In Wien steht ein 84 Meter hohes Hochhaus mit 22 Stockwerken. Aus Holz.
In Heilbronn gibt es immerhin ein 34 Meter hohes Haus mit zehn Stockwerken. Auch aus Holz. Das „E3“-Haus in Berlin-Prenzlauer Berg ist 25 Meter hoch und hat sieben Etagen. Das alles ist vielleicht nicht außergewöhnlich hoch, aber, wie gesagt: Es ist aus Holz.
Vielleicht war ich noch nicht deutlich genug: Es gibt mehrere Dutzend Meter hohe Hochhäuser aus Holz. Ist das nicht völlig irre? Wie kann es das überhaupt geben? Beziehungsweise: Wenn es das geben kann, warum erst jetzt?
Holz wächst auf der Erde seit über 400 Millionen Jahren. Der Bau von Hochhäusern, wie wir sie heute kennen, begann in den USA im 19. Jahrhundert. In Nordamerika gab und gibt es unfassbar viel Holz. Warum wurden Hochhäuser nicht von Anfang an aus Holz gebaut? Doch wahrscheinlich, weil das Zeug brennt und so weiter? Man hat sicher nicht ohne Grund damit aufgehört, Häuser aus totem Wald zu fabrizieren. Ist das heute denn ein anderes Holz?
In der sechsten Folge meiner Architekturserie geht es um den Hype um ein altes Material. Aber wenn man den Holz-Hype, der in der Architektur und im Bauwesen stattfindet, begreifen will, muss man sich klarmachen: Es ist einfach nicht mehr dasselbe Holz wie früher. Der gute alte Baum wird im modernen Holzbau in völlig anderer Weise verwendet als im Zimmermannshandwerk. Zwar wächst Holz auch heute noch im Wald, hat zu Lebzeiten Blätter dran, ist von Eichhörnchen bevölkert und wird irgendwann von wortkargen Menschen in Karohemden und Sicherheitsschuhen umgesägt. Aber massive Balken aus hundertjährigen Eichen werden heute nur noch für denkmalgeschützte Fachwerkhäuser oder historische Segelschiffe gebraucht. Was heute verbaut wird, sind: Holzwerkstoffe.
Ein Sägewerk ist heute eine volldigitale Riesenmaschine
Was macht einen Stoff zum Holzwerkstoff? Es fängt schon damit an, dass man Baumstämme nicht mehr beschaulich durch eine Gattersäge schiebt. Ein Sägewerk ist heute eine volldigitale Riesenmaschine, die jeden Stamm einzeln scannt und mit beängstigender Geschwindigkeit, individuell zurechtgedreht, durch Fräsen und Kreissägen schickt, die ihn optimiert zerlegen. Schaut euch mal dieses Video an. Es zeigt ein topmodernes Sägewerk in Estland:
https://www.youtube.com/watch?v=atfeecjLH5g
Von früher kennt man noch das gute alte Sperrholz – sehr dünne Holzschichten, die kreuzweise übereinander geleimt werden. Moderne Holzwerkstoffe sind die Neffen und Nichten des Sperrholzes. Auch sie bestehen aus übereinander geklebten Schichten, nur etwas dicker. Die beiden wichtigsten Produktarten sind dabei das Brettschichtholz und das Brettsperrholz, die aus Lagen von drei bis vier Zentimeter dicken Brettern gepresst werden.
