Die Türkei will jetzt Schulen in Deutschland eröffnen – 10 Fragen und Antworten

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Die Türkei will jetzt Schulen in Deutschland eröffnen – 10 Fragen und Antworten

Warum will die Türkei drei Schulen in Deutschland gründen? Wird dort dann Türkisch statt Englisch unterrichtet? Welche Rolle spielt die viel diskutierte Maarif-Stiftung dabei? Und wer eigentlich würde dann seine Kinder auf diese Schulen schicken? Hier beantworte ich die wichtigsten Fragen zur Debatte.

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1. Warum will die Türkei gerade jetzt Schulen in Deutschland eröffnen? 

Der Anlass geht auf das Jahr 2018 zurück. Damals erschien zu Ferienbeginn im Sommer eine Delegation der türkischen Behörden vor der deutschen Schule in Izmir und versiegelte das Gebäude. Polizei und Vertreter des türkischen Erziehungsministeriums teilten dem Leiter der deutschen Schule mit, diese werde illegal betrieben. Die türkischen Behörden wollten mit dieser Aktion darauf hinweisen, dass es ein Ungleichgewicht gab: Die Regierung von Präsident Erdoğan will in Deutschland Schulen betreiben – wie es Deutschland in der Türkei seit langem auch tut. Es gibt dort drei deutsche Auslandsschulen, in Ankara, Istanbul und Izmir. Die Grundlage für diese Schulen bildet das am 8. Mai 1957 zwischen der Türkei und Deutschland unterzeichnete Kulturabkommen. Die deutschen Schulen sind in freier Trägerschaft Privatschulen nach deutschem Recht.

2. Darf die türkische Regierung in Deutschland Schulen gründen?

Wie das genau funktionieren soll, ist noch nicht endgültig geklärt. Bilaterale Gespräche zwischen den Regierungen laufen noch. Aber grundsätzlich dürfen ausländische Staaten Privatschulen oder Ersatzschulen in Deutschland eröffnen. Laut einer Umfrage des Mediendienstes Integration (einer Informationsplattform für Medienschaffende zu den Themenfeldern Migration, Integration und Asyl in Deutschland) unter den Bildungsministerien der Länder gibt es mindestens 67 ausländische Schulen in Deutschland. Die meisten davon sind demnach dänisch, daneben gibt es vor allem griechische, französische und japanische Schulen. Aber: Die Staaten dürfen nicht selbst als Schulträger in Erscheinung treten. Auch in Deutschland würde nicht die türkische Regierung, sondern ein privater Verein die Schulen gründen.

Im April letzten Jahres wurde bereits eine gemeinnützige Gesellschaft in Köln gegründet, eine Tochter der türkischen Maarif-Stiftung, und ins Handelsregister eingetragen. Vermutlich wird die Maarif-Stiftung für die türkischen Schulen in Deutschland verantwortlich sein. Diese muss die Schulen in den ersten drei Jahren betreiben und finanzieren. Nach drei Jahren werden die Kosten weitgehend von den Bundesländern getragen, da sie eine staatliche Aufgabe übernehmen.

3. Werden in den türkischen Schulen dann andere Inhalte gelehrt?

Die Türkei strebt die Einrichtung von drei Gymnasien mit bilateral anerkannten Lehrplänen an und zwar in Köln, Berlin oder Frankfurt am Main – allesamt Städte also, in denen der Anteil türkischstämmiger Menschen besonders hoch ist. Welche Inhalte an diesen Schulen gelehrt werden sollen, ist Teil der aktuell laufenden, vertraulichen Verhandlungen. Doch generell gilt für alle Ersatzschulen in Deutschland: Sie müssen Lerninhalte vermitteln, die denen in öffentlichen Schulen gleichwertig sind.

4. Und mit welchen Methoden und mit welchem Personal soll das passieren?

Die Lehrmethoden und das Personal können die Schulen grundsätzlich selbst bestimmen. Falls aber der Erwerb eines türkischen Abiturs möglich sein sollte, dann braucht man eventuell Lehrkräfte auch aus dem türkischen System. Das ist derzeit auch ein wichtiger Punkt bei den Verhandlungen.

5. Welche deutschen Behörden kontrollieren die Schulen? 

Die Schulen stehen grundsätzlich unter der Aufsicht der jeweiligen Bundesländer und deutscher Schulbehörden.

6. Wie denkt die türkische Community über die geplanten türkischen Schulen in Deutschland?

Ich habe mit einigen Menschen aus der Community gesprochen. Gaye Topdemir lebt seit drei Jahren in Deutschland. Der 29-jährigen Umweltingenieurin ist es ein wichtiges Anliegen, dass ihre Kinder die türkische Sprache gut beherrschen. Nur aus diesem Grund würde sie ihre Kinder auf eine türkische Schule schicken. Etwas anders denkt Hasan Bal. Der 35-jährige Arbeiter würde seine Kinder gerne auf eine türkische Schule in Berlin schicken. Er glaubt, dass seine Töchter mit Kopftuch in diesen Schulen besser aufgehoben wären.

Kritische Stimmen gibt es in der Community auch. So befürchtet Gül Can, dass sich der türkische Staat in den Schulen einmischen wird. Ihrer Meinung nach könnten die Kinder mit einer Ideologie aus der Türkei indoktriniert werden. Außerdem äußert die 32-jährige Ergotherapeutin die Sorge, dass die Integration der Kinder und Jugendlichen verhindert wird und die türkische Gemeinde in Deutschland gespalten werden könnte.

7. In Berlin gibt es bereits eine europäisch-türkische Aziz-Nesin-Schule. Wieso schicken Eltern ihre Kinder auf diese Schule? 

