Der eigentliche Skandal bei der Facebook-Datenaffäre

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Geld und Wirtschaft

Der eigentliche Skandal bei der Facebook-Datenaffäre

Facebook ist ein Quasi-Monopolist ohne Wettbewerber. Damit steht die Firma beispielhaft für einen größeren Trend, der alle Menschen berührt. Denn die Folgen sind: zu niedrige Löhne, steigende Ungleichheit und Lobbyismus.

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Politik- und Klimareporter

Die britische Firma Cambridge Analytica hatte Zugriff auf die persönlichen Facebook-Daten von 50 Millionen Menschen. Seit Journalisten aus Großbritannien das aufdeckten, haben wir über die Notwendigkeit von Datenschutz gesprochen, über Wahlmanipulationen, ein wenig über das Geschäftsmodell von Facebook und gar nicht über den einen Fakt, der wichtig wäre, um die richtigen Lehren aus der Affäre zu ziehen: dass Facebook ein Monopolist ist.

Die Firma hat im Westen ein Monopol auf das digitale, soziale Leben. Sie beherrscht ohne echte Konkurrenz die Welt der sozialen Netzwerke. Der Skandal um Cambridge Analytica ist eine direkte Folge davon, weil sich Facebook unangreifbar fühlt und sein Chef Mark Zuckerberg, der die Stimmenmehrheit im Unternehmen hat, sowieso. Wenn Facebook verspricht, jetzt nicht mehr mit bestimmten Werbepartnern zusammenzuarbeiten und die Privatsphäre-Einstellungen übersichtlicher zu gestalten, ändert das nichts an dem Machtgefälle zwischen Nutzern, Regierungen, Konkurrenten auf der einen und Facebook auf der anderen Seite. So werden neue Skandale folgen.

Die Diskussion über Facebook muss deswegen auch eine über das etwas abseitig klingende Thema der Industriekonzentration sein, über Übernahmen und Expansionen. Facebook ist da ja nur ein Fall.

Immer weniger Firmen beherrschen weltweit immer größere Teile ihres Marktes. Die Zahl der Monopole beziehungsweise Oligopole (Herrschaft der Wenigen) steigt. Wer in einem deutschen Supermarkt ein Gewürz kauft, kauft es mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bei nur einer Firma, egal ob Fuchs, Ostmann oder Kattus draufsteht. Wer in den USA ein Flugzeug besteigt, überweist sein Geld in der Regel einer von nur vier Airlines. Und die Suchmaschine Google hat einen Marktanteil von weit über 90 Prozent in Deutschland erreicht.

Wie die Europäische Union und die USA nun mit Facebook umgehen, ist aber nicht nur eine Frage der Wirtschaftspolitik. Denn wo Monopole sind, ist Korruption nicht weit, regiert Trägheit die Firmen und Ignoranz das Denken der Geschäftsleitung. Denn die Gewinne fließen ja, so oder so. In der Wirtschaftswissenschaft zeigt Studie nach Studie, dass Monopole nicht nur schlecht für die Kunden oder Nutzer sind, sondern auch für die Länder, in denen sie agieren. Wo nur sehr wenige dominieren, ist die Ungleichheit tendenziell größer und die Zahl der Erfindungen niedriger.

Wäre es möglich, seine Daten mitzunehmen, könnten wir die Herrschaft von Facebook brechen

Facebook behandelt unsere Daten, als wären es allein seine, als hätten nicht die Nutzer selbst mit ihren Klicks, Likes und Nachrichten diese Daten erst erschaffen. Wer sich dagegen wehren will, hat nur eine Möglichkeit: seinen Facebook-Account zu löschen und die Firma mit vielen kleinen Tricks daran zu hindern, weitere Daten auf anderen Seiten im Netz abzugrasen. Wer allerdings seinen Facebook-Account abschaltet, nachdem er ihn jahrelang aktiv genutzt hat, entscheidet sich, einen Teil seines sozialen Lebens auszuradieren. Muss das wirklich sein?