Brettschichtholz, auch Leimbinder oder Leimbalken genannt, besteht einfach aus gestapelten und verleimten Brettern. Daraus kann man fast beliebig lange und dicke Bauelemente herstellen. Der klassische Anwendungsfall sind Sporthallen – ich möchte wetten, dass so ziemlich jede:r von euch schon einmal so ein ähnliches Dach von unten gesehen hat:
Neuer ist das Brettsperrholz, bei dem mehrere Schichten von Brettern nicht parallel, sondern kreuzweise verklebt werden. Die fertigen Platten können ohne Weiteres mehr als zehn Meter lang und vier Meter breit sein. Dieses Produkt wurde erst in den neunziger Jahren entwickelt und ist in Deutschland noch nicht lange zugelassen. Es ist vermutlich die Kerninnovation, die viele neuere Holzbauten erst ermöglicht hat. Schaut euch einmal dieses Gebäude in Leipzig-Lindenau an – es wurde 2017 fertiggestellt und hat 2019 den Sächsischen Staatspreis für Baukultur erhalten:
https://www.youtube.com/watch?v=c9O77CSMfsI
Dieser Bau zeigt eine ganze Reihe von Merkmalen, die für neuere Holzbauten typisch sind: Erst einmal besteht es eben nahezu komplett aus Brettschichtholz und Brettsperrholz. Nur das Treppenhaus, der Aufzugschacht und das torförmige Element, auf dem der „Bug“ des Baus aufliegt, sind aus Stahlbeton. Das ist gerade bei hohen Holzhäusern sehr häufig, weil so ein Betonschacht die ganze Konstruktion versteift wie eine Pappe in einer Sahnetorte.
Außerdem ist die Außenfassade aus Lärchenholz, was ich persönlich super finde, weil ich Lärchen schon im Kindergarten geliebt habe. Sie stechen unter den Nadelbäumen nämlich dadurch hervor, dass sie im Herbst ihre Nadeln abwerfen und so irgendwie sympathischer sind als die blöden immergrünen Streberbäume. Außerdem sind ihre Zapfen lustige, winzige Knubbel. Das ist allerdings für den Wert der Lärche als Bauholz unerheblich. Er hat damit zu tun, dass Lärchenholz schwer, hart und wasserbeständig ist (früher wurde sie für Windmühlenflügel verwendet) und vor allem damit, dass sie im Alter eine schöne silbergraue Patina entwickelt. Daher sind freiliegende Holzfassaden in den letzten Jahren gefühlt immer aus Lärche.
Viele moderne Holzhäuser sind eigentlich Plattenbauten
Und: Holz ist leicht. Sehr leicht. Ein Kubikmeter Schichtholz aus massiver Lärche wiegt 590 Kilogramm, ein Kubikmeter Stahlbeton in der Regel 2.000 bis 2.500 Kilogramm, also das Drei- bis Vierfache. Das macht vieles möglich: Das Gebäude in Leipzig hat zum Beispiel Verkaufsräume im Erdgeschoss, die sich über zwei Stockwerke spannen. Eine sehr luftige Konstruktion, die mit schwereren Baustoffen nicht so ohne Weiteres möglich wäre.
Und jetzt kommts: Viele moderne Holzhäuser sind eigentlich Plattenbauten. Plattenbauten? Ja, denn das Prinzip ist das gleiche: Im Idealfall werden einzelne Gebäudeteile mitsamt ihren Öffnungen, Schrägen und so weiter komplett vorgefertigt geliefert. Auf der Baustelle werden sie dann nur noch zusammengesetzt. Fertighäuser auf dem Dorf werden heutzutage in aberwitziger Geschwindigkeit aus Holzmodulen zusammengeklickt. Dieses Haus bei Köln wurde an einem einzigen Arbeitstag aufgebaut.
Was ist jetzt der große Vorteil daran, dass man heutzutage Bäume nicht mehr zu dicken Balken zurechtsägt, sondern sie durch computergesteuerte Höllensägewerke jagt und hinterher schichtweise wieder zu riesigen Fertigteilen zusammensetzt? Vor allem eines: Es ist egal, wie groß die Bäume waren.
Im 18. Jahrhundert haben sich Schiffbauer in ganz Europa auf die Suche nach hohen, alten Eichen gemacht. Wenn ein Designer heute sein Wohnküchenloft mit einer Holzkonstruktion überspannen möchte, reichen ein paar Meter mickriger Nadelwald im Hunsrück.
Wenn es um Masse und nicht um Maße geht, dann ist Holz im Überfluss vorhanden. In Europa hat die Waldfläche zwischen 1990 und 2015 um 90.000 Quadratkilometer zugenommen – das entspricht etwa der Fläche Portugals oder 35-mal der des Saarlands (in den deutschen Medien sind wir quasi dazu verpflichtet, jede größere Fläche in Saarländer umzurechnen, mit diesem Rechner könnt ihr es selber tun). In Deutschland werden jedes Jahr 70 Millionen Kubikmeter Holz geschlagen, während 120 Millionen Kubikmeter nachwachsen. Die Waldnutzung ist also nachhaltig.