Oft geht es um die Sprache. Manche der türkischstämmigen Eltern wollen, dass ihre Kinder die türkische Sprache gut beherrschen. Es gibt auch binationale Eltern, die aus dieser Motivation heraus ihre Kinder in eine solche Schule schicken wollen. Oder aber Eltern, die in den vergangenen zwei, drei Jahren aufgrund politischer Probleme die Türkei verlassen mussten und nach Berlin gekommen sind, wie Ayca Kocatepe. Sie hat ihre Tochter auf die Aziz-Nesin-Schule geschickt. Sie sagt, dass ihre neunjährige Tochter ihr ganzes Leben von heute auf morgen hinter sich lassen musste und sie ihr deshalb den Start in Deutschland zumindest in einer solchen bilingualen Schule etwas leichter gestalten wollte.

8. Was sagt die Politik in Deutschland dazu? 

Momentan melden sich hauptsächlich Kritiker aus der Politik zu Wort. Bundesaußenminister Heiko Maas betont, dass an den künftigen türkischen Schulen in Deutschland deutsches Recht eingehalten werden wird. Maas‘ Sprecher Rainer Breul sagte: „Es ist vollkommen klar, dass sich eine mögliche türkische Auslandsschule vollkommen an das jeweilige Landesschulgesetz halten muss. Privilegien sind nicht vorgesehen.“

Der FDP-Abgeordnete Peter Heidt spricht in einem Interview mit dem Deutschlandfunk über einen möglichen Einfluss der Türkei auf die türkische Community und warnt: „Wir wissen, dass Erdogan immer wieder versucht, hier in Deutschland Einfluss zu nehmen auf die türkische Community, und wenn diese Schulen nicht ordentlich geregelt werden, dann gibt es hier eine weitere Möglichkeit für ihn, diesen Einfluss auszuüben.“

Auch der Grünen-Politiker Volker Beck warnt in der Debatte um türkische Schulen in Deutschland vor einer ideologisch ausgerichteten Bildungspolitik. Solange diese vom türkischen Antiintegrationskurs dominiert werde, sei es besser, die türkische Sprache im deutschen Bildungssystem aufzuwerten, sagte Beck im Deutschlandfunk. Über die bereits gegründete Maarif-Stiftung, die für die türkischen Schulen in Deutschland verantwortlich sein soll, sagt Beck, die Stiftung sei dafür zuständig, die Bildungspolitik Erdogans weltweit zu verbreiten.

9. Haben die Kritiker Recht?

Die Maarif-Stiftung ist angegliedert an das türkische Kultusministerium. Laut eigenen Angaben ist sie die einzige türkische Stiftung, die neben dem Kultusministerium die Befugnis hat, Schulen im Ausland zu eröffnen. Ein Blick in die Selbstdarstellung der Stiftung verrät einiges über ihre Ausrichtung. So beginnt die Darstellung mit einem großen Porträt (türk.) von Recep Tayyip Erdoğan. Im Vorstand der Stiftung sitzen zwölf Mitglieder. Vier von ihnen werden direkt von dem türkischen Präsidenten benannt.

Das Ziel der Stiftung ist es, bis zum 100. Gründungsjahr der Türkei im Jahr 2023 eine Bildungsoffensive zu starten, Schulen zu eröffnen und damit türkischen Bürgern im Ausland durch die Angleichung der Schulabschlüsse die Rückkehr in die Türkei zu erleichtern. Ein weiteres Ziel der Stiftung scheint die Übernahme der Gülen-Schulen im Ausland zu sein. Obwohl dies nicht offiziell im strategischen Plan der Stiftung steht, der auf der Internetseite veröffentlicht ist, hat Erdoğan die Stiftung in den vergangenen Jahren mehrmals adressiert und gesagt: „Wenn sie (gemeint waren die Gülen-Schulen im Ausland, d.A.) in 170 Ländern der Welt existieren, dann solltet ihr in allen 193 Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen anwesend sein. “

Laut Recherchen der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet (türk.) hat die Stiftung bereits 267 Schulen im Ausland. 197 von ihnen sollen Übernahmen von Gülen-Schulen sein.

Der Grünen-Politiker Volker Beck sieht die Stiftung kritisch und sagte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk: „Diese Maarif-Foundation ist weltweit dafür zuständig, in der Diaspora die Bildungspolitik im Sinne der AKP auszurichten. Es wird Druck gemacht, Schulen aus der Gülen-Bewegung die Lizenz zu entziehen, und man will neben anderen Einflusstools, die man über die Moscheen hat, die Seta-Stiftung hat, hier auch in Deutschland stärker Einfluss nehmen auf die Ausrichtung der jungen Generation der türkischstämmigen Menschen. Das geht gegen die Integration, das kann eigentlich nicht in unserem Interesse sein.“

10. Wie geht es jetzt weiter?

Das wissen wir noch nicht. Denn zum einen gibt es nur Vermutungen darüber, dass die oben genannte Stiftung die Verantwortung für die türkischen Schulen übernehmen könnte. Das steht aber noch nicht fest. Zum anderen sind die Details der Verhandlungen zwischen den beiden Staaten nicht öffentlich. Es hat auch keinen Sinn, sich zum Vergleich türkische Schulen in anderen Ländern anzusehen, eine türkische Schule in Gambia etwa, weil die Rahmenbedingungen dort andere sind. Wir müssen also das Ende der Verhandlungen abwarten. (Ich werde diesen Beitrag dann aktualisieren.)


Redaktion: Theresa Bäuerlein, Schlussredaktion: Susan Mücke, Bildredaktion: Martin Gommel.