Ein Aktien Makler sitzt an seinem Bildschirm und betrachtet ihn fasziniert.

© Getty Images / Drew Angerer

Geld und Wirtschaft

Wie ETFs die Finanzwelt verändern, verständlich erklärt

Wer jetzt fürs Alter vorsorgen will, kauft wahrscheinlich ETFs. Die demokratisieren aber nicht die Finanzmärkte, wie es oft heißt – sondern machen Big Player wie Blackrock noch mächtiger.

Profilbild von Rebecca Kelber
Reporterin für eine faire Wirtschaft

Von ETFs habe ich schon viel gehört, sollte ich in die investieren?

Wie du dein Geld anlegst, ist natürlich deine Entscheidung. Ich möchte dir hier zu nichts raten. Aber ich kann dir sagen: In passive ETFs zu investieren, ist günstiger als ein klassischer Investmentfonds und bringt langfristig mit großer Sicherheit ordentliche Erträge.

Auch wenn du mir nichts raten willst: Das klingt doch super!

Ja, passive ETFs sind der wahrgewordene Traum vieler Deutscher. Sie dürften auch ein Grund sein, warum sich inzwischen immer mehr an die Aktienmärkte wagen. Vielen Bankberater:innen laufen deshalb die Kund:innen weg.

Sekunde, das geht sehr schnell! Was war nochmal der Unterschied zwischen einem „klassischen“ Investmentfonds und einem ETF?

Fangen wir mal mit dem Investmentfonds an. Nehmen wir mal an, du und deine Freund:innen wollen in Aktien investieren. Aber was sollt ihr jetzt kaufen? Tesla, Siemens oder gar Gamestop? Zum Glück kennt sich dein Kumpel Henri aus. Er sammelt Geld von euch und legt es an. Ihr nennt das Ganze: „Wir vertrauen Henri“. In der echten Welt kennst du Henri aber nur flüchtig, wenn überhaupt. Er arbeitet nämlich in einer Bank oder einer Vermögensverwaltung und „Wir vertrauen Henri“ ist ein Investmentfonds.

Alle, die das nötige Kleingeld haben, können den Henris dieser Welt ihr Geld überlassen und er investiert, wie er es für richtig hält. Einmal am Tag könntet ihr euch über seinen Preis informieren und wenn der gut aussieht, steigen vielleicht noch andere mit ein. So lief das in den vergangenen Jahrzehnten in der Finanzwelt.

Und was ist bei ETFs anders? Wofür steht die Abkürzung überhaupt?

ETF steht für Exchange-Traded Fund, auf Deutsch also: Börsengehandelter Fonds. Und das beschreibt auch schon den größten Unterschied: Sie werden an der Börse gehandelt wie Aktien. Anders als bei Investmentfonds kannst du bei ETFs also jederzeit einsehen, wie die Preise liegen und sie kaufen oder verkaufen.

Also sind ETFs so flexibel wie eine Aktie, aber für mich weniger risikoreich?

Ja. Bei passiven ETFs ist das so.

Und was bedeutet „passiv“?

Bei passiven Fonds und passiven ETFs entscheidet nicht Henri darüber, was mit eurem Geld geschieht, sondern der Fonds bildet dann zum Beispiel einfach die Zusammensetzung einer externen Liste wie den amerikanischen Dax, den S&P 500. Er müsste dann also „Wir vertrauen dem S&P 500“, statt „Wir vertrauen Henri“ heißen. Manche nennen passive Investmentfonds auch Indexfonds.

Die ersten großen ETFs waren alle passiv, aber Hype sei dank sind sie jetzt in jeder erdenklichen Form verfügbar. Deshalb gibt es inzwischen auch ETFs, die doch wieder von einem Menschen kuratiert werden. Von Cannabis-ETFs bis Bitcoin-ETFs gibt es inzwischen alles. Trotzdem sind die passiven ETFs am größten, weshalb ich mich auf sie konzentriere.

Ich habe gehört, ETFs sind gerade für Einsteiger:innen gut?

