Eine Frau steht in einem Supermarkt und greift etwas aus dem Regal.

Joshua Rawson-Harris | unsplash

Geld und Wirtschaft

„Ob ich 150 oder 300 Euro zahle, ändert für mich nichts“

Mario kann sich keine Äpfel mehr leisten, Silvia spart auf Fensterdichtungen und Daniel merkt kaum, dass Benzin jetzt teurer ist. Sechs Menschen erzählen, wie die Inflation ihr Leben verändert.

Profilbild von Rebecca Kelber
Reporterin für eine faire Wirtschaft

13,8 Millionen Menschen in Deutschland sind arm. Das ist ein neuer Rekord. Und arme Menschen trifft die Inflation besonders. Trotzdem haben sie von dem Entlastungspaket der Bundesregierung weniger profitiert als Gutverdienende.

Ich bin selbst mit Hartz IV aufgewachsen. Meine Familie konnte nie die Lebensmittel kaufen, die wir uns wünschten. Neue Klamotten waren eine Ausnahme und in den Urlaub fahren konnten wir nur dank Spenden. Trotzdem kann ich mir kaum vorstellen, wie Hartz-IV-Empfänger:innen mit den aktuellen Preissteigerungen leben. Deshalb wollte ich auf den Alltag hinter den Statistiken blicken.

Ich habe mir von sechs Menschen erzählen lassen, wie sich die Inflation auf ihr Leben auswirkt. Ganz bewusst habe ich nicht nur armen Menschen zugehört, sondern auch Besserverdienenden. So will ich euch zeigen, wie unterschiedlich die Inflation den Alltag der Deutschen beeinflusst.


Silvia, 67 Jahre: „Krank sein ist für mich inzwischen zu teuer“

Knapp war das Geld bei mir schon immer. Ich bin Rentnerin, arbeite aber weiterhin: Ich gebe Nachhilfe an einem Gymnasium und putze in zwei Haushalten. Ich habe eine Minirente, die mit der Grundrente aufgestockt wird. Am Ende entspricht das in etwa dem Hartz-IV-Satz.

Vor dem Winter habe ich große Angst. Ich wohne in einer kleinen Wohnung in einem über 200 Jahre alten Haus, das schon meine Eltern gekauft hatten. Man müsste es dringend isolieren. Die Fenster sind undicht, die Wände schlecht gedämmt, aber mir fehlt dafür das Geld. Momentan spare ich darauf, mir Dichtungsband und Scheibenfolie für die Fenster zu kaufen. Außerdem will ich gemeinsam mit meiner Mutter ein weiteres Solarpanel anschaffen, damit wir uns autark mit Strom versorgen können. Ich habe bei Amazon mit der Funktion „Buy Now, Pay Later“ Gaskartuschen gekauft, damit ich zur Not auf unseren alten Camping-Gaskocher Essen zubereiten kann. Zum Glück habe ich auch noch ein paar Kilo Couscous und rote Linsen vom Beginn der Pandemie. Neue Vorräte kann ich mir zurzeit kaum anlegen.

„Ich habe bei Amazon mit der Funktion „Buy Now, Pay Later“ Gaskartuschen gekauft, damit ich zur Not auf unseren alten Camping-Gaskocher Essen zubereiten kann.“
Silvia, 67, Rentnerin

Mir ist Nachhaltigkeit wichtig. Ich baue bei mir im Garten Gemüse an, bekomme eine Biokiste nach Hause geliefert und kaufe bei Aldi wenn möglich nur Bio-Produkte ein. Das ist eine Bastion, die ich verteidige. Inzwischen leiste ich mir aber nur noch das billige Bio-Gemüse, Karotten und Zwiebeln zum Beispiel. Neulich war die Bio-Butter bei Aldi von einem Tag auf den anderen um fast einen Euro teurer. Jetzt gibt es bei mir Bio-Margarine.

Früher konnte ich noch hin und wieder in die Kneipe gehen, mal ins Kino oder in eine Kunstausstellung. Urlaub ist ein Fremdwort geworden, dabei würde ich so gerne mal wieder ans Meer fahren!

Krank sein ist für mich inzwischen zu teuer. Ich hole mir deshalb den kostenlosen Rat des Arztes oder der Ärztin und mache dann vieles selbst, zum Beispiel Hustensaft aus Thymian oder Desinfektionsmittel. Bei Antibiotika geht das natürlich nicht. Vor Kurzem hatte ich eine Entzündung und brauchte ein Medikament aus der Apotheke. Dort hieß es aber ich müsse zehn Euro zuzahlen. Ich sagte, ich hätte doch ein Rezept! Aber da war nichts zu machen. Also habe ich darauf verzichtet.


