Die Hausbesetzer sind wieder da

© Efthymis Angeloudis

Geld und Wirtschaft

Die Hausbesetzer sind wieder da

An einem Sonntag im Mai wurden, keine drei Straßen von meinem Zuhause entfernt, zwei Häuser besetzt. Wie der Zufall es so will, war ich bereits an einer Besetzer-Story dran, die von einer Arbeiterstraße in Berlin bis zur besten Hanglage in Stuttgart führte: Die Hausbesetzer sind zurück und wollen unsere Städte vor Leerstand und Bodenspekulation retten.

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Die Aktivist*innen haben sich in Bars und Szene-Lokalen getroffen und nur sehr sparsam Informationen ausgetauscht, weil sie befürchteten, dass die Polizei Wind davon bekommen könnte: „Wir sagen euch nicht, wo, ihr sagt uns nicht, wo, aber am Sonntag werden wir alle ein leer
stehendes Wohnhaus besetzen“, informierten sich die Besetzergruppen untereinander. Sie nannten das den „Karneval der Besetzung“. Schwer zu finden sind leer stehende Wohnungen in Berlin nicht, trotz der massiven Wohnungsnot.

Neun Häuser besetzten die Aktivist*innen am 20. Mai in einer berlinweiten Aktion. Sie zogen in die Gebäude mit Kaffee und Brotaufstrichen, Nachbarn und Passanten riefen ihnen aufmunternde Worte zu. Sechs Stunden später hörte man auf der Straße das laute Gepolter der Polizei, die die Türen des Wohnhauses in der Bornsdorfer Straße eintrat, und die durchdringenden Stimmen der Beamten, die bis auf die Straße schallten: „Alle auf den Boden!“ Die Polizei nahm während der Räumung 56 Personen fest, die sie anschließend einzeln aus dem Haus zerrte. Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen Hausfriedensbruch gegen sie, nachdem sie das Wohnhaus in der Bornsdorfer Straße 37b in Neukölln sowie einen Laden in der Reichenberger Straße 114 besetzt hatten.

Der Seitenflügel des Wohnhauses in der Bornsdorfer Straße, das der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft „Stadt und Land“ gehört, ist dem Unternehmen zufolge sanierungsbedürftig, steht aber bereits seit fünf Jahren leer. Überall in Deutschlands Großstädten stehen trotz des großen Bedürfnisses nach bezahlbarem Wohnraum tausende Wohnungen leer – viele, damit sie nach und nach komplett „entmietet“, dann saniert und schließlich völlig überteuert neu vermietet werden können. Sind Hausbesetzungen ein gutes Mittel, um sich dagegen zu wehren? Bekommt auch nur ein Mensch eine Wohnung mehr durch diese Aktionen? Oder dienen sie eher dazu, Aufmerksamkeit zu schaffen?

Einem UN-Report zufolge sind 20 Prozent aller Haushalte auf der Welt Besetzer, Menschen also, die auf Land oder in Gebäuden wohnen, auf die sie keinen rechtlich einklagbaren Nutzungsanspruch haben. In Europa fallen zwei Prozent aller Haushalte in diese Kategorie, treten aber besonders nach der schweren Finanzkrise und einer Welle von Zwangsvollstreckungen in Südeuropa wieder vermehrt auf.

„Wohnungsnot, Räumungen, Enteignungen von Land führen dazu, dass auch Besetzungen steigen, gerade in Ländern, in denen es eine Tradition starker Selbsthilfeorganisationen gibt“, sagt Freia Anders, Professorin für Geschichte an der Universität Mainz. „In Spanien zum Beispiel gab es selbst während der Franco-Diktatur ganze informelle Siedlungen, deren Selbsthilfeorganisationen ein hohes Ausmaß an Legitimität gewannen und deren Bewohner letztlich erfolgreiche Besitzer ihres Wohnraums wurden.“

„Besetzungen können sehr unterschiedliche Ziele verfolgen“, erklärt Anders. „Die Grenzen zwischen Wohnraumbeschaffung und politischem Protest sind fließend und oft auch unter Besetzern umstritten, da in Besetzerbewegungen sehr unterschiedliche Bedürfnisse und Menschen aufeinandertreffen“, sagt die Professorin. „Dabei gibt es Besetzer, die konkreten Wohnraumbedarf haben, Besetzer, die Raum für kulturelle Vorhaben oder Lebensstilexperimente suchen, und auch andere, die an der Wohnraumfrage weitergehende Fragen sozialer Ungleichheit aufwerfen und politisch agieren.”