Ja, denn du musst nicht den ganzen Tag Aktienkurse verfolgen oder wissen, was „Commodity Futures“ sind, um dich selbst um deine Altersvorsorge zu kümmern. Es reicht, dich einmal für einen Sparplan zu entscheiden. Du kannst dein Geld sogar dann liegenlassen, wenn der Finanzmarkt crasht. ETFs sind ein niedrigschwelliger Einstieg ins Aktiengeschäft. Sie sind easy. Deshalb sagen manche, passive ETFs würden die Finanzmärkte demokratisieren.

Okay, „manche sagen“ – du siehst das also anders?

Demokratisierung ist ein großes Wort – und zumindest nicht die ganze Geschichte. Es stimmt natürlich, dass passive ETFs auch Menschen wie dich und mich leichter zum Börsengewinner machen. Aber durch den massiven Hype hat sich die Macht auf den Finanzmärkten auf einige wenige Firmen konzentriert, die dadurch unglaublich mächtig geworden sind.

Sie beeinflussen, wie sich große Firmen auf der ganzen Welt verhalten und bringen mit einer bloßen Drohung den peruanischen Finanzminister dazu, sich ins Flugzeug setzen, um nach New York zu fliegen und mit den CEOs zu zu verhandeln. Dazu später mehr. Und das ist alles andere als demokratisch.

Okay, krass. Gib mir mal Zahlen: Um wie viel Geld geht es hier denn?

Noch im Jahr 2005 waren die Werte vernachlässigbar, aber seit der Finanzkrise steigt die Kurve stark an. 2020 waren 15 Billionen Euro in passiven Fonds angelegt.

Eine Säulenstatistik zeigt den stetigen Anstieg von Investionen in ETFs im Vergleich zu Indexfonds, in den USA, von 2000 bis 2020.

© KR/ Till Rimmele

Ehrlich gesagt kann ich mir solche großen Zahlen einfach nicht vorstellen.

Das geht mir ähnlich. Ich versuche es mal mit einem Vergleich: Würdest du bis 15 Billionen zählen und bräuchtest für jede Zahl eine Sekunde, wärst du 475.650 Jahre beschäftigt. Das ist länger, als es Homo Sapiens auf dieser Erde gibt.

Mir war nicht klar, dass 15 Billionen eine so riesige Zahl ist. Seit wann gibt es ETFs denn überhaupt?

Den ersten passiven Fonds für Privatinvestor:innen hat 1974 der damals 45-jährige Jack Bogle ins Leben gerufen, der für die Finanzwelt ungewöhnlich bescheiden war. Er hat zum Beispiel seine Kleidung getragen, bis sie auseinanderfiel. Im Interview mit dem Podcast Planet Money sagte er, sein Pulli sei 15 Jahre alt, seine Hose „nur“ acht. In der Hinsicht war er ein Kind seiner Zeit. Er kam mitten in der „Great Depression“ auf die Welt. Wegen der finanziellen Schwierigkeiten seiner Familie fing er schon mit zehn Jahren an zu arbeiten, schreibt CNBC. Bogle ist 2019 gestorben.

Aber damals, 1974, war Bogle von der Idee der Indexfonds überzeugt. Er hatte einen Artikel von Paul Samuelson gelesen, einem der Gründungsväter der neoklassischen Ökonomie. Der kritisierte dort die bisherigen Strategien von Börsenmakler:innen. Die betrachteten Kurven, sammelten Insiderinformationen oder hingen am Telefon, um zu kaufen und zu verkaufen, manchmal mit zwei Hörern gleichzeitig am Ohr, wie dieser Mann hier.

https://www.youtube.com/watch?v=8e1g-0n8iGo&t=48s

Aber all das würde weniger Gewinn bringen, als einfach den Märkten zu folgen. Weil es so unfassbar schwer sei, den Markt zu schlagen.

Was ich noch nicht verstehe: Wenn passive Investments so eine grandiose Idee sind und es die ersten Versuche schon in den 70ern gab, warum hat es dann so lange gedauert, bis sie sich durchgesetzt haben?

Einfach nur einen Index nachzubauen, statt strategisch zu überlegen, wo man wann Geld investieren wollte? Um dann so viel zu erwirtschaften, wie der Aktienindex hergab – niemals mehr? Das klang nach Mittelmaß. Und an Mittelmaß waren weder die Anleger:innen noch die Bänker:innen interessiert. Sie wollten Aufregung, Wettbewerb, nach Erfolg streben!

