Facebook hat kürzlich den perfekten Skandal erlebt. Am 4. Oktober 2021 kam es zu einem sechsstündigen Ausfall der Dienste des Unternehmens. 2,9 Milliarden Nutzer konnten aufgrund eines technischen Fehlers nicht auf Facebook, Instagram, Whatsapp und Oculus zugreifen. Der geschätzte Schaden für die Weltwirtschaft wurde auf fast 1 Milliarde US-Dollar bzw. 150 Millionen US-Dollar pro Stunde geschätzt.
Zur gleichen Zeit nahm eine andere Krise schnell an Fahrt auf. Am 1. Oktober hatte das Wall Street Journal die „Facebook Files“ veröffentlicht, eine Sammlung von durchgesickerten Dokumenten, die einen seltenen Einblick in das Innenleben des Unternehmens und die Ergebnisse seiner internen Untersuchungen geben.
Die Dokumente deuten darauf hin, dass Facebook die negativen Auswirkungen seiner Dienste kennt, aber wenig tut, um sie zu beheben. Facebooks interne Untersuchungen haben ergeben, dass Instagram der psychischen Gesundheit von Jugendlichen schadet und zu Essstörungen und Selbstmordgedanken beiträgt. Am 5. Oktober, nur einen Tag nach dem weltweiten Ausfall, erschien Frances Haugen, die Informantin hinter den durchgesickerten Dokumenten, vor dem US-Kongress und erklärte, dass Facebook Wachstum über Sicherheit stellt.
Facebook steckt in zwei Krisen gleichzeitig, die das Können und die Werte des Social-Media-Riesen in Frage stellen. Aber werden die dem Unternehmen langfristig schaden? Und wenn ja, wie stark und auf welche Weise? Oder vergessen Menschen all die Wut und Enttäuschung einfach wieder?
Facebook ist nicht das erste Unternehmen, das in der Kritik steht – und es wird mit Sicherheit nicht das letzte bleiben. Die Öffentlichkeit bewertet Unternehmen zunehmend kritischer: Ihr Verhalten wird auch moralisch bewertet. Doch Menschen sind nicht fair bei dieser Bewertung. Wie sehr eine öffentliche Krise einem Unternehmen schadet, hängt auch davon ab, aus welchem Land die betroffene Firma stammt.
Produktfehler können wir eher verzeihen als moralische Fehltritte
Ob die Verbraucher ein Unternehmen sanktionieren, hängt davon ab, ob die Krise das Können oder die Moral eines Unternehmens in Frage stellt. Verbraucher können negative Informationen über das Unternehmen in den sozialen Medien verbreiten, die Marke meiden oder die Produkte des Unternehmens boykottieren.
Im Jahr 2016 setzte Samsung den Verkauf des Galaxy Note 7 aus und kündigte eine weltweite Rückrufaktion an, nachdem sich herausgestellt hatte, dass ein Herstellungsfehler in den Akkus der Telefone dazu geführt hatte, dass einige sehr heiß wurden, was zu Bränden und Explosionen führte.
Der Skandal ließ Verbraucher an der Sicherheit ihrer Smartphones zweifeln und führte dazu, dass das Unternehmen an der Börse Milliarden an Wert verlor. Das Problem mit dem Samsung Galaxy Note 7 beeinträchtigte das Vertrauen der Kunden in die Marke jedoch kaum, und fast neun von zehn bestehenden Kunden gaben an, dass sie nur wenige Monate nach dem Skandal beim nächsten Kauf ein Samsung-Handy in Betracht ziehen würden. Dies lag zum Teil daran, dass es als eine Krise der Fähigkeit und nicht der Werte angesehen wurde.
Die Autos von Volkswagen hingegen funktionierten trotz manipulierter Abgaswerte einwandfrei – und doch hat der Skandal einen riesengroßen Schaden hinterlassen.
Als Volkswagen 2015 bei manipulierten Abgastests erwischt wurde und seine Dieselfahrzeuge bis zu 40-mal weniger umweltschädlich erscheinen ließ, als sie tatsächlich waren, erlebte das deutsche Unternehmen nicht nur einen Shitstrom und lang anhaltende Boykottkampagnen. Es musste auch das erste Mal seit mehr als 20 Jahren einen Jahresverlust verbuchen. Auch Jahre später sind die Schadensersatzforderungen gegenüber Volkswagen wegen der Abgasemissionen noch nicht abgegolten. Für die Verbraucher war der Skandal ein ethischer Fehltritt, weswegen sie diese Krise als ein moralisches Versagen wahrnehmen.
Aber noch ein anderer Faktor scheint Einfluss darauf zu haben, wie die Öffentlichkeit auf eine Unternehmenskrise reagiert: das Herkunftsland eines Unternehmens. Während des „Dieselgates“ zählten beispielsweise die Wörter „deutsch“ und „Deutschland“ auf Twitter zu den fünf am häufigsten verwendeten Begriffen im Zusammenhang mit dem Skandal. Diese Suchanfragen machen deutlich, dass Volkswagen eng mit Deutschland verbunden ist. Das südkoreanische Unternehmen Samsung hingegen wird häufig fälschlicherweise als japanisch eingestuft.