Bei der Aktion am Pfingstsonntag waren all diese Kategorien vertreten. Die Besetzer in der Bornsdorfer Straße wollten Wohnraum schaffen, die Besetzer in der Reichenberger Straße ein nachbarschaftliches soziales Zentrum eröffnen. Die restlichen sieben Häuser wurden scheinbesetzt. Den Hausbesetzern ging es nicht unbedingt darum, in den Häusern zu wohnen, sondern darauf aufmerksam zu machen, dass sie leer stehen, obwohl Wohnraum in Berlin Mangelware ist.

Festnahme eines Aktivisten in der Bornsdorfer Straße.

Festnahme eines Aktivisten in der Bornsdorfer Straße.

Die Besetzungen sorgten allemal für Aufmerksamkeit und bekamen dafür Zuspruch von Landes- und Stadtpolitikern. „Bei spekulativem Leerstand sollten Hausbesetzungen zukünftig geduldet werden, statt Wohnraum verfallen zu lassen“, sagte die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen im Abgeordnetenhaus, Katrin Schmidberger, der Berliner Zeitung.

Auf Twitter schrieb Die Linke: „Schade, dass mit den Aktivisten keine Einigung in der #Borni zustande kam … Das Anliegen von #besetzen ist darüber hinaus richtig. Es darf nicht sein, dass die Gesetze den privaten Profit über die Bedürfnisse der Menschen stellen.“ Die CDU bezeichnete die Hausbesetzer dagegen als Kriminelle und forderte über ihre Generalsekretärin, Annegret Kramp-Karrenbauer, ein „hartes Durchgreifen”.

Wie Hausbesetzer Berlin retteten

Hausbesetzungen sind in Berlin Tradition. Seit den 1960er Jahren besetzen Aktivist*innen immer wieder verwahrloste Gebäude, vor allem in Kreuzberg. Die Berliner Landesregierung plante Anfang der 1980er Jahre eine Stadtautobahn durch das Kreuzberger SO-36- Viertel. Der ganze Bezirk stand auf der Abrissliste. Innerhalb weniger Monate wurden nahezu 160 Häuser im damaligen West-Berlin besetzt, um den Bau dieser Autobahn durch den Kiez zu verhindern, mit Erfolg. Die Bewegung protestierte so gegen Mieterhöhungen und Wohnraumspekulation. Sie erhielt aber auch das Kreuzberg mit all seinen alten Gebäuden, die heute als Inbegriff des guten Lebens in der Stadt gelten – und ironischerweise die begehrtesten Wohnungen Berlins sind.

Die Aktion am Pfingstsonntag konnte jedoch weder mit solch einem Erfolg noch mit der gesellschaftlichen Unterstützung vergangener Jahrzehnte rechnen. Das hat mit dem Vorgehen der Polizei gegen die Besetzer zu tun.

Nach den Besetzungen Anfang der 80er Jahre entwickelte der Senat die „Berliner Linie“, eine Verordnung, die besagt, dass neu besetzte Häuser, Plätze oder Wohnungen in Berlin innerhalb von 24 Stunden nach Bekanntwerden der Besetzung zu räumen sind. Seitdem folgt Berlin dieser Linie gewissenhaft. Dass die beiden Besetzungen sofort geräumt wurden, ist also eine politisch motivierte Rangehensweise, zumal es sich in der Bornsdorfer Straße um das Gebäude einer landeseigenen Wohnungsgesellschaft handelt.

„Die Regierungs- und Sicherheitsbehörden wollen die Möglichkeit einer neuen Hausbesetzerbewegung im Keim ersticken”, meint Anders.

„Am Beispiel West-Berlins der 80er Jahre läßt sich sehr gut beobachten, wie nach Nutzungskonzepten für besetzte Häuser gesucht und fortgesetzt mit den Besetzern verhandelt wurde, andererseits aber Räumungen und harte Polizeieinsätze anstanden. Schließlich setzte sich als Erfahrung durch, dass sich durch eine schnelle Räumung Solidarisierungseffekte mindern lassen”, fügt die Historikerin hinzu.