Darauf zu verzichten, galt einigen sogar als „unamerikanisch“.

Und was passierte mit Bogles Fonds?

Jack Bogle konnte für seinen Fonds trotz Werbekampagne mit elf Millionen Dollar nur ein Zehntel des erhofften Startvermögens anwerben. Ein Desaster. Am Anfang wurde Vanguards S&P 500 Index Fund in der Finanzwelt gerne „Bogles Folly“ – also Bogles Torheit – genannt. Auch zehn Jahre nach dem Start investierte kaum jemand in den Fonds. Wer Bogle nicht ignorierte, lachte ihn aus, weil er so starrsinnig an dieser Idee festhielt.

Manche schien sie aber doch zu besorgen. Konkurrent:innen hatten ein Plakat gedruckt, das vor Indexfonds warnte. Jahrzehnte später hing dieses Plakat immer noch in Bogles Büro. Das war, als die Finanzwelt Indexfonds längst als eine ihrer erfolgreichsten Erfindungen im 20. Jahrhundert sah und Bogle als Held feierte.

Und wann kam dieser Erfolg von Indexfonds?

Mit der Finanzkrise. Dafür gab es mehrere Gründe. Erstens spürten die Anleger:innen in der Krise, wie schief es gehen kann, wenn man Bankberater:innen oder Hedgefondsmanager:innen vertraut. Viele US-Amerikaner:innen verloren ihre Häuser, weil diese Teil undurchsichtiger Finanzprodukte gewesen waren. Die als unfehlbar geltende Investmentbank Lehman Brothers ging pleite. Nach diesen Ereignissen war es plötzlich verlockend, das eigene Geld einfach direkt an den S&P 500 Index zu binden.

Aber es gab doch auch schon vor 2008 Finanzkrisen, oder? Warum kam der Erfolg von passiven ETFs denn nicht früher?

Nun ja. Die großen Vermögensverwaltungen Vanguard und Blackrock begannen während der Finanzkrise in einem viel größeren Maße für passive ETFs zu werben. Dabei hat ihnen ein früher Fan von passiven Investments geholfen: Warren Buffet. Er wettete 2008 eine Million Dollar darauf, dass er mit Bogles Folly, dem Vanguard S&P 500, über zehn Jahre mehr Gewinn machen würde als ein Hedgefonds-Investor, der handverlesene Hedgefonds auswählen durfte. Buffet gewann haushoch. Und er sagte über Bogles: „Wenn eine Statue errichtet werden sollte, um die Person zu ehren, die am meisten für die amerikanischen Investoren getan hat, dann fiele die Wahl zweifellos auf Jack Bogle.“

War Jack Bogle am Ende seines Lebens denn reich?

Er war kein Milliardär wie Buffet. Ihm gehörte „nur“ ein hoher zweistelliger Millionenbetrag. Warren Buffett hat zehntausendmal so viel Geld.

Bogle hatte Vanguard so konstruiert, dass seine Firma nicht ihm, sondern allen gehörte, die in seine Fonds investierten.

Also sorry, aber wenig Geld ist das jetzt nicht gerade.

Nein, natürlich nicht. Aber wenn er gewollt hätte, hätte Bogle viel mehr Vermögen anhäufen können. Er war immerhin Gründer einer der beiden größten Vermögensverwalter der Welt. Vanguard und Blackrock zusammen verwalteten im Jahr 2020 insgesamt 16,6 Billionen Dollar. Würdest du die Summe in 50-Dollar-Scheinen aneinander kleben, reichte dieses Band 66-mal von der Erde bis zum Mond und wieder zurück. Und dann noch einmal bis zum Mond.

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Sag mal, ist Blackrock nicht diese Firma, bei der der CDU-Politiker Friedrich Merz im deutschen Aufsichtsrat saß?

Ja, das stimmt. Jetzt sitzt er aber wieder im Bundestag. Für uns viel interessanter als Merz ist deshalb dieser Mann:

Ein Mann mittleren Alters spricht enthusiastisch in einer Diskussionsrunde

Larry Fink, CEO von Blackrock, hat nicht nur sehr viel Vermögen, sondern auch sehr viel Macht. Die reicht sogar bis ins Weiße Haus. © Getty Images / for The New York Times/ Michael Cohen

Äh, das ist jetzt aber nicht Warren Buffett in jungen Jahren, oder?

