Am 23. Januar hat Sono Motors das Crowdfunding-Ziel erreicht und gut 53 Millionen Euro gesammelt.
Natürlich beginnt diese Geschichte in einer Garage. Natürlich, denn es geht um Autos und um ein Start-up. Sie beginnt 2012 in einer Garage im Münchner Umland. Jona Christians und Laurin Hahn, gerade volljährig, gehen zur Waldorfschule. Sie lernen dort das Schreinern, Schmieden und Schweißen. Sie wollen etwas gegen die Klimakrise tun. Also bauen sie ein gebrauchtes Auto in der Garage von Jonas Eltern um. Um das zu finanzieren, touren sie am Wochenende mit einem Smoothie-Stand zu Festivals rund um München. 2016 gründen sie zusammen mit Navina Pernsteiner, Laurins ehemaliger Mitbewohnerin, Sono Motors.
Heute hat das Unternehmen etwa 100 Mitarbeiter:innen. Ende 2019 entscheidet sich, ob es den größten Erfolg der Unternehmensgeschichte gibt oder die größte Niederlage. Sono Motors steht kurz vor der Entwicklung des Sion, eines E-Autos, und muss dafür in einem Crowdfunding 50 Millionen Euro einsammeln – und zwar bis Ende Dezember. Mitte Dezember, als ich Laurin und Jona zum Interview treffe, steht der Zähler auf der Webseite bei 14 Millionen.
Die Vision der beiden ist eine Welt voller elektrischer Autos, die gemeinsam genutzt werden. Der Sion soll einen Schritt in diese Richtung gehen. Er fährt mit elektrischer Energie – und hat drei Besonderheiten: In seiner Karosserie sind Solarzellen verbaut, mit denen sich der Sion selbst aufladen kann – bei Sonnenschein kann er mehr als 30 Kilometer Reichweite pro Tag zusätzlich erzeugen. Außerdem kann der Sion Strom abgeben, man könnte Strom an andere E-Auto-Fahrer verkaufen, elektrische Geräte laden und ihn als Speicher für das eigene Haus benutzen. Und: Der Sion wird standardmäßig als Sharing-Auto gebaut. Über eine App kann man ihn an andere verleihen und damit Geld verdienen.
Bauen zwei Jungs Mitte zwanzig mit ihrem Team gerade das Auto der Zukunft? Und können sie damit erfolgreich sein?
Auf diesen Gedanken ist im konventionellen Autobau noch niemand gekommen
Weert Canzler ist Mobilitätsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Er sieht den Sion als ein Auto, das die Verkehrswende voranbringen kann. Die Solarzellen in der Karosserie, mit denen sich der Sion von selbst auflädt, findet er „pfiffig“: „Das ist ein Gedanke, auf den im konventionellen Autobau noch niemand gekommen ist“, sagt er. Canzler erzählt, die Idee des Ladens in zwei Richtungen werde mit Ausnahme von Japan im Fahrzeugbau nicht umgesetzt. Dort müssen Elektroautos diese Fähigkeit haben, weil sie auch zur Katastrophenhilfe bei Erdbeben eingesetzt werden, um schnell Strom zur Verfügung zu stellen.
Ein E-Auto eines Start-ups im Autoland Deutschland. Würden Kunden so etwas akzeptieren?
Das Büro von Sono Motors liegt in einem der Randbezirke von München. Viel Holz, viele Pflanzen, ein paar Euro-Paletten. Die Wand hinter dem Empfangstresen ist mit grünem Moos verkleidet. Dieses Moos ist auch im Auto verbaut – es filtert Feinstaub aus der Luft.
Laurin und Jona sind beide groß und dünn. Mitarbeiterinnen nennen sie „die Jungs“ oder „die boys“. Die beiden träumen von einer Welt, in der jedes Auto elektrisch fährt und geteilt wird. Sie sagen: „Wir dürfen die Ressourcen unseres Planeten nicht weiter verschwenden.“
„Was glauben Sie, wie viel Rentner bei höheren Spritpreisen noch Auto fahren?“
Im Eingangsbereich steht einer der beiden Prototypen – ein schwarzes Auto, vier Türen, geräumiger Kofferraum. Der Sion sieht aus wie ein freundliches Familienauto – nicht besonders sportlich, nicht besonders eitel. Genug Platz, um ein Bett ins erste WG-Zimmer zu fahren oder den Golden Retriever mit in den Urlaub zu nehmen. Mit dem zweiten finden gerade jeden Tag Probefahrten statt, im Halbstundentakt.