Tatsächlich blieben die solidarischen Massen am Pfingstsonntag in Berlin aus. Im Vergleich zum Karneval der Kulturen, der am gleichen Tag in der nahe liegenden Gneisenaustraße stattfand, hinkte sein hausbesetzender Vetter weit hinterher.

Allerdings zeigte eine Umfrage der Berliner Morgenpost nach der Aktion, dass 53 Prozent der Berliner gesetzeswidrige Hausbesetzungen für ein legitimes Mittel halten, um auf Wohnungsnot aufmerksam zu machen. Weiterhin sprachen sich 43 Prozent der Teilnehmer dafür aus, dass die Polizei zunächst die illegalen Hausbesetzungen dulden und dann mit den Besetzern verhandeln sollte. Dieser Zuspruch zeigt einen enormen Stimmungswechsel in der Wohndebatte.

Auch Anfang der 1980er Jahre gab es in der BRD ein hohes Potenzial an Zustimmung zu den Besetzungen. Während des Höhepunkts im „Häuserkampf” in den 80er Jahren betrugen die Sympathien für die Hausbesetzer allerdings nie mehr als 40 Prozent.

Hausbesetzung auf schwäbische Art

Hausbesetzungen beschränken sich aber längst nicht mehr auf Berlin, sondern erreichen auch die gutbürgerliche Bastion des Wohneigentums – Stuttgart. „Schaffe, schaffe, Häusle baue”, gilt aber in der Schwabenmetropole längst nicht mehr. Laut einem Bericht des Amtes für Wohnwesen von 2017 gibt es in Stuttgart Baugenehmigungen für 5.000 Wohneinheiten, die aber gar nicht abgerufen werden. Thomas Adler, Stadtrat der Linken und Aufsichtsrat der Stuttgarter Wohnungs- und Städtebaugesellschaft, macht die Bodenspekulation dafür verantwortlich: „Wenn man nicht sofort baut, kann man höhere Erträge erzielen.”

Doch die ungenutzten Baugenehmigungen sind nicht das einzige Problem, das Deutschlands drittteuersten Wohnungsmarkt – hinter München und Frankfurt – plagt. In Stuttgart sollen dem „Aktionsbündnis Recht auf Wohnen“ zufolge 11.000 Wohnungen leer stehen. Die Zahl stammt aus dem Jahr 2011 und ist, glaubt man einem Sprecher der Stadt, veraltet und überhöht. Die Stadt selber geht von einem Leerstand von 3.000 Wohnungen aus, allerdings liegt noch keine aktuelle Bilanz vor, die das bestätigen könnte.

Ende April entschlossen sich 150 Menschen nach einer Protestveranstaltung gegen Leerstand, zwei leer stehende Wohnungen in Stuttgart-Heslach zu besetzen. Es war die erste Hausbesetzung in Stuttgart seit 13 Jahren. Unter dem Motto „Leerstand beleben“ veröffentlichte das Besetzer*innenkollektiv seine Forderung nach Mietverträgen und eine Erklärung zu ihren Beweggründen: „Wir finden es absurd, dass Wohnungen leer stehen, während andere wohnungslos sind.”

Rosevita schaut aus einem Fenster der besetzten Wohnung in Stuttgart-Heslach.

Rosevita schaut aus einem Fenster der besetzten Wohnung in Stuttgart-Heslach.

Die Wohnungen in der Wilhelm-Raabe-Straße hätten einfach offen gestanden, Strom und Wasser hätten funktioniert, sagt Rosevita Thomas, die mit ihrem neunjährigen Sohn eine der Wohnungen besetzt hat. Im Erdgeschoss wohnt eine eine dreiköpfige Familie, die zuvor auch an der Kundgebung teilgenommen hatte und wie Rosevita spontan beschloss zu bleiben. Ihr Wunsch ist es, einen Mietvertrag zu erhalten. „Ich will das Normalste was man sich vorstellen kann: ein Dach über dem Kopf.”

