„Dear Mr. Elon Musk“, so beginnt Gennady Schukin, Vertreter einer Gruppe von indigenen russischen Völkern am 6. August 2020 einen offenen Brief. Er wendet sich an den Chef von Tesla, den Milliardär, Exzentriker und bekanntesten Hersteller von E-Autos, Elon Musk, und bittet ihn, kein Nickel und Kupfer des russischen Unternehmens Nornickel zu kaufen.
Tesla braucht Nickel und Kobalt für die Batterien und Kupfer für die Motoren seiner Elektroautos. Die Förderung von Nickel richtet in Nordrussland und Sibirien große Schäden an. Gennady Schukin schreibt: „Das Land der indigenen Menschen, das sich das Unternehmen für die industrielle Produktion angeeignet hat, ähnelt nun einer Mondlandschaft und es ist nicht mehr möglich, es auf traditionelle Weise zu nutzen.“
Im Jahr 2016 tritt aus einem Leck in einer Fabrik von Nornickel Industriemüll aus. Ein Fluss färbt sich rot.
2019 zeigen Bilder der NASA, dass die Fabriken von Nornickel den weltgrößten Hotspot von Schwefeldioxidemissionen bilden.
Im Mai 2020 laufen 20.000 Tonnen Diesel aus dem Tanklager eines Wärmekraftwerks von Nornickel aus und verseuchen Böden und Flüsse.
Im Juni 2020 pumpt Nornickel Abwasser aus seinen Fabriken in die Umwelt.
E-Autos sollen dabei helfen, die Klimakrise zu stoppen. Doch unter dem Abbau der dafür nötigen Rohstoffe leiden jene Menschen, die am wenigsten zur Klimakrise beigetragen haben.
Es geht mir nicht darum, E-Mobilität an sich zu kritisieren. Die AfD verwendet zum Beispiel ähnliche Argumente (Kinderarbeit und Umweltzerstörung), um Werbung für Verbrennungsmotoren zu machen. Aber E-Mobilität ist ein wichtiger Baustein der Verkehrswende und notwendig, wenn der Kampf gegen den Klimawandel funktionieren soll. Doch die Produktionsbedingungen finden zu wenig Beachtung.
Die E-Mobilität verschlingt immer mehr Rohstoffe
Klar – auch völlig ohne E-Autos gäbe es eine Menge Rohstoffabbau auf der Welt. Doch durch E-Autos wird er zunehmen. Das Öko-Institut hat das in einer Studie berechnet. Ich zeige das an drei Beispielen: Kobalt, Lithium und Nickel.
Alle Länder der Erde haben im vergangenen Jahr zusammen 77.000 Tonnen Lithium und 144.000 Tonnen Kobalt abgebaut. Elf Jahre später, im Jahr 2030 würde allein der Sektor E-Mobilität, also Elektroautos, Pedelecs, elektrisch betriebene Busse, LKWs und Motorräder, mehr als dreimal so viel Lithium (240.000 Tonnen) und fast dreimal so viel Kobalt benötigen, nämlich 400.000 Tonnen. Bei Nickel ist der Trend nicht ganz so extrem. Nickel kommt in vielen Alltagsprodukten vor, in Münzen, Gitarrensaiten und Edelstahllegierungen. Weltweit wurden im vergangen Jahr 2,7 Millionen Tonnen gefördert. 2030 würde allein der E-Mobilitäts-Sektor 1,4 Millionen Tonnen Nickel verbrauchen, also immerhin die Hälfte der derzeit geförderten Menge.
Tatsächlich könnten die Rohstoffe für die E-Auto-Hersteller sogar zeitweise knapp werden. Elon Musk wandte sich im vierteljährlichen „Conference Call“ von Tesla direkt an Nickel-Förderer mit der Bitte: „Bitte baut mehr Nickel ab.“
Daraufhin schrieben die indigenen Völker in Russland ihren Brief – aus Sorge, Musk könnte mit Nornickel zusammenarbeiten. Welche Nickel-Unternehmen Tesla genau in seiner Lieferkette hat, macht die Firma nicht öffentlich.