„Das ist ja ein Ding“, sagt Reinhold Sander, als er das Auto startet. „Wenn man keinen Motor hört.“ Sander fährt zum ersten Mal Elektroauto. Auf der Rückbank sitzt seine Frau, neben ihm eine Mitarbeiterin von Sono Motors. Sander beschleunigt auf gerader Strecke. Sein Fazit: Die Lenkung findet er etwas zu schwer und der Blinker rastet nicht ein. Das wird sich noch ändern, sagt die Mitarbeiterin.
Nach der Probefahrt sitzt Sander auf einem Sofa in der Eingangshalle der Firma. Für ihn, sagt er, machen die Solarzellen den größten Unterschied: „Ich lasse mein Auto eine Woche auf der Straße stehen und habe dann einen vollen Tank.“ Umso teurer der Sprit wird, desto mehr ist es für ihn auch eine Kostenfrage. Neulich sah er in den Nachrichten, wie das Umweltbundesamt eine höhere Steuer auf Diesel forderte, 70 Cent pro Liter. „Was glauben Sie, wie viel Rentner dann noch Auto fahren“, fragt Sander.
Auch Matthias Richter hat gerade eine Probefahrt gemacht. Er findet vor allem interessant, dass der Sion auch wieder Energie abgeben kann. Er überlegt, sich eine Photovoltaik-Anlage aufs Dach zu bauen. Der Sion könnte die Energie speichern und über Nacht wieder an sein Haus abgeben. „Wenn ich mir 6.000 Euro für die Stromspeicheranlage spare, dann ist das Auto preislich sehr interessant“, sagt Richter. Durch dieses Feature bekommt der Sion nicht nur eine Bedeutung für die Verkehrswende, er ist auch interessant für die Zukunft der erneuerbaren Energie.
Reinhold Sander hat sich seine Fragen in einer Tabelle aufgeschrieben und ausgedruckt. In der Klarsichtfolie steckt auch ein ausgeschnittener Zeitungsartikel über Sono Motors. Unten in der Tabelle steht „Auslieferung. Wann – fester Zeitpunkt.“
Die Mitarbeiterin sagt: „Wenn das alles funktioniert, dann 2022.“
Was Sono Motors braucht, ist für die Autoindustrie eigentlich nicht viel Geld
„Das alles“ ist die Crowdfunding-Kampagne. Mehr als 10.000 Menschen haben einen Sion reserviert und dazu mindestens 500 Euro angezahlt. Würden 2.000 von ihnen auf den vollen Preis eines Autos – 25.500 Euro – aufstocken, wäre das Ziel 50 Millionen erreicht. 50 Millionen, um weitere Prototypen zu bauen, um erste Werkzeuge und Produktionsanlagen zu bezahlen – „Das ist für die Automobilindustrie sehr wenig Geld“, sagt Christoph Stürmer, Analyst bei der Beratungsfirma PWC.
Doch Sono Motors ist kein Autogigant wie VW oder Audi, und das Geld für den Sion kommt auch nicht von internationalen Investoren, sondern überwiegend von ganz normalen Kund:innen: 14 Millionen hatten sie bis Mitte Dezember angezahlt – ohne eine hundertprozentige Garantie, das Auto auch zu bekommen. „14 Millionen sind für eine Crowdfunding-Kampagne ungewöhnlich viel Geld“, sagt Stürmer. Die meisten Kampagnen hätten Beträge im Hunderttausender-Bereich als Ziel. Schon jetzt hat Sono Motors nach Einschätzung des Analysten etwas Außergewöhnliches erreicht. Das Problem: Es ist noch lange nicht genug.
Bevor Sono Motors am ersten Dezember das Crowdfunding ankündigte, hatte das Unternehmen versprochen, ab der zweiten Hälfte des Jahres 2020 zu produzieren. Auch das war schon eine Verzögerung. Ursprünglich sollte das Auto im Sommer 2019 auf die Straße kommen. Und es sollte 20.000 Euro kosten. Inzwischen liegt der Preis 5.500 Euro darüber.