„Ich bin einfach nur mitgelaufen. Ich wusste einfach, ich muss hier rein”, sagt mir Rosevita, als ich sie in ihrer frisch besetzten Wohnung treffe. „Meine frühere Wohnung habe ich im November verloren.” Rosevita und ihr Sohn kamen bei ihrer Schwester unter, in einem Zimmer, das kaum größer als eine Abstellkammer war. Eine neue Wohnung konnte sie nicht finden. „Ich habe lange gesucht, aber wenn da 50 Leute bei einer Hausbesichtigung Schlange stehen, bringt das nichts.”

Mit den Hausbesetzern aus den 80er Jahren haben die zwei Familien wenig gemeinsam. Ihre Odyssee durch Stuttgarts Wohnungsmarkt weckt Sympathien, auch bei Leuten, die sonst wenig von Besetzungen halten. Auch die Stuttgarter Presse reagierte unerwartet positiv auf die Besetzerfamilien. Mit einer regelrechten Charmeoffensive eroberten Rosevita und die Besetzer die Herzen des ganzen Viertels. Sie luden die Nachbarschaft ein, um sich gegenseitig kennenzulernen.

„Menschen grüßen mich auf der Straße. Erzählen mir ihre eigenen Geschichten, über den Vermieter, der sie rauskriegen möchte; Geschichten, für die sie sich sonst schämen würden. Hier haben sie einen Ort, an dem sie sich öffnen können”, sagt Rosevita. Tatsächlich hängen überall in der Nachbarschaft Transparente, die sich solidarisch mit der Besetzung zeigen und diese Unterstützung verdeutlichen.

Über ein Jahr wohnte niemand mehr in den beiden Wohnungen in Heslach. „Das Wohnhaus hat ursprünglich einer Familie gehört, die es an ein Immobilienunternehmen verkauft hat, als ein Erbfall eintraf. Das Konsortium hat das Haus dann ein, zwei Jahre gehalten, bevor es anschließend an die jetzige Eigentümerin, eine britische Investorin, weiterverkauft wurde. Damit hat man Spekulationsgewinne eingestrichen, da die Immobilienpreise von Jahr zu Jahr exorbitant steigen”, erklärt Thomas Adler, der die Besetzung der beiden Wohnung befürwortet und unterstützt.

Dabei verfügt Stuttgart seit Anfang 2016 über ein Zweckentfremdungsverbot, mit dem Leerstand vermieden werden soll. Bis zu 50.000 Euro Bußgeld drohen demjenigen, der seine Wohnung sechs Monate leer stehen lässt. Allerdings stehen der Stadtverwaltung nur drei Mitarbeiter für diese Aufgabe zur Verfügung. Die Stadt hat dieses Bußgeld noch nicht ein einziges Mal verhängt. In München sind für die gleiche Arbeit 40 Mitarbeiter beschäftigt und die Bußgelder, die bislang eingetrieben worden sind, betragen rund 400.000 Euro.

Das Dilemma zwischen Eigentum und Obdach

Aber natürlich gibt es in Rosevitas Stadt auch Kritiker. Sie raten ihr, in eine Wohnung am Stadtrand oder einen Vorort Stuttgarts zu ziehen. Rosevita versteht das nicht: „Wo soll ich denn ihrer Meinung nach hinziehen? Draußen ist es ja auch nicht günstiger. Außerdem geht mein Kind hier auf die Schule. Er hat hier sein Leben. Soll ich ihn entwurzeln? Leute können groß reden, wenn sie selber nicht betroffen sind. Ich habe auch nicht gedacht, dass es mich trifft, dass ich rausgeschmissen werde.”

Ihre jetzige Wohnung ist und bleibt aber Eigentum eines anderen. In ihrem Kern ist die Besetzung eben genau der Punkt, an dem sich das Eigentum einer Person mit dem Bedürfnis nach Obdach einer anderen berührt. Wer hat in diesem Dilemma recht? „Die Verfassung des Landes Berlin, zum Beispiel, besagt ja bemerkenswerter Weise: ‚Jeder Mensch hat das Recht auf angemessenen Wohnraum. Wie dieser Verfassungsgrundsatz umzusetzen ist, ist eine politische Frage‘“, sagt die Forscherin Freia Anders. „Beide Seiten haben mehr oder weniger gute Argumente und Legitimationsstrategien, und der Konflikt lässt sich ganz sicher nicht auf bloße Fragen der Legalität reduzieren. Die Forschung hat gezeigt, dass die Frage, ob eine Besetzung legal oder illegal ist, eine Frage der Rechtsprechung ist und in der verschiedenen Gerichten und Rechtsauffassungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann”, erklärt Anders.