Seit Jahren gibt es Vorschläge, das anders zu lösen. Alle Nutzer müssten ihre Daten einfach aus dem Netzwerk herausholen können und – falls sie das wollen – in einem anderen Netzwerk wieder einspeisen können. Sie würden ihre Freunde, Fotos, Posts, Likes, Nachrichten, sie würden ihr Leben einfach mitnehmen. Wäre das möglich, wäre die Herrschaft von Facebook über unsere Daten gebrochen. Aber es ist nicht möglich.

Denn Facebook ist außerhalb von China und Russland ein Monopolist. Es gibt zurzeit keinen Konkurrenten, der Facebook gefährlich werden könnte, und taucht doch mal eine Firma auf, die das Potenzial hat, Facebook zu schlagen, wird sie gekauft. Whatsapp und Instagram gehören beide zu der Firma aus Kalifornien. Zusammen haben die Google-Mutter Alphabet, Amazon, Apple, Facebook und Microsoft in den vergangenen zehn Jahren 519 Firmen gekauft, ungestört von den Wettbewerbshütern.

Die Gewinnspanne der Digitalriesen ist im Vergleich gigantisch

In der kapitalistischen Theorie ist der Wettbewerb ein Wunderding: Er zwingt die Firmen, sparsamer mit ihren Ressourcen umzugehen, mehr an die Kunden zu denken, die Produkte beständig zu verbessern und ganz generell: nicht über die Stränge zu schlagen. Denn jeder Skandal gefährdet theoretisch das Geschäft. Die digitalen Giganten entziehen sich diesem Druck. Wer ihre Strategien studiert, erkennt ein Muster: Sie wollen ihre Märkte völlig beherrschen. Sie schließen – wie Apple – ihre Nutzer in ihre Geräte-Welt ein oder – wie Facebook – alle direkten Konkurrenten aus. Sie ignorieren – wie Uber – lokale Vorschriften oder versuchen gar nicht erst, Gewinn zu machen und so die Konkurrenz mit niedrigen Preisen aus dem Markt zu drängen. Das ist die Strategie Amazons.

Wie groß die Dominanz einiger Firmen ist, zeigt dabei nicht unbedingt ihr Gewinn, sondern ein anderer Wert: ihre Gewinnspanne gemessen am Umsatz eines Unternehmens. Sie gibt an, wieviel Prozent eines jeden Dollars, den eine Firma einnimmt, als Gewinn hängenbleiben. In Industrien, in denen viel Wettbewerb herrscht und viel Geld in die Hand genommen werden muss, ist die Gewinnspanne klein. VW zum Beispiel hatte zuletzt eine Umsatzrendite von knapp fünf Prozent. Bei Facebook und anderen Digitalfirmen wiederum ist sie sehr groß, um die 40 Prozent und mehr.

Je mehr Menschen die Plattformen nutzen, desto wertvoller werden sie für alle

Woran liegt das? Während klassische Industrieunternehmen für Rohstoffe, die sie verbauen, viel Geld zahlen müssen, bekommt Facebook seinen wichtigsten Rohstoff von uns Nutzern kostenlos.

Andere Digitalunternehmen arbeiten nach dem gleichen Prinzip: Airbnb muss keine Hotels betreiben, um Zimmer zu vermieten, Uber keine Autos kaufen, um einen Taxidienst zu betreiben, und Foodora braucht keine Fahrräder, um sein Essen auf zwei Rädern auszuliefern. Diese Firmen sitzen in der Mitte zwischen den zwei eigentlichen Geschäftspartnern und lassen sich die Vermittlung des Geschäfts bezahlen. Sie haben dabei einen entscheidenden Informationsvorteil, weil sie alle Seiten des Geschäfts auf einen Schlag analysieren können. Diese Seiten dann gegeneinander auszuspielen, fällt leicht.

Eine gut funktionierende Plattform – so nennt man die Geschäftsmodelle, bei denen online nur vermittelt wird – tendiert dazu, ein Monopol zu bilden, weil noch ein zweiter Effekt wirkt: Je mehr Menschen die Plattform nutzen, desto attraktiver wird sie für alle anderen. Facebook ist auch deswegen so erfolgreich, weil dort wirklich jeder zu sein scheint. Die Google-Suchmaschine ist allen anderen überlegen, weil sie über die Jahre lernen konnte, was relevant ist und was nicht.