Nein, das ist Larry Fink, der CEO von Blackrock und laut Financial Times der mächtigste Mann der Wall Street. Die Zeitung schreibt, er sei inzwischen in der Liga der Unternehmenschefs angekommen, über die man einfach mit Vornamen spricht, so wie Elon und – tatsächlich – Warren.

Nennen wir ihn also Larry. Larry hat eine dieser klassischen Aufsteigerbiographien, die Medien wie die Financial Times besonders lieben: Sein Vater war der Besitzer eines Schuhgeschäfts. Weil Fink in der Schule schlechter war als sein Bruder, musste er in seiner Jugend dort regelmäßig aushelfen. Seine Mutter war allerdings Englischprofessorin. Er war also kein Arbeiterkind, auch wenn diese Geschichte schnell so klingen kann. Nach der Uni nahm er einen Job bei der Investmentbank First Boston an und stieg dort schnell auf.

Wie in jeder guten Wall-Street-Wunderkind-Geschichte gab es auch in Larrys Leben den Moment der Niederlage, der Katharsis: Larry war nach eigener Aussage 1986 auf dem Weg, CEO der Firma zu werden, als sein Team und er 100 Millionen Dollar verloren.

100 Millionen Dollar!

Genau. Falls du dir nicht vorstellen kannst, wie viel das ist, guck dir mal diese Yacht an. Sie kostet so viel.

https://www.youtube.com/watch?v=fFWYoB4coww

Larry wurde also rausgeschmissen. Er gründete mit Kolleg:innen von First Boston eine neue Firma. Sie wurde später zu Blackrock.

Und Larry wurde Milliardär!

Ja, tatsächlich wird sein Vermögen auf eine Milliarde Dollar geschätzt.

Hat er deshalb so viel politische Macht, weil er so reich ist?

Nein, nicht in erster Linie, auch wenn das helfen mag. Seine politische Macht äußert sich anders. Blackrock ist zum Beispiel eng mit dem Weißen Haus verbandelt.

Tatsächlich beriet Blackrock ab 2008 für ein hübsches Sümmchen die Obama-Regierung und erklärte ihr, wie sie die Finanzkrise abwickeln könnte. Dabei gilt Larry als Erfinder eben jener Wertpapiere, die Immobilienkredite bündelten und die Finanzkrise auslösten, als sie platzten.

Oh.

Auch einige Berater:innen von Präsident Biden haben vorher bei Blackrock gearbeitet. Das macht Blackrock zur politisch einflussreichsten Wall-Street-Firma. Damit nimmt sie den Platz ein, den früher die Bank Goldman Sachs besetzt hielt. Dieser Text in den Blättern der deutschen und internationalen Politik spricht deshalb von „Blackrock-Kapitalismus“.

Okay, das ist natürlich interessant, aber solche Verbandelungen zwischen der Finanzindustrie und der US-Politik sind jetzt nichts Neues.

Das mag sein. Aber Blackrock beeinflusst nicht nur die Politik des Weißen Hauses. Gemeinsam mit Vanguard und einer dritten Firma namens State Street beherrschen Larry und Blackrock den ETF-Markt: 2016 hielten sie 71 Prozent des Marktes, schreiben die Politikwissenschaftler Jan Fichtner, Eelke Heemskerk und Javier Garcia-Bernardo in diesem Paper. Sie nennen das die versteckte Macht der großen Drei.

Denn diese drei Vermögensverwaltungen besitzen zusammen im Durchschnitt ein Fünftel jeder großen börsengelisteten US-Firma. Und auch bei den DAX-Unternehmen hält Blackrock bei jeder zweiten Firma den größten Anteil. Deshalb spricht eine Studie von 2019 vom „Gespenst der gigantischen Drei“.

Und das gabs früher so nicht?

Ähnlich mächtig waren zuletzt Finanzgiganten wie Rockefeller oder J.P. Morgan. Das ist allerdings schon hundert Jahre her. Und wenn Rockefeller den Kurs einer Firma für wenig Erfolg versprechend hielt, verkauften sie einfach ihre Aktien an dem Unternehmen, der Kurs fiel. Das wollten die Firmenchefs unbedingt vermeiden.