Damit sind wir direkt beim Hauptgrund dafür, warum Holzbau als so sexy gilt: Holz ist ein natürlicher Werkstoff. Während bei der Herstellung des Zements für eine Tonne Beton mehr als 100 Kilogramm CO2 in die Atmosphäre geblasen werden, entfernt das Heranwachsen von einer Tonne Holz mehr als eine halbe Tonne CO2 aus der Luft. Und dahin kehrt es auch nicht wieder zurück, solange das Haus nicht abgerissen und verheizt wird.
Holzbau hilft dem Klimaschutz
Soviel wie möglich aus Holz zu bauen, scheint daher ein guter Weg, nicht nur CO2 einzusparen, sondern sogar welches zu kompensieren. Die Möglichkeiten sind beachtlich, aber nicht gigantisch. Nach Überlegungen an der Uni Bochum könnte der Holzbau innerhalb von 15 Jahren etwa 23,9 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Allein der Verkehrssektor stößt aber pro Jahr 180 Millionen Tonnen aus.
Holzbau allein wird das Klima also nicht retten. Aber das Attraktive an ihm ist eben, dass er die CO2-Kompensation und viele andere Vorteile vereint. Zum Beispiel kann man so wunderbar bestehende Gebäude um zusätzliche Etagen erweitern. Ein typischer Fall dafür sind neue Wohnungen über Parkdecks, wie hier in Jena:
Die große Frage, die euch wahrscheinlich seit dem Anfang dieses Beitrags begleitet, habe ich allerdings noch nicht beantwortet. Holz brennt.
Einer der Gründe, warum die Amerikaner:innen Wolkenkratzer bauten, war der Große Brand von Chicago. 1871 brannte die Stadt, die damals aus ziemlich viel Holz bestand, wie Zunder (angeblich, weil eine Kuh eine Laterne umgestoßen haben soll, aber so genau weiß man das nicht). Wie kommt man heute damit klar?
Zuerst einmal: Dass Holz brennt, ist nicht so schlimm, wie man sich das normalerweise vorstellt, da es an der Oberfläche relativ langsam verkohlt. Dicke Holzträger können einem Feuer problemlos die oft geforderten 90 Minuten standhalten. Aber dafür braucht man die modernen, unter sehr genau kontrollierten Bedingungen hergestellten Holzwerkstoffe mit exakt definierten Eigenschaften. Außerdem kann man natürlich Holzteile genauso mit Brandschutzplatten einpacken wie Stahlträger.
Und zu guter Letzt gibt es mittlerweile einen ausgefeilten technischen Brandschutz, den man 1871 so noch nicht hatte: Das Holzhochhaus „Skaio“ in Heilbronn hat eine Sprinkleranlage, wie man sie von Hotels und Kaufhäusern kennt. Außerdem ist das Treppenhaus abgedichtet und hat eine aktive Belüftung, damit der Fluchtweg im Ernstfall rauchfrei bleibt.
Schon heute ist jeder fünfte Neubau in Deutschland aus Holz. Und ihr dürft davon ausgehen, dass in Zukunft auch in eurer Stadt immer mehr Häuser aus Leimbindern und Brettsperrholz zusammenmontiert werden. Wenn ihr auf dem Land wohnt oder auch nur im Speckgürtel, dann besteht wahrscheinlich ohnehin schon mehr um euch herum aus Holz, als ihr vielleicht meint, nämlich die meisten Fertighäuser.
Aktuell muss man um die Holzversorgung in Europa nicht fürchten. Zwar sterben gerade riesige Flächen Fichtenwald ab. Aber das hat die Forstwirtschaft längst akzeptiert und damit begonnen, sie durch Mischwald zu ersetzen. Allerdings fangen auch heimische Baumarten damit an, unter immer häufigeren Dürren zu leiden. So gesehen könnte man sagen: Wir sollten soviel wie möglich mit Holz bauen, um das Klima zu schützen – damit wir auch in hundert Jahren noch so viel Holz haben wie heute.
Redaktion: Philipp Daum, Schlussredaktion: Susan Mücke, Fotoredaktion: Martin Gommel