, dass das dem Projekt geschadet hat? „Es gibt einige wenige, die das genutzt haben, um sich von uns abzuwenden. Meine Vermutung ist aber, dass das sowieso passiert wäre. Wer ernsthaft Interesse an diesem Projekt hat, steht weiter zu uns.“ Gerade habe er mit dem Bürgermeister der polnischen Nachbarstadt Zgorzelec zusammengesessen. „In Polen freut man sich auf eine konstruktive, grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Das wird ein Kaufhaus für alle, die gute Qualität in schönem Ambiente einkaufen möchten.“


Aber so leicht ist das nicht mehr. Weil die Wucht von Stöckers Worten kurz vor Weihnachten so gewaltig war. „Mir sind so viele ausländische Flüchtlinge nicht willkommen“, sagte er damals der „Sächsischen Zeitung“. Er sprach über „reisefreudige Afrikaner“, die er „sofort wieder nach Hause schicken [würde], dann lassen die nächsten solche gefährlichen Bootstouren bleiben“, äußerte sich zum „Missbrauch des Asylrechts“ und erklärte, jedes Volk müsse sich „seiner Peiniger und Tyrannen selbst entledigen“. Menschen aus anderen Ländern hätten „nach meiner Auffassung kein Recht, sich in Deutschland festzusetzen und darauf hinzuarbeiten, uns zu verdrängen“: „Ich will nicht, dass uns am Ende Deutschland weggenommen wird.“

Die Stadt wehrte sich. Auf dem Marienplatz kamen Bürger zusammen, um gegen die Einlassungen des bisherigen Wohltäters zu protestieren; Demonstranten beamten die Worte „Refugees welcome!“ an die Fassade. Das Konzert für die Flüchtlinge wurde vom Kaufhaus auf den Christkindelmarkt verlegt. In der Frauenkirche stand die Adventsandacht unter dem Motto „Barmherzigkeit ist kein Märchen!“ Die Leiterin des Kinderheims gab eine von Stöcker erhaltene Spende zurück, obwohl das Geld dringend benötigt wurde. Oberbürgermeister Siegfried Deinege sprach von einer „herablassenden und diskriminierenden Art und Weise“ und distanzierte sich öffentlich von den Aussagen. Die NPD hingegen gratulierte. Und Stöcker sah sich veranlasst, mit einer „Entschuldigung“ zu reagieren.

„Der Zauber ist erloschen“

„Ich glaube, wir haben bei diesem Thema noch nicht auf die Sachebene gefunden“, sagt Projektleiter Friedel, dem es sichtlich unangenehm ist, nicht einfach nur über die Kaufhauspläne reden zu können. Er sagt aber auch, es gebe viele, die sich „aufgrund ihrer Funktion erstmal distanzieren“ müssten. „Unter vier Augen sieht das dann manchmal ganz anders aus.“

Genau diesen Eindruck wollen viele Görlitzer vermeiden. Die Stimmung in der Stadt hat sich verändert. „Was Stöcker da gesagt hat, war so unglaublich, so enttäuschend“, sagt Müller, der gleich im Dezember auf der Website der Kaufhaus-Initiative bekannt gab, er werde seinen Vorsitz mit sofortiger Wirkung aufgeben. Dem Investor hat er geschrieben, es falle ihm nach diesen Äußerungen leicht, von dem Projekt Abstand zu nehmen. „Dem Kaufhaus hat das ganz sicher geschadet“, ist Müller überzeugt. „Für so ein idealistisches Engagement braucht man innere Überzeugung. Nach diesen Äußerungen ist der Zauber irgendwie erloschen.“

Das Medieninteresse ist wieder zurückgegangen. Aber jetzt muss Görlitz eine Antwort auf die Frage finden, was man eigentlich mit einem 20-Millionen-Euro-Geschenk macht, das der Stadt so viel Gutes tun könnte, wenn sich herausstellt, dass der Schenker Ansichten vertritt, die das Gegenteil bewirken.


„Im Moment ist die Stimmung, wie ich sie wahrnehme, dass man gar nicht mehr darüber spricht“, sagt Joachim Rudolph, Leiter des St. Wenzeslaus-Stifts und Vorsitzender des Aktionskreises für Görlitz, ein Bündnis aus Bürgern und Geschäftsleuten. „Der Investor ist wie von der Bildfläche verschwunden, es gibt kaum noch Meldungen mehr, keine Fotos. Mein Eindruck ist: Man ist wieder zur Tagesordnung übergegangen.“ Vielleicht auch aus Angst, irgendwann öffentliche Zustimmung von Leuten zu provozieren, die ähnlicher Meinung sein könnten. In der Lokalzeitung stand gerade ein Bericht mit vagen Zitaten des Eigentümers zur Mietsituation. Mehr aber auch nicht. Viele Bürger seien der Ansicht, es müsse weitergehen, meint Rudolph: „Aber ich glaube, es geht mit einer Beschädigung weiter. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das in Vergessenheit gerät.“

Ende Februar haben die Mitglieder der Kaufhaus-Initiative in einer außerordentlichen Versammlung beschlossen, ihren Verein aufzulösen und in den Aktionskreis übergehen zu lassen. Dort will sich Müller mit Gleichgesinnten weiter um die Gestaltung der Stadt kümmern.

