Amerika ist vorbei

© Flickr / Franco Folini

Geld und Wirtschaft

Amerika ist vorbei

Christoph Räthke ist einer der bekanntesten Unternehmer der deutschen Start-up-Szene, gelernter Althistoriker und des Anti-Amerikanismus gänzlich unverdächtig. Schockiert und desillusioniert kehrte er kürzlich von einer Amerika-Reise zurück und rät er seinen deutschen Freunden dort: „Kommt zurück nach Deutschland.“ It's over, schreibt er in diesem Beitrag für Krautreporter.

Profilbild von von Christoph Räthke, Start-up-Unternehmer

San Francisco war mein Fixstern, schon bevor ich 1997 das erste Mal dort angelangt bin. Eine neue, spektakuläre Version der europäischen Stadt. Massive Hamburger und trotzdem Bars mit Stil, Gesichter in allen Farben und trotzdem Geld. „How are ya, want a beer?“, und trotzdem alle mit Hochschulabschluss. Keine Kathedralen und trotzdem Ausblick, dass dir der Mund offenstand. In den Jahren danach die Hauptstadt der Bewegung, meiner Bewegung, der Start-up-Industrie.

2012 war ich zum letzten Mal dort. Nach dem langen Flug und einer Nacht im Flughafen-Motel trat ich früh um sieben gejetlagged an die Straße, alles Beton, und trotzdem fühlte ich mich on top of the world. Der Himmel hoch und Kalifornien-blau, die Luft frisch und klar, und mit einem Auto und einer Idee war absolut alles möglich.

Es sind meine gutsituierten, weißen amerikanischen Freunde, die mir diese Stücke zeigen, und sie sind traurig und müde. „Jeden Tag, Christoph“, sagen sie, „every f*cking day.“

Mitte Mai 2018 in San Diego. Es vergeht kein Tag, an dem das Fernsehen nicht schon zum Frühstück ein Stück Alltagsrassismus serviert, oft in Form von Handyvideos. Die schwarze Studentin, die von einer weißen Kommilitonin bei der Campus Police angezeigt wird, weil sie in der Uni-Bib eingenickt ist. Der weiße Anwalt, der in New York die Angestellten eines Restaurants, Latinos, anbrüllt: „Dies sind die USA! Ihr sprecht gefälligst Englisch! Ich zahle eure verdammten Benefits, dann sprecht gefälligst Englisch!“ Es sind meine gutsituierten, weißen amerikanischen Freunde, die mir diese Stücke zeigen, und sie sind traurig und müde. „Jeden Tag, Christoph“, sagen sie, „every f*cking day.“

Ende Mai in San Francisco. Den deutschen Freunden und Exkollegen geht es gut; Philipp ist CTO, Olli vermietet Häuser an Entwickler-Teams, Kasper ist Venture-Capital-Investor, und Polina leitet die Produktentwicklung bei einem Start-up. Sie zu besuchen, hatte früher den Charakter einer Pilgerreise – diese Freunde hatten meinen Traum wahrgemacht. Diesmal aber kam ich nicht als Pilger, sondern als Prediger. „Kommt zurück“, sprach ich eindringlich zu ihnen, „um eurer selbst und eurer Familien willen! Tut euch das nicht an, ihr habt doch den deutschen Pass!“

Und sie schauten zu Boden, denn bei allem „If I can make it there/ I can make it anywhere“-Ehrgeiz, der sie ins Valley gebracht hatte, wussten sie, dass es stimmte. In San Francisco sind die Immobilienpreise mittlerweile so, dass eine kleine Einzimmerwohnung 4.200 Dollar Miete kostet. Auch in Deutschland hat man von den Google-Bussen gehört, die hochverdienende Angestellte jeden Morgen von der City by the Bay hinunter ins Valley fahren, und die von Alteingesessenen mit Steinen beworfen wurden.

Aber man muss dort sein, um zu merken, was diese Zahlen anrichten. Sie bewirken, dass der öffentliche Raum auch bei schönem Wetter eingefroren zu sein scheint. Flanieren ist vorbei, laissez-faire ist vorbei, die Früchte seiner Arbeit genießen ist vorbei; meine deutschen Freunde haben da noch das bessere Ende.

Und dann haben wir noch nicht von den Obdachlosen geredet. Warum auch? Die waren schon vor 20 Jahren da und steuerten das untere Ende der San-Francisco-Experience bei, eine gruselige Sehenswürdigkeit, wie der Ausflug nach Alcatraz. Aber es ist schlimmer geworden. Der Mann, der beim hilflos Herumlaufen so heftig zittert, dass er sich mit der Linken fortwährend an die Brust zu schlagen scheint. Der Mann an der Ampel, der mit der Überquerung der sechsspurigen Straße wartet, bis das Fußgängerzeichen rot ist und dann in den anfahrenden Verkehr läuft, den Blick nicht bittend zu den Fahrern nach rechts, sondern „überfahrt mich doch“-geradeaus. Die Hiking-Zelte auf dem Bürgersteig. Da hatte Uber gerade für 200 Millionen Dollar das Bike Sharing-Unternehmen JUMP übernommen, mit dem Ziel, das Bike-Sharing-Unternehmen „Ford GO“ zu überbieten und mit den Elektro-Tretroller-Sharing-Unternehmen Lime und Bird gleichzuziehen.