Daniel, 50 Jahre: „Ob ein Familieneinkauf 150 oder 300 Euro kostet, ändert für mich nichts“

Ich wohne mit meiner Frau und unseren beiden Töchtern in Hamburg. Meine Frau und ich sind selbstständig, wir arbeiten in der Projektentwicklung im Immobilienbereich. Außerdem sind wir an mehreren Unternehmen und Start-Ups beteiligt und besitzen vier Eigentumswohnungen. Unser Vermögen ist so groß, dass uns die Inflation nicht kümmern muss.

Natürlich sehe ich, wenn die Benzinpreise an der Tankstelle steigen, aber ich gehe einfach tanken. Im Supermarkt schaue ich nicht auf die Preise. Ob ein Familieneinkauf 150 oder 300 Euro kostet, ändert für mich nichts.

„Meinen diesjährigen Sommerurlaub habe ich gerade abgesagt. Nicht, weil er zu teuer ist, sondern weil ich arbeiten muss.“
Daniel, 50, Immobilienunternehmer

Als Unternehmer spüre ich die Inflation allerdings schon. Die Vorauszahlungen meiner Mieter:innen steigen wegen der höheren Energiepreise. Handwerker zu beauftragen wird teurer. Und die Zinsen auf Immobilienkredite werden steigen, weshalb wir nun Anschlussfinanzierungen suchen.

Mir mangelt es nicht an Geld, mir mangelt es eher an Zeit. In ein Konzert gehe ich etwa einmal im Jahr, im Kino war ich schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Dafür fahren wir regelmäßig weg, zum Beispiel nach Mallorca oder London. Normalerweise arbeiten wir aber trotzdem, beantworten Mails und haben Meetings. In den vergangenen vier Jahren hatten wir zwei Mal eine Woche Mallorca-Urlaub, in denen wir gar nichts gemacht haben. Meinen diesjährigen Sommerurlaub habe ich gerade abgesagt. Nicht, weil er zu teuer ist, sondern weil ich arbeiten muss. Wir haben in ein Start-Up investiert, das vor der Pleite steht. Nun bin ich als Ersatz-Geschäftsführer eingesprungen und arbeite bis spät abends – auch um unser investiertes Vermögen zu retten.


Mario, 53: „Arm sein heißt für mich, nie frei zu sein“

Ich bekomme mit meinen 53 Jahren schon eine Rente, weil ich nicht mehr arbeitsfähig bin. Die Erwerbsminderungsrente. Die fällt aber sehr gering aus, deshalb bekomme ich zusätzlich noch die Grundsicherung. Insgesamt habe ich 847 Euro im Monat – für alles.

„Ein Luxus wie Äpfel sind dann nicht mehr drin. Die haben neulich noch 2,19 Euro gekostet und jetzt sind es 3,69 Euro.“
Mario, 53, Erwerbsminderungsrenter

Mein Geld bekomme ich immer am letzten Werktag eines Monats. Ich versuche, sparsam damit umzugehen. Wenn ich das erste Mal im Monat einkaufe, kaufe ich noch Sachen, die ich gerne esse. Beim zweiten Mal checke ich im Supermarkt schon die ganze Zeit mein Konto auf dem Smartphone und überlege: Geht das noch? Mit jedem Tag im Monat zögere ich den nächsten Einkauf länger heraus. Ich verzichte von Tag zu Tag auf mehr. Ein Luxus wie Äpfel sind dann nicht mehr drin. Die haben neulich noch 2,19 Euro gekostet und jetzt sind es 3,69 Euro. Seit einem halben Jahr ernähre ich mich vegan. Auch die Fleischersatzprodukte werden immer teurer. Ein veganes Schnitzel ist heute schon 90 Cent teurer als vor einem Jahr.

Früher war ich meistens am 25. des Monats blank. Dann habe ich angefangen, irgendwelche Sachen aus dem Kühlschrank zusammen zu mischen, die nicht zusammenpassen, zum Beispiel Tiefkühl-Rosenkohl und Brot. Das schmeckt zwar nicht, macht aber satt.

Ich beobachte seit Kriegsbeginn in der Ukraine, dass die Preise wöchentlich steigen. Nicht nur für Lebensmittel. Auch Küchentücher sind teurer geworden. Seitdem ist mein Geld oft schon fünf Tage früher aufgebraucht. Ich lebe also zehn Tage im Monat von Resten. Manchmal lade ich mich deshalb zu meiner Ex-Frau zum Abendessen ein.