Zwei Wochen später starteten indigene Vertreter:innen eine Social-Media-Kampagne: #AnswerUsElonMusk. Ob ein Gespräch zwischen den indigenen Völkern in Russland und Elon Musk stattgefunden hat, weiß ich nicht. Keine der beiden Parteien hat auf meine E-Mail zu dieser Frage reagiert.
Auch an anderen Orten hat der Abbau von Nickel negative Folgen für die Menschen – zum Beispiel auf den Philippinen, dem derzeit zweitgrößten Nickelproduzenten der Erde.
Die philippinische Umweltministerin schließt drei Viertel der Bergbauunternehmen
Gehen wir vier Jahre zurück: 2016 wurde Gina Lopez Umweltministerin der Philippinen. Lopez, die aus einer reichen Familie kam, hatte in den USA studiert und dort Meditation für sich entdeckt. Als Yoga-Missionarin reiste sie um die Welt. In den Neunzigerjahren kehrte sie zurück auf die Philippinen, wurde Umweltaktivistin und setzte sich gegen den Abbau von Rohstoffen wie Nickel, Gold und Kupfer ein.
Nachdem Lopez Umweltministerin wurde, ließ sie 23 der 41 Bergbauunternehmen des Landes schließen. Lopez hatte vor allem den Bergbau in Wassereinzugsgebieten kritisiert. Bergbau verbraucht viel Wasser und in Teilen der Philippinen kommt es alle paar Jahre durch das Wetterphänomen El Niño zu Dürren. Bergbau in diesen Gebieten gefährdet Reisanbau und kann das Trinkwasser verseuchen. Dort Bergbau zu erlauben, sei, „als ob man sagen würde, dass Gold und Nickel wichtiger sind als das Wasser, das die Menschen trinken“, sagte Gina Lopez der New York Times.
Dazu kommt: Viele Bergbauunternehmen beuten dort Rohstoffe aus, wo indigene Völker leben. Wenn sie ihr Land verlassen müssen, gehen die Menschen oft in die Städte und leben in Slums. Dazu kommt, dass Land für viele indigene Menschen eine besondere Bedeutung hat. Es ist das Land ihrer Vorfahren, das Land, mit dem sie spirituell verbunden sind. Eigentlich ist im philippinischen Gesetz verankert, dass die indigenen Menschen ihre Zustimmung geben müssen, wenn Unternehmen Rohstoffe auf ihrem Land abbauen wollen. Eine Studie geht jedoch davon aus, dass Unternehmen in mehreren Fällen dabei betrogen haben: Etwa, indem Menschen zugestimmt haben, die gar nicht zu der Gemeinschaft gehörten oder Menschen, die das Unternehmen davor bestochen hatte.
Lopez war nur zehn Monate lang Umweltministerin. Aus der Bergbauindustrie gab es massiven Widerstand. Der philippinische Kongress, der normalerweise die vom Präsidenten ernannten Minister in einer Formsache bestätigt, verweigerte das bei Lopez. Ihr Nachfolger ließ einige Unternehmen geschlossen, andere durften wieder öffnen. Gina Lopez starb zwei Jahre später im Alter von 65 Jahren an Multiorganversagen.
Die Philippinen und Russland sind nur zwei Beispiele, die zeigen, wie westliche E-Mobilität auf Kosten armer Menschen im globalen Süden geht. Es gibt viele weitere. Im Kongo bauen Kinder Kobalt ab. In Argentinien und Bolivien streiten Lithium-Produzenten mit Menschen vor Ort um Wasser.
E-Mobilität in Deutschland zu fördern, das bedeutet mit großer Wahrscheinlichkeit, Ausbeutung auf der anderen Seite der Erde zu unterstützen. (Natürlich gibt es auch eine andere Seite: Menschen arbeiten bei den Bergbauunternehmen vor Ort und ernähren so ihre Familie.)