Ich bin überhaupt kein Freund der linken Weltsicht; ich glaube an die Freiheit, sein Geld und seine Fähigkeiten einzusetzen, wo sie den meisten Gewinn versprechen. Wenn Kommentatoren und Politiker, die zeitlebens den Angestellten- oder Beamtensessel nie verlassen haben, Unternehmer ermahnen, im Sinne des Volkswohls doch gefälligst dies oder jenes zu gründen, springt bei mir der Idiotenalarm an.

Die Entfernung zwischen dem, woran die fähigsten Spezialisten der USA mithilfe enormer Investmentsummen arbeiten, und dem, was die Amerikaner dringend brauchen, ist einfach zu groß geworden.

Aber zum ersten Mal verstand ich die Kritik an den Technorati und der „Valley Culture“. Die Entfernung zwischen dem, woran die fähigsten Spezialisten der USA mithilfe enormer Investmentsummen arbeiten, und dem, was die Amerikaner dringend brauchen, ist einfach zu groß geworden. Auf der einen Seite, grob überschlagen, 100 Optionen, elektrisch und/oder geshared von A nach B zu kommen in einer Stadt, in der Fortbewegung eigentlich nie ein großes Problem war. Auf der anderen Seite eine Nation, die zwischen Medikamentenepidemie und Ausbrüchen von Waffengewalt mit Problemen ringt, die absolut nichts mit E-Tretrollern zu tun haben. Während das Land verdurstet, produziert das Valley Salzgebäck, aber natürlich das beste, datengetriebenste und höchstfinanzierte Salzgebäck der Welt.

San Francisco war für mich der Hoffnungsschimmer, es unter krassen Umständen doch hinkriegen zu können; das Symbol für die USA als eine etwas andere, aber gleichwertige Alternative zum europäischen Konsens. Ohne diesen Hoffnungsschimmer wird es düster in einer Gesellschaft, die sich ungesteuert von Extrem zu Extrem hochschaukelt. In einer Ordnung, in der die Jungen ihre eigene Bildung zahlen und mit sechsstelligen Schulden ins Leben gehen müssen, schwimmen selbst die Starken nur mit Mühe, während die Schwachen untergehen.

Aber, und das ist wichtig: Unglücklich sind beide. Denn auch der unregulierte Waffenbesitz verletzt nicht nur diejenigen, die beim Konzertbesuch niedergeschossen werden, sondern psychisch die vielen Millionen, denen Waffen Angst machen und die wissen, dass ihr Nachbar ein Arsenal zu Hause hat. Der Alltagsrassismus zermürbt nicht nur die unmittelbaren Opfer, sondern jeden Menschen mit Mitgefühl und Gewissen. Auch diejenigen, die sich Gesundheitsfürsorge leisten können, bleiben nicht verschont vom Anblick der zerrütteten, kranken Mitmenschen in der Market Street. Nein, es fehlte mir entsprechend nicht an Inbrunst bei meiner Predigt: „Tut euch das nicht an, ihr habt doch den deutschen Pass!“

Auch vor Trump produzierte die amerikanische Gesellschaft kontinuierlich mehr Unglück für ihre Bürger, und sie wird das nach ihm weiter tun.

Denn obwohl in Kalifornien niemand ein gutes Wort für Donald Trump hat, greift die Erkenntnis um sich, dass nicht er es ist, der den Unterschied macht. Auch vor ihm produzierte die amerikanische Gesellschaft kontinuierlich mehr Unglück für ihre Bürger, und sie wird das nach ihm weiter tun. Erleichterungen, Gnadenerweise, lange Wochenenden und Easy Breaks werden immer seltener; es einfach mal eine Zeitlang einfach haben ist auf den Sankt Nimmerleinstag verschoben. Und für viele ist das kein Fehler, sondern ein Feature des Systems. Weder Republikaner noch Demokraten zweifeln daran, dass „härter arbeiten“ die Antwort auf alle Probleme ist, das Rezept to make America great again.

  • Härter arbeiten und mehr Geld verdienen, um die Studienschuld abzutragen, anstelle die Studienschuld in Frage zu stellen.

  • Härter arbeiten und mehr Geld verdienen, um sich aus dem Rassismus herauszukaufen, anstelle den Rassismus zu besiegen.

  • Härter arbeiten und mehr Geld verdienen, um in ein waffenskeptisches Stadtviertel ziehen zu können, anstelle das Second Amendment abzuschaffen.

Aber wie soll man Fehler reparieren, wenn man sie für Features hält? Auf dem Rückweg zum SFO-Airport fuhr mein Uber an dem Flughafen-Motel von 2012 vorbei, und ich hatte wieder den Gedanken: Man muss zurück nach Europa. Amerika ist um. Nicht wegen des Wahnsinnigen im Weißen Haus, sondern weil niemand das Mandat hat zu ändern, was ihn und seinesgleichen an die Spitze bringt.


Redaktion: Sebastian Esser. Schlussredaktion: Vera Fröhlich. Bildredaktion: Martin Gommel (Aufmacher: Franco Folini / CC BY-SA 2.0, Flickr).