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Für Kultur kann ich gar kein Geld ausgeben. Ich kann kein neues Buch kaufen, nicht ins Theater gehen, nicht ins Kino. Streaming-Anbieter kann ich mir auch nicht leisten. Aber ich nutze die Bibliothek und kostenlose E-Books. Ich bin Mitglied bei Kulturleben e.V., einem Verein, der es armen Menschen ermöglicht, auch mal auf ein Konzert oder ins Theater zu gehen. Aber ich besuche nicht die Veranstaltungen, die ich möchte, sondern die, die mir bereitgestellt werden. Arm sein heißt für mich, nie frei zu sein.

Das ist auch in anderen Bereichen so. Mein Vermieter hat vorgeschlagen, die Vorauszahlung der Betriebskosten zu erhöhen. Solche Entscheidungen darf ich nicht alleine treffen, sondern muss beim Amt nachfragen. Für mich ist diese Bevormundung und die regelmäßige Nachweispflicht nur schwer auszuhalten.


Heidi, 41 Jahre: „Früher fand ich Windräder störend – heute sehe ich sie als ein Stückchen Freiheit“

Ich wohne in einem Dorf in Brandenburg. Mein Mann und ich haben zwei Kinder im Grundschulalter. Wir verdienen beide, ich als Projektmanagerin in einer Agentur für Design und Kommunikation und er als IT-Techniker im medizinischen Bereich. Mit unserem Einkommen liegen wir etwas über dem Durchschnitt unserer Gegend. Uns geht es finanziell gut und trotzdem fühlt sich die aktuelle Situation unangenehm an.

„Ich habe gelesen, die Preise für Gas könnten sich im schlimmsten Fall vervierfachen. Dann würden wir 1.000 Euro im Monat bezahlen!“
Heidi, 41, Projektmanagerin

Wir besitzen ein Auto, weil es ohne auf dem Dorf schwierig ist. Deshalb spüren wir die steigenden Spritpreise. Für Einkäufe geben wir nun rund 20 Prozent mehr aus. Das größte Problem aber ist unser Haus: Es ist über hundert Jahre alt.

Erst im vergangenen Jahr ist bei uns die Heizung kaputt gegangen. Wir haben eine Gasheizung einsetzen lassen. Eine Gasheizung! Ausgerechnet. Aber das haben wir damals noch nicht infrage gestellt. Momentan zahlen wir ungefähr 250 Euro Abschlag im Monat, Preisbindung sei Dank. Ich habe gelesen, die Preise für Gas könnten sich im schlimmsten Fall vervierfachen. Dann würden wir 1.000 Euro im Monat bezahlen!

Jetzt versuchen wir, an allen Ecken und Enden unseren Verbrauch zu reduzieren, etwa die Heizung anders einzustellen, sodass die Räume im Winter weniger beheizt sind. Warmwasser gibt es nur noch zu bestimmten Tageszeiten. Wir haben All-Off-Schalter für Standby-Geräte gekauft. Normalerweise würden wir jetzt unseren Urlaub für kommendes Jahr planen. Aber den haben wir komplett auf Eis gelegt. Die Energiepreise machen uns zu große Sorgen.

Wir sind immer noch privilegiert und haben noch einige Möglichkeiten zum sparen. Wir gehen weniger essen und machen weniger Ausflüge mit den Kindern. Ich bin leidenschaftliche Konzertgängerin, aber für nächstes Jahr habe ich mir noch keine Tickets gekauft, auch wegen der Kosten für den Fahrtweg. Momentan haben wir eine Sparquote von 15 Prozent, so viel legen wir also von unserem Einkommen zurück. Die werden wir wohl bald verringern.

Wir haben auch eine Solaranlage auf dem Dach. Die würden wir gerne noch vergrößern, um autarker zu werden. Früher habe ich Windräder in der Landschaft oft als störend empfunden. Wenn wir jetzt durch die Gegend fahren und ich sehe welche ist mein erster Gedanke: Das ist ein Stückchen Freiheit.


Lilie, 51 Jahre: „Fleisch kann ich mir nicht mehr leisten“

Ich bin alleinerziehende Mutter, habe eine zehnjährige Tochter und einen erwachsenen Sohn. Seit 2018 bin ich krank geschrieben, Hartz IV. Der Satz liegt für uns beide momentan bei 880 Euro im Monat, dazu kommt noch Kindergeld und Unterhalt. Das Jobcenter übernimmt die Miete. Aber Strom, Internet und Gas zum Kochen muss ich selbst tragen. Und das wird jetzt wirklich zu einem Problem.