Ja, klar, in jeden Börsennachrichten erklärt ein Experte mit gewichtiger Stimme, warum die Anleger:innen gerade unruhig sind.

Genau. Hier gibt es aber einen entscheidenden Unterschied: Wenn Larry glaubt, eine Firma werde in den nächsten Jahre Verluste machen, kann er sie nicht einfach aus seinen großen passiven ETFs schmeißen.

Das ist auch der Grund, warum manche von ETFs immer noch rein gar nichts halten. Die Vermögensverwaltung Bernstein nannte passives Investment 2016 schlimmer als Marxismus – eine üblere Beleidigung kann es von einer US-Vermögensverwaltung wahrscheinlich nicht geben.

Nehmen die großen Drei denn auch Einfluss auf die einzelnen Unternehmen?

Ja, es gibt tatsächlich Hinweise darauf, dass die großen Drei sehr direkt Einfluss auf die Firmen nehmen, an denen sie Anteile halten. Es gibt die üblichen Wege übers Hinterzimmer. Wenn Blackrock mit dem Kurs eines Unternehmens nicht einverstanden ist, weil dieser nicht besonders Erfolg versprechend ist, können sie mit den Manager:innen plaudern. Das machen sie auch ganz gerne. Zwischen 2014 und 2015 trafen sich Blackrock-Manager:innen über 1.500-mal mit Vertreter:innen von Firmen, die sie in ihren Portfolios haben. Nicht-öffentlich, versteht sich.

Außerdem schreibt Larry seit der Finanzkrise ein Mal im Jahr einen Brief, der stets mit der Formel „Dear CEO“ beginnt. Darin rät Larry allen Firmenchefs dieser Welt, wie sie ihr Unternehmen handhaben sollten, um nachhaltigen Wert zu kreieren. Nicht nur die CEOs erwarten den Brief mit Spannung, auch die Finanzpresse stürzt sich auf ihn. Der deutschsprachige Wikipedia-Artikel zu Larry Fink listet alle „Dear CEO“-Briefe auf, die er je geschrieben hat.

Vor ein paar Jahren hat Larry die Klimakrise und soziale Verantwortung für sich entdeckt und ermahnt nun CEOs, ihre Firmen zu Nachhaltigkeitsvorbildern umzubauen.

Aha, und die CEOs hören alle auf Larry?

Erste Forschungen zeigen, dass Firmen in den USA ihre Sprache an die der „Dear CEO“-Briefe angepasst haben. Und zwar an einer entscheidenden Stelle: in den Unterlagen, in denen Unternehmen ihren Investor:innen ihr Handeln offenlegen müssen.

Außerdem: Dir ist ja bestimmt auch aufgefallen, dass inzwischen jede Firma nachhaltig sein will: Nike behauptet, sie würden die nachhaltigsten Sneaker der Welt produzieren, Starbucks verkündet groß, dass sie bei ihren Bechern auf Strohhalme verzichten, und fast jedes Kleidungsunternehmen hat inzwischen ein Sortiment, für das sie Biobaumwolle verwenden. Da gibt es zumindest eine Parallele zwischen dem, was Larry sagt, und dem, was CEOs tun.

Ja, aber das ist doch sehr oft Greenwashing, oder?

Oft ist es das, ja. Nike schreddert Recherchen zufolge neue Turnschuhe, in den strohhalmfreien Bechern von Starbucks ist mehr Plastik als zuvor enthalten und ein paar Kollektionen aus Biobaumwolle ändern nichts an den Problemen der Fast-Fashion-Industrie. Theoretisch hätten Larry und die großen Drei noch eine andere Möglichkeit, Firmen wirklich zu Nachhaltigkeit zu zwingen: die Hauptversammlung.

Diese jährliche Versammlung, bei der Firmenchefs im Anzug erklären, warum sie alles richtig machen und das nächste Jahr für das Unternehmen das allerbeste überhaupt werden wird?

Genau. Auch das kennst du ja bestimmt aus den Nachrichten: Hier kommen Aktionär:innen zu Wort, die mit den Gewinnzahlen oder dem Vorstandschef nicht zufrieden sind. Dort haben Blackrock und Co. zusammen durchschnittlich ein Viertel aller Stimmrechte. Das ist mehr, als sie Anteile besitzen. Denn längst nicht alle, die Aktien halten, kommen auch zu den Generalversammlungen. Diese Macht könnten sie bei entscheidenden Abstimmungen nutzen, um die Vorhaben der Firmenchefs zu blockieren.