Sono Motors braucht später noch einmal Geld, um voll in die Produktion einzusteigen
Ein Nutzer, der sich auf Instagram Hubertus nennt, wirft Sono Motors vor, die E-Mobilität zu blockieren. „Tausende Vorbesteller, die eigentlich elektrisch fahren wollen, haben auf euch gewartet und sollen auch weiterhin warten.“ Und er kritisiert die Kommunikation: „Die letzten zwei Jahre habt ihr die schlechten Nachrichten mit einer gewissen Arroganz verkündet.“ Als ich nachfrage, schreibt er: „Die Kommunikation kam immer so nebenbei.“ Ein Nutzer schreibt auf Facebook: „Seit Monaten kein Lebenszeichen und dann auf die Community zurückgreifen wollen, die ihnen ja ach so sehr am Herzen liegt.“
In den letzten acht Monaten habe Sono Motors wenig kommuniziert, sagt Laurin. „Wir waren in Verhandlungen mit Investoren. Da hast du Geheimhaltungspflicht.“ Dass die Kommunikation mit der Community darunter gelitten habe, sei natürlich nicht schön. „Das war ein Fehler. Aber wichtig ist ja, Fehler richtig zu stellen, wenn man sie erkennt.“
Inzwischen macht Sono Motors vieles sehr transparent. Auf der Webseite kann man sehen, wofür das Unternehmen das Geld bisher ausgegeben hat. Entwicklung 60 Prozent, Team 23 Prozent, Marketing zwei Prozent. Und dort steht, was mit den 50 Millionen passieren wird. Das Geld braucht das Unternehmen, um die Serien-Prototypen zu bauen. Mit denen soll es dann wieder Probefahrten geben, auch die Crashtests finden in der Phase statt.
Doch damit die Produktion beginnen kann, braucht Sono Motors dann noch einmal 205 Millionen Euro innerhalb von eineinhalb Jahren. Laurin sagt: „Wenn wir die 50 Millionen einsammeln, bekommen wir die weiteren 205 Millionen auch finanziert. Da sind wir sicher.“ Ein Drittel davon wollen sie von Banken bekommen. Dann, wenn es darum geht, Roboter und Maschinen zu finanzieren, seien die Banken eher dabei als jetzt, wo es noch nichts Konkretes gibt. „Je näher wir an den Produktionsstart kommen, desto mehr Menschen werden sehen, dass es konkret wird. Und dann sind sie dabei“, sagt Jona.
Doch was passiert mit dem Geld der Kund:innen, wenn die 205 Millionen nicht zusammenkommen? Eine Sprecherin von Sono Motors antwortet in einer E-Mail: „Das Risiko möglichst gering zu halten, ist uns das wichtigste Anliegen hierbei, dennoch bleibt natürlich immer ein gewisses Restrisiko. Für die Finanzierung eines Start-ups sind natürlich immer mehrere Finanzierungsrunden notwendig, das ist der übliche Finanzierungsweg.“
Acht Verhandlungsrunden mit einem großen Investor, aber der wollte etwas anderes als deutsche E-Autos
Wieso braucht es eigentlich ein Start-up von drei jungen Leuten, um ein verleihbares, stromproduzierendes Auto in Deutschland einzuführen? Wenn es möglich ist, dass ein E-Auto nicht nur Strom aufnehmen, sondern auch wieder abgeben kann und so dazu beiträgt, die Phasen auszugleichen, in denen es windstill und bewölkt ist, wieso können das nicht alle E-Autos? Canzler sagt: „Sono Motors hat eher die Kultur des Neuen, der radikalen Innovation, ohne die Last der jahrzehntelangen erfolgreichen Autoproduktion.“
Für die Autoindustrie ist es schwer, etwas komplett anders zu machen. Um Arbeitsplätze zu sichern, muss sie festhalten an dem Gedanken der individuellen Mobilität, möglichst viele Autos verkaufen. Doch die Verkehrswende kann nicht funktionieren, indem für jedes Verbrennerauto ein neues Elektroauto kommt.