Von deren Website war die Presseerklärung des Oberbürgermeisters mit der deutlichen Kritik am Investor zwischenzeitlich verschwunden. Das sei ein „technisches Problem“ gewesen, erklärt eine Sprecherin der Stadt auf KR-Anfrage. Der Fehler sei inzwischen behoben. Deineges Büro schickt eine schriftliche Stellungnahme des Politikers: „Es ist legitim, dass Herr Stöcker seine Meinung frei äußert. Allerdings haben wir uns von seiner Haltung und Wortwahl ganz klar distanziert.“ Auf konkrete Fragen (siehe Anmerkungen) geht Deinege nicht ein. Und für ein persönliches Gespräch gebe es gerade „keinerlei Freiräume zwischen den Terminen“. Die Stadt hat kein Interesse daran, ihr sorgsam als „Görliwood“ aufgebautes Image durch die Erinnerung an den Skandal zu gefährden.

„Weltoffen, tolerant und hilfsbereit“

Am schlimmsten ist vielleicht, dass Stöcker sich zwar entschuldigt, aber nichts so richtig zurückgenommen hat. In einem „Nachtrag“ erklärte er, kein Ausländerfeind zu sein. Er sei ja mit einer Chinesin verheiratet und beschäftige türkische Arbeiter. Das Interview in der Zeitung sei „verunglückt“, sein „Vokabular nicht mehr zeitgemäß“ gewesen. Er scheint bis heute nicht verstanden zu haben, dass es nicht nur am Vokabular lag. Sondern an der Überzeugung, die er damit transportiert hat. Und die lautet: Die anderen sollen bleiben, wo sie sind. In einem Gespräch mit ARD-Journalisten sagte Stöcker kurz vor Weihnachten (und nach der „Entschuldigung“): „Irgendwann wird die Mehrheit in Deutschland türkisch sein. Und das möchte ich nicht.“

Das ist gewiss nicht die Art von Heimatverbundenheit, auf die man in Görlitz gehofft hat.

„Viele Menschen haben begriffen, dass wir nicht durch Ausländerfeindlichkeit in die Schlagzeilen kommen wollen“, sagt Joachim Trauboth, Sprecher des Görlitzer Willkommensbündnisses, das sich in der Stadt um Flüchtlinge kümmert und das Konzert im Kaufhaus organisiert hatte. Jetzt wolle man erst recht zeigen, dass die Stadt „weltoffen, tolerant und hilfsbereit“ sei. In zahlreichen Schaufenstern und an Häuserfassaden hängen Zettel und Plakate, auf denen steht: „Refugees welcome“. „Herr Stöcker kann viel in Görlitz bekommen, was ihm ein erfolgreiches Investment ermöglicht, zum Beispiel Grundstücke und Immobilien in einem attraktiven Umfeld. Nicht zur Disposition stehen hier Werte, die unter dem Begriff ‘Mitmenschlichkeit’ zu summieren sind.“

Blick vom Kaufhaus auf den Görlitzer Frauenturm

Blick vom Kaufhaus auf den Görlitzer Frauenturm Foto: psr

Es ist eine vertrackte Situation. Weil das Kaufhaus in der Mitte der Stadt nicht mehr nur der ganze Stolz der Görlitzer ist. Sondern auch eine Art Mahnmal. 100 Kilometer entfernt, in Dresden, mögen zehntausend Leute auf die Straße gehen, um gegen eine eingebildete Islamisierung zu demonstrieren. Aber manchmal reicht auch ein Millionär, der den gleichen Unfug erzählt, um denselben Schaden anzurichten.

„Herr Stöcker hat Menschen in ihrem Wertebewusstsein verletzt. Das ist für viele, die hier in der Grenzregion bestrebt sind, Brücken zu bauen, eine Ohrfeige gewesen“, sagt Joachim Rudolph vom Aktionskreis. „Auch alle Bemerkungen hinterher haben nicht mehr geholfen. Die Äußerungen zeigen eine innere Haltung, die sich nicht beschönigen lässt.“ Vielleicht sorgt das wiedereröffnete Haus dafür, dass mehr Touristen in die Stadt kommen und alle davon profitieren. Vielleicht geht das waghalsige Konzept tatsächlich auf. Vielleicht wird es bald in Görlitz wieder ein funktionierendes Kaufhaus geben.

Gebaut 1913, geschlossen 2009, mit großen Bauchschmerzen wiedereröffnet 2016.


Nachtrag vom 10. März: Die „Lübecker Nachrichten“ melden, Winfried Stöcker wolle der Universität Lübeck seine Zuwendungen streichen, weil er sich „wie eine heiße Kartoffel fallen“ gelassen sehe. Die Universität hatte sich wegen Stöckers Äußerungen nach der Konzertabsage in Görlitz von ihrem Honorarprofessor distanziert. Außerdem werde sein Unternehmen Euroimmun „einen neuen Standort für seine Expansion“ suchen. Stöcker hat auf der Website seiner Firma dazu eine weitere Stellungnahme veröffentlicht (PDF): „Und ich lasse mir von keinem Präsidenten, Journalisten oder Politiker vorschreiben, was ich zu denken und zu sagen hätte.“


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Aufmacherfoto: Peer Schader (psr)

Den Beitrag anhören:

https://soundcloud.com/krautreporter/peer-schader-das-vergiftete-geschenk/s-1Tljr

Der Text wurde gesprochen von Alexander Hertel von detektor.fm