Tun sie das denn auch?

Zumindest bei den Generalversammlungen selten. Dabei könnten Jack Bogles Nachfolger Tim Buckley, Larry und Ronald O’Hanley, der CEO von State Street, die Geschicke vieler Firmen bestimmen. Wenn Larry Klimaschutz so am Herzen liegt, wie er das in seinen Briefen verkündet, könnte er dafür sorgen, dass mit den Blackrock-Anteilen die Vorhaben unterstützt werden würden, die die Firmen zu mehr Klimaschutz zwingen. Denn auf Generalversammlungen gibt es meistens auch eine Handvoll aktivistischer Aktionär:innen, die genau das erzwingen wollen. Denen könnte sich Blackrock anschließen. In neunzig Prozent der Fälle stimmen die Big Three genauso ab, wie es das Firmenmanagement für seine Aktionär:innen vorschlägt – und nicht für mehr Umweltschutz.

Aha. Also sind Larrys Briefe auch nur Greenwashing?

Diese Kritik hat Larry oft zu hören bekommen. Nette Briefe darüber zu schreiben, dass ihm Klimaschutz wichtig ist, wird die Erde nicht retten. Um seinen Kritiker:innen den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat Blackrock deshalb angekündigt, ab jetzt Vertreter:innen seiner großen institutionellen Anleger selbst abstimmen zu lassen.

Aber das klingt doch gut, oder? Dann hat Blackrock nicht mehr alleine so viel Macht, sondern sie verteilt sich wieder mehr?

Najaaa. Tatsächlich verschiebt sich die Macht damit nur um eine Stelle weiter nach hinten. Denn die meisten großen institutionellen Anleger:innen sind Rentenfonds westlicher Staaten. Damit liegt es jetzt mit an ihrem Abstimmungsverhalten, ob Unternehmen wirklich höhere Umwelt- und Sozialstandards durchsetzen – oder das nur behaupten. Allerdings kommt durch diese Machtverschiebung noch ein weiterer Player ins Spiel: Die Index-Provider.

Index-Provider? Was machen die?

Im Grunde das, was ihr Name vermuten lässt. Sie stellen einen Index bereit, sowas wie den DAX. Also eine gewichtete Liste von Unternehmen, die nach Preis der Aktien oder nach der Marktkapitalisierung sortiert wird. Früher waren das einfach hilfreiche Informationen für Anleger:innen, auf deren Grundlage alleine noch keine Entscheidungen gefallen sind. Heute aber kann allein die Tatsache, ob eine Firma in einem der großen Indizes aufgelistet wird oder nicht, darüber entscheiden, ob Millionenbeträge in ihre Aktien fließen. Die weltweit größten und wichtigsten Firmen sind MSCI, S&P Dow Jones und FTSE Russell. Die verdienen ordentlich, mit durchschnittlichen Profitmargen von 60 Prozent. Und sie können jetzt politische Entscheidungen großer Länder beeinflussen.

Kannst du mir dafür ein Beispiel nennen?

Nehmen wir einen besonders wichtigen Index, den MSCI Emerging Markets. Er setzt sich aus börsennotierten Unternehmen von Schwellenländern zusammen. Damit kontrolliert der MSCI im Grunde, welche Länder als Schwellenländer gelten und welche nicht, sagt Jan Fichtner, der zu den Machtverschiebungen in der Finanzindustrie forscht.

Weil der MSCI kurz davor war, Peru aus dem „MSCI Emerging Markets“ auszuschließen, flog der peruanische Finanzminister im Jahr 2015
schnellstmöglich nach New York, um die Manager vom Gegenteil zu überzeugen, schilderte damals der Sender CNN. Denn hätte Peru nicht mehr als sogenannter Emerging Market gezählt, wären die Konsequenzen fatal gewesen. Mit einem Schlag wären Milliarden aus Perus Finanzmarkt weggeflossen, die Aktienkurse von Perus wichtigsten Firmen wären abgestürzt und hätten im schlimmsten Fall sogar bankrott gehen können.