Aber auch in anderen Branchen konkurrieren die Unternehmen zu wenig miteinander

Allerdings sollten wir nicht den Fehler machen und nur auf die großen Digitalunternehmen schauen, wenn es um Quasi-Monopole geht. Das zeigt sehr eindrücklich eine umfangreiche Untersuchung, die der Economist 2016 vorgenommen hat. Für knapp 900 verschiedene Industrien hat das britische Magazin für das Jahr 1997 und heute ermittelt, wie hoch der Anteil der jeweils vier größten Unternehmen am gesamten Umsatz der Branche ist. Ergebnis: Die großen Firmen konnten ihren Anteil deutlich steigern, um im Schnitt sechs Prozent. Die Monopolkommission in Bonn hat etwas Ähnliches auch für Deutschland untersucht: Auch hier gewinnen die Großen immer mehr Marktanteile.

Gleichzeitig sinkt die Zahl der Neugründungen im gesamten Westen. Gründeten 2003 noch knapp drei Prozent der Deutschen ein Unternehmen, waren es 2016 laut KfW-Gründungsmonitor kaum noch halb so viele. In der restlichen EU und den USA sank die Zahl ebenfalls. Die Folgen spüren viele, wenn auch nur indirekt. Denn neugeschaffene Unternehmen geben eher Jüngeren eine Arbeitschance und melden US-Daten zufolge gleichzeitig mehr Patente an, woraus wieder neue Jobs und Firmen entstehen können. Gleichzeitig haben Monopolunternehmen kaum Anreize, produktiver zu werden, also mit gleichem Einsatz von Kapital mehr zu produzieren.

Diese Produktivität ist aber wichtig für die ganze Gesellschaft. Wer sie steigern will, muss investieren – in Köpfe und Maschinen und neue schlaue Dinge erfinden, und das tun Firmen, die sich ihrer Gewinne sicher sind, eben nicht.

Zuletzt, wichtig für die ganze Debatte über Arbeiter, die um ihre wirtschaftliche Zukunft bangen: Je stärker konzentriert eine Industrie ist, desto mehr gehen die Firmengewinne eher an die Eigentümer als an die Arbeiter. Da die Eigentümer aber in der Regel sowieso diejenigen sind, die schon Vermögen haben, steigt die Ungleichheit in der Gesellschaft weiter.

Der letzte Punkt ist der wichtigste: Wenn sich wirtschaftliche Macht immer stärker in den Händen weniger sammelt, sammelt sich dort auch politische Macht. Früher konnten die Eisenbahn-Barone der USA und die Stahlhütten des deutschen Kaiserreichs die Gesetze ihrer Länder mitschreiben, heute sind es die wenigen Tech-Unternehmen und Automobilkonzerne, die großen Einfluss auf die Entscheidungen ihrer jeweiligen Regierung haben. Genau deswegen zittert ja Facebook auch so: Weil der Allein-Herrscher Mark Zuckerberg (er kontrolliert 60 Prozent der Stimmrechte im Unternehmen) zum ersten Mal wirklichen, echten gefährlichen Gegenwind fürchten muss, von der Gesellschaft und der Politik.

Die neue EU-Datenschutzverordnung macht das Problem nur noch schlimmer

Was tun? Die Kartellämter und Wettbewerbshüter haben die Herausforderung angenommen, die die digitalen Giganten darstellen. Im Sommer 2017 wurde das entsprechende deutsche Gesetz neu formuliert. Dank ihm könnten die Behörden nun zum Beispiel verhindern, dass eine Firma wie Facebook Whatsapp kauft (ging vorher nicht, da WhatsApp keinen Umsatz hatte zu diesem Zeitpunkt und der Umsatz bei einer Kartellentscheidung ausschlaggebend war). Gleichzeitig können sie sich nun explizit auch die Rolle von (Nutzer-)Daten bei solchen Fällen anschauen: Wer hat sie, wer gibt sie weiter, wie zementieren sie Marktpositionen.