Ich kann seit der Inflation von dem Geld nicht mehr leben. Ein Stück Butter hat mal 1,50 Euro gekostet, jetzt sind es über drei Euro. Fleisch kommt bei uns nur noch sporadisch auf den Tisch, und zwar wenn mir jemand was schenkt. Lange wollte ich nicht zur Tafel gehen, weil ich dachte, andere brauchen das dringender. Aber jetzt, wo es nötig wäre, nimmt die Tafel keinen mehr auf. Ab und zu geht der Papa meiner Tochter für uns einkaufen. Sporadisch lädt er unsere Tochter und mich ins Theater ein, so kommen wir zumindest an ein bisschen Kultur.

„Lange wollte ich nicht zur Tafel gehen, weil ich dachte, andere brauchen das dringender. Aber jetzt, wo es nötig wäre, nimmt die Tafel keinen mehr auf.“
Lilie, 51, alleinerziehende Mutter

Ich bin aktiv auf Twitter und nutze den Hastag #ichbinarmutsbetroffen. In dieser Bewegung engagiere ich mich auch. Auf meinem Twitter-Profil habe ich meine Amazon-Wishlist verlinkt, das ist eine Art digitaler Einkaufszettel, auf dem Dinge stehen, die ich brauche, aber mir nicht leisten kann. Das hat dazu geführt, dass ich Lebensmittelspenden von fremden Menschen bekommen habe. Frisches Obst, Brot, Butter. Das war so bewegend. Einkaufen im Supermarkt fällt mir sowieso schwer, ich mag Menschenmengen nicht. Meine Haare sind immer grün gefärbt gewesen, das konnte ich mir auch nicht mehr leisten. Über Twitter hat mir eine Person einfach so Färbemittel geschickt. „Man braucht ein bisschen Farbe im Leben,” hat sie geschrieben.

Oft reicht das Geld auf meinen Konto nicht, um Strom, Gas und das Hortgeld für meine Tochter zu bezahlen. Ich wollte deshalb meinen Dispo erhöhen, um das in Zukunft zu verhindern. Aber als Armutsbetroffene gibt die Bank mir natürlich nicht mehr Spielraum. Meine Beiträge für Strom und Gas habe ich trotzdem freiwillig erhöht. So wird die Nachzahlung hoffentlich nicht ganz so hoch. Ich warte die ganze Zeit auf die 200 Euro Sonderzahlung aus dem Entlastungspaket. Eigentlich sollte sie Anfang Juli kommen. Noch ist sie nicht da.


Christian, 42 Jahre: „Ich spare 100 Euro weniger im Monat“

Ich arbeite als Elektroingenieur und verdiene gut, obwohl ich nur eine 34-Stunden-Woche habe. Ich bekomme mehr als 7.000 Euro im Monat brutto. Aber mir ist es trotzdem wichtig, sparsam zu leben. Deshalb spüre ich die Inflation, auch wenn sie mich nicht stark trifft. Am Deutlichsten merke ich es bei Lebensmitteln: Meine monatlichen Einkäufe kostet jetzt etwa 100 Euro mehr als noch vor Kriegsbeginn. Für mich heißt das: Ich kann 100 Euro weniger sparen.

„Ich wohne aus Überzeugung in einer WG. Ich teile mir in Oberbayern ein Haus mit fünf Personen und zahle nur 500 Euro Miete.“
Christian, 42, Elektroingenieur

Sparsamkeit ist mir aus zwei Gründen wichtig: Ich möchte meinen ökologischen Fußabdruck klein halten und möglichst viel Geld anlegen, damit ich im Alter nicht mehr so viel arbeiten muss und trotzdem genug habe.

Ich kaufe mir auch nur selten etwas Neues, höchstens mal Wander-Ausrüstung wie Zelte oder Schneeschuhe. Und bevor ich Geld fürs Kino ausgebe, denke ich zwei Mal drüber nach, ob sich der Film lohnt. Ich habe auch kein Auto und fahre stattdessen mit der Bahn. Wo es geht, radle ich hin. So bekomme ich frische Luft und Sonne, halte mich fit – und meditieren muss ich auch nicht mehr.

Ich wohne aus Überzeugung in einer WG. Ich teile mir in Oberbayern ein Haus mit fünf Personen und zahle nur 500 Euro Miete. Wir haben hier eine Hackschnitzelheizung, die wir mit Holzabfällen von der Schreinerei aus der Nachbarschaft betreiben. Ich hänge also weder am Öl- noch am Gaspreis. Wir geben für Heizung und Warmwasser pro Person 30 € im Monat aus.


Redaktion und Schlussredaktion: Lisa McMinn, Fotoredaktion: Martin Gommel

„Ob ich 150 oder 300 Euro zahle, ändert für mich nichts“

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