Rosevita scheint diese Frage nicht zu bedrücken: „Ich habe ja niemanden erschlagen, ich bin nur in eine Wohnung rein, die leer stand. Außerdem möchte ich ja Miete zahlen.”

Nach einem Monat wird Rosevitas neues Zuhause geräumt

Nur vier Tage nach unserem Gespräch und ein Monat nach der Besetzung in der Wilhelm-Raabe-Straße greift die Polizei ein. Am 28. Mai um neun Uhr morgens beginnt die Räumung des Hauses. Die Erlaubnis hatte die Eigentümerin schon vor Tagen vom Landgericht erhalten, wartete aber den richtigen Moment ab. „Die Situation sollte nicht eskalieren”, sagte der Anwalt der Investorin der Südwest Presse. Die Besetzer waren zu diesem Zeitpunkt nicht zu Hause.

Kurze Zeit später fährt ein Umzugswagen vor. Arbeiter beginnen, die provisorisch eingerichteten Wohnungen auszuräumen. Ein Handwerker steht bereit, der die Schlösser austauschen soll.

Rosevitas Traum von der Wohnung in dem Viertel, in dem sie aufgewachsen ist, in dem ihr Sohn zur Schule geht, in dem sie ihr ganzes Leben verbracht hat, löst sich in Luft auf. Später am Abend versammeln sich 500 Demonstranten vor dem Haus, um gegen die Räumung zu protestieren. Danach ziehen sie durch das Viertel, um auf weitere leerstehende Wohnungen aufmerksam zu machen.

Auch die Stadtpolitik prüft, wie sie den Forderungen der Besetzer entgegenkommen kann, um härter gegen Leerstand vorzugehen. Thomas Adler, Vorsitzender der Fraktionsgemeinschaft SÖS/Linke Plus, kann sich vorstellen, selbst Enteignungen als ultimatives Mittel gegen Leerstand anzuwenden: „Zu den Hochzeiten der sogenannten Flüchtlingskrise, als händeringend und schnell Wohnraum für die interimsmäßige Unterkunft von Geflüchteten gesucht worden ist, wurden sogar temporäre Zwangsenteignungen durchgesetzt, gegen Entschädigung und Miete. Ich halte so was auch bei Leerstand für äußerst wünschenswert.”

Inwiefern die Besetzung in der Wilhelm-Raabe-Straße ein Erfolg ist, lässt sich schwer festmachen. „Besetzungen sind nicht nur dann erfolgreich, wenn es gelingt, in einer Immobilie Fuß zu fassen, um diese zu verhandeln und letztlich einen rechtlich geregelten Status als Nutznießer zu erwerben”, sagt Freia Anders. Ein Ziel von Besetzungen kann neben vielen anderen Zielen eben auch sein, die Aufmerksamkeit auf soziale Missstände und politische Versäumnisse zu lenken, und das scheint in diesem Fall durchaus gelungen. Über 100 Artikel erschienen über die Hausbesetzungen – laut Google Trends – in der Woche vom 20. bis 26. Mai.

Die seit langem schwelende Diskussion über Wohnungsnot, Leerstand und Mietenwahnsinn scheint durch die Aktionen der Besetzer in Berlin und Stuttgart Auftrieb erhalten zu haben. Auch wenn die Besetzer nicht den Räumungen statthalten konnten, haben sie gezeigt, wie groß die Unzufriedenheit ist. Wenn dieses Potenzial genutzt werden würde, könnten vielleicht auch wir, wie die Berliner in den Achtzigern, in ein paar Jahren zurück auf diese Besetzungen blicken und sagen: „Diese Hausbesetzungen haben unsere Städte gerettet.”


Redaktion: Rico Grimm. Schlussredaktion: Vera Fröhlich. Bildredaktion: Martin Gommel. Aufmacherfoto und Fotos im Text: Efthymis Angeloudis.

Die Hausbesetzer sind wieder da

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