Wie wir Rohstoffe abbauen können, ohne Menschen auszubeuten
Die Frage ist also: Wie können Unternehmen Rohstoffe so abbauen, dass die Menschen vor Ort davon profitieren und die Natur so wenig wie möglich leidet?
Politik und Wirtschaft müssen sicherstellen, dass Unternehmen so viele Rohstoffe wie möglich recyceln. In diesem Text gehe ich genauer auf dieses Thema ein. Das Öko-Institut schreibt in seiner Studie, dass E-Auto-Hersteller im Jahr 2030 zehn Prozent ihres Rohstoffbedarfs durch Recycling decken könnten – im Jahr 2050 vierzig Prozent.
Und die Rohstoffe, die wir dann immer noch brauchen? Hier müssen wir darüber sprechen, wie deren Abbau möglich ist, ohne die Rechte der Menschen vor Ort zu missachten. Ein Schritt in diese Richtung: den Menschen zuhören, die betroffen sind.
Gennady Schukin zum Beispiel hat Elon Musk nicht gebeten, für immer auf Nickel von Nornickel zu verzichten. Sondern nur, solange diese Forderungen der indigenen Völker Russlands nicht erfüllt sind. Nornickel soll:
- von einer unabhängigen Stelle bewerten lassen, welche Umweltschäden der Bergbau in der Region angerichtet hat und wie die ökonomischen Aktivitäten der indigenen Menschen darunter leiden.
- die indigenen Menschen dafür entschädigen, dass sie nicht mehr auf traditionelle Weise auf ihrem Land leben können.
- das verschmutzte Gebiet renaturieren.
- indigene Menschen umfassend informieren und ihr Einverständnis einholen, bevor das Unternehmen Projekte auf ihrem Land plant.
Das Öko-Institut schlägt in einer Studie für den Thinktank „Agora Verkehrswende“ drei Maßnahmen vor, um die Bedingungen beim Abbau von Rohstoffen zu verbessern. Erstens: Eine globale Industrieallianz für nachhaltiges Lithium. Die Autobranche, Zulieferer, die Bergbauunternehmen und Vertreter:innen der Menschen vor Ort sollen sich zusammentun und weltweit geltende Standards für die Förderung erarbeiten.
Zweitens: Unternehmen sollen verpflichtet werden, die gesamte Lieferkette von Kobalt nachzuvollziehen. Die EU hat bereits eine Verordnung zu Konfliktmineralien (Zinn, Tantal, Wolfram und Gold) beschlossen, die 2021 in Kraft tritt. Kobalt ist aber darin bisher nicht enthalten.
Drittens: Mehr Kooperation zwischen den Import- und Produktionsländern, um Technologien für einen umweltfreundlichen Abbau weiterzugeben.
Außerdem streiten deutsche Politiker:innen gerade um ein Lieferkettengesetz. Arbeitsminister Hubertus Heil von der SPD und Entwicklungsminister Gerd Müller von der CSU wollen ein solches Gesetz, das definieren soll, welche Pflichten Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte in ihren Lieferketten haben. Außerdem sollen Arbeiter:innen leichter Schadenersatz von deutschen Unternehmen bekommen können. Wirtschaftsverbände und auch Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) befürchten, dass das Gesetz die deutschen Unternehmen zu stark belasten könnte. Altmaier setzt sich für eine abgeschwächte Form ein. Müller will das Gesetz noch vor Weihnachten verabschieden – ob das klappt, ist aber noch nicht klar.
Ein bisschen Hoffnung macht die Schweiz: Dort wurde die „Konzernverantwortungsinitiative“, in einer Volksabstimmung angenommen, die Schweizer Unternehmen zu Menschenrechten und Umweltschutz weltweit verpflichten soll.
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Susan Mücke; Bildredaktion: Till Rimmele.
Nachtrag, 10.12.2020: Wir haben die Überschrift nach Veröffentlichung verändert, da die ursprüngliche zu spitz und zu pauschal war.