Wie ging das aus?

Der Finanzminister betonte die Offenheit der peruanischen Märkte und schaffte es, den CEO des MSCI davon zu überzeugen, Peru im Index zu lassen.

Okay, aber was genau ist jetzt daran so neu? Solche Fälle gibt es doch bestimmt ständig, wenn es um die Indizes der Weltbank oder der WTO geht.

Tatsächlich sind die Kriterien denen relativ ähnlich, die die Weltbank anlegt: Wie offen die Märkte des Landes für ausländisches Kapital sind zum Beispiel.
Der große Unterschied ist, dass die Weltbank und die WTO internationale Organisationen sind, in denen Vertreter:innen aller Länder zumindest theoretisch ein Mitspracherecht haben. Die Index-Provider dagegen sind Privatfirmen, deren Entscheidungen nicht von einer Öffentlichkeit kontrolliert werden.

In diesem Paper wird noch ein anderes Beispiel beschrieben: Der MSCI hat 2019 eine Maßnahme beschlossen, die um die 80 Milliarden Dollar in den chinesischen Finanzmarkt fließen ließ. Im Gegenzug öffnete die chinesische Regierung ihre Märkte mehr für Investoren – was ihnen sehr schwer gefallen sein dürfte.

Anfangs hatten wir ja eigentlich gesagt, dass ETFs für Anleger:innen etwas Gutes sind. Jetzt bin ich etwas besorgt, dass ich mit dem Kauf von ETFs doch wieder den Falschen vertraue. Ist denn mein Geld in ETFs wenigstens sicher? Was passiert etwa bei einer Finanzkrise mit ETFs?

Es gab ja seit 2008 keine große Finanzkrise mehr. Aber viele Expert:innen waren besorgt, dass ETFs solche Krisen befeuern könnten. Auch Jack Bogle hielt von ETFs bis zum Schluss gar nichts. Er kritisierte, dass die Kurse von ETFs steil nach oben oder unten schießen können, wenn die Investoren verunsichert sind. Das kann gerade bei komplizierten Finanzprodukten zum Problem werden. Auch ein Bericht des Europäischen Systems für Finanzstabilität warnte vor den systemischen Risiken, die ETFs mit sich bringen können.

Okay, das klingt ja wirklich nicht gut?

Im Frühjahr 2020 unterlagen die ETFs einem großen Stresstest: der Corona-Pandemie. Du erinnerst dich bestimmt, wie anfangs alle davon ausgingen, dass wir in eine Wirtschaftskrise schlittern.

Oh ja!

Damals pumpte die US-Notenbank Fed Unmengen Geld in die Finanzmärkte, unter anderem auch in ETFs. Tatsächlich wurden ETFs so viel gekauft wie sonst nie. Das heißt, zumindest in diesem ersten Ernstfall ist alles gut gegangen.

Ich brauche von dir jetzt doch noch ein Fazit. Ich kann bedenkenlos in ETFs anlegen?

ETFs mögen für dich eine gute Anlagestrategie sein, weil sie relativ sicher und stabil sind.

Aber es stimmt nicht, dass ETFs den Aktienhandel demokratisieren?

Nein. Sie feuern nur enorme Machtverschiebungen an, deren letzte Konsequenzen noch niemand kennt.

Wirklich niemand? Warren Buffet weiß doch sonst immer alles! Kannst du mal einen Blick in die Glaskugel werfen?

Auch wenn passive Fonds einen immer größeren Anteil am Markt ausmachen, ist es unwahrscheinlich, dass sie ihn komplett übernehmen. Ja, die klassischen Investmentfonds verschwinden. Aber gerade sieht es so aus, als ob Hedgefonds bleiben würden. Es bildet sich also ein Gleichgewicht, eine Art Hantel heraus, bei der die beiden extremen Pole größer werden. Außerdem spricht vieles dafür, dass ETFs bald den klassischen Investmentfonds ablösen. No more Henri also! Das US-amerikanische Wirtschaftsmedium Bloomberg hat ETFs schon zum neuen König der Finanzindustrie gekrönt.


Redaktion: Lisa McMinn, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Till Rimmele; Audioversion: Iris Hochberger und Christian Melchert

Wie ETFs die Finanzwelt verändern, verständlich erklärt

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