„Es wurde viel gelernt”, sagt Achim Wambach, Präsident des Mannheimer Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) und Vorsitzender der Monopolkommission in Bonn. „Die Wettbewerbshüter schärfen ihre Instrumente.” Aber reicht das? Firmen wie Google und Facebook sind ja schon groß, sind schon mächtig. Ihren Aufstieg kann keiner mehr aufhalten, weil sie längst aufgestiegen sind.

Wambach verwies in einem Telefonat mit mir auf die Verfahren gegen die beiden Konzerne, die gerade in der EU und in Deutschland laufen. „Dass Facebook so dominant ist … liegt auch an den Netzwerkeffekten. Braucht es da weitere Elemente der Regulierung? In meinen Augen zum jetzigen Zeitpunkt nicht”, sagt Wambach.

Achim Wambach

Achim Wambach Erich Dichiser / Wikipedia

Doch Wettbewerbshüter in der ganzen Welt denken schon seit längerem darüber nach, die großen Digitalunternehmen genauso wie die großen Energie- und Telekommunikationsunternehmen sowie die Wasserversorger zu regulieren. Die These dahinter: Diese Unternehmen erfüllen einen Zweck, der von überragender gesellschaftlicher Bedeutung ist, deswegen sollte ihr Geschäft streng überwacht werden. Je nach Einschätzung würde das für Facebook einen Gewinneinbruch, um bis zu 80 Prozent bedeuten. Es wäre das Ende einer Ära.

In den vergangenen Tagen wurde auch immer wieder auf die Datenschutz-Grundverordnung verwiesen, die ab Mai in der ganzen EU gilt und einen neuen globalen Standard im Datenschutz bilden könnte. In dieser Verordnung taucht auch das unscheinbare Wort Datenportabilität auf. Dahinter würde sich die denkbar größte Gefahr für die Geschäftsmodelle der Tech-Riesen verbergen, wenn die EU das eigentliche Problem nicht umschifft hätte. Denn sie schreibt nur vor, dass eher „unwichtige Daten” wie Fotos und Status-Updates exportiert werden können, wie Marcel Weiß in seinem Blog Neunetz schreibt – aber eben nicht das eigentlich Wichtigste in einem sozialen Netzwerk: die Informationen über Freunde und Beziehungen. Im Gegenteil: Die neue EU-Datenverordnung wird es sogar noch schwerer machen, diese Informationen mitzunehmen. Sie schreibt „Facebook als Marktführer damit praktisch” fest, sagt Weiß.

Es ist fast tragisch: Um den Datenmissbrauch durch Dritte zu verhindern, müssen wir einer einzigen Firma das Recht einräumen, unsere Daten bis in alle Ewigkeit zu vermarkten. Kann das die Zukunft sein? Darf sie es sein? Es gibt andere Modelle.

Der britische Journalist Paul Mason schlägt vor, die digitalen Firmen dazu zu zwingen, ihren Datenschatz anonymisiert Dritten zu öffnen. Das würde bedeuten, dass auch andere Firmen Facebooks Daten nutzen könnten, um Werbesysteme aufzubauen. Andere wiederum glauben, dass mit Hilfe neuester kryptographischer Methoden und der Blockchain jeder bald sehr kleinteilig darüber bestimmen kann, was mit seinen Daten geschieht. Anstatt, dass ich Facebook einmal einen Blankoscheck ausstelle, müsste es jedes Mal aufs Neue um Erlaubnis fragen, meine Daten zu nutzen – und mich sogar dafür bezahlen. Dann wäre plötzlich jeder von uns ein Monopolist, aber kein gefährlicher. Denn das einzige Monopol, das wir hätten, wäre ein selbstverständliches: ein Monopol auf unser eigenes digitales Leben.


Redaktion: Susan Mücke. Schlussredaktion: Vera Fröhlich. Fotoredaktion: Martin Gommel. Aufmacherfoto: Wikipedia / Maurizio Pesce.

Der eigentliche Skandal bei der Facebook-Datenaffäre

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