Unsere neue Studie ergänzt die bisherigen Erkenntnisse, die zeigen, dass die Herkunft eines Unternehmens einen Einfluss darauf haben kann, wie Verbraucher auf Unternehmenskrisen reagieren.
Deutschland ist ein kaltes Land
Die Grundannahme ist, dass das Herkunftsland eines Unternehmens bestimmte Stereotypen hervorrufen kann. Das heißt, die Assoziation von Marken mit Ländern, zum Beispiel Facebook und die Vereinigten Staaten oder Volkswagen und Deutschland, aktiviert nationale Stereotypen.
Frühere Untersuchungen haben gezeigt, dass Verbraucher Länder anhand von zwei Dimensionen stereotypisieren: Wärme und Kompetenz. Länder, die Verbraucher als freundlich, kooperativ und vertrauenswürdig wahrnehmen, gelten als „warm“, während „kalte“ Länder als antagonistisch und wettbewerbsorientiert angesehen werden. Länder, die von den Verbrauchern als mächtig und fähig wahrgenommen werden, ihre Pläne in die Tat umzusetzen, gelten als „kompetent“, andere als „inkompent“. Die Verbraucher übertragen die wahrgenommene Wärme und Kompetenz, die sie mit einem bestimmten Land verbinden, auf die Unternehmen, die aus diesem Land kommen.
Dieser „Land-Firma“-Halo-Effekt ist etwas, das wir regelmäßig auch außerhalb von Krisensituationen beobachten, wo wir blind auf die überlegene Qualität von französischem Wein, Schweizer Schokolade und deutschen Autos vertrauen, nur weil sie aus diesem speziellen Land stammen.
In mehreren Experimenten haben wir den vermuteten psychologischen Prozess dieses Effekts in Krisenzeiten untersucht. Wir haben herausgefunden, dass die negativen emotionalen Reaktionen der Verbraucher (wie Verachtung, Wut und Ekel) und ihre Absicht, gegen das fehlbare Unternehmen zu handeln (zum Beispiel durch einen Boykott), von ihrer Wahrnehmung der Unternehmensgier abhängen. Einfach ausgedrückt: Öffentliche Empörung kann sich nur dann bilden, wenn die Verbraucher glauben, dass der verursachte Schaden auf das Gewinnstreben des Unternehmens zurückzuführen ist. Der Dieselskandal ist hierfür ein starkes Beispiel: Volkswagen wird unterstellt, die Abgastests gefälscht zu haben, um mehr Gewinn zu machen.
Länderstereotypen spielen in diesem psychologischen Prozess eine wichtige Rolle, da die Verbraucher auf sie zurückgreifen können, um Rückschlüsse auf die zugrundeliegenden Absichten des Unternehmens zu ziehen. Wir haben festgestellt, dass die wahrgenommene Wärme des Landes die Verbraucher dazu veranlassen kann, negative Informationen über mögliche gierige Absichten zu ignorieren, was wiederum negative Emotionen und Vergeltungsmaßnahmen verhindert. Krisen werden dann als weniger schlimm wahrgenommen.
Die abschwächende Wirkung von Länderfreundlichkeit ist jedoch auf Unternehmenskrisen beschränkt, die die Kompetenz betreffen. Negative Informationen, die moralische Werte des Unternehmens in Frage stellen, sind schwerer zu ignorieren, unabhängig vom Länderstereotyp.
Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein warmes Herkunftsland für Unternehmen aus diesem Land wie eine „Versicherungspolice“ gegen die ungünstigen Folgen einer Krise wirkt. Unternehmen sollten sich dieses Effekts bewusst sein und genau wissen, inwieweit die Verbraucher ihre Marke mit einem bestimmten Land assoziieren und inwieweit sie dieses Land als warm, freundlich und vertrauenswürdig empfinden.
Die Öffentlichkeit verurteilt Unternehmen eher, wenn sie gegen ethische Standards verstoßen, als wenn es um ihre fachliche Kompetenz geht. Wenn die Verbraucher eine Krise als moralisch bedenklich empfinden, verschwindet die abschwächende Wirkung der Wärme des Landes und kann das Unternehmen nicht vor Folgen, wie dem Reputationsverlust durch einen Shitstorm oder Boykott, schützen.
Was könnte dies also für Facebook im Jahr 2022 bedeuten? Ende 2021 benannte sich Facebook in Meta um, was die Neuausrichtung des Unternehmens auf die virtuelle Realität widerspiegelt. Diese Umbenennung könnte auch dazu beitragen, die schlechte Presse über Facebook hinter sich zu lassen. Es bleibt abzuwarten, ob Meta wirklich mit einer weißen Weste startet oder die Altlasten der Vergangenheit mit sich trägt. Auf jeden Fall wird die Öffentlichkeit ein wachsames Auge darauf haben.
Dieser Artikel ist zuerst auf Englisch bei The Conversation erschienen. Hier könnt ihr den Originalartikel lesen.
Übersetzung und Redaktion: Tarek Barkouni, Fotoredaktion: Till Rimmele, Schlussredaktion: Susan Mücke, Audioversion: Iris Hochberger