Über Jahrzehnte hat die Autoindustrie den Autobau perfektioniert. Als Beispiel nennt Canzler das Spaltmaß – beispielsweise zwischen Motorhaube und den Scheinwerfern, das Einfluss auf den Luftwiderstand hat. Wenn eine Tür sich öffnet, darf der Spalt nicht größer als zwei Millimeter sein. Das sei ein Qualitätskriterium, auf das die Autoindustrie jahrzehntelang hingearbeitet habe.
Christoph Stürmer von PWC sagt, die klassische Autoindustrie entwickle ihre Autos mit viel Aufwand fast bis zur Perfektion. Start-ups wie Sono Motors versuchten, mit viel weniger Aufwand ein Auto zu bauen. „Indem sie stark vereinfachen, aber trotzdem zu einer guten Lösung kommen.“
Das Team von Sono Motors versuchte es zuerst auf die klassische Weise: mit Investoren. In der Anfangszeit waren das vor allem deutsche Investoren. Für den nächsten Schritt braucht das Start-up aber so viel Geld, das sie auf internationale Investoren zugehen mussten. Mit einem großen nichteuropäischen Investor hätten sie über sieben Verhandlungsrunden gut verhandelt, sagt Laurin. Ab der achten sei klar geworden: Der Investor hat kein Interesse am Sion in Europa, sondern an den Patenten und der Technologie.
„Wenn wir den Vertrag unterschrieben hätten, wäre die Technologie abgewandert. Der Sion wäre in Europa nicht auf die Straße gekommen und Sono Motors hätte wahrscheinlich in der heutigen Form nicht mehr existiert.“ Deshalb hätten sie sich für das Crowdfunding entschieden. Nicht nur das ist ein ungewöhnlicher Schritt in der Automobilbranche – die Gründer:innen haben noch ein weiteres Zeichen gesetzt. Sie haben ihre Gewinnbezugsrechte an die Community abgegeben. Wenn Sono Motors irgendwann Gewinn macht, profitieren die Menschen, die sich beteiligen, die ein Auto reserviert haben, je nachdem, wie viel Geld sie angezahlt haben.
Nicht jede:r will den Sion auch teilen
Damit die Verkehrswende erfolgreich wird, können nicht einfach alle Autos mit Verbrennungsmotoren durch die gleiche Anzahl E-Autos ersetzt werden. Aber würden die Menschen ihren Sion auch teilen?
Matthias Richter, der Probefahrer, sagt: „Das ist nicht so mein Ding.“
Jona sagt: „Es gibt Menschen, die wollen mit dem Teilen nichts zu tun haben. Und das ist auch vollkommen okay.“ Auf der anderen Seite gebe es die Menschen, die das jetzt schon gewöhnt seien und sagten: „Klar vermiete ich mein Auto, wenn ich es nicht brauche.“ Und Jona sagt auch: „Wir sehen nicht diese Zweiteilung. Wir sehen Menschen, die momentan noch nichts damit anfangen können, und denen wir es so einfach wie möglich machen wollen, es einmal auszuprobieren.“
Über eine App soll man angeben können, wie lange man sein Auto vermieten will. Andere Nutzer:innen können eine Anfrage stellen und mit Erlaubnis über die App das Auto entriegeln. Die Mietgebühren bekommt man dann überwiesen.
Jona sagt: „Die Menschen probieren es einmal aus. Sie verdienen Geld dabei. Die Abwicklung ist einfach, das Auto ist versichert. Sie machen es zwei Mal. Und irgendwann kommen sie an den Punkt, dass sie merken: Stimmt, ich brauche mein Auto gar nicht die ganze Zeit. Das ist mehr ein Prozess, den wir sehen, ein An-der-Hand-nehmen, um da hinzukommen, dass jedes Auto elektrisch fährt und geteilt wird.“
Jetzt kommt es auf die Community an, ob Sono Motors weitermachen kann. „Aus unseren Crowdfunding-Kampagnen in der Vergangenheit wissen wir, dass die letzten vier Tage entscheidend sind“, sagt Laurin. „Deswegen wird es bis zum Ende eine spannende Zeit.“
Redaktion: Philipp Daum; Schlussredaktion: Vera Fröhlich; Bildredaktion: Martin Gommel.